LUDWIG STEUB - ALPENREISEN
RAUFEN UND WILDERN
In Bayrischzell
In Endorf, der letzten Station vor Prien, haben die Landleute sogar ihre
ganze Kirche im mittelalterlichen Stil renovieren lassen. Es ist erfreulich,
daß die Münchener Kunst ihre Fäden immer mehr über
das flache Land ausbreitet und daß die Bauern in ihrem wachsenden
Wohlstand derselben gern entgegenkommen. Die meisten unserer Dorfkirchen
befinden sich durch die scheußlichen Bestrebungen der beiden letztvergangenen
Jahrhunderte in einem Zustand, daß ein ästhetischer Sinn sie
nur mit Wehmut, wenn nicht mit Widerwillen betrachten kann. Und leider
sind die Kirchen der Städte nicht viel besser daran. Es ist eine
gute Einrichtung, daß Dissonanzen, falsche Zeichnung und schlechte
Arbeit in den plastischen Künsten den Menschen nicht so rasch in
die Flucht treiben wie die Dissonanzen, falschen Akkorde und schlechte
Ausführung in der Musik, denn sonst wäre es schwer, den Zudrang
der Gläubigen in unsern Gotteshäusern richtig aufzufassen. Wollen
wir hoffen, daß die edlern Gestalten, die jetzt allmählich
an die Stelle der verzerrtesten Figuren treten, auch das Gemüt des
Landvolks heben und veredeln. Wenn so ein unbezähmbarer Dachauer
Raufer, der trotz der früher administrierten Prügel, trotz Gefängnisstrafe
und Wirtshausverbot von seinem volkstümlichen Sonntagsvergnügen
nicht lassen will, wenn ein solcher den feinen Leib des heiligen Sebastian
von Echter beschaut, so könnte ihm vielleicht doch einmal der Gedanke
kommen, wie sündhaft es sei, das schöne Ebenbild Gottes in besoffener
Roheit um Äug' und Ohr und Nase zu bringen, ihm die Finger zu zerbrechen
und Arm oder Bein abzuschlagen.
In Bayrischzell
Da kamen die deutschen Brüder aus Tirol, aus dem "Landl" und der
Thiersee in ziemlichen Gefolgschaften und rauften nach der Vesper mit
den bayerischen Buben, in der Regel bloß um die Ehre. Wenn aber
keine ausländischen Partner vorhanden, gingen die aus dem engen Vaterland
selbst übereinander, und die Zeller, die Fischbachauer kämpften
mit der kriegerischen Jugend von Brannenburg und von Audorf enthalb der
Almen. Auch manche Jungfrau stand da oft im heißen Turnei, und die
Erzählungen von jenen Schlachttagen klingen in der Tat ganz nibelungenhaft,
wie die Kämpfer einander höhnten, wie man die Ferchwunden herauszog
aus dem Getümmel und wie die Helden im roten Blut wateten. Wenn sich
Herrenvolk da eingesprengt fand zwischen die entbrannten Zecher, mußte
es sich hin und wieder, obgleich im Oberstock, aus dem Fenster retten.
Dieses Heroenzeitalter der Zeller brach indessen an einem Mittel ab, das
sonst nicht wenig verrufen ist, aber hier gleichwohl des Erfolges wegen
in gesegnetem Andenken steht. Als die Heldentaten nämlich zu arg
wurden und Sonntag für Sonntag die Schlachtbulletins voll Blut und
Graus nach Miesbach kamen, griff das königliche Landgericht zu Rutenhieben
und ließ die Heroen ohne Gnade durchhauen. Im Anfang soll es nicht
viel vergeben haben, weil man die Unschuldigen hat aussondern wollen und
nur die Schuldigen bestrafen, nachher aber, als man alle miteinander unter
die Rute genommen, sei der angenehme Frieden bald eingezogen. (Traurig
immerhin, daß keine ändern Mittel helfen wollten.) Übrigens
rühmen sich die Zeller noch jetzt, daß sie nur mit redlichen
Absichten und erlaubten Waffen gekämpft, nämlich mit Schlagringen
und Stuhlfüßen, während im Unterland die gemeine Roheit
und der Gebrauch der Messer zu Hause sei. Ein Schlagring ist übrigens
wie ein anderer Ring, nur daß eine dicke Stahlplatte aufgelötet
ist, womit man einen Menschen niederschlagen kann, so daß er keinen
Zucker mehr tut. Wie sich nun aber viele nach dem alten Liederleben und
dem schallenden Almengesang zurücksehnen, so hat wohl auch das edle
Raufvergnügen unter den jungen Burschen noch manchen heimlichen Verehrer.
Das liegt nun einmal im Gemüt des bayerischen Bauern und in seiner
Stammeseigentümlichkeit, solang er jung ist, daß ihm der Sonntag
etwas schal und alltäglich vorkommt, wenn nicht wenigstens ein bissel
gerauft wird. "Heut ist's lustig, heut muß noch einer hinwerden",
ist ein Spruch, den man in früherer Zeit bei feierlichen Gelegenheiten,
namentlich bei der Kirchweih, nicht selten zu hören bekam, und nur
zu oft ging die schreckliche Ahnung in Erfüllung.
Ehedem war Bayrischzell auch berühmt wegen seines schönen Wildstandes. Es gab da Gemsen in großen Herden und viel andere vornehme Jagd. Aber während die zu Frankfurt tagten und auf dem Lande über Nacht die Freiheit anbrach, zogen die Söhne der Bauern mit ihren Büchsen aus und jagten bergauf und -ab, allein und in Gesellschaften, so lange fort, als noch ein Stück zu sehen war. Auch die guten Freunde aus der tirolischen Thiersee hatten sich fleißig eingefunden und verlebten einen heitern Sommer auf bayrischem Boden. Jetzt ist freilich das ganze Gebirge so ausgeschossen, daß man wochenlang herumsteigen kann, ohne eine Klaue zu erschauen; die älteren Bauern, die soliden und gesetzten, sind der Ansicht, wenn es so bliebe, wäre es fast am besten. Dann hätten die ledigen Burschen keinen Anlaß, ihre Zeit mit der Büchse zu verderben und tagediebisch auf den Bergen herumzustrolchen, und ebensowenig hätte man andrerseits die lästige Anwesenheit der Jäger von Profession zu ertragen. Zwischen den Bauern und den Jägern besteht nämlich ein uralter Groll. Über Zitherspielen und Kegelschieben, Raufen und Fensterln steht der männlichen Jugend die Jagd, als das erste und höchste Vergnügen, über welches nichts mehr hinausgeht in dieser Welt. Das war nun aber auf erlaubten Wegen nicht zu genießen; die Jäger standen wie mit flammendem Schwert vor dem Paradies des edlen Waidwerks, sie, die beneidenswertesten unter allen Menschen, die als Geschäft um guten Lohn dasselbe zu verrichten hatten, was den ändern eine scharf verbotene Wonne war.
Freilich war das Verbot auch nicht schwer zu übertreten, nur mußte man immer zum Kampf auf Leben und Tod bereit sein. Es ist wahrscheinlich nie zusammengerechnet worden, wieviel in einer Generation des edlen Getiers wegen an Menschenleben draufgegangen, aber es verlief kein Jahr, ohne daß da oder dort ein Jäger oder ein Wildschütz zum Krüppel oder totgeschossen worden. Die Bauern nahmen natürlich für ihre Leute Partei, und als nun mit dem Jahr der Erhebung die günstige Gelegenheit kam, folgten alle dem Drang, durch Ausrottung des Wildes eine Zeit herbeizuführen, wo es zwar keine Wildschützenmehr gebe, aber auch keine Jäger.