309 - Angriff der Bauern
Schwerlich hätte Dipaulis gutgemeinter Schritt zu einem Ergebnis geführt. Die Bauern fühlten sich ihrer Sache bereits sicher, sie hatten „alle Vögel in einem Netz beisammen". 1) Ein Hauptquartier gab es nicht, also auch keine gemeinsame Leitung, ebenso wenig organisierte Schützenkompagnien. Höchstens einzelne Hundertschaften erkannten für sich ein gemeinsames Kommando an, ohne es ausdrücklich erwählt zu haben. Aber instinktiv hatten sie alle eine Losung: keinen Bayer entwischen lassen; das gab ihren Bewegungen Ziel und Richtung. Noch vor scheinender Sonne entfaltete sich in dem die Stadt umschließenden Bauernkordon eine bedeutsame Rührigkeit. Es ließen sich drei Hauptansammlungen unterscheiden: die Oberländer auf dem nördlichen Mariahilferplateau, denen sich die Dorfmannschaft von Hötting anschloss, eine zweite Linie, von Wilten bis Völs reichend, wo Bucher mit seinen Axamsern und den Sellrainern den Kern bildete, die schon während der Nacht die meisten und die größten Feuer unterhalten hatten, und eine dritte Partie, welche ostwärts von der Sillbrücke bis Egerdach ihre Stellung wählte. Ein nüchterner Beobachter schätzte ihre Zahl auf 6000. Entsprechend seiner priesterlichen Amtsbestellung las Heinrich Kuen, dem die Oberinntaler eine Art Führerschaft zuerkannten, der zusammengetrommelten Mannschaft in Hötting die Frühmesse, feuerte sie an mit einer Ansprache und spendete die Absolution. Mit jubelnder Zuversicht tönte es ihm aus der Menge zurück: Bis heute Mittag müssen wir in der Stadt sein und dort die Mahlzeit halten. Um 5 Uhr begann überall der Angriff der Bauern. Buchers Haufe stieß mit den Bayern beim Ziegelofen unter dem Husslhof zusammen. Unter außerordentlich lebhaftem Feuer, das die Zahl der bäuerlichen Streiter noch grösser erscheinen ließ, warfen sich die Tiroler auf die dort postierten Kompagnien. Diese vermochten den Kugelregen kaum länger als eine Stunde auszuhalten. Fechtend traten sie eine Rückzugsbewegung gegen den Innrain an. Flugs ersahen sich die Bauern einen neuen Vorteil. Die stadtwärts führende Chaussee ist zu beiden Seiten mit den lang sich dehnenden Scheiterzeilen der Hirnschen Holzkompagnie flankiert. Schnellfüßige Bursche eilen den Bayern voraus und überschütten die Vorbeikommenden aus den Lücken dieser deckenden Holzmauern mit ihren Geschossen. Bald sind die Retirierenden in ihrem Lauf durch entgegenstürzende Haufen gehemmt, und der größte Teil, ob gesund oder verwundet, gegen 300 Mann, lässt sich fangen. Oberstleutnant Sbansky will noch mit einer Kompagnie zu Hilfe kommen, ihn tötet eine Kugel, und die Seinen teilen das Los der andern.
1) L. Rangger p. 42.
Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.