521 - Senn und Genossen
Geschäfte zu machen. Baumgärtner brachte es zu einer geheimen Konferenz zu Martinsbruck am 4. Juli mit dem Freundestrifolium Senn, Fischer und Linser. Nachdem er sie „belehrt über Dinge, die ihnen in ihrer Abgeschiedenheit bisher unbekannt geblieben waren, und versichert hatte, dass der bayrische König Tirol nicht mit Waffen erobern sondern mit Liebe gewinnen und allen begründeten Beschwerden abhelfen wolle", ließen sich die drei Tiroler zur Verpflichtung herbei, „mit aller Vorsicht für die Rettung des Vaterlandes tätig zu sein". 1) Bestärkt wurden sie durch Kenntnisnahme
1) Wörtlich aus Senns Verteidigungsschrift v. März 1810 (M. K.). Senn hat, wie dessen Gegner Engelbert Tschott erzählt, später wohl behauptet, er habe Baumgärtner „um den Löffel barbiert". Und auf Senns eigene Verteidigung vor den Bayern 1810 wäre ja nicht viel zu bauen. Aber die von ihm erhaltenen Briefe an Baumgärtner zeigen, dass er mit demselben Eifer auf die bayrischen Anregungen einging, wie er bisher den Patrioten gespielt hatte. So schreibt nicht einer, der nur der Täuschung wegen auf eine Sache eingeht. Die entscheidenden Briefe sind folgende. Senn an Baumgärtner „in Schuls vel ibi ubi", Meran, 27. Juli: „In der Überzeugung, dass, wenn wir nur hier und dort mit einem sprechen, wir schwerlich zum Ziele kommen, machten wir den Plan, es dahin zu bringen, dass ein außerordentlicher, aber vollkommen verfassungsmäßiger Kongress der Stände aus allen Hauptgegenden des Landes zusammenberufen werden soll, wozu ganz neue Abgeordnete in den Versammlungen der Viertel und Städte gewählt, auch die Abgeordneten der zwei oberen Stände eingeladen werden sollten. Denn von einem Ausschuss dieser Art darf man erwarten, dass er für die Wahrheit und für das Wohl des Landes mehr Sinn hat als der große Haufe. Mir wurden die Bezirke Vintschgau, Meran, Bozen und Brixen zuteil. F. und L. (Fischer und Linser) nehmen das Oberinntal und Wipptal über sich. Ich kam bis Bruneck. Ich glaube, bis daher meinen Zweck noch überall erreicht zu haben, und hoffe das gleiche auch vom nördlichen Landesteile. Der Oberkommissär v. Plawen in Reutte könnte dort viel wirken. Morgen gehe ich nach Untervintschgau, übermorgen nach Obervintschgau. Bis 1. August werden die Konferenzen in den Städten und Vierteln wenigstens in Südtirol überall schon zu Ende sein. Bis es zum Kongress kommt, wünschte ich, dass Sie mir die förmliche Zusicherung des sichern Geleites zur Hin- und Rückreise und während der Versammlung für alle Abgeordneten schicken könnten. In Brixen hörte ich einiges, in Bozen aber aus Kaufmannsbriefen schon mehr von einem Waffenstillstand. In Brixen verwirft man ihn ganz oder scheint ihn wenigstens verwerflich machen zu wollen, aber in Bozen glaubt man vollständig daran. Ich selbst halte, bevor ich nicht Gewissheit habe, die Mittelstrasse, um so schneller wird unser Plan reifen." Ders. an dens. Nauders 1. August: „Ich bedaure sehr, dass Sie nicht mehr so nahe bei uns weilen, damit ich Ihnen mündlich mitteilen könnte. Aber ich hoffe, Sie werden in Schuls Ihre Adresse zurückgelassen haben. Ich kam gestern hier an, auch Linser traf Verabredetermassen hier ein, Fischer ist noch in Innsbruck. Von Innsbruck bis hierher und von hier bis Brixen war alles vorbereitet. Heute sollten die Abgeordneten von allen Vierteln und Städten nach Innsbruck gehen, um möglichst gleichzeitig einzutreffen. Sicher würden unsere Freunde dasselbe auch in Pustertal und Unterinntal veranlasst haben. Hormayr erließ am 27. Juli in Brixen einen Aufruf über den Waffenstillstand. Wären die Briefe, die Sie mir senden wollten, nicht zurückgehalten worden. so wäre ich wohl früher ins klare gekommen. Denn ich erhielt den Hormayrschen Fleck erst am 29. in Burgeis vor meiner Abreise. Obgleich man uns noch immer in Ungewissheit halten will, so ist doch der größere Teil des Volkes, besonders in den von uns drei (mir, L. und F.) bereisten Gegenden zur Ruhe geneigt, und um so mehr, als am 30. die offizielle Bestätigung von Buol dat. Brixen, 28. Juli (also musste es Hormayr doch schon am 27. gewiss wissen) nachfolgte, wodurch uns im Namen des E. Johann Ruhe empfohlen wurde. Aber zwei Stunden danach traf die abermalige Aufforderung zu den Waffen von der Schutzdeputation in Innsbruck ein und zwar auch vom 28., die wohl unter allem, was seit dem 11. April geschehen ist, gewiss der unverantwortlichste Schritt ist. In welche schreckliche Lage werde ich und jeder meinesgleichen versetzt? Ha, so rief und schrie man plötzlich von allen Seiten auf uns zu, jetzt ist es endlich aufgekommen, dass der Waffenstillstand entweder eine List des Feindes oder wohl gar nur eine Spitzbüberei unserer Herren ist; jetzt greift man es mit Händen, dass die Franzosen und Bayern auf der Retirade sind und dass die uns geschilderte Landesgefahr erlogen ist, nicht umsonst wäret ihr beim bayrischen Kommissär in Martinsbruck und nicht umsonst gingen eure Briefe so eifrig hin und her; kurzum, so lang wir nicht alle Herren im Lande erschlagen, sind wir immer die Betrogenen. Es kam zwar gestern eine Art von Sinzerierung heraus, und soeben erhalte ich mitfolgende Erklärung, die uns sagt, woran wir sind. Aber man ist nicht versichert, ob nicht da und dort von der vorrückenden Armee oder vom Landvolk ein Unglück geschieht. So musste also das arme Tirol von der schändlichen österreichischen Politik bis auf den letzten Augenblick geprellt, belogen und betrogen werden. So lohnte ihm ein Kaiserhaus, das mit Treue und Redlichkeit so sehr prahlte, die durch tausend Versprechungen wieder aufgeweckte Anhänglichkeit, dass wir sonst nichts mehr als den traurigen Trost übrig haben , man werde das Geschehene mehr unserer gutmütigen Leichtgläubigkeit und der Unmöglichkeit, unsere Beschwerden durch Einführung der Kreisdeputationen vorzubringen, hingehen lassen und verzeihen. Denn die Regierung, welcher uns der Friede unterwirft, so auch die bayrische, darf sich nicht allein gegen jeden Rückfall versichert halten, sondern auch darauf zählen, dass der Tiroler, wenn einmal das mit ihm gespielte Bubenstück allgemein bekannt wird, auch gegen Österreich sein wird. Fortgesetzt am 2. August morgens: Gestern wurde ich durch drei Abgeordnete aus Meran und Vintschgau unterbrochen. Sie brachten ein Schreiben von Hofer, welcher behauptet, Tirol müsse zwar geräumt, dürfe aber vom Feind nicht besetzt werden. Denn dies untersage der Art. IV, und der Kaiser habe es einem eben zurückgekommenen Deputierten ausdrücklich gesagt. Diese drei Abgeordneten wollen also im Namen ihrer Bezirke fragen, ob die hiesigen Gegenden sich entschließen wollen, dem vordringenden Feind Gewalt entgegen zu setzen. Ich antwortete, dass die Auslegung des Art. IV falsch sei, da ein Land, welches geräumt wird, als heimgefallen zu betrachten ist und von Österreich selbst Ruhe und Ergebung empfohlen wurde, dass der Stärkere seine Auslegung immer durchsetzen werde, dass also Tirol, wenn der Disput ausgefochten werden soll, nie etwas gewinnen kann, und dass wir uns der königlichen Gnade so ganz unwürdig machen würden, die uns doch für den Fall der Ruhe zugesichert wurde. Aber ich wage nicht zu sagen, dass ich mit diesen Vorstellungen viel ausgerichtet habe. Denn sie setzten ihre Reise fort nach Oberinntal. O Gott, was wird es für ein Elend geben, wenn wir uns noch einmal widersetzen wollen! Ich erwarte den Linser und Fischer heute noch hier, die mit mir gleich denken. Wenn man uns noch passieren lässt, so gehen wir für einige Tage nach Tarasp ins Bad. Müssen wir aber mittun, so wissen Sie, dass man uns nur gezwungen hat. Wenn wir also nicht dazu kommen, unsern Plan einer ständischen Versammlung und einer Unterwürfigkeitserklärung auszuführen, so können Sie doch versichert sein, dass der Wille gut war. Ich bitte für mich und meine Freunde um die volle königliche Begnadigung, damit wir vor Untersuchungen der Militärbehörden sicher sind. Denn wir waren nur durch die auf uns gefallenen Wahlen gezwungen, gegen unseren Willen im Strome zu schwimmen, aber wir haben dabei gewiss viel Übels verhindert, und an den Auftritten vom 11. und 12. April waren wir gar nicht beteiligt. Ich habe für die gute Behandlung der 300 bayrischen Gefangenen in Marienberg alles mögliche getan." M. St. — Hormayr wusste von der Zusammenkunft in Martinsbruck und hat Senn und Genossen heftig getadelt, „nicht als hätte er geglaubt, Baumgärtner würde ihre eigenen Gesinnungen erschüttern", sondern des schlechten Beispieles wegen.
Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.