486 - Chasteler in Kärnten


In dieser Schwermut traf den General auch Sieberer auf seiner Reise zum Erzherzog. Chasteler hielt es sogar für unmöglich, dass sich ein einzelner Bote bis zum Hauptquartier Johanns durchschleiche. Sieberer ließ sich dadurch nicht erschrecken, sondern nahm eine Landkarte zur Hand und überzeugte sich, dass er, freilich nicht auf der Landstrasse, seinen Botengang zum Erzherzog wohl werde verrichten können. 1) Schmidt teilte den Kleinmut seines Chefs. Als er, in Greifenburg angelangt, die Ankunft Ruscas vor Sachsenburg erfuhr, machte er sogleich Kehrt und zog bis an die Landesgrenze bei Chrysanthen zurück. In seiner Gewohnheit, „doppelt zu sehen", 2) hatte er die Stärke des Gegners weit überschätzt und in seinem Schrecken auch noch die Brücken über die Drau und Möll voreilig abbrechen lassen. Am selben Tage noch trieb ihn eine Weisung Chastelers zu abermaligem Vormarsch nach Kärnten; wenn nicht gegen Sachsenburg, so sollte er doch gegen Hermagor marschieren. In derselben Stunde (28. Mai) brachten zwei Offiziere aus Johanns Hauptquartier einen Befehl, welcher Chasteler aus seiner chronischen Ungewissheit befreite: er hatte aus Tirol im Rücken des Feindes durch Kärnten durchzubrechen zum Anschluss an den Erzherzog. Nun zögerte er keine Stunde mehr. Am 29. bereits lagerte er in Oberdrauburg. Auf Rusca, der sich vor ihm zurückzog, stieß er am 5. Juni bei Klagenfurt. Abermals peinigten Zweifel den General. Anfangs geneigt, den Gegner anzugreifen, entschied er sich bald zu dessen Umgehung. Gleichwohl konnte er einem Gefechte nicht ausweichen, das zwar seinen Weiterzug nicht aufhielt zur Vereinigung mit dem Korps Gyulay, aber den General Schmidt von ihm abtrennte, der sich damit zur unfreiwilligen Rückkehr nach Tirol gezwungen sah. Segenssprüche haben den Oberkommandierenden keine begleitet, als er sein unglückliches Debüt im Lande beschloss. 3) Kopfschüttelnd lasen nach einigen Tagen die Bauern ein Handschreiben des Erzherzogs Karl an Chasteler, worin ihm die kaiserliche Anerkennung ausgesprochen war über seine „standhafte Behauptung Tirols“, die ihm zum höchsten Ruhme gereiche. „Sprechen Sie", so hieß es darin noch weiter, „den braven Tirolern Mut zu; wenn sie im gleichen Geiste und vereint bleiben, so sind sie in ihren Gebirgen unbesiegbar." 4) Der

1) Auch diese Stelle hat Hormayr in dem von ihm publizierten Tagebuch Sieberers verändert, und zwar in einem für Chasteler günstigen Sinne.
2) So Lebzeltern a. a. O.
3) Hauptmann Matthias Delama sagt in einer Aufzeichnung (A. G.) von Chasteler: „Den österreichischen Truppen in Tirol fehlte nichts als eine tüchtige Führung. Hätten sie einen Ditfurth, Deroy oder Siebein gehabt, dann hätten sie mit den Tirolern eine unüberwindliche Phalanx gebildet."
4) Schreiben des E. Karl v. 10. Juni, abgedruckt in der Innsbrucker Zeitung v. 22. Juni. Am 25. Mai drohte der Kaiser in einem Handschreiben an E. Karl mit Repressalien auf Chastelers Ächtung.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 486

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.