Bergrevier Sterzing-Gossensass
von Robert R. v. Srbik
Dieses Bergrevier war nach seiner räumlichen Ausdehnung das größte Tirols. Nach einem Dekret vom Jahre 1540 erstreckte es sich vom Schneeberg in Passeier über das Pflerschtal nach Norden weit über den Brenner bis ins Obernberger- und Navistal, nach Osten vom Pfunderertal bis Mühlbach und Bodenegg, nach Süden über Schabs bis ins hintere Flaggental. Es ist dies der einzige Fall aus damaliger Zeit, in dem die Grenzen eines Bergreviers klar zu ersehen sind. Der Bergbau ist jedoch weit älter.
Die älteste Angabe über Bergbau in historischer Zeit betrifft die Schenkung eines Gutes bei Trens (südl. Sterzing) samt den dortigen Eisenadern durch einen Edelmann an das Stift Tegernsee (1010). Das später berühmte Schneeberger Silber wird zuerst 1237 als Tauschmittel erwähnt, wie es wohl auch in früheren Jahrhunderten hiezu diente. Urkunden von 1288 und 1291 nennen einen Hof „Zur Silberplatte" im Pflerschtal, wo die Grafen von Tirol als Landesherren auf eigene Rechnung Silberbergbau betrieben. Mit dem Wiederaufschwung des Tiroler Bergbaues zu Beginn des 15. Jahrhunderts trat das Bergrevier Sterzing-Gossensass in den Vordergrund. Es erhielt 1427 eine neue Bergordnung, deren Grundlage der Schladminger Bergbrief von 1408 war. Das neue Recht verdrängte damals das alte einheimische. 1431 erließ Herzog Friedrich an den dortigen „Schreiber" (Bergrichter) einen Bestellbrief, der sehr wichtige Bestimmungen enthält: Der Bergrichter hat die Rechte des Landesfürsten an dessen Anteilen („Vierteln") zu wahren, die Fron und den Wechsel einzuheben und die Erzförderung aller Gewerken daher genau zu überwachen.
Eine der frühesten historischen Kunden stammt aus dem Jahre 1423. Sie behandelt einen Kaufvertrag, durch den Herzog Friedrich einen schon länger betriebenen, sehr ertragreichen Silberbau, die sogenannte „Küchenmeistergrube", in Gossensass erwarb; auch eine zweite Grube, „zum Schacht" genannt, scheint er angekauft zu haben. Bekanntlich trifft übrigens sein Spottname „der Friedel mit der leeren Tasche" durchaus nicht zu; denn nach seinem Tode fanden sich nahezu 1300 Mark Silbergeräte und über 46 q ungemünztes Silber vor, in kleinen Fässern verpackt. Der Bestand eines Silberwechselamtes in Gossensass (1428) weist auf eine beträchtliche Silbererzeugung hin. In den Jahren 1481 bis 1514 fanden im Gossensasser Bergrevier, zu dem der damals sehr „höfliche" Schneeberg mit einer Belegschaft von etwa 1000 Knappen (1486) gehörte, auf rund 250 Feldorte über 3000 Belehnungen statt, gewiss ein Zeichen großer Baulust und Ergiebigkeit. Sie erstreckten sich auf 60 Schürfe, etwa 100 neue und 500 andere Gruben, ferner 85 Haldenkuttungen (neuerliche Durchsicht der Haldenbestände), die auf eine entwickelte Aufbereitung schließen lassen. Unter den 300 Gewerken am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts war auch der Landesfürst, der Bischof von Brixen, der Abt von Wilten, mehrere Beamte und viele Bürger aus dem Räume nördlich des Brenner, darunter sehr bezeichnend auch der Schenk und der Barbier des Landesfürsten.
Die Sterzinger Schmelzhütte ließ man im Jahre 1500 auf, da man das Frischwerk (Blei) für Nordtirol bedurfte; sie wurde bald baufällig und vermietet (1517), später jedoch wieder benützt (1536).
Navis wird im Jahre 1501 zum ersten Mal als Bergwerk genannt. Es entwickelte sich zuerst nur langsam, so dass den dortigen Gewerken eine mehrjährige Fronfreiheit und der „ringe Wechsel" (geringe W.) von 20 Kreuzern für jede Mark Silber zugestanden wurde. Bald aber scheint der Ertrag zugenommen zu haben, da das dortige Bergwerk 1514 die üblichen Bergfreiheiten erhielt. Damals baten die dortigen Gewerken um Lostrennung von dem zu weit entfernten Sterzinger Revier, was später durch Zuweisung an den Haller Bergrichter auch genehmigt wurde.
Der Bischof von Brixen, einer der hauptbeteiligten Gewerken am Schneeberg und in Gossensass, verkaufte 1528 seine „Viertel" (Anteile am Bergbau), die je nach dem Ertrag einen Wert von 5 bis 70 Gulden hatten. Auf kaiserlichen Befehl gelangten sie dann in den Besitz der Fugger, die schon seit Beginn des Jahrhunderts unter den Gewerken auftraten. Ihre Beamten beschwerten sich bald über die aus Ersparungsrücksichten schon 1507 erfolgte Verfügung der Regierung, dass nur die armen Erze vom Schneeberg und von Gossensass südlich des Brenner verschmolzen werden durften, während die reichen Erze nach Schwaz und Rattenberg gebracht wurden. Das sei, meinten die Fugger, gegen den freien Willen der Gewerken. Sie kauften bald zum Schaden der anderen Gewerken alles Frischwerk auf und machten sich durch den eigenmächtigen Bau einer neuen Schmelzhütte in Grasstein auch bei der Bevölkerung sehr unbeliebt. Denn hierdurch träte, wie der Bischof von Brixen betonte, Holzteuerung ein und werde die ganze Gegend durch Rauch belästigt 1). Auch der Propst von Neustift erhob im November 1534 beim Kaiser über die Fugger Klage, weil sie den Wald des Klosters bei Mittewald für Zwecke ihres Schmelzwerkes widerrechtlich niederlegten. Die Regierung ordnete hierauf bedächtig zunächst den Zusammentritt einer Kommission für das Frühjahr 1535 an. Mittlerweise verfolgten die Fugger jedoch unbeirrt ihre Pläne weiter, im sicheren Bewusstsein der Abhängigkeit des Kaisers von ihnen, als den mächtigsten Geldgebern. Sie erbauten, ohne sich um die aus allen Kreisen kommenden Beschwerden zu kümmern, in Grasstein ein Schmelz werk mit sechs Öfen. Trotz neuerlicher Gesuche der Anrainer an die Regierung, in denen die Nachteile dieses Baues eingehend geschildert sind und klar ausgesprochen wird, dass „mit den Herren Fuggern in rechten zu kriegen nit möglich ist", schmolzen die Fugger ruhig weiter.
1) Damals herrschte in Sterzing die Pest, „sterbende Leuff" genannt. Bürgermeister und Rat der Stadt Sterzing erließen 1534 eine Pestordnung, Dr. Georg Mendler, Hofarzt in Innsbruck und Hausbesitzer in Sterzing, gab 1534 medizinische Maßnahmen und Rezepte gegen die Pest heraus und Theophrastus Paracelsus (1493 — 1541) verfasste seine Schrift „Von der Pestilenz an die Stadt Sterzing". Näheres im Archiv für Geschichte der Medizin, Bd. 18, Heft 2, 1916, K. Schadelbauer, Die Sterzinger Pestordnung vom Jahre 1534, S. 192 — 196. — Über die damalige Pest in Schwaz siehe dieses Bergrevier.
Im Arztal bei Ellbögen fand ein Diener des verstorbenen Erzherzogs Ferdinand II. ein Erzvorkommen. Wegen der dortigen Holzreservate des Haller Pfannhauses war er zur Verhüttung des Erzes in Ehrwald gezwungen, bis ihm Kaiser Rudolf II. den Bezug von Holz und Kohle gestattete (1597).
Vom Beginn des 17. Jahrhunderts an nahm wegen des fortgesetzten Raubbaues der Gewerken, namentlich der Fugger, das Erträgnis der einst hochberühmten Baue von Sterzing, Gossensass und vom Schneeberg immer mehr ab. Im Jahre 1600 standen nur mehr etwa 40 Schächte in Betrieb. Auch die Klagen der Knappen über späte oder gar nicht erfolgte Bezahlung und die Verteuerung des Pfennwertes wurden immer häufiger. Kleinere Gewerken, wie etwa die, deren Graben im hinteren Pflerschtal lagen, konnten die „Samkosten" (Transportkosten) von den hoch und weit gelegenen Arbeitsorten nicht mehr bestreiten; die begüterten hingegen brauchten ihr Geld für andere, mit dem Bergbau gewiss nicht in Verbindung stehende Zwecke. Trotzdem hatte ein unternehmungslustiger Gewerke damals noch den Mut, im hinteren Pfitschtal auf Schwefel abzubauen, den er ins Innsbrucker Zeughaus gegen Bezahlung abliefern musste.
Der Landesfürst Erzherzog Leopold hatte am Schneeberg wesentlichen Anteil, wo 1621 insgesamt noch etwa 200 Knappen beschäftigt waren. Sie und ihre Gefährten in Gossensass drohten 1625 mit der Arbeitseinstellung, wofern nicht eine Herabsetzung des Pfennwertes zugestanden würde. Als manche von ihnen tatsächlich den Berg verließen, „ersuchte" die Regierung zur Verhütung weiterer Störungen die Fugger, den Proviant künftig billiger zu berechnen, und zwar das Star (l q) Weizen um 18 Kreuzer, das Star Roggen und Gerste um 12 Kreuzer, das Pfund Schmalz um 2 Kreuzer. Die Fugger gingen aber, obwohl sie erst ein Jahr früher auf zehn Jahre Fronfreiheit verlangt und auch erhalten hatten, nur teilweise auf diesen Vorschlag zur Güte ein, indem sie das Star Weizen und Roggen nur um 6 Kreuzer billiger den Knappen gaben. Die Regierung musste sich auch damit zufrieden geben. Die Gefahr der Stilllegung war wieder einmal hinausgeschoben, aber nicht beseitigt.
Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, während der Jahre 1635 bis 1640, belief sich der Anteil des österreichischen Handels am Schneeberg auf jährlich rund 1800, an den Gossensasser Gruben auf rund 300 Kübel (zu 230 Pfund) Erz. Das waren gewiss recht bescheidene Erzeugnisse, umso mehr wenn man hiezu die Samkosten und Fuhrlöhne rechnet, die namentlich am Schneeberg besonders hoch waren und sich dort in der angegebenen Zeit auf durchschnittlich fast 6000 Gulden jährlich beliefen. 1639 sah sich der österreichische Handel denn auch genötigt, die Grube St. Leonhard am Schneeberg, wo er 32 Viertel besaß, aufzulassen. Klugerweise hatten sich die Fugger dort nur mit vier Vierteln beteiligt.
Die Lage der Knappen war in diesen Kriegsjahren sehr schlecht. Sie drängten wiederholt auf Auszahlung ihres ausständigen Lohnes und drohten mit der Arbeitsniederlegung, bis die Regierung ihnen, die seit Weihnachten 1647 kein Bargeld erhalten hatten, im März des folgenden Jahres endlich wenigstens zur teilweisen Begleichung ihrer gerechten Forderungen 300 Gulden von Schwaz senden ließ und überdies 1000 Gulden von einem Sterzinger Geldgeber lieh, „um die ungeduldigsten Parteien genügsamst abstillen... zu können". Der Bergbau in Gossensass und am Schneeberg fristete sich derart nur noch mühsam fort; es fehlte selbst an Geld für den Weitertransport der seit einem Jahre in Sterzing liegenden Erzvorräte vom Schneeberg (1656). Die Knappen mussten abermals bitten und drohen, um ihren längst ausständigen Lohn wenigstens teilweise zu erhalten, den ihnen der aus der Geschichte von Schwaz berüchtigte Bergwerksinspektor Joseppo de Crotta vorenthielt. Unter solchen Umständen zögerten 1663 die Fugger nicht mehr, sich von den Bauen am Schneeberg und im Ridnauntal endgültig zurückzuziehen, die ihnen einst viel Gewinn gebracht hatten, nunmehr aber „unlöhnig" geworden waren.
Damals schien der Naviser Bergbau einigen Ersatz für den Schneeberg zu bieten. Ein Schwazer Bürger nahm 1655 die Wiedergewältigung der seit dem Ende des 15. Jahrhunderts dort bestandenen zwölf Gruben des österreichischen Handels in Angriff, allerdings anfänglich ohne Kenntnis oder Bewilligung der Regierung. Er vermochte aber 1656 bis 1659, also in vier Jahren, nur rund 20 Kübel Fron an Fahlerzen und Kiesen zu liefern, was etwa 200 Kübeln Erzförderung entsprach. Auch dieser Bau erfüllte also die in ihn gesetzten Erwartungen nicht mehr.
Bergrevier Sterzing-Gossensass
Bei Gossensass abbauwürdige Erze (reiches Silbererz, Kupfer und Blei) angeblich zirka 1420 durch einen Erdbruch bloßgelegt. 1428 ein eigener Silberbrenner für Gossensass bestellt. Zur Blütezeit im 15. Jahrhundert 1000 Knappen in 106 Gruben. Heute noch Bergbauzeichen an den Häusern. Verfall durch Raubbau. Mitte des 17. Jahrhunderts erneute Schürfe auf Blenderz.
Am Bergbau Schneeberg (Siehe Nr. 10) kommen die Erze gangförmig, auch mandel-, nester-, linsen- und streifenförmig mit Quarz im Glimmerschiefer vor. Streichen SW—NO, fallen NW. Zahlreiche Querverwerfungen. Die Erzgänge schneiden das Faltenstreichen unter spitzem Winkel. Annäherung des Hangend- und Liegendganges gegen Norden. Gewinnung von gediegenem Silber, Magnetkies, Eisen- und Kupferkies, Fahlerz, Braun- und Magneteisenerz, Malachit, Gips, Schneebergit u. v. a.
In Sterzing nach Burglehner eine römische Münzstätte (Sesterzen, Name Sterzing), daher schon damals Bergbaue in der Nähe. 1010 Schenkung eines Gutes samt Eisenadern bei Trens südl. Sterzing an Stift Tegernsee.
1 Schafalpe: Bleiglanz mit Blende, Kupfer- und Schwefelkies mit Kalkspat und Quarz im Tonglimmerschiefer. 2100 m hoch. Sehr alt und ausgedehnt, schon 1350 verliehen, 1450 Abbau von silberhaltigem Fahlerz. 1606 an den österreichischen Handel verkauft. 1620 wegen Erschöpfung der Erzlager aufgelassen. Höhenlage, Holz- und Wassermangel sehr hinderlich. — 1875 — 1883 Wiedergewältigung erfolglos. Verhüttung Gossensass bis 1590, dann wegen Holzmangel Wiesen.
2 Ast: Wie 1 im dolomit. Kalk. Einst sehr ergiebig. Ausgedehnte Halden. 1410 bis zirka 1680. Im 15. Jahrhundert Gewerke „Gossensasshandel". Verhüttung wie 1. Erzlager Ende des 17. Jahrhunderts erschöpft. Wiedergewältigung vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1815 mit wenig Erfolg. Ähnliche Schürfe Scheingraben, Selmwand, Gattern und Gigglberg. Vielleicht die ältesten Bergwerke Tirols.
3 Steckholz: Bleiglanz mit Blende in dolomit. Kalk. Anfang des 15. bis Ende des 16. Jahrhunderts.
4 Plerchwald: Schwefel- und Kupferkies im Talk- und Chloritschiefer. 1436 — 1630. Wiedergewältigung Mitte des 18. Jahrhunderts. Verhüttung bis 1590 Gossensass, dann Wiesen.
5 Leitnerwald: Wie 4 Bestand und Betrieb. Alte Haldenreste. Keine Wiedergewältigung.
6 Füssendrass: Kupfer- und Schwefelkies mit Blei- und Molybdänglanz im Tonschiefer. 1636 — 1705. Verhüttung Wiesen, bis Wasserandrang Grube ersäufte.
7 Pletzengraben: Kupfer- und Schwefelkies mit Magneteisenerz im Talk- und Chloritschiefer. 1487 — 1713. Erschöpft. Ebenso Pfitscher-Joch. Der angebliche Goldsand ergab nur Sand- und Schwefelkiesschlich. Auf dem Hauggenspitz Schwefelbergbau 1509.
8 Schönjoch: Kupfer- und Schwefelkies im Tonglimmerschiefer. Ausgedehnte Halden aus dem 16. Jahrhundert. Verhüttung Grasstein, bis Schmelze 1720 aufgelöst.
9 Flaggental: Kupfer- und Schwefelkies am Kontakt von Tonglimmerschiefer und Granit. 16. Jahrhundert bis 1688. Verhüttung wie 8. — In Spinges Schurfversuche im 17. Jahrhundert.
10 Schneeberg: Silberhaltiger Bleiglanz und Blende mit Kupferkies im Tonglimmerschiefer. Sehr ausgedehnte Baue in 2200 m Seehöhe. 1237 ( ?) — 1792. Blüte 1486 — 1600 mit 70 Stollen und mehr als 1000 Knappen. Erztransport über das 2119 m hohe Knappenjoch, später durch den 730 m langen Kaindltunnel. Aufbereitung in Inner-Ridnaun, Hütte bis 1560 (Holzarmut), dann nach Grasstein (bis 1713), später Verhüttung in Sulferbruck und Brixlegg. Bis zirka 1851 Haldenkuttungen. Von 1871 an Wiedergewältigung und Transport von Sterzing ins Ausland. Erzstraße und Drahtseilbahn.
11 Seeberalpe (Osthang des Königskogels) westl. Rabenstein im Passeiertal: Schwache Spuren eines alten Bergbaues auf Bleiglanz, Zinkblende und Kupferkies. Älter als Schneeberg; da weniger ertragreich, angeblich Mitte des 15. Jahrhunderts aufgelassen.
12 Zögg: Schwefel- und Vitriolsalz, seit 1755.
Quelle: Robert R. v. Srbik, Überblick des Bergbaues von Tirol und Vorarlberg in Vergangenheit und Gegenwart, Innsbruck 1929, (Sonderabdruck aus den Berichten des Naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines Innsbruck), S. 220 - 227.
Digitalisierung der Karten: Wolfgang Morscher
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