329 - Siegestrunkene Volksmassen


mangelnder Munition war die auf den Wiltener Feldern begrabene Ehre von Bissons Kolonne nicht wieder herzustellen. 1)

Wer das Leben des Volkes kennt, wird sich nicht wundern, wenn es an diesem Tage in Innsbruck noch höher herging als am früheren. Am 12. April hatte es ein heißes Ringen abgesetzt, müde suchten die Sieger am Abend ihre Heimstätten auf. Noch unter dem frischesten Eindruck des eben Erlebten hatten heute die Sturmglocken wieder gerufen, und sie waren wieder gekommen die Tausende, aber um leichten Kaufes nur Zeugen zu sein von einem Erfolg, der den ersten noch übertraf. Musste das die Massen nicht mit überschäumendem Selbstbewusstsein, mit tollem Übermut erfüllen? Zahlreicher als vorher hatten sich die Bauern eingefunden, man schätzte sie auf 20 000. Alles war danach angetan, die Neigung zu Exzessen und argen Streichen in der siegberauschten Menge zu bestärken.

Das mussten die Gefangenen an sich zuerst verspüren. Ihre Waffen und Tornister genügten den auf sie Einstürmenden nicht mehr, dieselben vergriffen sich häufig auch an dem, was sie am Leibe trugen. Bisson wollte sich in Niederkirchers Gasthof zurückziehen, Lener geleitete ihn deshalb in die Stadt. Kaum hatten sie dieselbe betreten, so fiel ein Bursche den General, einen ehrwürdigen Greis, an und riss ihm seine Orden von der Brust. Sein Begleiter sah noch, wie der Unglückliche in Tränen ausbrach, und hörte ihn seufzen: „Nun ist alles, selbst die Ehre verloren!" Im nächsten Moment wurde Lener von Bissons Seite gerissen — er hat ihn nie mehr gesehen. Anderen Offizieren ging es nicht besser. Mehrere derselben rettete der Innsbrucker Schauspieler Rossi aus einem Knäuel von Bedrängern in den goldenen Hirschen, wo der Wirt und seine Leute alles aufboten, die Gefährdeten zu verbergen. Aber während des Tages löste ein Haufe den andern ab, um die gesuchten Franzosen aufzuspüren, bis sie endlich Rossi bei Nacht, in Zivilkleider gehüllt, nach einem sichern Versteck brachte, von wo sie sich den einrückenden Österreichern übergaben. 2)

1) Wie Thiers, Gesch. d. Konsulats und Kaiserreichs, diese Dinge behandelt, beleuchtet schon der eine Satz (deutsche Ausg. 1851, X, 150): „Als sie (Bissons Truppen) in der Nähe der Stadt anlangten, fanden sie dieselbe bereits in den Händen Hofers. Hinten von Chasteler gedrängt, vorn von Hofer bedroht, mussten sie, an 3000 Mann stark, sich ergeben." Der Augenzeuge Jordan (a. a. O.) schreibt: „In der Frühe, als Bisson sich näherte, waren keine 100 Schützen in der Stadt auf den Beinen. Wäre der General schneller vorgegangen, so wäre Innsbruck verloren gewesen. Aber nun — wer es nicht gesehen hat, könnte es kaum glauben, — füllte sich die Stadt mit Menschen, als wenn sie aus der Erde kämen." — Über die Nachricht von Bissons Ergebung schreibt Major Ameil an Davoust, Grein 12. Mai: II n'est pas présumable que cela soit. Saski III, 279.
2) Jos. Rossis Bericht an den Generalkommissär, 4. Juni 1811. J. St. — Diese Offiziere waren: Die Oberstleutnants Baron Donnersberg und Graf Geldern, die Hauptleute Zurnkieden und Bellard, Quartiermeister Reinhart.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 329

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.