LUDWIG STEUB - ALPENREISEN
SOUVENIR
Antiquitäten
Steine
Antiquitäten
Armes Tirol! Deine schönsten Urkunden verbrennen deine eigenen Kinder,
deine romanischen Portale zerschlagen (wie an der Pfarrkirche zu Tirol)
deine eigenen Maurer, deine alten Bilder überweißen deine eigenen
Tünchner, und deine alten Hausschätze führen die lieben
Fremden davon. Was sich in dieser Beziehung für ein Geschäft
gerührt hat und wieviel seit etwa hundert Jahren verschleppt worden
ist, davon läßt sich wohl die große Welt nicht träumen.
Es geht auch noch immer fort. Jeder Bauer, jeder Wirt, der eine alte Kufe
aufstöbert, treibt Handelschaft damit. Es kommen noch immer alte
Kästen und Türen zum Vorschein, die gar bald ihren Liebhaber
finden. Neulich stieg ich auf ein altes Schloß im Etschlande, wo
mir der Bauer, dem es jetzt gehört, eine Stelle im Getäfel zeigte.
"Dort ist eine schöne alte Türe gestanden; die haben sie mir
für zwanzig Gulden abgekauft und bis z'tiefest ins Ungarn hinuntergeführt."
Jetzt hat der Landmann ein paar Bretter über das Loch geschlagen,
allein sie schließen so schlecht, daß die Zugluft lustig hereinpfeift.
"Nun habt Ihr dafür den Wind in der Stube", sagte ich. - "Oh, das
achten wir nicht! Um zwanzig Gulden kann man sich schon etwas anpfeifen
lassen."
Steine
Es ist bekannt, daß aus den Bergen von Enneberg und Fassa jene Bewegungen
hervorgingen, welche die Geologie zu einer neuen Wissenschaft gemacht.
Hier pilgerte einst Leopold von Buch mit Hammer und Tasche herum und nannte,
seiner ungeahnten Ausbeute froh, diese Täler den Schlüssel zur
neuern Geognosie. Seitdem sind diese Wildnisse ein Wallfahrtsort für
alle geworden, die die Geschichte des Erdballs studieren wollen. Bekannt
ist ferner, daß die Landschaft von Badia in ihren Eingeweiden einen
Reichtum kleiner Versteinerungen "von wunderbarer, allen Gesetzen der
bisherigen Petrefaktenkunde spottender Eigentümlichkeit" enthält.
Es ist auch dies wieder ein wundervoller Zug der unerschöpflichen
Natur des Landes, die, so wild und schauerlich in ihrem Zorn, doch ewig
beflissen ist, den armen Menschen zu Hilfe zu kommen und ihnen neue Quellen
des Wohlstandes zu öffnen, die dort, wenn der Bergsegen verfliegt,
Heilwasser auffinden läßt, hier statt der Zirbelbäume
die Pektiniten und Ammoniten zu Ehren bringt. Es war Wunders genug für
die ungelehrten Badioten, als die ersten Fremden nach jenen steinernen
Dingerchen zu fragen begannen, die bisher unbeachtet am Wege gelegen,
und diese Seltenheiten gern mit Gold ausgewogen hätten, wenn sie
ihnen die gutherzigen Älpler nicht vorher schon geschenkt. Auch jetzt
noch hegen diese ihre geheimen Zweifel über die Vernünftigkeit
der Leute, "die die Steine aufklauben und das Geld wegwerfen." So hat
sich denn aus dem Verdachte über den gesunden Menschenverstand der
Petrefaktenfänger, der nichtsdestoweniger aufblühenden Ahnung
einer mystischen, dem Auge der Eingebornen unsichtbaren Kostbarkeit dieses
scheinbaren Trödels und der Voraussetzung großer Reichtümer
auf Seite der wißbegierigen Pilger ein seltsamer Handelsbetrieb
gebildet, der allerdings zu ungeschlacht ist, als daß er sich lange
so halten könnte. Die einheimischen Sammler gehen nämlich in
die Berge von Campill und St. Cassian, wo die Versteinerungen oder Curetsch
(coralles, Korallen?), wie sie in der Talsprache heißen, in unzählbarer
Menge zu finden sind, füllen einen Zuber davon und bringen ihn mühsam
nach Hause. Nun ist's begreiflich, daß sie das kostbare Kleinod,
das der Liebhaber einem Edelsteine gleichschätzt, von den alltäglichsten
Erscheinungen nicht unterscheiden können, und da sie gleichwohl schon
erfahren, daß nicht eines ist wie das andere, und überdies
gehört haben, daß mancher listige Reisende an den eingehandelten
Schätzen in der Welt draußen das Hundertfache gewonnen, da
ihnen alles dies den Kopf verwirrt, so sind sie mit ihrem Thesaurus in
großer Verlegenheit. Sie fürchten immer, der fremde Kenner
möchte ihnen die schönsten Stücke mit arglistiger Gleichgültigkeit
herausnehmen, sie mit etlichen Groschen zufriedenstellen und dann nichts
überlassen als ausgesuchte, wertlose Ware. Um dies zu verhindern
und um also mit den guten Exemplaren auch die wertlosen bezahlt zu erhalten,
sind sie nun auf den Ausweg verfallen, ganze Kufen in Bausch und Bogen
zum Verkaufe anzubieten, und dafür verlangen sie fünfzig bis
achtzig Gulden Konventionsmünze.
Diese kunstlose Praxis hätte aber die einfachen Steinklauber von
St. Leonhard leicht in sehr schlimmen Leumund bringen können, da
sie dieselbe auch an Herrn A. Petzholdt, dem reisenden Geognosten aus
Sachsen, und seinem anonymen Gefährten zu üben wagten.
Diese waren kurze Zeit vorher bei Herrn Dapunt wohl zwei Stunden lang
anhaltend mit der Auswahl von Petrefakten beschäftigt gewesen und
hatten schon das Einpacken der ausgesuchten Exemplare, die etliche Lot
wiegen mochten, teilweise beendigt, als sie auf die Frage nach dem Preise
unter Lächeln die Antwort erhielten, daß sie achtzig Gulden
Konventionsmünze kosten und daß es gleich sei, ob man den ganzen
Vorrat oder das wenige behalte, was ausgesucht worden. Es wurde dem Wirte
bemerkt, daß er dies hätte eher sagen sollen, und für
die ausgesuchten Stücke ein Gebot von zehn Gulden gelegt - offenbar
mehr als sie wert waren. Er aber ergriff mit großer Ruhe die Petrefakten,
schüttete sie in den Kasten zu den übrigen und mischte sie ihnen
sogleich zu, mit den Händen alles sorgfältig durcheinanderknetend,
bei welcher Mißhandlung so schöner und zarter Gebilde er den
Reisenden näher ans Herz griff als durch die höhnische Zurückweisung
ihres Geldes.
Natürlich wurden alle weiteren Unterhandlungen abgebrochen. Die Reisenden
schieden in gerechtem Zorne, während des Wirtes lächelnde Miene
dieselbe blieb. Gleichwohl möchten wir hier weniger Böswilligkeit
als jene fromme Einfalt sehen, die nicht recht weiß, wie sie mit
ihren Schätzen daran ist, und da Herr Petzholdt in der guten Absicht,
die Nachkommenden vor der Arglist dieses welschen Wirtes zu sichern, eine
förmliche Warnung hat ergehen lassen, so finden wir uns gleichermaßen
zur Beruhigung künftiger Reisender veranlaßt, diese Warnung
wieder außer Wirksamkeit zu setzen, denn Johann Franz Dapunt hat
vielleicht gerade seit jener Begegnung seine frühere Handelspolitik
entschieden aufgegeben. Mein Begleiter, der sich auch um Petrefakten kümmerte,
fragte nämlich alsbald danach, und da erschienen sie denn in Kasten
und Mulden und auf hölzernen Tellern, und es zeigte sich, wie damals,
die freundliche Bereitwilligkeit des Wirtes. Und als jener nach sorgfältiger
Auswahl gerade vierundzwanzig Stücke sich gesammelt hatte - darunter
vielleicht auch manches Exemplar, das Herr Petzholdt erlesen - und nach
dem Preise fragte, sagte der Badiote mit lächelnder Miene: "Stück
für Stück einen Kreuzer!" Und so bezahlte jener also vierundzwanzig
Kreuzer Reichswährung ungefähr für dasselbe, wofür
Dapunt damals achtzig Gulden Konventionsmünze verlangt und Herr Petzholdt
zehn Gulden geboten hatte. So wird's nunmehr in allen Fällen gehalten;
nur werden jetzt wahrscheinlich die Pilgrime nichts Besseres zu tun wissen,
als sich über diese anspruchslosen Preise recht kindlich zu verwundern,
und dann wird vielleicht Dapunt in seinem Kopfe neuerdings irre werden
und frische Tücken aussinnen, um die Petrefaktensammler recht höhnisch
zu ärgern. Von der Zeit an, wo er seine welsche Praktik aufgegeben,
bis zum heutigen Tag scheint er allerdings mit der Wissenschaft und ihren
Vertretern im Frieden gelebt zu haben. Er weiß von vielen Herren
zu erzählen, die ihm Curetsch abgekauft und behauptet, sein Gasthof
gerate in immer höhern Schwung, da die Zahl der Reisenden alle Jahre
zunehme.