356 - Hormayrs Ankunft
derselbe von der Einkerkerung des österreichischen Offiziers Khuen und des Theresienordensritters Graff. Schon Korpsgeist gebot ihm, die beiden aus dem bäuerlichen Gewahrsam zu erlösen. Er brachte sie in sein Quartier zum goldenen Schlüssel. Bald verlautete, dass Hormayr nahe. Die Spitzen der Bürgerschaft eilten zu seiner Begrüßung eine gute Wegstrecke vor die Stadt. Sie mussten harren bis zum Abend. Eine Stunde vor dem Intendanten erschien wie dessen Vorläufer ein Don Quixote — als solcher erschien er denen, die ihn nicht kannten — ein Mann mit einem alten großen Schwert an der Seite, zwei schwere Pistolen im Gurt, mit einer Pelzmütze bedeckt. Es war Johann v. Kolb. Endlich kam eine Karosse, deren Platz Hormayr mit dem jüngeren Giovanelli teilte. 1) Rasch ordnete man sich zum festlichen Einzug, der sich unter Böllerknall und Glockengeläute vollzog. Im großen Merkantilsaal fand Empfang und Vorstellung statt, vor demselben paradierte die Bürgermiliz und die Bauernschaft. Hormayr nahm das Wort: Spanien habe das französische Joch schon glorreich abgeschüttelt, Bayerns König weile wie ein französierter Gefangener in Straßburg, Österreichs Macht sei gewaltig und werde Deutschland befreien, er selbst werde Tirol nicht anders als tot verlassen. Daran schloss er die Verkündigung, dass die alte Landesverfassung wieder auflebe und der Merkantilmagistrat der Stadt Bozen wieder hergestellt sei. Am Schluss seiner Rede rief er: „Ja sehe ich recht, ist da nicht mein lieber Nessing?" Der Angesprochene trat vor und, denselben umarmend, fuhr der Intendant fort: „Nicht wahr, ich habe das Wort gehalten, das ich dir in Wien am Lichtmesstage gegeben!" Mit einer Ovation für Kaiser Franz, welcher der Landrichter noch ein patriotisches Amen beifügte, schloss Hormayr die Versammlung.
In Giovanellis Haus eingekehrt, gönnte sich der Freiherr noch keine Ruhe. In der Nacht ließ er dem bayrischen Polizeikommissariat Geld und Akten abfordern. Zugleich verwandelte er das friedliche Quartier seines Gastfreundes zum Tribunal. Denn die Deportationspraxis sollte gerade hier in Bozen in größerem Stil geübt werden, nicht in erster Linie an bayrischen Beamten, sondern an einheimischen Bürgern mit bayrischer Gesinnung. Vor allem Volk sollte es geschehen. Daher stand das Haus während der ganzen Nacht offen und war in Gängen und Zimmern von Bauern dicht besetzt. Vorgeführt wurden von einem Pikett Dragoner Khuen, Graff und ein dritter, Dr. Aldosser, ein Freund der beiden.
1) Giovanelli war dem Intendanten weiter als die anderen entgegengegangen, weil er bereits erfahren hatte, dass Hormayr im Hause seines Vaters Herberge nehme. Hormayr hatte dem bayrischen Polizeikommissär Donnersberg Befehl erteilt, für ihn bei Giovanelli (Donnersberg schreibt immer Trobanelli) oder bei Zallinger Quartier zu bestellen. Der Kommissär entschied sich für ersteres Haus. (Donnersbergs Bericht a. a. O.)
Rechtschreibung behutsam angepasst.
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