818 - Drohende Zerreissung des Landes



blieb die Bestimmung des Tages der Abreise überlassen. Im nächsten Augenblick sagte sich noch eine Stadt von diesen wenigen los. Es war Brixen. Ein Abgeordneter des dortigen Adels und einer der Bürgerschaft richtete eine Bittschrift an den bayrischen König: Dieser werde wohl in seiner Güte dem Lande verzeihen, das Volk habe furchtbar gelitten. Der allgemeine Wunsch sei, dass das Land nur mit bayrischen Truppen besetzt werde, deren Verpflegung nach dem „System des Friedensfußes" erfolgen soll. Dem Volke möge man seinen Gottesdienst und die Kirchengebräuche lassen; denn um andere Meinungen durchzusetzen, brauche es wenigstens noch ein Menschenalter. Von der Rekrutierung soll das Land möglichst befreit werden, da es seine Kräfte zur Bebauung des Bodens brauche. 1) Eine gleichartige Eingabe erfloss auch vom Landgericht Bruneck. Der König zeigte sich darüber hoch erfreut und antwortete sogleich, er werde die vorgebrachten Bitten seinerzeit berücksichtigen. 2) Ritter konnte nicht ohne Befriedigung nach München berichten, die bei den Städten gegen Bayern eingeleitete Aktion dürfte wohl gänzlich scheitern. 3)

Nur die Stadt Bozen blieb noch durch Wochen der Gegenstand sorgenvoller Beobachtung. Baraguay gab recht unangenehme Bemerkungen zum Besten, und diese fanden, wie man fürchtete, im Patriziat der Kaufleute zustimmende Aufnahme. Der General, so schrieb Ritter dem König, hat jüngst erklärt, dass das Land bis Klausen zu Italien geschlagen werde. „Ist diese Nachricht richtig, so ist es um ganz Tirol geschehen, und die Tiroler mögen sich sagen: perditio nostra ex nobis. Aber es wird bei dieser widernatürlichen Grenze nicht bleiben und die Italiener werden bis zum Brenner vorrücken. Dann bleiben uns nur die kahlen, uneinträglichen Felsen des Inntales, dessen Gefälle nicht einmal die Verwaltungskosten decken werden, weil bei einer solchen Trennung auch das Erträgnis der Haller Saline um mehr als die Hälfte fallen wird. Wo bleibt dann die Belohnung Bayerns für das, was es im letzten Kriege geleistet hat?" 4)

Eine Bestätigung für diese gefürchteten französischen Absichten fand man in den Verfügungen Baraguays in Bezug auf Vintschgau. Als die bayrischen Truppen von Oberinntal aus auch das oberste Etschtal besetzen wollten, stießen sie auf das Veto des französischen Generals. Freilich wussten sie nicht, dass es sich da nur um die Einlösung eines Versprechens handelte,

1) Die Eingabe (M. St.) trägt das Präs. 24. Dez. Da der Bozener Tag am 20. stattfand, wird das Brixener Stück am 21. ausgestellt worden und abgegangen sein.
2) Die Antwort des Königs v. 26. Dez. ebend.
8) Ritter an den König, 23. Dez. Graf Taufkirchen an Montgelas, Innsbruck 25. Dez.: „Baraguay hat aufgerufen zur Besuchung eines Kongresses, wo die Abgeordneten ihre Beschwerden gegen die frühere Regierung vorbringen können. Das ist sehr eigenmächtig von ihm. Aber wie ich höre, weigern sich die Städte, die Versammlung zu beschicken." M. St.
4) Ders. an dens. 13. Febr. 1810.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 818

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.