Runkelstein.
In der Nacht, in welcher der Reisende noch gegen die Höhe des Brenner hinaneilt, gemahnt ihn nichts an die wilden Berge, als das Rauschen der Wasser in der Tiefe. Bald erglänzen im Frührot die Gletscher von Pflersch und Brixen, die er im schwarz-blauen Tauduft des erwachenden Morgens erblickt. Die ersten Kastanien, das blendende Mauerwerk der Kapellen und die Rebenreihen stehen im Frühstrahl da und ahnungsvoll dringt sein Blick ostwärts in die noch halbbeschatteten Schluchten, die zu den Wundern der Dolomiten führen.
Runkelstein bei Bozen
Die silbernfarbige Mandel und der endlose Weingarten von Bozen bereiten ihn auf Wälschland vor, weiter unten ragen den Wolken an Farbe ähnliche Roën und andere Kalkberge des westlichen Flußufers schon über jene Felder auf, die Gärten, und über jene Gärten, die Felder sind. Gelbrot glänzen dort die Früchte der Pfirsichbäume und die Trauben hängen an den Wölbungen der Bogengänge, wie die Stalaktiten von der Decke einer Grotte.
Und kommt der Abend, so verspürt er kaum eine Abkühlung der schwer lastenden Wärme. Nur manchmal regt sich ein Luftzug aus einem der höheren Seitentäler heraus. Vielleicht hört er dann andächtige Gesänge, mit welchen die Menschen, des heißen Tages müde, vor irgend ein Bild der heiligen Jungfrau am Mauerwerk der Gärten hinausziehen, und sich vor ihm, das von einer Ampel der Nische erhellt ist, niederknien.
Dann aber kommt die Sommernacht, die wie Blei auf Brust und Gliedern liegt und aus welcher er umsonst sich wieder hinaussehnt in die kühlen Gründe des Nordens, von denen ihn der Dampfwagen so unglaublich schnell daher geführt hat, daß es ihm ein Traum scheinen möchte, wenn das Summen der geflügelten Peiniger und die unbewegliche Luft nicht wäre, in der er sich wie in eine erhitzte Gruft eingebettet vorkommt.
Hier oben am Eisack erhebt sich Schloß Velthurns mit schönem Getäfel und wohl erhaltenem Gemäuer, ferner Garnstein in der wilden Schlucht des Thinnerbaches, das erbaut war, um die Straße zwischen Velthurns und dem Ritten zu schützen, - vor Allem aber die „Akropolis" von Klausen, das untergegangene Castell Seben, auf dessen Trümmern heute das berühmte Nonnenkloster steht.
Die Heimat der Minnesänger aber ist uns zugleich ein Anzeichen von der Nähe des warmen Etschlandes, in welchem der Wein den Sängern der zahlreichen Burgen ein begeisternder Genosse war. Es kommen nun die Burgen im heißen Bozener Becken und an den Geländen Merans, und nur ein Tagemarsch trennt das Castell des Wolkensteiners von dem des edlen Sängers Rubein, das von Zypressen beschattet wird. Da beginnt ein anderes Land. Wäre nicht die trennende Geschichte dazwischen getreten, so läge dort die deutsche Provence. So aber ist es mit allen Minnesängern und deutschen Burgen ein schier vergessener Winkel unseres Vaterlandes geblieben, bis - erst in unseren Tagen - der Dampfwagen wieder ein Band fester geschlungen hat, das nie mehr wieder so schlaff werden wird, als es die geistige Verbindung deutschen Wesens nördlich der Alpen und am Zusammenfluße des Eisack und der Etsch Jahrhunderte lang gewesen ist.
Runkelstein
Im Burghofe von Runkelstein
Runkelstein an der Talfer ist die durch Lied und dichterische Überlieferung gefeiertste Burg des Landes. Auf ihr dichtete Konrad der Vintler zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts seine „Blumen der Tugend" und ihre Wände wurden zur selben Zeit mit den herrlichen Fresken geschmückt, welche Szenen aus Gottfrieds von Straßburg Tristan und Isolt [Isolde] darstellen. Diese Gemälde sind bis heute ein Wallfahrtsort begeisterter Kunstverständiger geblieben.
Herr Sendlinger, ein Münchener Meistersänger, stellte schon am Ende des vierzehnten Säculums auf dieser Burg deren Chronik zusammen, und so verdient Runkelstein den Schimmer, der sich aus alter Zeit um dasselbe webt, wenn gleich in jenen Tagen mehr als ein tirolischer Ritter der Dichtkunst eine Stätte bereitete und die Wände seiner Burg mit Gemälden schmücken ließ. Von diesem Castell mag aber mit Fug gelten, was ein deutscher Sänger unserer Tage ihm nachrühmt:
„Noch immer freut’s mich, o Runkelstein,
Daß ich zur guten Stunden
Durch der Talfer felsenge Schlucht hinein
Den Weg zu Dir hab' gefunden.Wer immer in's sonnige Etschland fährt,
Halt' Einkehr in diesen Räumen,
Und ist ihm eine Isolde beschert,
Mag er hier von ihr träumen!"
Quelle: Heinrich Noe, B. Johannes, Die Burgen von Tirol in Bild und Wort, Partenkirchen ca. 1890, Nr. 3 und 4.
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