Kulturhistorisches zum Puppenspiel
Miriam Schaffner, 2007
Im Vorfeld: Vier Grundformen der Spielfigur
Geschichtliches: Wanderwege der Puppenspieler, Wandlungsprozesse der Spielfigur
Vorformen: Kobolte, Tatermane, Manteltheater, die ersten Handpuppen
Die ersten Marionetten in Europa
Papa Schmid und die Anfänge des Kindertheaters
Puppentheater als Kunsterlebnis
Das zwanzigste Jahrhundert, Künstler finden sich in München
Ein Zürcher Kunstereignis, das nachhaltig wirkte
Rückblick und inhaltliche Zusammenfassung
Erster Teil: Im Vorfeld: Vier Grundformen der Spielfigur.
Aus den vier Grundformen: Handpuppe, Marionette, Stabpuppe und Schattenspielfigur haben sich im vergangenen Jahrhundert in Europa etliche Mischformen entwickelt.
Die Schattenspielfigur wird nur in diesem Teil erwähnt, sie gehört zwar zur Gattung Puppenspiel.
Das Schattenspiel jedoch stellt aufgrund seiner Eigengesetzmässigkeit eine Art losgelöste Kunstform dar, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
Die HANDPUPPE wird von unten geführt.
Der Spieler steckt seine Hand in ihr Kostüm. Auf seinem Zeigefinger sitzt der Kopf, in die Arme werden der Daumen und der kleine Finger gesteckt.
Die Handpuppe ist in hohem Masse an den Spieler gebunden, dessen Hand ihren Körper darstellt.
In diesem Sinne verfügt sie im Gegensatz zur Marionette über keinerlei Eigengesetzlichkeit in ihren Bewegungsabläufen.
Sie eignet sich vor allem für spontanes Stegreifspiel, darin ist auch ihre Tradition begründet.
Die Vorfahren des Kasperle sind u.A der englische Punch, der italienische Pulchinella aus der Commedia dell Arte, der Hanswurst und der Meister Hämmerlein.(vergl. dazu: die ersten Handpuppen.)
Deren menschliches Urvorbild war vermutlich der römische Mimus calvus „Maccus“.
All ihnen ist gemeinsam, dass sie zum Typ der sogenanten lustigen Hauptfiguren gehören.
Als Sprachrohr der Volksseele verspotteten sie die Obrigkeit.
Die MARIONETTE ist eine bewegliche Gliederpuppe, die mittels Stäben, Drähten und Fäden von oben geführt wird. Ihre Gestik unterliegt der Schwerkraft und beschreibt geometrische Formen und Linien.
Die in Europa ältesten, noch erhaltenen Marionetten sind ca 40 cm. hoch und werden durch einen dünnen Eisenstab geführt, der senkrecht durch den Kopf hindurch im Bauch verankert ist und das ganze Puppengewicht trägt.
Die Arme hängen an Fäden, bezw. Draht. Der Kopf ist aus Holz geschnitzt, die Gliedmassen sind aus Blei. Dank ungleicher Länge der Beine können sie schlenkern.
Die späteren Vollmarionetten hängen ausschliesslich an Spielfäden, die über ein Spielkreuz geführt und koordiniert werden.
Im Ruhezustand zeigen alle Pendel der Figur nach unten, durch Fadenkraft werden sie angehoben, wobei ein Pendel das andere beeinflusst.
Zur Entstehung des Namens „Marionette“ gibt es verschiedene Hypothesen:
Hinweise aus Italien führen nach Venedig. Zur Zeit, als sie dort auftauchte, wurden anlässlich der Feste delle Marie von Strassenhändlern hölzerne Marienfiguren verkauft, die „Marionette“ genannt wurden. Frankreich bezieht sich auf den spätmittelalterlichen Namen „Mariola“, (kleine Maria), der sich über „Mariotte“ allmählich zu „Marionette“ entwickelt hat. Womit wiederum Marienstatuetten bezeichnet wurden.
Hingewiesen wird auch auf die Heldin „Marion“ aus einem Schäferspiel im 13. Jahrhundert, sowie auf die „Marotte“, das Szepter des Narren.
Die Bezeichnung Marionette wird noch heute in Frankreich für alle Theaterpuppen verwendet.
Die STOCKPUPPE bzw. STABPUPPE wird wie die Handpuppe von unten geführt.
Ihr Kopf, an einem Stock befestigt, ist insofern vom Körper unabhängig, dass er gegenüber der Schultern nach beiden Seiten gedreht werden kann.
Die freie Hand des Spielers bewegt die Arme der Figur, die an Stäben befestigt sind. Bei chinesischen Stockpuppen werden die Puppenarme mittels Stäbchen innerhalb des Puppenkostüms geführt.
Die Figuren können unterschiedlich gross sein. Bei kleineren Figuren führt der Spieler mit jeder Hand eine Puppe.
Benghalische und javanische Figuren tauchen in Europa um 1912 erstmals auf. Vorher war die Stabpuppe in Europa bis auf wenige Ausnahmen unbekannt. Diese javanischen Figuren tragen ihre Armstäbchen ausserhalb des Puppenkostüms und werden deshalb Stabpuppen genannt.
Völlig unabhängig von Asien soll ein russisches Ehepaar im Jahre 1927 diese Figurenart erfunden haben.
Die rheinischen Stockpuppen wiederum, stecken auf einem Eisenstab der in einem bis zum Boden reichenden, besenstielartigen Stock versenkt ist.
Anfangs 19. Jahrhundert wurde dieser Figurentyp nach dem Vorbild belgischer Marionetten entwickelt.
Die Führungsstäbe wurden einfach von oben nach unten umgedreht.
Die SCHATTENSPIELFIGUR zeichnet sich dadurch aus, dass nicht die Figur selbst, sondern deren Schatten sichtbar wird. Dies geschieht hinter einem Schirm, der aus einer gespannten, von hinten beleuchteten Leinwand besteht. Zwischen Lichtquelle und Leinwand wird die Figur bewegt.
Schattenspielfiguren sind flach, reliefartig gestaltet und meistens im Profil oder Halbprofil dargestellt. Sie bestehen hauptsächlich aus Materialien wie Pappe, Holz, Metall, lichtdurchlässiges Pergament sowie ölgetränkte Tierhaut.
Wie die Stabfiguren werden sie von unten geführt.
Schattenspiele sind im asiatischen Raum noch heute von hoher Bedeutung und stammen aus z.T. sehr alten Traditionen. Auf Java und Bali beispielsweise werden im dramatischen Wayangspiel in Form von religiösen Zeremonien, durch Fackeln beleuchtet, klassische Mythen und Heldenephen mit Schattenfiguren vorgeführt. Diese dauern oft nächtelang.
Im türkischen Karagötzspiel hingegen, wird derbes und spöttisches Volkstheater gespielt.
Aus dem wohl ältesten, dem chinesischen Schattenspiel erzählt eine Legende:
Kaiser Wu (140 – 87 v.Chr.) bestellte in grosser Trauer um den Tod seiner Lieblingsfrau einen Magier zu sich. Dieser sollte die Tote hinter einem Totentuch, das in den Türrahmen gespannt wurde, für kurze Zeit zurückbeschwören.
Eines Abends zerriss Wu in seiner Sehnsucht und Verzweiflung das Tuch hinter dem sich der Schattenspieler befand.
Was dessen Schicksal betraf, darüber scheiden sich die Geister. Die einen behaupten, er sei zum Tod im finsteren Kerker verurteilt worden, wieder andere behaupten, der Kaiser hätte ihn lebenslänglich zu seinem Hofspieler engagiert.
Die Vorliebe des Rokoko für das Chinesische machte das Schattenspiel in Europa bekannt.
Auch romantische Dichter pflegten eine besondere Affinität für diese Kunst.
Zweiter Teil: Geschichtliches: Wanderwege der Puppenspieler, Wandlungsprozesse der Spielfigur.
Die Geschichte des Puppenspiels, insbesondere des Puppentheaters ist kein leicht zugängliches Thema. Ihr wurde in unseren Breitengraden nicht sehr viel Beachtung geschenkt.
Die überlieferten Quellen aus alten Schriften und Illustrationen erwähnten dieses Thema, wenn überhaupt, im damals vorherrschenden, gesellschaftlichen Kontext. Demnach waren Gaukler und nicht sesshafte, zu denen auch die Puppenspieler gehörten, „vogelfrei“.
Schreiben hingegen konnten vor allem Priester, gelehrte Mönche und eine grosse Zahl von Rittern.
Pergament und Papier waren kostbare Dinge, die zu sogenannt „wichtigen“ Aufzeichnungen benutzt wurden.
Puppenspiel war allenfalls beliebt, aber nicht geachtet.
Beim Durchlesen geschichtlicher Zusammenfassungen stiess ich oft auf Formulierungen, wie: „Im Dunkel der Geschichte ...“ Andererseits las ich Texte, die diesen Themenkreis zu mysthifizieren schienen.
Eine grosse Hilfe bei meiner Spurensuche war mir das Buch: „Die Anfänge der Puppenspielformen und ihre ihre vermutlichen Ursprünge“ von Hans R.Purschke.
Aufgrund sorgfältiger und nachvollziehbarer Analysen alter Texte und Illustrationen versucht er, Spekulationen zu hinterfragen.
Seine Ausführungen weichen von der z.T noch gängigen Lehrmeinung ab, das Puppentheater sei von den alten Griechen und Römern zu uns gekommen. Die Aspekte, die er zur Diskussion stellt, erscheinen mir weitgehend einleuchtend und zu neuen Schlussfolgerungen geeignet.
Er unterscheidet, wenn immer möglich, zwischen:
Sakralen Akten und Zeremonien mit beweglichen Statuen, (z.B Feiern zu Ehren des Gottes Osiris)
Allgemeinen Formen von Puppenspielen, ( Kinderspiele mit beweglichen Puppen, mechanische Figurenwerke, Ritterspiele mittels solchen)
und demTheaterspiel mit Puppen, dem insbesondere der dramatische oder komödiantische Akt, der Dialog eigen ist.
Zu den erst erwähnten Formen, eingangs ein paar Beispiele:
BEWEGLICHE TERRAKOTTEN UND ELFENBEINPÜPPCHEN MIT BEWEGLICHEN GLIEDERN wurden häufig in griechischen und römischen Kindergräbern gefunden und von Puppenspielchronikern z.T für Marionetten gehalten.
Das grösste von ihnen war ca 18 cm gross und somit, laut Purschke, wohl eher ungeeignet für ein Dyonisostheater.
Einleuchtender hingegen erscheint der Gedanke, dass verstorbenen Kindern ihr Lieblingsspielzeug mit ins Grab gelegt wurde.
NEUROSPASTA (Fadengezogene Puppen) werden in einer alten Schrift wie folgt beschrieben:
„Die Seele bewegt den Körper, und ihre Anstrengungen im Innern werden nach aussen sichtbar, gleichsam wie bei der Puppe die Bewegungen an der Oberfläche im Innern bewirkt wird.“
Bei Marionetten jedoch, werden die Bewegungen von oben und von aussen bewirkt.
Weitere Eigenschaften der Neurospasta: Sie waren ortsgebunden und nicht zur Fortbewegung konzipiert.
Sie konnten sich noch nach dem Fadenzug des Spielers weiterbewegen und nicht zuletzt, es wurden im Zusammenhang mit ihnen nie Dialoge erwähnt.
Somit handelte es sich hier höchstwahrscheinlich um eine Art mechanischer Figurenwerke.
TATERMANE (Tatern- zitttern), nannte man aus Holz geschnitzte Ritterfigürchen. Mittels eines Fadenzuges, der vertikal durch ihren Körper führt, werden sie von zwei Spielern bedient, um auf einem Hoztisch miteinander kämpfen.
Ritter schienen eine Vorliebe für solche Kampfspiele zu haben.
Das Spiel wurde vermutlich später von Gauklern übernommen und dem Volk zur Unterhaltung dargeboten.
Ein spitzfindiger Spielmann dürfte auf die Idee gekommen sein, das Spiel dahingehend zu verändern, dass es von einer Person gespielt werden konnte.
Vermutlich , weil dies einträglicher war.
Dieses Spiel kennen wir heute noch unter dem Namen: „Marionette à la planchette“ Schaukelpuppe.
KOBOLTE, GAUKLERPÜPPCHEN, ERSTE HANDPUPPEN tauchten in Europa im Zeitalter der ersten Burgen und Ansiedlungen auf.
Auf einem abgelegenen Gehöft erscheint ein Wandergeselle. Er trägt einen langen dunkeln Umhang und merkwürdigerweise kommt er auf vier Füssen daher.
Auf seinem Buckel tanzen hölzerne Kerlchen!
Kobolte, Gauklermännchen nannte man solche. Sie wurden von Kindern gespielt, die unter den Umhang des Musikanten krochen und die Püppchen durch ein Loch im Umhang ins Freie führten.
Doch war dies kein Spiel, das sie aus reiner Freude betrieben.
Der Spielmann war oft ein Blinder und das Kind war ihm dabei behilflich, Nachrichten in abgelegene Siedlungen zu überbringen, oder das Volk mit Strassenattraktionen zu unterhalten.
Hier dürfte der Übergang zum Handpuppentheater liegen. Möglicherweise war das „Manteltheater“
eine erfindungsreiche und praktische Variation der damals auch gebräuchlichen „Sackbühne „.
Dargeboten von den ärmsten und schwächsten Volksgrupen.
„Das Himmelreich, die Himmelreicher“, las man in alten Schriften im Zusammenhang mit Puppenspielern. Somit dürfte man wohl alle nicht sesshaften Zeitgenossen, die unter dem freien Himmel umherzogen, bezeichnet haben.
Die Miniaturen des Illuminators Jean de Grise aus der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhundert stammend, werden heute von allen Puppenspielchronikern einstimmig als Darstellungen von Handpuppenbühnen gedeutet.
Possenburgen, oder Schloss werden sie genannt.
Der Name „castelet“ wird in Frankreich noch heute für Handpuppenbühnen verwendet.Woher kam die Handpuppe zu uns?
H.R. Purschke führt drei Hypothesen an: Die erste weist auf Ritter hin, die vom zweiten Kreuzzug aus dem Orient zurückkehrten.
Eine weitere Möglichkeit führt von maurischen Gauklern auf die iberische Halbinsel und von dort aus nach Frankreich.
Die dritte käme laut Purschke am ehesten in Frage: Demnach wäre Persien, ein Land mit uralter Kultur die Drehscheibe gewesen, von wo aus die Handpuppe auf dem Landweg nach verschiedenen Richtungen wanderte.
Ostwegs über Turkestan nach China, nordwärts über Turkestan, Baschkirien nach Russland.
Deutsche Spielleute und Gaukler hätten sie demgemäss dort kennengelernt und nach Mittel und Westeuropa gebracht.
Der Lockruf: Wunder Wunder Wunderding ... klang seltsam und verheissungsvoll: Eine durchdringende Schnarrstimme liess den Vorübergehenden aufhorchen.
Diese Laute wurden durch eine Zungenpfeife erzeugt, ein Instrument, das zur „lustigen Figur“ passte. Neben der Sackbühne, (eine sackförmige Konstruktion, in der der Spieler steckte und auf der zuoberst eine kleine Bühne montiert war), stand der Impressario, unterhielt sich mit den Puppen und griff zuweilen aktiv ins Spiel ein. Der Sinn darin bestand in der Absicht, dem neugierig gewordenen Zuschauer die durch die Zungenpfeiffe verfremdete Sprache der Puppen verständlich zu machen.
Die Zungenpfeife, die Sackbühne, der Impressario, die lustigen Hauptfiguren und der Knüppel, gehörten in Persien, Russland und Europa zum festen Inventar des Handpuppenspiels.
Die erste, uns bekannte lustige Figur hiess Meister Hämmerlein. Er war ein früher Hanswurst und Possenreisser, ein knüppelschwingendes Teufelskerlchen. Sein Nachkomme war Polchinella, die Narrenfigur aus der Commedia del Arte. Im 17.Jahrhundert kam er von Italien aus zu uns über die Alpen.
Selbst feinere Leute konnten sich der Versuchung des Innehaltens nicht entziehenund lachten derweilen verschämt über die derben Possen der hölzernen Spassmacher, die sich mit Pfaffen, Teufeln und Königen stritten.
Beliebt waren sie aber vor allem beim einfachen Volk.
Das Possenreissen schien dem Wesen der Handpuppe in die Wiege gelegt, was einst unter dem Himmel auf dem Landweg begonnen hatte, nahm seinen Lauf auf staubigen Strassen kreuz und quer durch Europa.
Die Handpuppenspieler führten ein Leben auf hartem Boden. Verbote, Nachstellungen gehörten zum täglichen Brot.Von der Kirche wurden die „Himmelreicher“ der Zauberei bezichtigt. Etliche Male landeten sie im Gefängnis, doch nie konnten sie es lassen, ihren Herzen durch die Puppe Luft zu verschaffen.
Dritter Teil. Die ersten Marionetten in Europa.
In den Zentren des aufblühenden Theaterlebens: Venedig, London, Paris, Wien und Prag tauchten Ende des 16.Jahrhunderts erstmals Marionetten auf.
Über ihre Herkunft ist man sich nicht einig, jedoch waren sie schon damals technisch weit entwickelt.
Filigrane Geschöpfe, zum Teil in kostbare Brockat und Musselinstoffe gekleidet.
Ihr Auftreten in Europa fiel zeitlich mit der chinesischen Ming – Dynastie zusammen, damals entstanden Handelsbeziehungen zwischen China und Europa. Demnach wäre es möglich, dass sie auf diesem Weg zu uns gekommen sind.
In den Adelshäusern waren diese zierlichen Kleinodien geschätzt, die mit viel Bravour das
grosse Welttheater nachahmten. In Paris gaben sie Gastspiele für Modeschauen des Couturierhauses Tessier.
Doch selbst das kostbarste Kleidungsstück endet im Dunkel der Kleidertruhe, wenn seine Trägerin den eitlen Launen der Modeströmungen nicht standhalten kann.
Und ähnliches geschah mit vielen Marionetten.
Sie landeten in den Händen der Marktfahrer, gaben ihre Schauspielkünste neben Handpuppen, allerlei Artisten und Wanderschauspieltruppen in den Jahrmarktbuden der Vorstädte zum Besten.
Von Letzteren war ihnen nicht selten Argwohn vergönnt. Ihr Schauspieltheater en miniature wollten
sich die „echten“ Akteure beileibe nicht bieten lassen. Sie fühlten sich nachgeäfft und fürchteten die Konkurrenz der hölzernen Ensembles, die alles spielten, was dem Volk lieb und recht war:
Opern, Ritterlegenden, Märchenspiele etc.
In München wurden zwischen 1772 und 1777 sämtliche Marionettenspiele verboten. Die Puppenspielunternehmen, meist von ungebildeten Leuten betrieben, spielten nicht aus Interesse am künstlerischen Gehalt, sondern weil es ihr Metier war. Diese Einmann - und Familienbetriebe bedurften,um ihrem Gewerbe nachzugehen, weit weniger Aufwandes, als grössere Schauspielensembles. Die eigenen Familienmitglieder, inclusive Kinder, arbeiteten im Betrieb mit.
Die Frauen z.B nähten die Puppenkleider.
Die Spielvorlagen wurden mit der Zeit insofern artgerechter, als längere Monologe zugunsten ausgearbeiteter Bewegungssequenzen gestrichen wurden.
Anhand von Theaterzetteln und Bewilligungsgesuchen beim jeweiligen Stadthalter wurden einige dieser Puppenspieler erstmals namentlich bekannt. Bis zum 19.Jahrhundert wurden keine Texte schriftlich weitergegeben, somit schützte man sich vor der Konkurrenz in den eigenen ständig anwachsenden Kreisen.
Ein fahrender Puppenspieler zu Beginn des 19.Jahrhunderts erzählt aus seinem Leben,
zitiert aus: „Handpuppen, Stabfiguren, Marionetten“, Werner Waldemann, Verlag Hugendubel:Als Kind zog ich mit meinem Vater, Kasperspieler und Pferdehändler durch die Lande, über Österreich bis nach Ungarn hinein.
Manchmal zusammen mit Schauspielern und Marionettenspielern.
Mit siebzehn Jahren wurde ich beim „alten Eisen“ als Rossbursche engagiert. Auf meinem Nachtlager aus Stroh hinter Marionetten und Dekorationsstücken studierte ich heimlich bei Kerzenschein die „Bibliothek meines Meisters.Als ich meinen Alten einmal bei guter Laune glaubte, bat ich ihn, eine kleine Rolle übernehmen zu dürfen.
„Was, du Bauernlümmel willst theaterspielen?“
Fragte er. Doch ich liess nicht locker.
„Na, gut, wir wollen es versuchen. Aber wehe Dir, Du machst einen Fehler!“
Er war mit meinen ersten Vesuchen zufrieden, und nach und nach bekam ich würdigere Rollen, zuletzt den Kasper.
Eine Kunst, die nur darin besteht, zu reproduzieren, hat auf die Dauer keine Überlebenschance und so hatte sich das Puppentheater auf den öffentlichen Schauplätzen Ende des 18 Jahrhunderts zwangsläufig heruntergewirtschaftet.
Beliebt wurde der Kasper und sein Ensemble hingegen beim Kinderpublikum.
Schulmeister und Erzieher erkannten darin bald eine Chance. Was zur Folge hatte, dass der Kasper einiges an Derbheit seiner Vorfahren einbüssen musste.
Er wurde zum gutmütigen Witzbold. Kasperle Larifari durfte sich zwar weiterhin freche Spässe erlauben, aber alles nach Mass, in erster Linie hatte er die Prinzessinnen vor Unholden wie Räubern und Krokrodilen zu beschützen.
Vierter Teil. Papa Schmid und die Anfänge des Kindertheaters
Josef Leonhard Schmid, liebevoll Papa Schmid genannt, gelang es, das Puppentheater in München gesellschaftsfähig zu machen.
Der 1822 geborene Schriftführer war schlau genug, der königlichen Schulkommission das Puppenspiel als pädagogisch wertvoll anzupreisen. Behilflich in seinem Vorhaben, ein Marionettentheater für Kinder zu gründen, war ihm ein einflussreicher Gönner, ein Hofmusikintendant. Dieser hatte bereits etliche Kasperle Larifari – Stücke verfasst.
Gegen solch einen Bürgen hatte die königliche Schulkommission nichts einzuwenden. Und München erhielt ein festes Marionettentheater. Es bot eine Mischung zwischen volkstümlichen und literaturfähigen Spielen, die sehr viel Wert auf äusserliche Pracht legte.
Fünfter Teil. Puppentheater als Kunsterlebnis.
Auch in Literaturkreisen war man dem Puppentheater zunehmend wohlgesinnt.
Der irische Autor Bernhard Shaw schrieb: „Den Schauspielern aus Fleisch und Blut ziehe ich immer die hölzernen vor, die steif sind und immer denselben Ausdruck zeigen, trotzdem sie voll Leben sind und eine künstlerisch tiefgehende Wirkung auf die Gefühlswelt haben können.“
Den Romantikern stand das primitive, volkstümliche Wesen der Theaterpuppe besonders nahe.
In einer Zeit, in der man sich von naturalistischen Darstellungen in der Kunst abwandte, wurde man auf die Möglichkeiten der Theaterpuppe aufmerksam. Den Literaten galt das Puppenspiel als höchst gescheite, liebenswerte Beschäftigung.
Die französische Romanschriftstellerin George Sand unterhielt 1847 ein privates Handpuppentheater, das „Theatre des Amis“. In liebevoller Kleinarbeit, erwuchs dieses dank Mithilfe ihres Sohnes während vierundzwanzig Jahren zu einemKünstlertheater erster Güte.
In dieser Zeitepoche entstand auch Heinrich von Kleists Aufsatz: „Über das Marionettentheater.“
Sechster Teil. Das 20.Jahrhundert, Künstler finden sich in München.
Dem Beispiel Papa Schmid und den Beschäftigungen der Literaten folgten weitere Marksteine.
1905 wurde in München das „Marionettentheater Münchener Künstler“ gegründet.
Das Unternehmen wurde von Malern, wie Vassily Kandinsky und Paul Klee unterstützt.
Letzterer schuf eigens für seinen Sohn unzählige Handpuppen. Nur wenige von diesen sind uns erhalten geblieben, viele wurden während des Krieges zerstört.
In Europa wurde nun auch die Stabpuppe bekannt. In seinem „Wiener Figurenspiegel“ schuf der Maler und Bildhauer Richhard Teschner zauberhafte Inszenierungen mit Figuren, die nach dem Vorbild javanischer Stabpuppen konzipiert waren.
Nach dem Münchner Vorbild und unter Einfluss der javanischen Theaterpuppen in einer Zürcher Ausstellung entstanden auch in der Schweiz erste Marionettentheater.
Siebter Teil. Ein Zürcher Kunstereignis das nachhaltig wirkte.
Auf Einladung der Stadt gastierte das Marionettentheater Münchner Künstler 1914 in Zürich.
Zur selben Zeit wurde an einer Zürcher Kunstgewerbeausstellung unter Mitwirkung des englischen Theaterreformers Edward Gordon Craig eine Sammlung siamesischer und javanischer Spielfiguren gezeigt. Daraufhin entstanden die ersten stillen Versuche, ein Schweizer Marionettentheater nach dem Münchner Vorbild zu gründen.
1918 war es dann soweit, das Zürcher Marionettentheater öffnete seine Tore mit der Inszenierung des tragisch – komischen Märchens „König Hirsch“ von Carlo Gozzi.
Das besondere an dieser Aufführung waren die abstrakt gestalteten Marionetten der Sophie Taeuber – Arp, die heute im Zürcher Bellrive Museum erhalten sind.
Die Künstlerin, damals Leiterin der Textilklasse an der Kungewerbeschule Zürich, stand, wie später Oskar Schlemmer mit seinem triadischen Ballett, unter Einfluss des Bauhauses.Diese Figuren hatten absolut nichts mehr mit der Imitation menschlichen Schauspieles gemein.
In ihnen kommen die grundlegensten Bewegungselemente in grosser Reinheit zum Ausdruck.
Bar jeglichem Naturalismus ermöglichen sie dem Zuschauer die Mehrdeutarkeit des Gesehenen.
Dieses abstrakt – konstruvistische Element hat sich in der Gestaltung der Spielfigur nicht in breiten Kreisen durchgesetzt. Jedoch hinterliess es wertvolle Spuren und setzte neue Impulse.
Das Stilisieren, das Andeuten von Inhalten, anstelle des blossen Wiedergeben von äusserlicher Form wurde in dieser Kunstrichtung vorausgeahnt.
Das Bedürfnis, der Theaterpuppe menschen, resp. tierähnliche Züge zu verleihen, ist erhalten geblieben. Darüber hinaus jedoch, vermag sie heute eher, innere Welten zum Ausdruck zu bringen.
Ausschlaggebend dafür waren sowohl der Einfluss der asiatischen Spieltradition, als der formal aufs wesentliche reduzierte Stil des Bauhauses.
Rückblick und inhaltliche Zusammenfassung
Als ich im Rahmen meiner Weiterbildung zur Lehrkraft für textiles Gestalten meine Facharbeit „Das Puppenspiel – die Spielfigur“ schrieb, dachte ich, ein kurzer geschichtlicher Abriss gehöre u.A als Einleitung in eine Sachanalyse. Mir wurde dabei bald klar, dass ich diesen Aspekt stark unterschätzt hatte. Die Auseinandersetzung mit diesem Teil hatte mich persönlich und zeitlich stark beansprucht.
Jedoch möchte ich diesen Weg rückblickend nicht missen. Ich versuche mir oft vorzustellen, wie z.B die ersten Handpuppen in unseren Breitengraden ausgesehen haben mögen, sind sie uns doch nur aus Illustrationen erhalten geblieben. Wurden sie von Kindern erschaffen? Die Schilderungen des Manteltheaters lassen eine solche Vermutung zu, denn es konnte ja kaum der Blinde gewesen sein, der sie herstellte.
Sicher sind sie aus den Händen einfacher Leute entstanden, für welche es in ihrer Situation notwendig war, ihrem Herzen Luft zu verschaffen.
Und schon diese primitiven Geschöpfe, hölzerne, in Lumpen eingewickelte Kobolte und Dokken, vermochten es, die Seele des Volkes zu bewegen.
Später wurden die zu stilisierten Akteuren: Narren, Prinzessinnen etc. Aus Mythen und Märchen gingen sie hervor: Teufel, Feen, Zauberer ...
Gefahren aus der Natur und Tierwelt verkörperten sie in Gestalt von Drachen, Hunden und später dem Krokrodil. Innere und äussere Welten traten durch sie auf der kleinen Bühne in Beziehung.
Als sich das Puppenspiel zu sehr darauf spezialisierte, nur Äusseres zu widerspiegeln, lief es, dies sehen wir besonders an der Marionette, Gefahr zu scheitern.
Doch scheint diese Gefahr im Verlaufe jüngerer Entwicklung überwunden.
Man erkannte die spezifischen Eigenschaften der Spielfigur, bewegt und animiert zu werden.
Viel mehr, als den Akteur aus Fleisch und Blut nachzuahmen scheint sie als methaphorische Figur geeignet.
Das Kindertheater als neue Kunstform wurde dank ihr entdeckt und ständig weiterentwickelt.
Man könnte also mit Recht sagen, dass die Jüngsten unter uns, als Teil der menschlichen Gesellschaft zumindest indirekt zum Bestehen der Puppenspielkunst beigetragen haben.
Des öfteren wird immer noch die Ansicht vertreten, diese Kunst sei im öffentlichen
Bewusstsein zu wenig verankert, weil es sich eben bloss um „Kinderzeug“ handle.
Vergegenwärtige ich mir ihre Geschichte, so erscheinen mir derartige Argumente als unhaltbar.
Es mag unterschiedliche Gründe dafür geben, weshalb das Figurentheater in der abendländischen Kunsttradition scheinbar bis heute noch ein Randdasein geniesst.
Im Beispiel George Sands „Theatre des Amies“ sehe ich persönlich einen Anhaltspunkt. Als ich die Beschreibung dieses Haustheaters las, wurde mir warm ums Herz. Da wurde mit Hilfe von liebevoll gestalteten Handpuppen aus der Guckkastenbühne heraus Teater gespielt. Und Dies vor allem, um freundschaftliche Beziehungen zwischen Menschen zu pflegen.
Darin liegt etwas intimes. Ich sehe eine grosse Stärke im Puppenspiel als leise Kunstform. Diese ist nicht unbedingt dafür geeignet, im Rummel des öffentlichen Marktgeschehen zu bestehen. Unsere gegenwärtigen Interessen gelten gerne dem Grellen, dem Lauten. Dabei geht es mir nicht darum, das Figurentheater ins Abseits der privaten Anlässe zu verbannen. Das entspräche auch nicht den Tatsachen, ist doch die Theaterpuppe schon seit geraumer Zeit der geschlossenen Bühne entstiegen
und kommt inzwischen vermehrt als integrierte Figur im Schauspieltheater zur Geltung.
Jedoch scheint es mir berechtigt, die Qualität des Intimen im Puppenspiel zu pflegen. Insbesondere für Kinder kann dies sehr wertvoll sein. Sei es beim Zuschauen oder beim selber Gestalten und Spielen. Um sich in eine schöne Prinzessin oder in ein gefährliches Tier zu verwandeln, um mit seiner Innenwelt in Kontakt zu treten, brauchen Kinder eine privatere Athmosphäre.
Diese Erfahrung machte ich oft selbst in meinem kleinen Theater. Ich erlebe es immer wieder aufs neue, wie selbst hyperaktive Kinder ruhig und konzentriert werden können, wenn sie sich an einem geschützten Ort, von Lärm und Reizüberflutung abgeschirmt, verzaubern lassen dürfen.
Miriam Schaffner, Juli 2007
Quellenangaben:
Puppenspielkundliche Quellen und Forschungen, deutsches Institut für Puppenspiel, Bochum:
Hans. R. Purschke: „Die Anfänge der Puppenspielformen und ihre vermutlichen Ursprünge.“
Vertrieb Puppen und Masken, Wilfried Nold.
Werner Haldemann: „Handpuppen, Stabfiguren, Marionetten.“
Ursula Bissegger: „Puppentheater in der Schweiz.“ Theaterkulturverlag.
Schweizerische Arbeitslehrerinnenzeitung, Ausgabe 6/88: Gustav Gysin: Theaterfiguren, Figurentheater.
Diverse Ausgaben der Zeitschrift „Figura“, Vereinigung Schweizer Puppenspieler.
© Miriam Schaffner, 2007