Streiflichter aus einem hoch- und abgelegenen Bergbaubetrieb (Schneeberg, Südtirol)


Von Hans Wallnöfer †
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Verwalter Penco

Dipl.-Ing. Cl. P. war seinerzeit Betriebsleiter des Bergbaues Schneeberg in Passeier. Tüchtig in seinem Berufe, war ihm besonders das Wohl der Belegschaft am Herzen gelegen, wenngleich er mitunter auch etwas derb, ja sogar grob sein konnte; manche nannten es patriarchalisch. Im allgemeinen hatte er ein gutes Herz, die Leute wußten das und vergalten es ihm durch treue Anhänglichkeit. P. hatte die Aufgabe, die Werksgebäude des alten Bergbaues durch Um- und Neubauten, kasernenartige Unterkünfte für die Knappschaft erstehen zu lassen und wenngleich sie mit der neuen Bedachung aus verzinktem Eisenblech in die herrliche Hochgebirgslandschaft in keiner Weise paßten — praktisch waren sie auf alle Fälle. Die alten Gebäude hatten Schindelbedachung, daher Einwehen des Schnees bei Schneetreiben, hingegen war die Folge bei Tauwetter Schmelzen des Schnees und Einsickern des Wassers in die Mannschaftsräume, so daß man ober seinem Strohsack wohl oft gezwungen war, einen Regenschirm aufzuspannen, wollte man halbwegs trocken gebettet sein. Auch erhöhten Abbau der Erze hatte P. durchzuführen. Es gab daher viel Arbeit, wozu noch die Einführung und Anlernung neuer Leute kam. P. war Istrianer und der deutschen Sprache wohl mächtig, aber in einer ganz bestimmten Form. Er war auch gezwungen, bestimmte Reformen am Schneeberg durchzuführen. Bis dorthin war es am Schneeberg Gepflogenheit, sich nur einmal in der Woche, und zwar am Samstag, zu waschen. Die Grubenhüterin (Wasch- und Aufräumefrau) stellte einen großen Kessel heißes Wasser zur Verfügung, aus dem jedermann mit einem Schöpfer beteilt wurde. Das sich öfter Waschen war verpönt, da nur herrische Mode und in den Augen der Leute ungesund und auch Brennmaterial infolge der hohen Lage des Betriebes gespart werden mußte. Es bedurfte daher aller Energie, das alltägliche Waschen einzuführen und es mußte dabei sogar mit Geldstrafen vorgegangen werden.

Am Fuße des Lazacher Bremsberges verunglückte beim Materialaufzug ein Arbeiter tödlich dadurch, daß er den Hund in das falsche Trum (Abteilung) des Aufzuges einschob. Der Hund stürzte ab und riß den Unglücklichen mit sich. P. gab mir mit folgenden Worten den Auftrag: „Nimmst du sechs Mann, nimmst du (P. duzte alles), und bringst die Leiche zu den Anverwandten und drückst das Beileid der Betriebsleitung und der Belegschaft aus, drückst du, zur Begräbnis komme ich hinunter und erstattest du mir vorher Bericht, erstattest du!“ Wir gingen mit unserer traurigen Last nach Rabenstein und brachten den Toten zu seiner Schwägerin. Kaum hatten wir den Sarg abgesetzt, setzte sich dieselbe auf den Sarg, stützte den Kopf in beide Hände und sagte schmerzbewegt: „Iatz tat mi grod sell wundern, wo dös Geld olls ummer isch.“ Ich sprach auftragsgemäß ein paar Worte des Trostes und verließ die Stube mit meinen Männern. Am anderen Tage erstattete ich Verwalter P. Bericht. „Sind sie im allgemeinen ganz gute Leute, sind sie, aber oft sind sie wie die Vicker“, gab mir P. zur Antwort.

Bergrevierinspektor Hans Wallnöfer (1881 - 1949)

Bergrevierinspektor Hans Wallnöfer (1881 - 1949)

Während der Schicht war der Ausschank geistiger Getränke verboten. Da ich in der ersten Zeit das Wasser am Schneeberg nicht vertrug, es war aus der Lagerstätte bleihaltig, neigte ich stark zu Koliken. Ein altes Hausmittel der Knappen — allerdings eine Roßkur — war nun, ein Glas Schnaps mit mehr oder weniger Pfeffer zu mischen und den Inhalt des Glases in einem Zuge zu leeren. Mit der Zeit gewöhnte sich der Körper an den Bleigehalt, aber auch an den Branntwein; er schmeckte gut, besonders ohne Pfeffer. Ich brachte es schon auf ein ziemliches Quantum — auf dem Schneeberg wurde unter dem Titel „Schnaps ist gut wie Medizin“ viel Branntwein vertilgt. Einmal überraschte mich der Verwalter P. beim Schnapstrinken. „Luder verfluchtes, saufst du Schnaps, saufst du. Ist es ein Skandal, ist es. Du solltest mit gutem Beispiel voran-gehn; kommst du am Abend in die Kanzlei, kommst du!“ Dort erhielt ich neuerdings Schnaps, aber einen trockenen und ich wurde nachdrücklich auf die Gefahren des Schnapsgenusses aufmerksam gemacht. Ich glaube, zu meinem Vorteil. Heute bin ich P. noch dankbar dafür.

Am Schneeberg war die Polizeistunde unter der Woche auf 9 Uhr abends festgesetzt, sonntags auf 10 Uhr. Nur in Ausnahmefällen gab es ein oder zwei Stunden Verlängerung, wenn man darum bittlich wurde. Ich kam von der Assentierung aus Klausen und war zu den Kaiserjägern behalten. Am Abend setzte sich die Kameradschaft zusammen, um das Ereignis bei einem Liter Roten zu feiern. Es wurde Polizeistunde und durch das Los bestimmt, wer nun um Verlängerung zu bitten gehe, wozu auch ich auserkoren war. Wir gingen in das Beamtenhaus, wo P. mit den andern Herren beisammensaß und tarockierte. „Und was willst du, Lausbub?“ sprach mich P. an. „Es ist einmal so, daß zwei um Polizeistunde bitten gehen“, entgegnete ich, „daß ich deswegen ein Lausbub sein muß, sehe ich aber nicht ein.“ P. lachte und erwiderte: „Habe ich ganz vergessen, daß du nun Kaiserjäger bist, natürlich bist du kein Lausbub mehr.“ Wir kehrten mit zwei Stunden Polizeiverlängerung ins Gasthaus zurück. Es dauerte nicht lange und es kam die „Moidl“ mit einem halben Liter Wein und einem Braten und sagte mir, das schicke Verwalter P. für mich, ich solle es mir schmecken lassen. Beleidigt, wie ich war, lehnte ich ab, stieß aber bei den Kameraden auf bedeutenden Widerstand, so daß ich schließlich annahm. Inzwischen war es 12 Uhr geworden, wir mußten das Gasthaus verlassen. Ich ging nun zu Verwalter P. und bedankte mich. „Sind Sie nun ein Mann geworden, sind Sie, bleiben Sie nun bei uns, bleiben Sie!“ Von da ab sprach mich P. per Sie an. Ich war mannbar geworden. Die Sitzung dauerte bis 4 Uhr und da der folgende Tag ein Sonntag war, hatten wir Zeit genug, uns auszuschlafen.

Der Nocker-Hansl

Der Hansl war Ridnauner, er stammte aus einem der höchstgelegenen Höfe dieses Tales — am Nock —, wovon er auch seinen Namen hatte. Er war Altschneeberger und Kürführer (Vorarbeiter) der Säubererbuben (Wegfüllarbeiter); er betätigte den Martinaufzug in der Schröckingerzeche und war Bremser der als „Glump“ bezeichneten Armenseelenbremse im Lorenzischacht. Er besorgte alle dringenden Postgänge nach Sterzing oder St. Leonhard in Passeier je nach den Wegverhältnissen. Er war Begleitperson aller Inspektionsbeamten des Ministeriums, der Berghauptmannschaft, des Revierbergamtes und der eigenen Beamten sowie des Schneebergerkaplans.

In Erkrankungsfällen ging er mit der Krankengeschichte zum Arzt und brachte in oft unglaublich kurzer Zeit Weisungen oder Medikamente; zu Sterbenden holte er den Kaplan von Rabenstein herauf. Er brachte zu Weihnachten das Bäumchen, zu Dreikönigen geweihtes Salz und Wasser, von der Palmweihe Palmkätzchen und als besondere Aufmerksamkeit vom Herrn Pfarrer in Rabenstein einen Ölzweig. Zu Ostern fehlte nicht ein Stückchen Brot und Speck sowie ein gefärbtes Ei als „Geweihtes“. Er brachte die ersten Küchenschellen und „Dunnerhuschen“ (Alpenrosen) und als besondere Spezialität weiße Alpenrosen aus der Schönau am Fuße des Timmeljoches. Zum Hohen Frauentage vergaß er nicht geweihte Blumen zu bringen: Edelweiß, Edelraute, Arnika, Brunellen — gut zu gebrauchen für Mensch und Vieh. Hansl war auch Mesner, Kranken- und Leichenwärter, er war ein Mensch nach altem Schrot und Korn und treu wie Gold. Doch hatte er seine eigene Prägung und man mußte wissen, wie man ihn zu nehmen hatte. Davon ein paar Beispiele: Wir waren mit dem Ausstecken der der Ausbißlinie (wo das Erz zu Tage tritt) im Gehänge des Himmelreichgebirges und des Kübelschlages beschäftigt, neben einem andern Mann auch der Hansl und meine Wenigkeit. Das Terrain ist sehr abschüssig und steil, über Nacht war es bitter kalt und der Schnee war fest gefroren, so daß man ohne einzubrechen gehen konnte, wo man wollte — der Schnee trug „harsch“. Das Ausstecken geschah durch Anbringen von Fahnen. Der dritte Mann wollte eben eine solche Fahne aufstecken, als er mir zurief, er fühle sich unsicher und komme ins Gleiten. Ich eilte ihm zu Hilfe; die Stelle war aber so vereist und hart gefroren, daß es mir nicht besser ging. Ich rief daher dem Hansl, der einen Eispickel mit sich führte, zu, er möge uns helfen, was er aber mit den Worten verneinte, es schwindle ihn, er werde Leute holen. Bald gellte von der Arbeiterkaue die Schichtglocke: „Leute in Gefahr!“ Die Situation war inzwischen schon sehr kritisch geworden; mein Kamerad hatte den Mut verloren und wußte sich nicht mehr zu helfen. Unterdessen gelang es mir aber mit blutender Faust die Harschdecke zu durchstoßen und an einem größeren Stein Halt zu gewinnen, so daß wir uns bereits in Sicherheit befanden, als Hansl mit den Leuten anrückte. Es ist wohl begreiflich, daß ich nicht rosiger Laune war und ihn anpfiff, was Hansl mit den Worten abtat: „Der hl. Barbara sei Dank, daß alles gut vorbeigegangen ist! I hon mir holt gedenkt, es isch besser, wenn lei zwoa hin sein als wia drei“.

Wie gesagt, der Hansl war auch Mesner. Es war am Vorabend des Festes der hl. Barbara und daher große Reinigung im Schneebergerkirchlein. Ich war zufälligerweise in der Wirtsküche, als der Hansl zur Tür hereinkam und sich an den dienstbaren Geist wandte: „Moide, gib mir a Huder, daß i der hl. Barbara 's ,Gfries' konn oputzen; es isch schrecklich, wias do enten ausschaut, a Bronnter, a Schneafink oder so a Kunter hot a Mordssauerei gemacht.“ Ich erlaubte mir, den Hansl aufmerksam zu machen, daß man doch von der hl. Barbara sagen solle, sie habe ein Gesicht und nicht ein Gfries, worauf mir Hansl zornroten Kopfes mit Entrüstung antwortete: „Die hl. Barbara weiß schon, wie ichs moan, dö Zigrettenmander (ich rauchte nämlich Zigaretten, was zu jener Zeit am Schneeberg noch nicht üblich war) taten oan die Reden glei onderster auslegn.“

Durch bischöfliche Dispens von Trient gab es am Schneeberg im Laufe der Zeit nur mehr sechs Fasttage. Zu diesen gehörte auch der Karsamstag und es wurde Brauch, nach der Auferstehung Fleisch zu genießen. Dem half der Hansl insofern nach, daß er die Auferstehung auf halb ein Uhr Mittag festsetzte und in der Weise abhielt, daß er auf das Sakramentshäuschen die Figur des Auferstandenen aufsetzte und zwei Kerzen anzündete und die Glocken des Kirchleins läutete. Dann ging er in die Kanzlei gute Feiertage wünschen mit dem Zusatz: „Iatz können Sie Fleisch össen gian, der Hear isch auferstanden. Der Frau hob is schon in der Frua gsogt, daß Sie heint erseht später kemmen werden.“

Es erschien der Hansl mit folgender Botschaft: „Vom Großsaltnuser 1) an schianen Gruaß und wenn Sie zum Karlstollen hinuntergehn, möchten Sie so guat sein und auch auf Oeß 2) hinunterschaun, das ‚Tullerle’ (Stierl) sei von einer gratigen Schelper (Steinsplitter) getroffen worden, sei geschtiepen (gestolpert) und die Wunde sei arg verübelt; den nötigen Zuig soll i mitbringen.“ Ich willfahrte der Bitte und fand das „Tullerle“ mit arg vereiterter Wunde und fiebrig. Vorsichtshalber hatte ich mir ein Besteck mitgenommen, entfernte die Fremdkörper, wusch die Wunde aus und verpflasterte sie. Der Patient war aber schlechter Laune und nahm mein Helfen gar nicht gnädig auf, indem er mich ziemlich an die Wand drückte. Es bedurfte des ganzen Kraftaufwandes des Großsaltnusers und des Hansls, der auch mit war, mich von der Mißgunst des Tieres zu befreien. Ich mußte noch zweimal nach Oeß, bis es mir gelang, die Wunde vollständig zu heilen. Nach Beendigung der Prozedur wurde ich zu Mittag eingeladen. Auf Oeß war gut weilen; eine getäfelte Stube mit einem warmen Ofen trugen sehr zur Gemütlichkeit bei. Man lag zwar dort nicht auf Bärenhäuten, aber immerhin auf guten Decken und wenn draußen der Wind pfiff und Schneetreiben herrschte, so wurde manches „Noch eins“ getrunken und nicht immer nur Riffener und Feuerwasser, sondern auch andere Sorten. Zum Mittagsmahl gab es Fleischlaibelen mit Ochsenaugen (Faschiertes mit Spiegeleier), Kartoffelsalat und aufgewärmte Topfenplatteln, denn Hansl war nicht nur Koch, sondern auch Feinschmecker. Mit dem frischgebackenen „Viehdoktor“ wurde mit einem Teroldigo aus der Schneebergerkantine Gesundheit getrunken und man schied schließlich bei beginnender Dämmerung mit gegenseitigem „Vergelt's Gott!“

Unter besonders mißlichen Umständen verunglückte am Sebastianitag 1917 der Maschinenwärter der Elektro-Hydro-Zentrale Seemoos I. F. dadurch, daß er ein Windbrett (Schneewächte) lostrat und von demselben verschüttet wurde. F. war auch Jäger, hatte einem Edelmarder eine Falle gestellt und wollte nachsehen, ob sich das Tier verfangen hatte. Da er bei Einbruch der Dunkelheit noch nicht zurückgekehrt war, rief mich dessen Frau fernmündlich an, machte mir Mitteilung vom Sachverhalt und sagte mir, daß sie große Furcht vor einem Unglück habe. Die sofort eingesetzten Bergungsarbeiten gestalteten sich sehr schwierig; der Verunglückte war steif gefroren, stundenlanges Reiben mit Schnee und auch Kampferinjektionen blieben ohne Erfolg. Schweren Herzen mußte ich mich entschließen, dem armen Weib und ihren fünf Kindern, die alle noch im jugendlichen Alter waren, die Mitteilung zu machen, daß sie ihren Ernährer verloren haben. Die Leiche wurde aufgebahrt und der Hansl besorgte die Totenwache. Da ich am Schneeberg auch Leichenbeschauer war, begab ich mich zu diesem Zweck nach Seemoos, konnte aber keine sicheren Todeszeichen erkennen. Es zeigte sich weder ein Belag am vorgehaltenen Spiegel noch merkte man Pulsschlag; es schien, als ob der Tote nur schliefe. Ich brannte ihm Siegellack auf die Brust, träufelte ihm heißes Wachs ins Auge. Hansl schaute mir kopfschüttelnd zu und sagte: „Seien Sie nicht so ängstlich, Sie können mir glauben, er ist gewiß tot.“ Ich entgegnete, daß ich ohne sichtbare Totenflecken keinen Totenschein unterschreiben würde. Um Mitternacht schrillte das Telephon. Hansl teilte mir mit, daß jetzt die Totenflecken sichtbar seien. Ich warf mich in die Kleider und der Augenschein bestätigte die Angaben. Erleichtert atmete ich auf. Am nächsten Tage begruben wir F. mit bergmännischen und militärischen Ehren, da er auch in Serbien gekämpft hatte.

Vom Friedhof herunter traf ich den Großsaltnuser. Wir grüßten uns und besprachen auch das traurige Ereignis. „Der Naz wird's nicht los gehabt haben, daß der Sebastian seinen Tag gehabt hat“, sagte der Bauer, „wenn er sich bsunnen hätt, wäre er vielleicht nicht gegangen; es ist ein bißl ein damischer Heiliger, wenn er da ist, merkt man, daß er das Kommando führt. Heute ist's wieder saggrisch kalt, pfiat Ihmenen — Zeit lossen und kehren Sie auiwärtz zua, die Bäuerin isch schun hoamgongen, i muaß no auf Leahard aussi.“

Hansl war nicht nur ein Faktotum und Original, sondern auch ein Charakter. Gelegentlich meiner dienstlichen Anwesenheit am Schneeberg im Jahre 1938 traf ich ihn dort, wo er als Pensionist in alter Anhänglichkeit an die Betriebsstätte ein bißchen Sommerfrische genoß. Hansl war alt und wassersüchtig geworden; wir nahmen Abschied fürs Leben. Bald darauf erfuhr ich von seinem Tode.

Sonstiges

Am Schneeberg wurde nach vollbrachter Schicht und des Sonntags in den Sommermonaten viel gekegelt. Dabei kam es mitunter zu einer Schlägerei, so zwischen einem Ultner und einem Sarner. Sie gerieten aneinander, wobei der Ultner der stärkere war. Er nahm sein gewonnenes Geld und ging davon. In seiner Erbitterung hob der Sarner einen Stein auf, warf ihn dem Gewinner nach und traf ihn so unglücklich am Kopf, daß er blutüberströmt und lautlos zusammenbrach. Da ich am Schneeberg neben der Funktion eines Arztes auch oberster Polizeichef war, wurde ich geholt. Ich konstatierte Gehirnerschütterung und steckte den Patienten ins Krankenzimmer, wo er vom Hansl Eisumschläge erhielt. Der Täter war sehr erschrocken und weinte wie ein Kind. Ein älterer Kamerad, ebenfalls ein Sarner, tröstete ihn mit den Worten: „Du H..., du dumme, hosch amol gheart, daß a Mensch im Stond isch, an Ultner ozuschlogn? Nia, sia sog i dir!“ Nach ein paar Tagen war der Verletzte wieder arbeitsfähig. Nach Schneeberger Gepflogenheit erfolgte die Aussöhnung in der Betriebskanzlei mit gegenseitigem Händedruck und „Sein wir wieder Kameraden!“ nach Bezahlung des Entgeltes für die Krankenschichten. Der Täter wurde außerdem zu der dienstordnungsgemäß angesetzten Strafe verdonnert.

Auch ich war einmal jung und huldigte der Göttin Diana. Es ging auf Stein- und Schneehühner, Schneehasen, je nach Schnee- und Wegverhältnissen auf die Hahnbalz (Spiel- und Auerhahn), gern auch auf das Furment (Murmeltier). Ein besonders schöner Herbst verlockte uns auf die „Gamsen“ zu gehen. Vier Mann hoch gingen wir los. Unter dem Becher stießen wir auf solche; die Jagd zog sich aber in das Timmelalpengebiet hinüber, so daß wir uns bereits auf Ötztalergebiet befanden. Wir hatten es aber schlecht getroffen, da wir bald andere Jagdgruppen merkten. Ohne zu Schuß zu kommen, mußten wir abziehen und trachteten auf - unser Feld zurückzukommen; wir passierten den Schwarzsee, den ich von früher her noch gut in Erinnerung hatte, und gingen gegen die Gürtelwandscharte ziemlich verärgert zurück. Bevor wir sie erreichten, sagte ich: „Jetzt mache ich noch mein Kompliment“. Meine Kameraden widerrieten mir, dies zu tun; ich ließ es mir aber nicht nehmen. Es dauerte auch nicht lange, pfiff hart an mir vorbei eine Kugel und klatschte in die Halde. „Tuifl eini, für an Gspaß is wolten viel!“ bemerkte einer meiner Kameraden. Ich war auch dieser Ansicht, zog meine Hose rasch über die Kehrseite und war mit ein paar Sätzen über die Schneide (Joch).

Zu den Schneeberger Vergnügungen gehörte auch das Fischen in dem bereits erwähnten Schwarzsee (2545 m). Man ging vom Schneeberg aus in zirka drei Stunden dorthin. An einem Peter- und-Paulstage (29. Juni) versuchten ein Kamerad und ich unser Petri Heil. Wir trafen den See zugefroren an, nur ein paar eisfreie Löcher waren zu bemerken. Wir sahen keine Gefahr und versuchten unser Glück. Plötzlich brach ich durch und sackte sofort ab. Ich trug Bergschuhe, Schneestrümpfe und dazu noch ein Gewand von solidem Passeirer Loden. Es gelang mir aufzutauchen, doch konnte ich mit dem Schädel an der Auftauchstelle das Eis nicht durchstoßen. Glücklicherweise sah ich in der Nähe das Tageslicht, schwamm dem zu und war, nachdem ich schon reichlich Wasser geschluckt hatte, durch die Hilfe meines Kameraden gerettet, der mir im letzten Moment die Angelgerte reichen konnte. Das Wetter war inzwischen umgeschlagen und reichlich stürmisch geworden; trotz eiligen Gehens war mir sehr kalt. Gesottener Wein am Schneeberg tat aber seine Wirkung. Mit einem dreitägigen Schnupfen kam ich davon.

Ich verbrachte meinen Osterurlaub in Klausen und kehrte über Ridnaun zur Betriebsstätte zurück. Beim jetzt nicht mehr bewirtschafteten „Steinbock“ nächtigte ich. Dort waltete die weit über die Grenzen des Landes bekannte Frau Haller, allgemein unter dem Namen „Wirtsnanne“ bekannt. Sie war die Mutter des Hauses und ihre Hände waren nie müßig. Mit dem ist alles gesagt. In der Stube traf ich einen späten Gast im grauen Elend. Er führte folgendes Selbstgespräch: „Tuifl, Tuifl, heint bin i österlich gewesen (beim Sakramentsempfang) und ich habe mir so ordentlich vorgenommen, nicht mehr zu saufen, und trotzdem habe ich wieder einen „Mords-Pidner“ (Rausch). Namenspatron und Schutzengel muaß i schon recht schlechte hobn, sunst wurden sie wohl schaun auf mi — iatz trink i no a Halbe.“ Daraus wurde aber nichts, da der Einschank verweigert wurde. Da ich noch dort zu telephonieren hatte, ging ich zum Sonklarhof, der ebenfalls zum Besitz der Familie Haller gehörte. Die Stube war leer, weswegen ich in die Küche ging. Dort wirtschaftete ebenfalls eine „Nanne“ als dienstbarer Geist. Sie wurde von einem Knappen sehr verehrt; die Nanne hatte aber kein Ohr dafür. Der „Ander“ war ein tüchtiger Schlenkerhäuer (das Schlenkerbohren ist eine besondere Art des Bohrens bei aufwärts gerichteten Schüssen, Schlern 1934, Heft 8). Er fütterte aber oft ein bißchen zu naß. Auch heute hatte es ihn stark vertragen. Er saß hinter dem Küchentisch und als ich eintrat, hörte ich gerade noch: „Jo, jo, Nanne, die Leute lassen wir reden und das Wasser rinnen, dös isch olles unsere Soch!“ Das Wasser rann wirklich, es war aber der Nanne doch zu stark, sie packte ihn beim Kragen und beförderte ihn eigenhändig ins Freie. Besondere Kosenamen bekam der Ander nicht zu hören.

Mein Weihnachtsurlaub war zu Ende. Infolge äußerst schlechten Wetters war der Zugang über Ridnaun zur Betriebsstätte nicht möglich. Ich mußte daher über Meran-Passeier mein Ziel zu erreichen suchen. Von Meran nach St. Leonhard „stellwagelte“ ich. Beim „Teiß“ erwartete mich bereits der Hansl, der mein Gepäck besorgte und mich mit den Worten begrüßte: „Glück auf! Sein Sie iatz kemmen? Aui gian werdn mir koa guats hobn.“ In St. Leonhard war von Dr. Neurauter, genannt „Zeus“, eine Stammtischgesellschaft von Bürgern und Beamten des Dorfes unter dem Titel „Vince luna“ gegründet worden. Mit den meisten dieser Runde war ich schon bekannt und so erwarteten mich, nachdem meine Ankunft durch Hansl bekanntgeworden war, zwei Herren und luden mich zu einer Sitzung für den Abend. Die „Vince luna“ hatte auch ein Orchester und es war ein wirklich schöner Abend in animiertester Stimmung. Die Sitzung dauerte aber sehr lange — der Mond hatte gesiegt, war aber schon im Verblassen. Am nächsten Tag hieß es aber früh heraus und es ging taleinwärts nach Moos. Mit angeschnallten Eisen und eisenbeschlagenem Stock passierten wir den berüchtigten Engpaß der Seemuren, in den Intelligenzkreisen die „Thermopylen“ genannt, und gelangten zum Gasthaus „Am See“. Das Seehaus stand seinerzeit an den Ufern des Kummersees, der im Jahre 1404 durch Felsbrüche entstanden, dem Tale mehrfach sehr verderblich war und 1774 abgeleitet wurde. Die Wirtschaft führte der „Seelois“ und seine Schwester, die „Seegeadl“, unterstützte ihn darin. Sie besorgte das Amt einer Köchin und Kellnerin dortselbst. „Grüaß enk Gott, sein sö amol Pseier bekommen, wos soll man enk denn iatz ohndian? Amol a Schnapsl wia und an Liter Riffener und eppes zum Beißen, der Schneeberger Kaplan kimp a no. A so isch recht — Fockenbeaner und a Kraut waren draußen.“ Es dauerte nicht lange und es kam der Kaplan von Rabenstein heraus und bald darauf die Geadl mit einem Berg von Fockenbeaner (Schweinsrippen), die sehr gut mundeten; vom Berg war bald darauf nicht mehr viel zu sehn. Der Riffener ist ein etwas säuerlich schmeckender, herber Wein, der bei Riffian gedeiht und sich gut trinken läßt, speziell nach einer Sitzung der „Vince luna“ und nach Durchquerung der „Thermopylen“. Durch den Seeboden, den ehemaligen Grund des Sees (heute Wiese), ging es nach Rabenstein, wo neuerdings genächtigt werden mußte.

Am nächsten Tage früh ging es gegen Schneeberg; bei strahlendem Himmel machten wir uns auf den Weg, aber das Wetter änderte sich plötzlich. Graue Wolken zogen auf, kalter Sturm peitschte, heftiges Schneetreiben setzte ein. Nach einer Stunde angestrengten Gehens erreichten wir Großsaltnus, die oberste Siedlung des Passeirertales gegen  Schneeberg hin (ca. 1630 m). Dort hielten wir Einkehr; in der Stube trafen wir den „Klaus“, einen alten Knecht, der bei dem „Bauer“ durch lange Jahre auf Saltnus gearbeitet und nun in den alten Tagen das Gnadenbrot erhielt. Ich reichte ihm mein Schnapsfläschchen. „Teufl, dös ist aber ein guater“, sagte Klaus und gab es mir mit Dank zurück. „Klaus, hosch wohl dein Lebtag a bißl an Schnaps getrunken?“, fragte ich. Klaus sah mich ernst an, plötzlich ging ein Zucken durch seine Mundwinkel und wehmütigen Tones kam es heraus: „O mei, Hear, über alle Jöcher tat er gian“  (der Schnaps nämlich). Wir bekamen von der Saltnuserbäurin ein gutes Halbemittag und gingen nach kurzer Rast wieder weiter. Das Wetter wurde aber immer schlechter — der alte Wetterhase Hansl hatte nur zu recht behalten. Der Aufstieg war mehr als schlecht und wurde aussichtslos. Wir scheuten das wegen seiner Lawinen und seiner Steilheit berüchtigte Buchertal und mußten uns daher entschließen, vom obertägigen Weg abzugehen und durch den Karl-Stollen (ca. 2000 m Seehöhe) den Schneeberg untertags anzugehen. Der Karl-Unterbaustollen wurde am 17. August 1660 angeschlagen. Erst im Jahre 1750 — also nach 90 Jahren — wurde mit diesem Stollen das Erz angefahren und abgebaut. Die auf diesen Erbstollen (weil er von den oberen Bauen alle zugesickerten Wasser erbte und ableiten mußte) gesetzten Hoffnungen erfüllten sich nur im geringen Maße, da konstatiert werden mußte, daß die im oberen Reviere so reich angestandenen Bleierze in der Teufe bedeutend ärmer wurden. Im Jahre 1904 ging man nun daran, diesen Stollen und die dahinter befindlichen Schächte und Baue zu regulieren. Unter Leitung des damaligen Betriebsleiters Dipl.-Ing. August Feuchter, wegen seiner Beliebtheit kurz der „Gustl“ genannt, wurde das Werk angegangen und es war ein besonderes Verdienst des Grubenaufsehers Johann Ploner, eines gebürtigen Latzfonsers, daß der Durchbruch auch vollendet werden konnte. Der Stollen durchfuhr Glimmerschiefer, war ca. 380 m saiger (senkrecht) unter den im Hauptbergbaurevier gelegenen vielen Stollen des Schneebergs. Die ersten 400 m waren in Schlägel und Eisenarbeit getrieben, sodann war mit Pulver gesprengt worden. In ca. 2000 m Länge waren zwei Schächte angelegt, der sogenannte flache und steile Schacht, die die Verbindung mit den obern Peter- und Pockleitenstollen schufen. Diese beiden Schächte waren verbrochen und ersoffen. Die Belegschaft des Karl-Stollens war in einem Gebäude der Aufbereitung in Seemoos untergebracht. Weit über 100 Jahre trotzte es allen Lawinen, bis es im schneereichen Winter 1916—1917 von einer Lawine demoliert wurde. Zum Glück stand es leer, so daß niemand Schaden litt. Bei guten Wegverhältnissen ging man bis zum Stollen zwanzig Minuten. Bei schlechtem Wetter kam man schon naß in denselben und bis auf die Knochen durchweicht verließ man ihn. In Wasser und Schlamm watend, mußte man den Schutt wegräumen, Schienen legen und den Stollen nach unten und nach den Seiten hin erweitern. Man hörte das Aufklatschen fernen Wassers. Im Stollen selbst brausten die Wetter (Luft), so daß man sofort fror, wenn man nicht beständig arbeitete. Nach Richtungsänderung des Stollens zogen die Wetter durch den vorgelagerten Rosenkranzschacht in die oberen Baue. Die Luft stockte, roch nach Dynamitgasen, wurde schwül und legte sich beklemmend auf die Brust; sie schmeckte unerträglich nach Staub und Ölrauch der Grubenlampen. Die Lichter wurden immer zittriger. Bleich und erdfahl sehen alle hier Arbeitenden aus. Die Gewältigungsarbeiten wurden besonders im flachen Schacht immer schwieriger. Es mußte vorgebohrt werden, um die Wasser aus dem ersoffenen Schacht zu lösen und bei einem eventuellen Durchbruch von denselben nicht mitgerissen zu werden. Meter um Meter mußte schwer erkämpft werden. Noch immer fuhr der Stollen durch Glimmerschiefer, aber nun war er zerrissen, zerklüftet, von Lehmeinlagerungen zersetzt. Er hatte keine tragende Kraft, wo man ihn anbohrte, brach das zerrüttete Gestein nach. Überall mußte jetzt Stollenzimmerung aufgestellt werden, um das Gebirge zu halten, den Gebirgsdruck zu übernehmen und es standfest zu machen. Gearbeitet wurde in zehnstündiger Schicht von 6 Uhr bis 16 Uhr und von 18 Uhr bis 4 Uhr früh. In nassen Kleidern gestaltete sich der Heimweg nach Seemoos äußerst schwierig. Draußen herrschte oft heftiges Schneetreiben. Der Wind trieb neuen Schnee heran; derselbe war oft 50—60 cm tief.

Endlich war es soweit, der Durchbruch war gelungen, die Karl-Fahrt offen und eingebaut. Betriebsleiter und Belegschaft hatten mit aller Zähigkeit durchgehalten und das Werk mit großem Fleiß in schwerer Arbeit geschafft. (Auch der Schreiber dieser Zeilen gehörte über ein Jahr zur Karl-Stollen-Belegschaft.) Leider begannen um das Jahr 1910 auch die reichen Zinkmittel nachzulassen; zwecks Sanierung der mißlich gewordenen Verhältnisse des Bergbaues wurden dortselbst zwei elektrische Anlagen errichtet und elektrische Bohrung eingeführt. Im Jahre 1910 wurde im Lazachertale ein Unterbaustollen angeschlagen und auf Veit und Kaindl neue Querschläge getrieben, um das östliche Grubenfeld zu erschließen. Vertaubungen der Lagerstätte sowie Klüfte störten den Erfolg. Der inzwischen beendete Weltkrieg brachte neue Gewerken. Der italienische Staat verpachtete den Schneeberg an die „S.A.I.M.T.“, welche Gewerkschaft mit großen finanziellen Opfern und Anspannen aller Kräfte die Aufbereitung Maiern vollständig umbaute und eine moderne Seilbahn von Mareit über Maiern, Lazachertal, Kaindljoch nach Schneeberg führte. Man konnte nun die armen Erze der Karlbaue mit Erfolg aufbereiten, sie billig ins Tal fördern — die Karl-Grube trug nun reiche Früchte, wenn auch erst 15 Jahre später.

Am Schneeberg hatte sich die Unsitte eingeschlichen, daß sich besonders an Sonn- und Feiertagen Leute in die Privatwohnung des Oberhutmannes begaben, meistens im angeheiterten Zustande, und um Vorschuß ersuchten. Aus begreiflichen Gründen wurde dies abgestellt; es kamen aber immer welche, die ihr Glück versuchten. So war es wieder einmal. Ich verweigerte dies mit der Begründung, er habe sowieso schon zu viel. Der Knappe sagte: „Stimmt, aber ich muß Zündhölzer kaufen zum Pfeifenanzünden.“ Trotzdem ließ ich mich nicht erweichen, worauf er kehrtmachte, „Glück zu!“ sagte und gehen wollte. Das paßte aber mir nicht, denn nach alter Tradition ist „Glück auf!“ der Bergleute gewöhnlicher Gruß. Und würden sie sehr übel empfinden, wenn einer sagen würde „Glück zu!“, weil die Klüfte und Gänge sich nicht zu-, sondern auftun müssen. Das „Glück auf!“ von heute bedeutet leibliches Wohlergehen, der Begrüßte möge sonder Unfall in der Tiefe seine Schicht verrichten und fröhlich und wohlbehalten zu Tage zurückkehren. Ich gab daher dem durstigen Bergmann den verlangten Vorschuß. Derselbe ging mit heiterer Miene ins Gasthaus, bestellte sich seinen Trunk und erzählte seinen Kameraden den Vorfall mit Schmunzeln: „Ich weiß nun, wie man dem Oberhutmann kommen muß. Wenn er nicht ziehen will, brauchst nur zu sagen ,Glück zu!’ und er zieht wie eine Schraube und wird fein wie ein Lampl.“ Die ganze Stube lachte aus vollem Halse und ich auch, als ich das Ganze später erfuhr.

Wir hatten am Schneeberg Ministerial-Inspektion. M. R. A. Edler v. Posch vom Ministerium für Öffentliche Arbeiten war gekommen. Nach altem Brauch war das Gebäude der Betriebsleitung mit Tannengrün geziert, vom Dache wehte in den Knappenfarben Grün-Schwarz eine Fahne. Am Abend wurde der Ministerialrat mit ein paar Märschen begrüßt und als besondere Aufmerksamkeit auch der Bergmannspolka gespielt. Das Musikstück beginnt mit einem feierlichen Andante religioso, versinnbildend das Gebet vor der Einfahrt 3). Im Trio geht dann die Weise in das Polkatempo über und wurde nach dem Takte mit Schlägel und Bohrer gebohrt, auch das Rollen der Hunde markiert und zum Schluß mit einer Pistole geschossen, das Abschießen in der Grube andeutend. Es war eine herrliche mondhelle Sommernacht. Die Musikkapelle war in Bergkittel, Berghut und Leder; Bergleute trugen brennende Grubenlampen. Auch bergmännische Lieder wurden gesungen, kurz und gut, es war ein stimmungsvoller Abend. Herr v. P. war sehr erfreut und bestellte sofort ein großes Faß Bier; auf einige Touristen, darunter einen splendiden Engländer, machte das Ganze großen Eindruck und es gab Bier in unbegrenztem Ausmaß. Der Bergmann ist eine lustige Haut. — Früh morgens 7 Uhr ging es in die Grube zur Befahrung der Ober-Lorenzi- und Kübelschlag-Baue; alles ging glatt, es ergab sich kein nennenswerter Anstand. Gegen Mittag fuhren wir aus, kamen gerade vom Stollenmundloch gegen das Gebäude der Betriebsleitung, als uns eine schwer schwankende Leiche in die Quere kam. Es war der Villanderer Zimmermann M., der blaumachte. Er rückte sein Hütchen: „Glück auf, die Herren alle miteinander! Heint hots mi woll vertrogen. Herrn Ministerialrot hoben sie ongsungen, donn ongeblosen und a ongschossen; wos a recht wor. Mi hot der Schnops ongeblosen, weil is Bier hon miaßen oischwarn.“ M.R.A. v. P., der zuerst die Amtsmiene aufgesteckt hatte, lachte, Bergrat S. (Amtsvorstand von Klausen) warf mir zunächst einen Blick zu, aus dem nicht unschwer zu lesen war: „Schöne Mannszucht!“, lachte auch, der Betriebsleiter Ing. A. F. sagte zu mir: „Teuflszeug zu jeder Stund, der geht uns gerade ab!“ und als Herr M. R. zum Schluß noch sagte: „Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann! Herr Oberhutmann, machen Sie es gnädig!“ da lachten wir alle zusammen. Und es war gut so.

Die Schneeberger waren und sind ein eigenes Völkchen. Mehr als 500 Jahre, wenn auch mit Unterbrechungen, ist auf diesem Berge Erz gebrochen worden. Wer zählt die Schweißtropfen, Sorgen und Leiden der Belegschaft? Was mußte alles ertragen werden, denken wir nur an jene Zeiten, wo es nur Herren und Knechte gab, dazu die Härten des Berges! Man braucht nur die Exvotos im Knappenkirchlein am Schneeberg anzusehn. Züge von Saumrossen gingen langsam und feierlich wie in Prozession inmitten des Pfades und die Glocken läuteten, denn jedes Tragtier hatte um den Hals eine Glocke. Dort knien 19 Berggesellen, die am 29. März 1693 von einer Lawine verschüttet wurden und zu Moos in Passeier begraben liegen. Die Belegschaft hatte sie zum letzten Gange begleitet. Ein anderes Bild zeigt einen „Sackzug“. Das von Hand aus zerkleinerte und geschiedene Erz wurde hiebei in Säcke aus behaarten Schweinshäuten gefüllt und bildeten mehrere aneinandergereihte Säcke (4 bis 5 Stück) einen „Sackzug“, der von einem Manne auf kleinem, niedrig gestelltem Holzschlitten (Bock) in einer schmalen Schneerinne mit riesiger Geschwindigkeit zu Tal gebracht wurde. Wegen der zumeist sehr steilen, vielfach gekrümmten und oft ganz eisigen Gleitbahn gehörte viel Geschicklichkeit, Kraft und Übung zur Führung eines solchen etwa zehn Meterzentner Ladung haltenden „Sackzuges“ und mußten die entleerten Säcke unter großen Strapazen von den Führern (Sackziehern) wieder zur Grube getragen werden. Wer zählt die vielen mit dem Bergbau verknüpften Gefahren durch plötzlichen Einsturz von Stollen und Strecken, Wassereinbrüche, schädliche Gase, Lawinenstürze und allerlei andere Unfälle? Was für Armut und Elend grinst aus den Tatsachen, daß die Gewerken den Pfennwert (Preis der Naturalien, Getreide, Schmalz) hinauftrieben und die Bezahlung des Freigeldes durch Jahre hinausschoben, so daß die Regierung nach langem Bitten und Drohen schließlich eingreifen mußte. Viele Leute erhielten überhaupt kein Bargeld auf die Hand bezahlt, weil die aufgenötigten „Pfennwerte“ den ganzen Verdienst aufsaugten, und nicht selten waren die Leute den Bergherren sogar in vorhinein Arbeit schuldig. Es ist wohl begreiflich, daß diese Ablöhnungsverhältnisse die Knappschaft unerträglich drückten und sie zu förmlichen Leibeigenen der Bergherren — insbesondere der Fugger — stempelten. Auch die Zusammenballung einer großen Anzahl von Leuten auf verhältnismäßig kleinem Raum (etwa 1000 Knappen i. J. 1486) auf dem „höflichen“ Schneeberg in hochalpiner Lage und in gänzlich unzureichenden Unterkünften brachte Krankheiten und Seuchen. Ohne Rücksicht darauf, ob es die Grube vertrug, wurde Raubbau getrieben, was den Betrieb sehr schwächte. Nach der Blüte 1486—1600 kam der Verfall 4).

Doch der alte Bergbau sollte noch einmal aufblühen und neue Rosen zeitigen. Im Jahre 1842 wurde in der Schmelzhütte zur Sulferbruck bei Klausen, Haltestelle Villnöß, der erste Zinkofen aufgestellt. Bei den hiebei gemachten Versuchen stellte es sich heraus, daß sich die Schneeberger Zinkblende wegen ihrer Reinheit und Gutartigkeit zum Destillieren vorzüglich eigne. Doch waren die Transportkosten per Achse vom Schneeberg nach Klausen noch zu groß, um mit Erfolg einen größeren Betrieb auf Blende einleiten zu können. Diesem Übelstande machte die im Jahre 1866—67 erfolgte Fertigstellung und Eröffnung der Brennerbahn ein glückliches Ende. Nun waren die Grundlagen für eine erträgliche Verfrachtung auch auf weitere Strecken gegeben. Die Gewinnung von Bleierzen trat fast vollständig in den Hinter-, die Zinkgewinnung in den Vordergrund. Nachdem der Bergbau in den letzten Jahren vorbereitet, fachmännisch untersucht und die Zinkblende wiederholt analysiert worden war, erfolgte im Jahre 1871 die bergbehördliche Verleihung von 32 Grubenmaßen. Gleichzeitig erfolgte in Cilli der Bau einer eigenen Zinkhütte zum Verschmelzen der Zinkerze von Raibl und Klausen. Nach der Verleihung der Grubenmaße im Jahre 1871 erfolgte in rascher Folge der Bau der Erzaufbereitung in Maiern, der Bau der Transportanlage mit den Bremsbergen und Horizontalbahnen im Lazachertale und der Bau der Erzstraße Maiern—Mareit mit dem Bremsberge dortselbst usw.

Die Schneeberger waren rauhe, aber biedere Gesellen, tüchtig bei der Arbeit, jedoch auch lebensfroh, dem Gesange und Saitenspiel keineswegs abgeneigt. Für ihre Frömmigkeit zeugen zahlreiche Knappenkapellen, häufig den Schutzpatronen Sankt Barbara, St. Anna oder Magdalena geweiht, sowie Bildstöcke. So entstand in Ridnaun schon 1483 auf einer das ganze Tal beherrschenden Anhöhe eine eigene Knappenkirche (Magdalenenkirche) in spätgotischem Stil mit Turm und einem prachtvollen noch vorhandenen Altar. In der Predella Beweinung Christi. Im Mittelschrein St. Magdalena, nur mit einem leichten Linnen über dem haarüberwachsenen und von langem Haupthaar umhüllten Körper, wird von vier Engeln in die Luft gehoben; unter ihren Füßen ein Felsen, in dem Bergknappen arbeiten. Am Talweg unmittelbar vor dem Dorfe Mareit ein Bildstock mit oben am Schaft Bergwerkswappen und Jahrzahl 1537; darüber Nische mit Gnadenbild „Maria mit dem geneigten Haupte“ 5).

Es kam das Jahr 1914 und damit der erste Weltkrieg. Mit dem ersten Mobilisierungstage rückten 82 Mann der Belegung Schneeberg zu den Fahnen. Der Schneebergerkaplan las uns noch eine Feldmesse, die Musikkapelle spielte die Haydn-Messe — es erscholl das Kommando: „Zum Gebet!“, das Signalhorn gellte gegen die Gürtelwand und blies dreimal ab. Wir wußten, es kommt eine neue Zeit. Die Schichtglocke läutete manchem zum letzten Male. Die Glöcklein des Schneebergerkirchleins tönten mit.

Wo standen nicht überall Schneeberger? In Serbien, in Rußland, am Isonzo, in den Eiswänden des Ortlers, der Marmolata, in den Graten der Tofana, am Casteletto, in Terragnola, auf der Hochfläche von Folgaria und in den Panzerwerken der Festung Trient.

In treuer Kameradschaft, zusammengeschweißt im Leben, im Beruf und in der großartigen Natur, stellten sie überall ihren Mann. Denn es war oft ein harter, weiter Weg, besonders im Winter, wenn der Schnee liegt. Das wissen die wohl, die darüber gegangen sind.

1) Großsaltnus war gegen Schneeberg von der Passeirer Seite her die höchstgelegene Siedlung.

2) Oeß, 1800 m hoch gelegen, war eine Unterkunft für das Galtvieh und wurde von Großsaltnus aus auch die Wintermonate über betreut.

3) Wallnöfer: Über alte Bergmannsbräuche in unserer Heimat, „Schlern“, Jahrgang 1928, Heft 5.

4) Srbik: Überblick des Bergbaues von Tirol und Vorarlberg in Vergangenheit und Gegenwart (1929).

5) Dr. Weingartner: Kunstdenkmäler Südtirols, Bd. 1.

Kirche Bergbau Schneeberg im Passeier

Federzeichnung von Hugo Atzwanger

Quelle: Hans Wallnöfer, Streiflichter aus einem hoch- und abgelegenen Bergbaubetrieb, in: Der Schlern, Illustrierte Monatsschrift für Heimatkunde und Volkskunde, 24. Jahrgang, 12. Heft, Dezember 1950, S. 458 - 466.
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