701 - Der Kaiserhof
sich ja auch bei keinem prüfen, was auf das Konto momentaner Sultanslaune und tiefer gehender Berechnung zu setzen ist. 1) Die Weisung an Berthier blieb schon deshalb ohne Wirkung, weil sie höchst wahrscheinlich aufgefangen wurde und weder zu Ruscas noch der Tiroler Kenntnis gelangt ist. 2) Ein paar Wochen später findet sich das Gerücht verzeichnet, Napoleon wolle Tirol einer Tochter seines Bruders Lucian überlassen und diese mit dem österreichischen Kronprinzen Ferdinand vermählen. 3)
Bei Betrachtung der Beziehungen des isolierten Tirol zum Auslande schwebt wohl sogleich die Frage auf den Lippen: und wie stand es mit Österreich? Wie es einer loyalen Auslegung des Waffenstillstandes auf französisch - bayrischer Seite entsprochen hätte, während desselben das Land unberührt zu lassen, so hätte Österreich seine Verbindung mit ihm ganz abbrechen oder nur in beschwichtigendem Sinne wirken sollen. Keines von beiden wurde erfüllt. Die Wochen des Waffenstillstandes waren für den Kaiserhof nicht eigentlich eine Zeit der Vorbereitung für einen definitiven Frieden, sondern des ewigen Schwankens zwischen der Entschließung die Waffen wieder zu ergreifen oder niederzulegen. 4) Das Zünglein der Wage neigte häufig zur ersteren Alternative, und da lag es dann nahe, das Eisen in Tirol warm zu halten. Die Botschaften über die Augustkämpfe konnten darin nur bestärken. In Tirol selbst wieder war das Streben unvertilgbar, mit den ersten Trägern des österreichischen Namens, dem Kaiser und dem Erzherzog Johann, eifrigen Kontakt zu pflegen. Die Devise: wie für Gott, so für den Kaiser, ward unverbrüchlich hochgehalten. Und je verlassener man sich fühlte, desto lebendiger wurde
1) Drei Tage vor dem Schreiben an Berthier, 26. Aug., spricht Napoleon gegen Murat von der Notwendigkeit, 8—10 000 Mann für den Fall der Aufnahme des Krieges namentlich gegen Tirol aufzustellen, gegen das die Bayern bisher nichts richteten „et il paroit, que ces montagnards seront difficiles à soumettre". Correspond. XIX. p. 468
2) Schon hervorgehoben von Voltelini.
3) E. Johann in seinen Aufzeichnungen zum 22. Sept. mit der Angabe, der Kaiser Franz habe es ihm gesagt. In den Aufzeichnungen des Grafen Eugen Cernin (mitget. v. Helfert in „Die Heimat" 1877, p. 862) wird zum 13. Okt. bemerkt, dass Fürst Liechtenstein von französischer Seite vertraulich unterrichtet wurde, Napoleon würde viel mildere Bedingungen stellen, wenn der österr. Hof in die Ehe einer Erzherzogin mit einem Napoleoniden willigen würde. Der Fürst habe aus Furcht vor der „ohnehin so heftig aufgeregten Kaiserin Beatrix Louise und ihrem leidenschaftlichen Ratgeber Baldacci" die Eröffnung nicht anzubringen gewagt.
4) E. Johann notiert zum 22. Aug.: „Die Kaiserin sieht die Lage an wie ich, sie möchte gern den Krieg, weil sie an keine Möglichkeit des Friedens glaubt; aber sie wünscht den Frieden, weil sie sieht, dass wir weder die Fähigkeiten noch den Willen haben, noch die Einigkeit, dass es uns also schlecht gehen muss. Der Kaiser wünscht den Krieg, schiebt aber den Entschluss von einem Tag zum andern hinaus. Ein Mann macht alles, das ist Baldacci. Hier sind eine Menge Faiseurs, Kutschera omnipotens." Und später: „Baldacci ist der einzige, welcher Krieg will und alles mit dem Landsturm besiegt. Er wäre gut als Adjutant bei Tamerlan, aber nicht hier, er verdirbt viel."
Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.