LUDWIG STEUB - ALPENREISEN
TIROLER SOMMERFRISCHEN
Brixlegg
Hintertux
Alpbach
Kufstein
Brixlegg
Brixlegg ist ein freundliches Dorf und liegt nicht weit vom Eingange des
Zillertales, auch nicht weit von Jenbach, wo die Nordländer, die
über den Achensee nach den mittäglichen Gegenden trachten, ins
Inntal herniedersteigen. Als noch die vielen Güterwagen über
den Brenner gingen, war es wenig beachtet, da jene zumeist im nahen Städtchen
Rattenberg ihre Einkehr hielten, und es kam nur hie und da ein Landschaftsmaler
in das selten genannte Dörflein. Nun aber, nachdem es eine Eisenbahnstation
geworden und seitdem die Leute von Brixlegg wie jene von Ammergau im letzten
Jahre die Passion gespielt und damit viele tausend Schaulustige von nah
und fern herbeigezogen, nunmehr tritt es mit großem Glänze
in die neuere Geschichte ein, wird schon viel besucht und macht nicht
wenig von sich reden. Da aber alle die Honoratioren, welche heuer eingezogen,
ihre Quartiere auch bereits für den nächsten Sommer bestellt,
so ist Mitgliedern der gebildeten Stände, die etwa aus anderen Städten
und Ländern herbeikommen möchten, wenig Aussicht zu geben. "Es
sind schon genug herinnen", sagt der Bräutigam bei Theokrit, als
er mit der Braut die Türe abgeschlossen - und ungefähr dasselbe
sagen auch wir Sommerfrischler von Brixlegg.
Hintertux
Hintertux, die Ortschaft (4666 Wiener Fuß) mit ihren hölzernen
Hütten, welche neunzig Menschen beherbergen, ist vielleicht das unansehnlichste
aller Alpendörfchen. In Damils und Vent sind die Häuser, obgleich
von Holz, doch viel größer, in Galtür sind sie von Stein;
andere Orte taugen kaum zum Vergleich. Was aber diesem Dörfchen eigen,
das ist eine fast altertümliche Philoxenie - man kann nicht sagen:
Gastfreundschaft, denn das Völkchen hat nichts anzubieten als Milch
und Gerstenbrot, was es für die Herren nicht passend hält, aber
es ist eine recht innige, herzliche Freude an den Fremden, die durch ihre
ärmlichen Hütten durchpilgern. Als ich da den Fuß einsetzte,
war es bereits Abend geworden, und die Leute saßen auf den Sommerbänken
vor den Türen. Als sie mich ersahen, sprangen sie von allen Seiten
auf, eilten herbei, bildeten einen Kreis und ließen die Augen neugierig
auf mir ruhen. Die älteren Männer und Weiber sprachen mich zuvorkommend
an und fragten vor allem, wo ich bleibe. Als ich Bayern nannte, erinnerten
sich mehrere, das sei ein feines Land, eben und voll Getreide. Es sei
zu verwundern, daß man da fortgehen möge, um ihre "schiechen"
Löcher zu betrachten. Ich hatte Mühe, mich darüber zu rechtfertigen,
doch schien es ihnen auch wieder nicht unstatthaft, daß ich die
schöne Flur von Hintertux recht freundlich finden wollte. "Uns deucht
es außen fein, eng herinnen", sagte endlich ein Alter gewissermaßen
als Vergleichsvorschlag, und die ändern wiederholten es wie eine
tief empfundene Wahrheit. Die Jüngeren, noch Schulpflichtigen aus
dem "Umstand" duzten mich, die älteren sagten Ihr und Sie. Aus allem,
was sie sprachen, klang ein so aufrichtiges Wohlwollen heraus, daß
ich mich nur ungern aus der Runde losmachte, um nach Lannersbach in Vordertux
zu gehen, wo eine gute Nachtherberge zu erwarten stand, während in
Hintertux nur ein sehr kümmerliches Wirtshaus zu finden ist. Ähnliche
Äußerungen wie die der Tuxer von der schiechen Natur ihres
Tales könnten auch an ändern Orten wiedergegeben werden, da
sie fast allenthalben zu vernehmen sind. Der Mann, der der Scholle sein
knappes Leben abgewinnen muß, berechnet die Schönheit des Landes
nach der Fruchtbarkeit des Bodens, nach der Bequemlichkeit und Sicherheit
der Feldarbeit. Der bäuerliche Tiroler hält daher die Ebene
für viel "feiner" als das Gebirge, und seine Geburtsstätte mit
den abschüssigen Halden unter Lahnen- und Muhrengefahr, mit den Felsenwänden,
die alle Frühjahre donnernd in das Tal herunterpoltern, mit den Wildbächen,
die jeden Lenz verwüstend losbrechen, sein eigen Mutterland nennt
er am liebsten "schiech", ganz unbeschadet seiner Liebe zu der strengen
Erzeugerin. Die volle Herrlichkeit der Bergwelt geht ihm oft erst im Heimweh
auf. Landschaftsmaler, die im Gebirge bekannt sind, wissen zur Genüge,
daß eine Gegend desto weniger Ausbeute gewährt, je feiner sie
geschildert wird, und umgekehrt, je schiecher, desto voller die Mappen.
Die grimmigsten Ausdrücke versprechen die erhabensten Schönheiten;
ich wenigstens habe nie solche Lust verspürt, einer Empfehlung nachzugehen,
als einmal auf den Wiesen von Sterzing, wo ein Bauernjunge, auf die Gletscher
des Ridnauntals deutend, lustig hervorbrach: "Ei ja, da sollt ihr hineingehen,
da sind Ferner drinnen, daß es eine Schand' ist."
Alpbach
Nach der Prozession steigen wir zum Herrn Kuraten, zu seinem freundlichen
Häuschen hinauf, um ihm guten Morgen zu wünschen und zu fragen,
wie ihm der Umgang angeschlagen. Dann setzen wir uns auf seine Sommerbank
und schauen über den Garten, wo jetzt Sonnenblumen, Eisenhut und
Astern blühen, hinunter in das Dorf, welches hier ein kleines Tal
bildet, von dessen anderm Rande das heitere Knollenwirtshaus entgegenwinkt.
Alles, was da zwischen Häusern und Obstbäumen zu sehen, gruppiert
sich in diesem Rahmen zu einem reichen Lebensbilde, wie es, sich ein Genremaler
aus Holland oder München nicht plastischer wünschen könnte.
Außer den großen Dekorationen, den Häusern nämlich
und den Bäumen, gewahren wir einen breiten Weg, einen Gießbach,
eine Brücke, ein Bildstöckel, einen Brunnen, mehrere Gärtchen
und einiges Gebüsch. Dazwischen gehen allerlei Alpbäcker hin
und her, jeden Geschlechtes und jeden Alters, alle feiertäglich prangend;
die Jungen grüßen die Alten, die Buben die Mägdlein und
umgekehrt; da stellen sich zwei zum Gespräche zusammen, dort drei
oder vier oder fünf; die exotischen Fräulein aus dem Reich,
die heute mit Vater und Mutter vom Land hereingekommen, schlüpfen
heiter durch das Alpenvolk, schauen aber doch etwas verdutzt darein, wenn
wieder eine ehrwürdige Matrone mit den Tonnenfüßen vorbeiwatschelt;
dort zündet ein Alpbäcker seine Pfeife an, die Dirne kommt aus
dem Wirtshaus und trägt ein großes Schäffel an den Brunnen,
Hansel, der Wirtin Sohn, geht mit einer Maß Wein über die Szene,
von Zeit zu Zeit erscheint Frau Knollin mit dem Kochlöffel unter
der Türe, nachzusehen, ob alles in Ordnung geht; ein Mädchen
zeigt sich auf der Laube, pflückt ein Röschen ab und verschwindet
wieder; mehrere Zecher sitzen unter dem Söller im Freien und widmen
sich den weltlichen Freuden des Feiertags, nachdem die kirchlichen alle
durchgenossen sind. So wimmelt es durcheinander, und alles lacht, ruft
und disputiert. Also hallen die Stimmen zwar unentwirrbar, aber fröhlich
herüber. Einiges Vieh - in den Alpen muß man dies entschuldigen
-, schöne gesprenkelte Rinder, ziehen unangeregt und ruhig durch
das aufgeregte, unruhige Gewühl. Auch ein fettes Schweinchen, das
sich lebensfroh vorübertrollt, will ich als Staffage nicht unerwähnt
lassen, da ich es doch einmal in meinem Notizenhefte vorgemerkt finde.
Kurz, wenn ein ordentlicher Maler diese feiertägliche, sonnige Morgenstunde
zwischen Pfarrhof und Wirtshaus dort hinten im Alpbach schön und
wahrheitsgetreu malen wollte, es müßte ein reizendes Bildchen
werden.
Kufstein
Von dem Klausengarten aus ist die Stadt und Festung Kufstein sehr angenehm
zu betrachten, auch in einer halben Stunde leicht zu erreichen. Dort winkt,
gleichfalls auf einer Terrasse am Ufer des Innstroms gelegen, der Auracher
Keller, ein schmuckes Haus in Alpentracht, umgeben von einem schattigen
Garten, mit einem Bier, welches dem besten bayerischen ähnlich, mit
einer Zierlichkeit der Anlage und der Ausstattung, die den sämtlichen
bayerischen Kellern, welche ich zu kennen die Ehre habe, weit überlegen
ist. Wenn die Tiroler etwas solches in die Hand nehmen, so wissen sie
einen gewinnenden Zug von Behaglichkeit, von Wohlstand, ja von Größe
hineinzuzeichnen, während in einem Nachbarland mancher Brauer schon
zu verschwenden fürchtet, wenn er an die Holzbank eine Lehne oder
auf die Krüge einen Deckel spendiert.
Gleiche Bemerkung drängt die ganz neue Badeanstalt der Kufsteiner
auf. Sie liegt rechts im Tal, gerade wo sich übereinander zwei vor
nicht langer Zeit errichtete pastetenähnliche Bauwerke, angeblich
Festungen, erheben, welche vorläufig die Landschaft verunstalten,
bis sie etwa im nächsten Krieg eine segensreichere Tätigkeit
entfalten können. Zu deren Füßen also findet sich die
genannte Anstalt, welche, durch kräftiges Zusammenwirken der Militärbehörde
und des tätigen Magistrats entstanden, jeden Fremden durch ihre treffliche
Einrichtung überraschen wird. In der Mitte ist ein geräumiges
Becken, in welchem sich dreißig Schwimmer bequemlich bewegen können.
Ein kleiner Bergsee in der Nähe spendet das klare Wasser, das durch
die Sonnenstrahlen bald zu angenehmer Temperatur gebracht wird. Auf drei
Seiten ist das Becken mit offenen Korridoren umgeben, und diese sind mit
reinlichen Steinplatten belegt. An diesen Gängen stehen auf jeder
Seite zehn Kabinetts, in welchen sich die Badelustigen aus- und anziehen.
Auf der vierten Seite sind die Gemächer für das schöne
Geschlecht. Alles Holzwerk ist zierlich bemalt, und die ganze Anstalt
gewährt ein vergnügliches Bild von Reinlichkeit und Eleganz.
Einige Unteroffiziere erteilen der Kufsteiner Jugend den Schwimmunterricht.
Die Einheimischen und die Fremden stürzen sich gern der frischen
Bergnajade in die Arme, und so herrscht an warmen Tagen ein fröhliches
Leben und ein munteres Geplätscher in den kühlenden Wellen.
Es möchte sehr schwer sein, in unserer Obeliskenstadt für das
große Publikum eine ähnliche Gelegenheit namhaft zu machen.
Gleichwohl sind die Preise der Kufsteiner Bäder "lächerlich
billig", so daß auch der Minderbemittelte hier am Sommerabend sein
Vergnügen finden kann.