Die Bergbaue in den Nördlichen Kalkalpen


Von Dr. Franz Niederwolfsgruber
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Tirol steht mit seinen Bodenschätzen sicherlich nicht an führender Stelle unter den Ländern der Erde. Es gibt keine immensen Goldschätze zu heben, das Graben nach Diamanten wäre auch nicht von Erfolg begleitet. Wohl sind an vielen Stellen im Lande — z. T. schon in urgeschichtlicher Zeit — Bergbaue in Betrieb genommen worden. In einzelnen Revieren waren — besonders während des Mittelalters — bedeutende Erfolge zu erzielen. Es sei hier gerade der Bergbau des Schwazer Reviers erwähnt, dem die Stadt Schwaz die Bezeichnung „Silberstadt" oder „Knappenstadt" verdankt.

Was wurde nun in Tirol abgebaut? Neben dem silberhaltigen Fahlerz des Schwazer Reviers wurde im Bereich der Nördlichen Kalkalpen Bleiglanz und Zinkblende mit ziemlichem Anteil an Silber gewonnen. Goldbergbaue wurden längere Zeit hindurch im Zillertal betrieben, ebenso am Nonsberg bei Trient. An weiteren abbauwürdigen Produkten seien genannt: das Fahlerz und der Baryt vom Kogl bei Brixlegg, Kupfererz in der Kitzbüheler Gegend, Silbererze aus dem Ahrntal, Bleiglanz vom Pfunderer Berg bei Klausen und nicht zuletzt das heute noch [1962] gewonnene Haller Salz.

In einer großen Anzahl von kleinen und kleinsten Bergbaubetrieben, die sich über das ganze Land verteilten, wurde versucht, dem Boden verschiedene Schätze abzuringen. Nicht überall war das Ergebnis gleich günstig. Manche Gruben mußten nach kurzer Anlaufzeit wieder geschlossen werden, da der erhoffte Erfolg ausblieb. Ich kann hier nicht auf jeden kleinen Betrieb eingehen, es sollen nur die größeren Gruben bzw. Reviere genannt werden, die längere Zeit hindurch ausgebeutet wurden.

Die Bergbaue in den Nordtiroler Zentralalpen wurden bereits früher (siehe diese Zeitschrift, 35. Jahrgang, 1960, S. 1—5) behandelt. Heute soll eine kurze Abhandlung über die Bergbaue der Nordtiroler Kalkalpen folgen.

Geologisch gesehen, haben wir es in diesem Bereich, der sich vom Inntal bis zur Landesgrenze im Norden erstreckt, mit Gesteinen aus dem Mesozoikum, dem Erdmittelalter, zu tun. Die Hauptfelsbildner sind mit einer Mächtigkeit von je rund 1000 m der Wettersteinkalk und der Hauptdolomit. Dazu kommen noch in geringerer Mächtigkeit Muschelkalk und Reiblerschichten. Von diesen sind vor allem der Muschelkalk und der Wettersteinkalk in einzelnen Lagen erzführend. Interessanterweise ist aber das Erz — es handelt sich dabei in erster Linie um Bleiglanz und Zinkblende — nicht überall gleichmäßig verteilt. Es scheint nur an wenigen, eng begrenzten Stellen zur Vererzung des Gesteins gekommen zu sein.

Wie kann man sich das Entstehen der Vererzung denken? Wie mag das Erz in den Kalk gelangt sein? — Im Zusammenhang mit der Gebirgsbildung ist es bei der Hebung und Verschiebung der gewaltigen Gesteinspakete zu einzelnen Brüchen, ja zur Bildung ganzer Bruchlinien gekommen. Und entlang dieser Kluftsysteme konnten aus tiefen Lagen des Erdinneren zähflüssige bzw. gasförmige Stoffe aufsteigen, in den Kalk eindringen und diesen lösen bzw. verdrängen. Es wäre aber auch möglich, daß die Erzbildung schon in einem viel früheren Stadium der Entwicklung unserer Alpen stattgefunden hat, nämlich während der Ablagerung der einzelnen Gesteinsschichten, zugleich mit der Ablagerung der Sedimente am Meeresgrund vor rund 200 Millionen Jahren.

An ungezählten Stellen der Lechtaler Alpen, der Mieminger Kette und des Karwendels sind zur Zeit der Hochblüte des Tiroler Bergbaues im 15. und 16. Jahrhundert Bergbaue entstanden. Bleiglanz und Zinkblende wurden unter den Erzen an erster Stelle abgebaut, daneben aber auch die daraus durch Oxydation entstandenen Verwitterungsprodukte Cerrusit, Wulfenit und Galmei.

Verschiedene Ortsbezeichnungen weisen heute noch auf den ehemaligen Bergbau hin: Zum Beispiel der Name „Knappenböden'' im Lechtal, die „Knappenlöcher" an der Nordkette bei Innsbruck, der „Silberne Hansel" im Hinterautal, der Arzkasten auf dem Mieminger Plateau, um nur einige zu nennen.

Neben den beiden Revieren von Schwaz und Kitzbühel war das Gebiet um Imst das reichste Bergbaugebiet. Hier wiederum waren die ergiebigsten Baue im Raum von Nassereith und Biberwier. Der Abbau im Revier „Dirstentritt" westlich von Nassereith ist seit dem Jahre 1565 nachgewiesen. Er ist wohl einer der größten Baue dieser Gegend und war mit Unterbrechung noch bis zum Jahre 1952 in Betrieb. Stellenweise kam es in diesem Bereich auch zur Bildung des bereits erwähnten Wulfenits, einem molybdänhaltigen Mineral, das zur Stahlveredelung verwendet wird. Die einzelnen Stollen liegen hier in einer Höhe zwischen 1200 und 1900 m.

Das zweitwichtigste Abbaugebiet bei Nassereith liegt östlich des Ortes, im Wettersteinkalk der Mieminger Kette; es ist der Bergbau Feigenstein.

Ebenfalls im Bereich der Mieminger Kette, aber bereits auf der Außerferner Seite, liegen die Gruben von „Silberleiten", dem bedeutendsten Bau des Außerferns. Die erzführende Schicht ist eine 100 m mächtige Zone des Wettersteinkalkes. Interessanterweise ist hier der untere Teil bleiglanzführend, während der obere Teil die Zinkblende enthält. In der Bleiglanzlagerstätte sind die erzführenden Gänge l cm bis l m dick. Besonders wertvoll machte die Lagerstätte — der Name weist schon darauf hin — der ziemlich hohe Silbergehalt des Erzes. Man errechnete im Durchschnitt bis zu 454 g Silber je Tonne Erz, das ist 900mal mehr als im Blei des Bleiberger Reviers in Kärnten. Der Bergbau „Silberleiten" ist schon in einer Urkunde aus dem Jahre 1559 erwähnt. Mit ziemlichem Erfolg wurde der Bergbau nahezu vier Jahrhunderte betrieben, er wurde erst 1938 eingestellt.

Ebenfalls vor 1600 wurde im Karwendel der „Silberne Hansl" in Betrieb genommen. Es ist jenes Bleiglanz-Zinkblende-Revier, das sich im Norden des Hinterautales vom Roßloch über den Halleranger bis in das Vomperloch erstreckt. Hin und hin sind in den Fels Stollen vorgetrieben worden, und in mühsamer Arbeit wurde das Erz zu Tal gebracht. Nach einer längeren Zeit des Stillstandes wurde der Bergbaubetrieb im Jahre 1951 von der Bleiberger Bergwerksunion wiederaufgenommen.

Wohl der bekannteste, seit dem dreizehnten Jahrhundert ohne Unterbrechung in Betrieb stehende Bergbau im Bereich der Nördlichen Kalkalpen ist der Haller Salzberg. Wann und wie ist es hier zur Ausscheidung, zur Anreicherung von Salz im Gestein gekommen? Am Beginn des Erdmittelalters erstreckte sich über weite Teile jenes Bereiches, in dem heute die Alpen liegen, ein Meer. Vielleicht war ein Teil durch eine Barriere, durch einen Riegel vom offenen Meer getrennt. Nur bei Flut oder Sturm konnte das Wasser darüber hinweg in das dahinterliegende Becken eindringen. Dort ist es dann infolge des damals wärmeren, vielleicht tropischen Klimas rasch verdunstet. Dabei wurde das Salz aus dem salzhaltigen Meereswasser ausgeschieden und setzte sich auf dem Boden ab. Dieser Vorgang wiederholte sich natürlich viele Male. Das Salz hatte sich mit Schlamm vermischt, dieser erhärtete im Laufe der Zeit. Erst im weiteren Verlauf des Erdmittelalters breitete sich das Meer auch über den früher nur gelegentlich überfluteten Teil des Alpenraumes aus. Damit hat hier die Salzausscheidung ihr Ende gefunden. Wir finden heute über den salzführenden Schichten und Gesteinen reine marine Ablagerungen. Im Laufe der Jahrmillionen umfassenden Erdgeschichte hat das salzführende Gestein — nachdem schon im Zuge der Gebirgsbildung die ursprüngliche Ablagerung gestört wurde — manchen Wandel durchgemacht. Durch Klüfte konnte z. B. Wasser eindringen, das Salz wurde gelöst und fortgeschwemmt bzw. in andere Gesteinsschichten umgelagert. Es entstanden durch das Auslaugen des Salzes Hohlräume im Innern des Berges. In der Folge kam es zu gewaltigen Einstürzen, die von mehr oder weniger starken Erdbeben begleitet waren. Auf die Lösung des Salzes durch Wasser und das Austreten einer Salzquelle ist auch — wie die bekannte Sage zu berichten weiß — die Entdeckung des Haller Salzberges zurückzuführen.

Die Tatsache, daß Salz im Wasser löslich ist, macht sich schließlich auch der Bergbaubetrieb bei der Salzgewinnung zunutze. Das mit Ton vermengte Salz ist ja nicht ohne weiteres zu gewinnen, vom Ton zu trennen. Ein einfacher „Trick" hilft aber. In ausgehauene Kammern wird Wasser eingeleitet. Dieses löst aus dem „Salzton" das Salz heraus, der Ton fällt von der Decke zu Boden. Dieser Vorgang wiederholt sich so lange, bis das eingeleitete Wasser eine genügende Konzentration aufweist. Dann wird die Sole zum Sudwerk abgeleitet. Hier spielt sich wieder jener Vorgang ab — diesmal allerdings künstlich herbeigeführt —, der vor Jahrmillionen zur Salzbildung geführt hat: die Sole wird erhitzt, verdunstet, und das Salz bleibt als Ausscheidung zurück.

Zur Auskleidung und Stützung der einsturzgefährdeten Stollen im Haller Salzberg wurden seinerzeit Baumstämme — Stempel genannt — aus dem Gebiet der Pfeishütte über das Joch zum Bergwerk im Halltal gebracht. Das Joch trägt seither den Namen Stempeljoch.

Noch ein Bergbau, der ebenfalls vom frühen Mittelalter bis heute in Betrieb ist, muß hier erwähnt werden. Die Bedeutung des dort gewonnenen Rohstoffes liegt jedoch auf einem ganz anderen Gebiet als die der Erze und des Salzes. Es ist der Ichthyol-Bergbau bei Seefeld, der ein sehr wichtiges Material für pharmazeutische Präparate liefert. Im Bereich des mesozoischen Hauptdolomits sind mehr oder weniger mächtige Lagen eines stark ölhaltigen Schiefers eingelagert. Die heilende Wirkung dieses Öles wurde von den Bauern der umliegenden Gebiete schon früh erkannt. Sie wandten mit großem Erfolg das Öl bei verschiedensten Erkrankungen ihrer Haustiere und später auch beim Menschen an.

Die erste urkundliche Erwähnung erfolgte 1350. Das auf äußerst primitive Weise aus dem Gestein gewonnene dunkle und übelriechende Öl war weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und begehrt. Händler zogen mit diesem bäuerlichen Heilmittel in weiten Teilen Deutschlands herum. Mit einem Schlag wurde im Jahre 1880 dieses Öl noch bedeutender. Es gelang nämlich, das Rohöl weiterzuverarbeiten, so daß seine Anwendung wesentlich einfacher und günstiger erfolgen konnte. Aus dem bäuerlichen Heilmittel wurde ein bekanntes und geschätztes pharmazeutisches Präparat, das man als Salbe, ja heute sogar in Tablettenform erhält. Da man im Gestein neben dem Ölschiefer häufig Fischreste fand, gab die Firma dem Produkt den Namen Ichthyol, nach dem griechischen ichthys für Fisch.

Wir wollen uns noch fragen: Wieso ist hier Öl in größerer Menge im Gestein eingelagert? Die im Begleitgestein des Ölschiefers gefundenen Fischabdrücke können uns den Weg zur Erklärung weisen. Fische und andere Meeresbewohner sinken nach ihrem Tod auf den Meeresboden und werden dort von Schlamm bedeckt. Ist nun die Sauerstoffzufuhr gering oder gar ganz unterbunden, so kann der Organismus nicht verwesen, sondern macht eine Umwandlung durch: verschiedene chemische Reaktionen führen zur Bildung flüssiger Kohlenwasserstoffe. Solche Vorgänge spielten sich im Bereich der Alpen während des Erdmittelalters ab. Die gefundenen Fischabdrücke geben also Zeugnis davon, daß es sich bei den verschiedenen Gesteinen des Ölschiefers um erstarrte, jahrmillionenalte Meeresablagerungen handelt. Auf gleiche Weise sind auch die Erdöllagerstätten entstanden.

So sagen die einzelnen Bergbaue der Nördlichen Kalkalpen manches über das wechselvolle Schicksal unseres Raumes während der langen Zeit der Erdgeschichte aus.

Quelle: Dr. Franz Niederwolfsgruber, Die Bergbaue in den Nördlichen Kalkalpen, in: Tiroler Heimatblätter, 37. Jahrgang, Heft 1-3, Jänner - März 1962, S. 19 - 22.
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