774 - Die Franzosen in Brixen


Seelsorgers und des Pflegers waren fast alle Bewohner davongegangen. In den Häusern wurde schrecklich gewüstet und gründlich geraubt. 1) Eine Stunde nach Rusca erschien Baraguay selbst mit den Brigadieren Severoli und Bertoletti. Die Kommandierenden des Nachtrabes, Barbou und Moreau, versahen das Geschäft der Totengräber. Die Holzbestandteile der Befestigungen in der Klause ließen sie zu einem Scheiterhaufen zusammenwerfen und dabei die Leichen verbrennen. Barbou besetzte mit seiner Mannschaft Mühlbach, der andere die Höhen von Spinges. Baraguay wandte sich zuerst nach Aicha. Als er die Ladritscher Brücke zerstört fand, rückte er über Neustift 2) nach Brixen. Vorsichtig näherten sich die Franzosen dem gruseligen Kuntersweg, in dem noch verhackte Stellen an Vials bösartigen Empfang gemahnten. Bertoletti, welchem der nach allen Seiten begütigende Gasteiger von Klausen an voranging, führte die Avantgarde glücklich durch. Ohne Schaden zu nehmen, folgte nach zwei Tagen Baraguay. Die Staffel Brixen nahm Barbou ein, nachdem zur Bewachung Mühlbachs nur mehr ein Regiment unter Oberst Bressand für ausreichend erachtet worden. Einzelne Abteilungschefs hielten Pustertal unter Aufsicht. Die Auflösung der Rotten Kolbs und Mayrs an der Klause wirkte weithin betäubend. Im ganzen Drautal schien nun die Ruhe verbürgt zu sein. Selbst im Bezirke Windischmatrei legten sich die Wogen. Die „Insurgentenchefs" des Hauptortes, von Virgen, Defereggen und Kals ließen das Instrument eines mit General Garreau aufzurichtenden Vertrages entwerfen, das sie mit ihrer Unterschrift versahen. Allerdings werden die Bauern die gekünstelte und geschraubte Phraseologie dieser originellen Urkunde schwerlich genau erfasst haben. 3) Die Hauptsache war, dass sie sich dem darin

1) Nach der gerichtlichen Fassion erlitt Mühlbach an diesem Tage einen Schaden von 36 000 G., das bis dahin wohlhabende Haus Job. Paul Gasteigers Erben allein einen solchen von 8000 G.
2) Das Spital in Neustift erhielt wieder 200 Verwundete. Darüb. Simonis a. a. O.
3) Der Inhalt weist auf einen geistlichen Verfasser. (Vielleicht ist es der erstunterschriebene.) Dies bestätigt die Angabe Kienbergers a. a. O.: „Es stellte sich heraus, dass es der Aufsatz eines Priesters war." Der merkwürdige Akt, dat. vom Weiler Unterpeischlach 10. Nov., lautet: „Mit der bestimmten Zusicherung, dass es wahr ist, dass Österreich im Frieden auf Tirol verzichtet hat, verlangt die Krisis der Dinge zum Behuf allgemeinen Wohls gleichförmig mit dem Geist aller Tiroler nachstehende Volkswünsche in Eigenschaft definitiver Verträge und untertänigster Bitte bis zum höchsten Throne der Welt verlautbaren zu lassen. Allgemein. 1. Der große Kaiser Napoleon würdige die Provinz Tirol in eigenem Ich irgend einer höchsten Würde vorzustehen. Die Tiroler wünschen ausschließlich seine Untertanen zu sein und in diesem Verhältnis glücklich zu leben. 2. K. Napoleon geruhen gnädig, bei dem traurigen Zustand aufgelöster Landesverfassung, der Provinz Tirol eine solche Organisation zu geben, welche für die natürliche, politische, religiöse und finanzielle Hinsicht eine zweckmäßigste Glücksquelle werden kann. 3. Religion und ihre ehrwürdigen Gebräuche sind dem Tirol das vorzüglichste Heiligtum und wichtigste Herzenssache. Durch regellose Beseitigung derselben wurde die Nation unter Bayern empfindlich beleidigt. 4. Die Unterwerfung Tirols werde kein Mittel zum Zweck. Dafür dient natürliche standesmäßige Menschheitskultur, kraft deren die Tiroler verständigt werden, die Waffen für Vaterland und Fürst also zu gebrauchen, dass Staatsendzwecke in angeborner Tugend des Patrioten, nicht in Gewährlosigkeit gesichert werden. Landeseinheitlich wird um folgende Punkte gebeten: 1. Friedlicher Abzug aus dem Iseltal, unmittelbar von der Station Unterpeischlach. 2. Vollständige Aussöhnung und Vergessenheit dessen, was man bisher zu unternehmen Ursache zu haben glaubte. 3. Kräftige Empfehlung an den großen Napoleon, dass derselbe die Tirolerschützen nicht an österreichische Offiziere wegwerfend veräußere. 4. Versprechenhalten nicht nach der Mode, sondern wie es bei uralten Zeiten Tirolersitte war, ein Mann ein Wort. Verbindlichkeitspunkte dagegen. 1. Man verbürgt Ruhe, Ordnung, Treue, Gehorsam, wie die Zwecke der Bürgerschaft es fordern. 2. Ablieferung der Requisitionen nach Maßstab des Habtums und Regulativsystem der Fassion. 3. Inbezug der Beschwerden und Klagen etwas hören zu lassen, man gewilligt ist, die Zeit zu erwarten, wenn die Kommissäre vom höchsten Orte dazu gesendet werden. Abschluss. Wenn die hohe Generalität diesen an den Tag gelegten Willen aller Gegenwärtigen und insonderheit der Unterzeichneten im Namen aller genehmigt, so werden die Waffen niedergelegt und die Bewohner gehen ruhig der Arbeit ihres Berufes nach. Unter dieser Voraussetzung soll der Krieg von dieser Stunde an aufhören. Es lebe der große Napoleon, unser Herr."
Josef Berger, Ortsvikar. Im Namen des Gerichtes W. Matrei Anton Waldner, Andreas Forstlechner, Franz Unterrainer. Im Namen des Gerichtes Virgen Franz Frandl, Anton Kröll, Jakob Jess. Im Namen des Gerichtes Kals Georg Groder, Joh. Gasser, Rupert Jenzer. J. M. Vgl. Tir. Bote 1871 p. 1338. Ein ungenauer Abdruck bei Peternader, Tirols Landesverteidigung (Panzls Aufzeichnungen) II, 91.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 774

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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