411 – Ansammlung bei Volders
Die stets sich erneuernde Widersetzlichkeit der Landleute entfachte die wilden Triebe der Soldaten aufs neue. Das Dorf Strass hatte alle Schrecken der Einquartierung eines zügellosen Feindes auszukosten. Als Pfarrer Siard Haser, um mit der Wegzehrung einen sterbenden Soldaten zu trösten, in die Kirche trat, fand er sie ausgeraubt und geschändet, die Hostien entweiht. Kein Haus entging der Plünderung und Demolierung. Alte Leute, zur Flucht unvermögend, wurden unmenschlich misshandelt. Gewaltigen Schaden nahm das Dorf Schlitters, wo „ein Haus um das andere angezündet" 55 Gehöfte in Asche sanken. Einige Bauern waren in der Nähe der Zillerbrücke gefangen worden, sie wurden unverweilt an den nächsten Bäumen aufgeknüpft. 1) Es kamen Szenen vor, die menschlich fühlende Offiziere erschaudern machten. Dass deren Schuld Bayern und Franzosen gegenseitig auf einander abwälzen wollten, ist gewiss bezeichnend. Von Lefebre wird das Wort überliefert: „Ich schäme mich, euer Kommandant zu sein; auch unter der französischen Armee sind Erzketzer, doch keine solchen Schurken; Napoleon hat unter seinem Befehle keine Räuber sondern Soldaten." 2) Dagegen versichern bayrische Offiziere ausdrücklich: „Das Betragen unserer Truppen ist schrecklich, alles wird geplündert, sie sind dazu zum Teil von Lefebre autorisiert"; auf Grund eines Befehles des Marschalls seien die Bauern gehängt, auf Grund eines ebensolchen Befehles sei Schlitters angezündet worden. An diesem Tage, so berichtet einer, wurde jeder der gefangenen Aufständischen niedergemacht; die Tiroler wieder töteten unsere Nachzügler.
Während dieser Vorgänge am Eingange des Zillertales entfaltete sich einige Stunden aufwärts, bei Volders, ein bunt bewegtes Treiben. Immer neue Massen wurden von Innsbruck her nachgeschoben. Wie gering auch Chastelers Autorität seit Wörgl sein mochte, so machte sich doch nach seinem Weggang die Führerlosigkeit erst recht bemerkbar. Buol und Vejder hatten die größte Not, die sich aufstauenden Stürmerhaufen einigermaßen zu zügeln. Im Servitenkloster schlugen sie ihr Hauptquartier auf. Das erste, was sie veranlassten, war die Wiederherstellung der voreilig abgetragenen Brücke über den Inn. Dann ließen sie die Höhen vom Schloss Friedberg bis zur Haller Brücke hin besetzen. Die Ankunft der Gerichtsleute von Rettenberg, Thauer und aus Stubai erhöhte die Zahl der Stürmer gegen 10 000, so dass sie die von Buol mitgebrachte
1) Nach manchen Angaben sollen Bauern unter dem Schein des Parlamentierens die Bayern angefallen haben. Andere reden von Missverständnissen. Die Überlieferungen gehen auch da wieder stark auseinander. Die Namen der Bauern enthält ein Bericht des Landrichters (L. A). Einer von ihnen, Georg Huber von Bruck, soll mit den Worten gestorben sein: Lieber österreichisch sterben als bayrisch leben.
2) Nach Hasers Aufzeichnungen in Wörndle, Siard Haser, p. 32, 34.
Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.