LUDWIG STEUB - ALPENREISEN
REINLICHKEIT
Reinlichkeit gilt noch immer als eine nicht ganz wertlose, jedoch mehr
fakultative Tugend, die man allenfalls auch durch Treue und Redlichkeit
ersetzen könne. Die Betten sind zwar sehr sauber und gut gehalten,
aber die Tischtücher in der Woche öfter als einmal zu wechseln,
ist auf dem Lande noch unversucht. Selten wird man auch in der Bratenbrühe
eine geschmorte Fliege, noch seltener im Salat jenes Würmlein vermissen,
welches uns bedeutsam an unsere Vergänglichkeit erinnert und auf
das Jenseits hinweist. Noch immer werden auch die "Krügeln" nicht
in laufendem Wasser, sondern in ehernem Kessel, eines in der Jauche des
ändern, gespült. Die wunderliche Sitte, aus den verschmähten
Tropfen, die etwa heikle Zecher zurückgelassen, einen neuen Trank
zusammenzuschütten für den arglosen Nachfolger, und ein anderes
Herkommen, kraft dessen das getrübte Naß, welches vorne vom
Hahn abläuft, samt dem Schmutz, der von den Krügen und den rauhen
Händen des Schenken sich löst, wieder oben als heimliche Nachspende
in das Faß gegossen wird, diese beiden Stammeseigentümlichkeiten
fristen auf dem Lande immer noch ihr Leben, obgleich die Obrigkeit in
der Stadt ihnen schon vor mehreren Jahren ihr blaues Auge zugewendet hat.
Damit sich aber niemand überhebe, wollen wir gleich bemerken, daß
nach den verlässigsten Nachrichten die Wirtshäuser in Ober-
und Unterfranken, ja, in den meisten ändern Gegenden Deutschlands
durchschnittlich weit hinter den altbayerischen zurückstehen. Den
größten Schmutz habe ich immerhin im romanischen Graubünden
gefunden; sowohl in reformierten Tälern als in katholischen, obwohl
sonst unreiner Glaube und reine Wäsche in einer gewissen Wahlverwandtschaft
zueinander stehen.