Fernstein.
Unter denjenigen Tiroler Landschaften, welche man zu Wagen erreichen kann, mag es keine anziehendere geben, als den Fernpaß, der aus den Tälern der Loisach und des Lechs zum oberen Inntal führt. Die malachitgrünen Seen zu beiden Zeiten des Paßes sind es vornehmlich, welche das Entzücken der Reisenden hervorrufen.
Es läßt sich darüber streiten, ob die grünen Waldspiegel im Norden oder im Süden des Fern mehr das Auge durch ihr unvergleichliches Farbenspiel anziehen - der Preis, welchen Naturschönheit zu beanspruchen hat, mag unentschieden bleiben im Süden fügt geschichtliche Erinnerung ihre bedeutsamen Züge in das Bild ein und darum sind uns die südlichen Abhänge weit öfter in Wort und Bild verherrlicht worden als die nördlichen, welche zwar das Himmelblau und Smaragdgrün ihrer Wasser, ihre schweigsamen Wälder, ihre bleichen Kalkgiebel, aber keine Gemäuer aufzuweisen haben.
Am Fersteinpasse sind es, nebst der alten Straße, ihren Zerbrochenen Pfeilern, den Schaumbächen, welche zum glasklaren See abstürzen, den anheimelnden Waldwegen um die grüne Flut, insbesondere die Trümmer des Fernstein und der Sigmundsburg, welche die Schaulust des Vorübergehenden befriedigen.
Fernstein
Freilich ist von der alten Klause Fernstein, unter deren Torbogen sich einst die Straße hindurchzog, nicht mehr Alles übrig. Wir sehen, wenn wir von der Paßhöhe auf der halb in die Tiefe gestürzten alten Straße hingehen (von welcher die Landschaft viel besser überschaut wird, als von der neuen aus), ein Trümmerwerk, einen Turm, einen Bogen, abgebröckeltes Gemäuer, Terrassen, die meist der Verteidigung dienten und in welchen jetzt Gemüse grünen.
Hier war es, wo wenige Bauern den Herzog Moritz von Sachsen, der Karl V. nachjagte, sechsunddreißig Stunden aufhielten und seinem Volke viele Verluste beibrachten.
Drüben aber zwischen den Seen, auf waldigem Kegel, der von zwei Buchten begrenzt wird, ragt die Sigmundsburg, noch weit mehr zerfallen, als der alte Fernstein. Auch sie hätte ursprünglich die Aufgabe, den Paß zu verteidigen. Später aber richtete sie sich (und zwar in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts der „münzreiche“ Herzog Sigmund, welcher in den Seen fischte und auf den Bergen jagte, zu einem Lustschlosse ein, wie er an vielen anderen Orten des Landes tat - denn es war ein munterer Herr, dem der Aufenthalt im Freien über alles Andere ging. Von ihm erhielt sie den Namen Sigmundsburg, wie zu jener Zeit im Vompertal das schöne Schloß Sigmundslust mit dem großen Fischteiche entstand, aus dessen Fenstern man einen so schönen Blick über das herrliche Unterinntal genießt.
Nach dem Tode des Herrn, der so lange Jahre sein Tiroler Land regiert, verfiel das Lustschloß und heute ist es zur Dekoration der tiefgrünen Seen und ihres luftigen Waldhintergrundes geworden.
Quelle: Heinrich Noe, B. Johannes, Die Burgen von Tirol in Bild und Wort, Partenkirchen ca. 1890, Nr. 18.
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