Talkabbau Naintsch - Der Schatz im Rabenwald
Von Dr. H. E. Wagner
Stünde dieser geheimnisvolle Titel nicht im „Universum", könnte der Leser glauben, der Verfasser wolle hier ein Märchen oder eine Sage aus uralten Zeiten erzählen. Nun, dem ist nicht so, denn der Titel hat — wie wir gleich sehen werden — einen durchaus realen Hintergrund.
Der Rabenwald ist ein langgestreckter Bergzug zwischen den oststeirischen Flusstälern der Feistritz und der Pöllauer Safen, mit einer Gipfelhöhe von 1381 m. Zwei vor allem den Wienern wohlbekannte Sommerfrischenorte liegen zu seinen Füßen: an der östlichen Seite der Markt Pöllau mit seinen beherrschenden ehemaligen Stiftsgebäuden, auf der südwestlichen Seite der Markt Anger, angeschmiegt an die Ausläufer des Weizer Berglandes und an der Straße gelegen, die durch das Feistritztal aufwärts über Passhöhen ins Mürztal führt.
Der Rabenwaldkogel, wie er offiziell auf den Landkarten heißt, ist heute von Stubenberg aus durch eine mit Kraftwagen befahrbare Straße fast bis zum Gipfel erschlossen und ist bereits ein beliebtes Ausflugsziel geworden, da die herrlichen Wälder, die ihn bedecken, und die wunderbare Fernsicht durchaus als Anziehungspunkte gelten dürfen.
Dieser Berg nun, der mit seiner in 1000 m Seehöhe gelegenen wundertätigen Gnadenkapelle, dem „Grünbrünndl", auch sagenumwoben ist, birgt einen ganz besonderen Schatz: den Talk, der aus der heutigen Industrie nicht mehr wegzudenken ist, und der deshalb hier in großem Maßstab ausgebeutet wird.
Als äußeres Zeichen, dass sich die Technik dieses Berges bemächtigt hat, fällt, weithin sichtbar, die 5 km lange Drahtseilbahn dem Abtransport des auf der Höhe gewonnenen Rohstoffes dient.
Der Talk ist ein weiches, sich fettig und glatt anfühlendes Mineral, ein wasserhaltiges Magnesiumsilikat von weißer, grünlichweißer oder gelblichgrauer Färbung. Seine dichte Abart heißt Speckstein (Steatit). Im gemahlenen Zustand nennt man das Mineral Talkum Federweiß, es ist als solches jedem passionierten Walzertänzer und auch Kartenspieler ein Begriff. Der Härtegrad ist 1, es steht somit am Beginn der üblichen Härteskala für Minerale. Die Dichte beträgt 2,8, der Schmelzpunkt liegt bei 1400° C. Talkum ist wasserabweisend, feuer- und säurefest, Öle und Harze sowie Farbstoffe werden leicht aufgenommen, woraus sich seine vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten erklären.
Abb. 1. Im Tagbau wird die Lagerstätte mit Presslufthämmern, Sprengschüssen und Krampen abgebaut.
Die derzeitige österreichische Моnatsproduktion beträgt rund 5000 bis 6000 t, werden in der Steiermark gewonnen, der Rest in Kärnten. Das bedeutendste Vorkommen liegt im Rabenwald, der allein 75% der österreichischen Produktion liefert, dann folgen in der Steiermark die Fundorte Mautern, Oberdorf a.d.L. und Lassing bei Selzthal. Der Talkbergbau am Rabenwald ist sehr alt, steirisches Talkum wurde seinerzeit über Venedig unter der Bezeichnung „Talcum Venetum“ in alle Welt verschifft. Der zweite bedeutende Abnehmer war früher die steirische Eisenindustrie, die den Talk, in Ziegelform geschnitten, zur Auskleidung der Schmelzöfen in den Radwerken benötigte.
Abb. 2. Die Abfuhr vom Abbau erfolgt in Hunden
Die "Talkumwerke Naintsch“ (2010: Naintsch Mineralwerke GmbH), von denen in der Folge die Rede sein soll, entwickelten sich aus einer Schwefelkiesgrube im Naintschgraben nördlich von Anger, deren Ausbeutung im Weltkrieg begonnen wurde, nach dessen Beendigung aber wieder aufgelassen werden musste. Statt dessen wurde mit dem Abbau des Talks auf der Rabenwaldhöhe begonnen, 1918 der Bau der Drahtseilbahn beschlossen und der Betrieb in den folgenden Jahren ausgebaut und durch den Ankauf anderer Unternehmen erweitert (1938 Lassing bei Selzthal, 1943 Hirt bei Friesach, 1949 Werk Stubenberg, 1952 Werk Weißkirchen bei Judenburg).
Erwähnt sei, dass außer diesem Unternehmen auch noch zwei weitere Betriebe ihre Tagbaue und Gruben am Rabenwald besitzen.
Wir wollen nun die bergbaumäßige Gewinnung des Talks verfolgen und begeben uns zunächst auf den Rabenwald zu denjenigen Stellen, wo dieser wertvolle Rohstoff teils im Tagbau, teils unter Tag gefördert wird. Wir haben den Betriebsleiter gebeten, uns zu den interessantesten Abbausteilen zu führen, und so steigen wir von der Werkskantine noch einige Minuten bergauf und gelangen zunächst zu einem neu aufgeschlossenen Tagbau, einem Stück Gelände, von dem der Caterpillar die oberste Erdschicht in der Dicke von etwa einem Meter abgeschoben und damit bereits fündige Stellen freigelegt hat, da sich hier das Mineral schon knapp unter der Humusschicht finden lässt. Arbeiter sind dabei, sich in das Gestein vorzuarbeiten. Ein Stück oberhalb dieser Stelle betreten wir einen in vollem Betrieb befindlichen Tagbau, wo die Lagerstätten mit Presslufthämmern, Sprengschüssen oder auch mit dem Krampen abgebaut werden (Abb. 1). Das gewonnene Material wird in Hunde verladen und zu den Sturzschächten gebracht, von wo aus es durch ein sinnvolles System von weiteren Stollen und Schächten zum Hauptschacht gefördert wird, der die Hunde in den Förderschalen direkt in die Sortieranlage bringt. Die Abfuhr vom Abbau und das Abstürzen in einen Schacht ist in den Abbildungen 2 und 3 gezeigt.
Abb. 3. Das gewonnene Material wird in Hunde verladen und zu den Sturzschächten gebracht
Im Gespräch erfahren wir, dass derzeit vom besuchten Betrieb drei größere Tagbaue und etwa 18 Orte (unter Tag) ausgebeutet werden. Etwa 8 bis 10 Waggons zu je 10 t können täglich an Rohmaterial gewonnen werden. Das taube Gestein, das — obwohl zum Teil auch weiß — an seiner rauen Oberfläche und an seiner größeren Härte kenntlich ist, wird in großen Halden abgelagert. Interessant ist, dass man bei den Tagbauen immer wieder auf Stollen aus alter Zeit stößt, deren Grubenholz noch deutlich zu sehen ist, ebenso wie die Reste und Abfälle des ehemals gewonnenen Schnittsteines, der früher mit Handsägen bearbeitet wurde, um die kantigen Ziegel für die Ofenauskleidung zu formen. Heute wird jedoch hierzu Magnesit verwendet und der Talk ausschließlich vermahlen.
Der tiefste Schacht misst etwa 70 m, das Stollensystem umfasst eine Länge von rund 5 km. Der überwiegende Teil des Rohstoffes wird unter Tag gewonnen. Heute werden auch Lagerstätten über alten Stollensystemen tagbaumäßig aufgeschlossen, die man früher nicht beachtete.
Von den Brüchen oder aus der Grube kommt das Material in die Sortieranlage, wo die scharfen Augen und eingearbeiteten Hände von Frauen die Stücke nach ihrer Qualität (vor allem nach dem Weißegrad) in die Sorten I bis V des noch unvermahlenen Rohstoffes von einem Gummiband wegsortieren und in die entsprechenden Bunker werfen. Diese Arbeit (Abb. 4) geschieht so flink, dass das Laienauge kaum folgen kann.
Abb. 4. Blick in die Sortieranlage
Nun verlassen wir die luftige Höhe des Rabenwaldes und begeben uns zum anderen Ende Seilbahn im Tale und besichtigen das Werk Anger (Abb. 5), wo der vom Berg kommende Rohstoff bis zum Versand weiterverarbeitet wird. Die Lage an der Schmalspurbahn Weiz — Birkfeld ermöglicht die bequeme Verladung des Produktes.
Abb. 5. Das Werk Anger, wo der Rohstoff bis zum Versand weiterverarbeitet wird
Von den Seilbahnwagen weg werden die verschiedenen Talksorten in die dafür vorgesehenen Bunker gestürzt, von diesen aus wird das noch feuchte Material in die Trockentrommel geleitet, die ständig rotiert und durch Schwerölfeuerung auf einer Temperatur von etwa 200° С gehalten wird, dass dem Rohstoff die natürliche Feuchtigkeit entzogen wird. Getrocknet gelangt das Material in die Brecher und Mühlen, die es zu der verlangten Feinheit vermahlen. Entsprechend der Verwendung in der weiteren Produktion müssen die verschiedensten Weißegrade (eingeteilt in A bis H) und die mannigfaltigsten Feinheiten, von gröberer Körnigkeit bis zur Puderfeinheit, erzielt werden können. Die nach dem Mahlgang mit dem Material beschickten und in ständiger kreisender Bewegung befindlichen sogenannten „Plansichter" liefern die weniger feinen Korngrößen und die sogenannten „Windsichter" die feinsten Sorten, bei denen die Sichtung nicht durch feinste Siebgewebe, sondern durch den Luftstrom erfolgt. Durch die automatische Abfüllvorrichtung werden Papiersäcke von je 50 kg Inhalt zur Versendung an die Verbraucher bereitgestellt.
Das Produkt „Talkum" mit seinen vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten ist ein wesentlicher devisenbringender Exportartikel, finden doch zahlreiche Abnehmer in Westdeutschland, Holland, Schweiz, Polen usw. So gehen zwei Drittel der Produktion der Talkumwerke Naintsch in das Ausland, und man kann sagen, dass die steirischen und kärntnerischen Talkbetriebe im mitteleuropäischen Markt führend sind.
Während bis etwa 1900 Talkum im wesentlichen nur für die pharmazeutische Industrie Bedeutung hatte und, wie erwähnt, auch für die Eisenerzeugung, ist heute eine viel umfangreichere Verwendung festzustellen: etwa 20 Industrien mit etwa 60 Verwendungsmöglichkeiten können als am Talkum interessiert bezeichnet werden. Die wichtigsten seien hier kurz angeführt:
Baustoffindustrie (Bestreuungsmaterial für Dachpappe, das das Zusammenkleben der Rollen verhindert und die Dachpappe wasserabweisend macht, Zusatz zu gegossenen Fußböden, zu Zement und Verputz), Kautschukindustrie (Füllstoff, Einstaubmittel für Kabel, Vulkanisation), Papierindustrie (Füllstoff, Satinieren und Glätten des Papiers), keramische Industrie, Gießerei (Formpuder), Textilindustrie (Appretur), Farben- und Lackindustrie, pharmazeutische Industrie, kosmetische Industrie (Puder), Nahrungsmittelindustrie (Polieren des Reises in den Schälmühlen, Backstreumehl, Konservierungsmittel), Lederindustrie, Bleistifterzeugung, Sprengstoffherstellung, chemische Industrie (Schädlingsbekämpfungsmittel als Träger der Insektizide, Kunstdüngerproduktion, Kitt- und Wagenschmiererzeugung usw.).
So haben wir im Zuge einer Wanderung in der oststeirischen Landschaft die Gewinnung und Verarbeitung eines kostbaren Schatzes kennengelernt, den uns Mutter Natur im Rabenwald darbietet. Und wenn wir nächstens ein Puder auf unsere wundgelaufenen Füße streuen oder damit unser schreiendes Baby beruhigen, dann denken wir daran, dass das schmerzstillende und heilende Mittel hoch in den steirischen Bergen gewonnen wird.
Quelle: H. E. Wagner, Der Schatz im Rabenwald, in: Universum, Natur und Technik, 11. Jahrgang 1956, S. 524 - 527. Fotos: H. E. Wagner.
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