Der Sandwirt und der Schneider


Von Klara Pölt-Nordheim.

Anfangs der Siebzigerjahre lebte in meinem Heimatdorf Sarnthein ein altes Männlein, namens Jakob Gasser, vulgo Schneider-Jaggele.

Jeden Tag, wie sie Gott gibt, schlag elf Uhr vormittags, pünktlicher als die Turmuhr, schritt das Jaggele mit seinem Wasserkrug in der Hand quer über den Kirchplatz, um für den Mittagstisch frisches Trinkwasser zu holen. Für uns Kinder war das schmächtige, etwas nach vorn gebeugte Männlein mit der kurzen Joppe, Kniehose, den weißen Strümpfen und Schnallenschuhen etwas Besonderes.

Dieser Mann war von Beruf Schneider, er hatte als junger Bursche in den Tiroler Freiheitskriegen mitgekämpft und wusste viel zu erzählen.

Wenn man ein Kind ist, horcht man zwar mit offenem Munde zu, aber es geht bei einem Ohr hinein und beim andern hinaus. Sicher erinnere ich mich leider nur mehr aus eine kleine Episode bei einer Berg-Isel-Schlacht. Ich lasse das Jaggele in seinem breiten Sarner Dialekt selbst erzählen:

Ja, meine Leut! afn Berg Isl, zelm obn mr schu gonz örgar gviecht. Nicht as grigg-gragg und pums gmacht, gschriern und gmöttnet 1), daß oan fra Hearn und Sögn vrgangen ischt.

Warr a Wunder! Wenn mr gmoant obn, iaz woll, iaz kannts drgöbn, also müessn se woll decht ball alle hin sein, ots af a mitnuis widr untn auar gwazzelt wia die Fezzomesn 2).

Dös ischt decht a saggere Arbet, ann i mr gidenkt, wenns aso geaht, is decht gschödn!

— Dr Schwitz ischt mr bachlweis oargerunnen und i ann mi gro amol gwöllt mitn Örwl a wian ohputzn, springen anöttlane sölle Högl be mir für und oandr, recht a bartetr, ot urteiglt mit de Hänt gfuchtlt und gschriern: „Nöt auarlassn, tiat sie gro nütt auarlassn!"

Iaz asches, ann i mr gidenkt, dös ischt woll eppr gor dr Sandwirt selbr, dr Kummedant. Und drweil i mr sell gidenk, otsn gonzn Mensch gflötzt, schian dr Läng nach ischt ar gschiepn 3) und ot ihm woll alt hintn de Hos drrifsn.

Ear springg orle widr au, greift afn Blecketn, wo a gonzr Schlempn oharghongen ischt, draht sie dummedumm und sogt: „Hoi, ischt koan Schneidar do?" Nar ann i mi woll gmeldet: „Sell war ih." Ear schaugg mi a wian schelch ohn und lacht: „Bua, wenne a Schneider bischt, nar wersche woll in Hondwerchzuig aa be dir obn."

„Sellfreile!" — Ih nöt faul, tu a Nodl und an Fodn aussar und sog: „Höb still, nar flick i di."

An ondrdr ot si gschwinn af dr Grappl niederglatt 4) und i ann in Hofar Andr afn Loascht de Hos gflickt. —

Sell ischt fischt a Höllnarbet gwödn, dös Flickn, wenn oan dö Kigilar um de Oarn singen. —

Obr na, as ot ins nicht drwuschn und nochar, wia mr sein förti gwödn, ot si dr Andr a wian geparzt 5), ot zerscht zerugg gegriffn obs höbt, und nochar in Hosnsack und ot mr drei Dreiar-Patzn göbn. —

Vergelts ihm Gott in dr Eawigkeit, schloß das Iaggele seine Erzählung, dr Sandwirt ischt a guetr Mensch gwödn und a föstr Lotr hear, att no long löbn gekennt, dr Heitar, wenn si ihn nöt anfran löscht drschossn attn in dr Walsch drinn, döi Tuifl, döi lötzn.

Aus „Tiroler Nagelen"

1) Lärm gemacht. 2) Ameisen, 3) gestürzt, 4) hat sich auf alle Viere niederlassen, 5) gestreckt.



Quelle: Klara Pölt-Nordheim, Der Sandwirt und der Schneider, in: Tiroler Heimatblätter, Zeitschrift des Vereins für Heimatschutz in Tirol, 6. Jahrgang, 5. Heft, Mai 1928, S. 160.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.