Tiroler Nationalsänger und Bauernspieler in Innsbruck

Tiroler Nationalsänger und Bauernspieler in Innsbruck.
von W. M. Lusenberg.

Das herrliche, blühende Innsbruck mit seiner prachtvollen Umgebung bietet den ungezählten Tausenden von Fremden, welche alljährlich kürzere oder längere Zeit in seinen gastlichen Mauern weilen, wirklich Vieles. Die ersten Tage nimmt die Besichtigung der verschiedenen Sehenswürdigkeiten in Anspruch: die Hofkirche, die Hofburg mit dem Riesensaal und der silbernen Kapelle, das reichhaltige Landesmuseum, das großartige Panorama der Schlacht am Berg Isel, die Gewerbeausstellung und die Tiroler Kunstausstellung im neuen Kunstgewerbegebäude, die interessante Riesenreliefkarte im Garten des Pädagogiums, der Berg Isel mit dem Museum, dem Andreas Hofer Denkmal und seiner prächtigen Aussicht auf Innsbruck und das Inntal, Schloss Ambras u. s. w; dann kommen die Spaziergänge und Ausflüge in der näheren und weiteren Umgebung daran: der Weg über die Weiherburg nach Mühlau; zur Hungerburg, zum Grammartboden, Höttingerbild und zur Buzihütte; ein Spaziergang über den Tummelplatz nach Ambras, Schönruh oder weiter nach Aldrans und Judenstein; die aussichtsreichen Lanserköpfe mit dem Abstieg zum Lansersee und nach den idyllischen Orten Lans und Sistrans; eine an wunderschönen Ausblicken reiche Bergfahrt mit der Mittelgebirgsbahn nach dem Kurort Igls, zu Fuße weiter nach Heilig Wasser, eventuell auch auf den Patscherkofel und selbstverständlich auch ein Rutsch auf der Stubaier „Elektrischen“ ins Stubai, oder mit der Lokalbahn „Innsbruck-Hall“ nach Thaur, Absam, Hall, und von dort entweder in den Gnadenwald oder ins romantische Voldertal. Und kommt der kühle Abend, so braucht der Fremde nicht erst zu fragen, was heute los sei, denn vom Bahnhof bis zum Hotel werden ihm bereits alle möglichen Prospekte, Konzertprogramme, Theaterzettel und ähnliche Dinge zugesteckt - es wird ihm förmlich die Wahl schwer, welcher Einladung er zuerst folgen soll.

Das Plakat mit der Andreas Hoferfigur, die er heute vormittags am Berg Isel im Original gesehen hat, interessiert ihn. Er geht hinzu und liest: Fremdenkonzerte im Stadtsaal. Doppelkonzerte des städtisch unterstützten Orchesters und der Sänger- und Schuhplattler-Gesellschaft Alex. Höpperger aus Thaur bei Innsbruck. Welch abwechslungsreiches, schönes Programm: „Da geh'n wir heut mal hin“.

Tiroler Nationalsänger Höpperger aus Thaur

Tiroler National-Sänger und Schuhplattltänzer-Gesellschaft "Höpperger" aus Thaur.

Wie angenehm kühl man dort auf der Terrasse sitzt; das Plätschern des Wassers an dem davor sich erhebenden Monumental-Brunnen mit seiner eleganten Reiterstatue Erzherzog Leopolds V. wirkt suggerierend mit und von der farbenprächtigen Gartenanlage um den Brunnen herum dringt der zarte Geruch der hunderterlei Blumen. Die Terrasse und der anstoßende Saal füllen sich mit feinem und feinstem Fremdenpublikum, vorherrschend Reichsdeutschen, aber auch Franzosen, Engländern, Ungarn und Angehörigen verschiedener anderer Nationen. Das Leuten mit einer Kuhschelle kündet den Beginn des Tiroler Nationalsänger-Konzertes an, einige Zitherakkorde leiten das Lied ein und die harmonisch verschmolzenen Klänge eines kernigen Bergliedes dringen durch die hohen Räume und in die stille Nacht hinaus – ein „Gruß an Innsbruck“.

Was man da zu hören bekommt ist echter, ungekünstelter Berggesang, an dem man seine Freude haben muss. Es ist ein großer Genuss diesen volltönenden Stimmen und frischen Jodlern zu lauschen. Ganz besonderen Beifalles erfreut sich jedes Mal das von Herrn Alex. Höpperger mit seiner schönen Bassstimme vor getragene Andreas Hofer-Lied, wobei der vierstimmige Kehrreim vom Chore echoartig gesungen wird. Chöre wechseln mit Einzelgesang, Jodlern und Xylophon-Vorträgen und den Schluss bildet der stets eigenartig bleibende Schluhplattltanz, zu welchem hier die Tanzmusik gesungen wird. Um eine Abwechslung zu bieten, spielt einen Teil des Programmes das ausgezeichnete städtisch-subventionierte Orchester unter der künstlerischen Leitung des Kapellmeisters Karl Krafft-Lortzing. Wenn solche Tiroler Sängergesellschaften, wie die Höpperger im Ausland auftreten, bildet das eine unbezahlbare Reklame und tatsächlich haben die Höpperger die schönsten Erfolge im Auslande aufzuweisen.

Tiroler Nationalsänger Ringer aus Sillian

Tiroler Nationalsänger und Schuhplattltänzer-Gesellschaft "Ringler" aus Sillian

Die erste Tiroler Sängergesellschaft, die (unter Kapellmeister Martin Spörr) im Stadtsaal auftrat, war die Gesellschaft Ringler aus Sillian im Pustertale, welche nun schon das vierte Jahr im „Deutschen Café“ (Kraft's Veranda) konzertiert und sich bei Einheimischen und Fremden großer Beliebtheit erfreut. Ringlers Ensemble weist auserlesene, vorzüglich geschulte Stimmen auf und zeichnet sich durch einen exakten, bis in die feinsten Details durchgebildeten Vortrag aus. Dies erklärt sich natürlich leicht aus dem Umstande, dass Herr Franz Ringler selbst Komponist und musikalisch gebildet ist.

Trotzdem ist aber der Gesang seiner Gesellschaft durchaus kein gekünstelter, sondern stellt gewissermaßen eine Interpretation der einzelnen Volkslieder dar. Besonders hervorragend an Umfang, Kraft und Schönheit der Stimme ist Frau Mairhofer, deren fröhliche Jodler jedes Mal stürmischen Beifall ernten.

Der Besuch eines Ringler-Konzertes in „Krafts Veranda“, welche nebenbei bemerkt der älteste Konzertsaal Innsbrucks ist, kann jedermann nur wärmstens empfohlen werden. Dass man auch dort Xylophon-Vorträge zu hören und einen schneidigen Schuhplattler zu sehen bekommt, ist selbstverständlich. Im Ausland hat Ringler mit seinen Sängern wahre Triumphe gefeiert.

Tiroler Nationalsänger Walder-Nairz-Schöpfer

Tiroler Nationalsänger und Schuhplattltänzer-Gesellschaft "Walder-Nairz-Schöpfer"

Eine dritte Tiroler Sängergesellschaft: „Walder – Nairz – Schöpfer“ konzertiert in dem schönen, geräumigen Saal des Café-Restaurants „Austria“. Die in der malerischen Pustertaler und Alt-Meraner Tracht auftretende Gesellschaft ist jüngeren Datums, hat aber bereits sehr schöne Erfolge in Südfrankreich und auf der französisch-italienischen Riviera sowie jetzt in Innsbruck erzielt. Herr Walder ist ein prächtiger „Andreas Hofer“ und hat auch im Auslande allgemein diesen Beinamen bekommen. Hans Nairz und Josef Schöpfer sind Zithervirtuosen, Schöpfer ist außerdem preisgekrönter Jodler und Schuhplattltänzer und Meister auf der Mundharmonika. Die eigentümlichen Nebentöne, die er durch Gebrauch der hohlen Hand auf diesem einfachen Instrumente hervor bringt, wirken ganz apart. Zugleich beherrscht er das Xylophon wie nicht bald einer. Sehr hübsch nimmt sich der Doppel-Schuhplattler aus, den diese Gesellschaft als „Spezialität“ aufführt.

Eine ganz eigene aus Innsbrucker Musikern und Sängern bestehende Gesellschaft nennt sich „D' Inntaler“, die es vorzüglich versteht die Besucher ihrer Konzerte durch komische Gesangsstücke mit Orchesterbegleitung zu unterhalten. Nie enden wollenden Beifall erzielt stets das „Alte Jungfernlied“ von der „Rosl vom Birnbam-G'schlecht“.

Ebenso können wir nicht übergehen, dass die bekannte Sängergesellschaft Egger-Rieser, welche im Jahre 1903 im Stadtsaal konzertierte, heuer in ihrem eigenen Heim, in dem schönen „Bierwastl-Garten“ bei verschiedener Gelegenheit ihre schönen Weisen ertönen lässt. Die oftmaligen Militär- und Zivil-Musiker-Konzerte gehören natürlich nicht mehr in diesen Rahmen, dagegen ist der Besuch eines der beiden Bauerntheater, Rauter-Weiß oder Exl etwas, was man nicht überall haben kann. Diesen zwei Theatergesellschaften wollen wir nun unsere Aufmerksamkeit zuwenden.

Nicht weit von der Pradler Sillbrücke, vom Wege nach Ambras links ablenkend, gelangen wir zum Pradler Bauerntheater und zwar einem echten, originellen Bauerntheater in jeder Beziehung: der Musentempel eine großmächtige, innen und außen kalkgetünchte Scheune (der sogenannte Lodronhof), die Darsteller Bauern und Kleingewerbetreibende aus den Vororten Innsbrucks.

Dieses Dilettantenunternehmen besteht schon seit fünfunddreißig Jahren, denn am Ostermontag 1869 ging unter der Leitung des seinerzeit in weiten Kreisen bekannten Tiroler Nationalsängers Sebastian Meister das Ritterschauspiel „Die Beatushöhle“ als erste Vorstellung über die primitive Bühne. Im Jahre 1871 nahm der Innsbrucker Schneidermeister Anton Polli, der zu dieser Erstaufführung die Garderobe geliefert hatte, das Theater in Pacht, 1878 ging es in die Hände des jedem älteren Innsbrucker wohlbekannten, mit großem Schauspielertalent begabten Herrn Ferdinand Brix über und seit 1884 steht die Pradler Bühne unter der Leitung der verdienten und hervorragenden Mitglieder Frau Josefine Weiß und deren Vater Ferdinand Rauter. Während früher ausschließlich blutrünstige und schaurige Ritterstücke auf das Repertoir gestellt wurden, kam unter der neuen Direktion auch das bäuerliche Volksdrama zur Geltung. Mehrere dieser Stücke sowie zahlreiche mittelalterliche Dramen stammen aus der Feder der Frau Weiß selbst. Einige davon wurden in Deutschland und Amerika mit gutem Erfolge aufgeführt. Die Pradler Volksbühne eroberte sich damit einen wohlklingenden Namen selbst in den fernsten Ländern und verdienen die nachbenannten Mitglieder dazumaliger Zeit der Vergessenheit entrissen zu werden: Josef Kühnel, Ferdinand Brix, Andrä und Josef Thaler, Eduard Markl, Josef Hiller und vor allen die Mutter der jetzigen Leiterin, Frau Therese Rauter-Kühnel. Sämtliche bis auf den Greis Josef Kühnel und Oberkondukteur Markl ruhen unter der Erde. Im Jahre 1897 wurde die Pradler Gesellschaft vom Verein deutscher Bühnenmitglieder Österreichs zu einem Schauspielabend nach Wien berufen. Auf Verlangen gelangte das Ritterstück „Hans von Schlangenburg“ zur Ausführung. Alle Wiener Zeitungen waren einig im Lobe über die Darstellungskunst der „Tiroler“. Frau Weiß erhielt in der Folge verschiedene Anträge zu Vorstellungen in in- und ausländischen Theatern; der Umstand aber, dass fast sämtliche Mitglieder Familie und Lebensstellung in Innsbruck besitzen, machte die Annahme dieser ehrenden Anträge zur Unmöglichkeit. Nur einem Rufe nach Salzburg und München und ein zweites Mal zum Schützenfeste nach Wien wurde Folge gegeben.

Heute spielt die Pradler Gesellschaft Sonntag nachmittags in Pradl und allabendlich (während der Sommer-Saison) im Adambräusaal, und zwar bei Restauration. Die Tochter der Leiterin, Fräulein Anna Weiß, die auf verschiedenen Großstadtbühnen mit bestem Erfolge aufgetreten ist, wirkt während des Sommers meistens mit. Frau Josefine Weiß ragt als Tragödin in Bauern- und Ritterspielen hervor und die Herren Anton Lener, Ferdinand Bayer, Ludwig Auer, Fritz Berner, Karl Rauter, Rudolf Grätzer und vor allen der Bühnenveteran Herr Ferdinand Rauter sind Kräfte, deren Können über gewöhnlichem Dilettantismus steht. Dasselbe gilt von den Damen: Fräulein Gerta Lener, Frau Louise Steinwander, Frau Maria Gstöttner und Fräulein Rosa Bayer. Der Leitung des Pradler Theaters gebührt auch die Anerkennung, dem Tiroler Dichter Willhart den Weg zur Öffentlichkeit gebahnt zu haben, dessen gemütliche, oft auch realistische Volksstücke schon seit Jahren mit immer gleichbleibendem Erfolge in Pradl und jetzt auch im Adambräutheater angeführt werden.

Das Löwenhaustheater am Rennweg (Exl's Bauerntheater)

Das Löwenhaustheater am Rennweg (Exl's Bauerntheater).

Und nun folge mir der Leser ins „Löwenhaus“- Theater.

So heißt nämlich das geräumige, in jeder Beziehung bequem eingerichtete und allen Anforderungen der Neuzeit entsprechende Sommertheater am sogenannten Rennweg nächst der Löwenhausbrauerei, zu dem ein prächtiger Promenadeweg den kühlenden Fluten des Inn entlang in wenigen Minuten von der Innbrücke oder von der Hofkirche aus hinführt.

Neun Jahre schon stand das geräumige, auch äußerlich ganz hübsche Volksschauspielhaus leer da, bis es endlich heuer Herr Ferdinand Exl gewagt hat, in demselben mit seinem in kurzer Zeit weit bekanntgewordenen Tiroler Bauernspieler-Ensemble sein Glück zu versuchen. Und er hat damit keinen schlechten Griff getan, denn wie vor mehreren Jahrhunderten die Einwohner Innsbrucks jeden Standes und Gewerbes, Einheimische und Gäste zum „Löwenhaus“ strömten, wenn der Landesfürst hohen Gästen zu Ehren oder aus besonders festlichem Anlass einen grimmigen Kampf zwischen Löwen, Tigern, Bären oder Stieren zum Besten gab, so wandern auch heute wieder allabendlich Männlein und Weiblein aus aller Herren Ländern unter den alten, noch treu gebliebenen Pappeln dem neuen Schauspielhause zu, um den Kampf menschlicher Leidenschaften, den Kampf des liebenden und hassenden Herzens oder den schweren Daseinskampf des biedern Bergvolkes auf der Bühne zu beobachten. Am Biertisch sitzend und ungeniert die Zigarre rauchend, kann man das alles mit- und nachfühlen.

Ja, mit- und nachfühlen, denn Volksdramen, die mit solch hinreißender Natürlichkeit gespielt werden, wie sie Exl's tüchtige und gutroutinierte Spieler wiedergeben, müssen den Zuschauer unbedingt fesseln, mitreißen und erschüttern, oder, wie jüngst ein Berliner ganz gut sagte, „in die Nerven gehen“. Keinen Besucher des Löwenhaustheaters wird es Wunder nehmen, dass Exl mit seinem Ensemble überall, wo er auf seiner ersten Tournee im Frühjahre 1904 auftrat, so in Zürich, Basel, Freiburg, Metz, Köln, Straßburg, Barmen, Elberfeld, Aachen u. s. w., einen stürmischen Erfolg erzielte und für die kommende Saison bereits nach Hamburg, Berlin, Darmstadt und anderen großen Städten Deutschlands verpflichtet wurde.

Der G'wissenswurm

Exl's Bauerntheater: Schlussszene aus L. Anzengrubers "Der G'wissenswurm"

Wir brauchen uns ja nur die im Bilde wiedergegebene Schlussszene aus L. Anzengrubers„Der G'wissenswurm“ genau anzusehen, um schon daraus ein Urteil über die großartigen Leistungen dieser Gesellschaft abgeben zu können. Auch derjenige, der das Stück nie gesehen, wird aus der Gruppe und den einzelnen Gesichtern das Richtige lesen können: Der alte Vater (Jakob Schädler) hat unerwartet nach fünfundzwanzig Jahren sein Kind (Anna Exl) wiedergefunden und voll Freude auf den Schoß genommen, wie gerade der erste Knecht, der Geliebte des Mädchens (Direktor Ferdinand Exl) ins Zimmer tritt. Der unerklärliche Anblick erregt seine Eifersucht und seinen Unwillen. Im Hintergrunde aber drückt sich der scheinheilige Erbschleicher (Hans Rainer), der dem kränkelnden Greise wegen der verloren geglaubten Tochter den „G'wissenswurm“ ins Herz gesetzt hatte, wütend und unter Spott samt seinem „Buech von den höllischen Peinen“ hinweg.

Herrn Exl ist es eben gelungen, einen Kreis von ausgewählten Bauerndarstellern und echten Kindern der Tiroler Berge um sich zu sammeln, die das Leben und Empfinden des Alpenbewohners auch naturgetreu darzustellen verstehen. Leider gestattet es der Raum nicht auf Einzelleistungen näher einzugehen, wir glauben aber ohne Übertreibung behaupten zu können, dass Exl's Bauernspielergesellschaft unter die erstklassigen nationalen Kunstunternehmungen, soweit selbe von Dilettanten geleitet werden, eingereiht werden kann und muss!

Quelle: W. M. Lusenberg, Tiroler National-Sänger und Bauernspieler in Innsbruck, in Österreichische Alpenpost, Illustrierte Zeitung aus den Ostalpen, 6. Jahrgang, Nummer 1, 10. Jänner 1904, S. 357 – 361.
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