Gegen Zahnschmerzen.

Sobald nach dem Neumonde zum erstenmale die Mondsichel - "dat nüe Licht", das neue Licht - am Himmel sichtbar wird, muß der von Zahnschmerzen Geplagte sich mit einem der nachfolgenden Reime an den Mond wenden; derselbe wird ihm sicher die Zahnschmerzen abnehmen:

1. Ich seh' in's liebe neue Licht,
Bewahr' mich Gott vor Zähnegicht!
Daß sie mir nicht reißen,
Daß sie mir nicht spleißen,
Daß sie mir nicht källen,
Daß sie mir nicht schwellen.
I. N. G. etc.
(Bürgersdorf bei Wehlau. N. Pr. Prov.-Bl. VIII, S, 25.)

2. Oeck seh dat lewe nüe Licht
On rad' mi far min Tähnegicht,
Dat se nich riete,
Ok nich spliete,
Ok nich källe,
Ok nich schwelle,
Denn käme de Vägelkes
On nehme all min' Tähnegicht. (Plibischken.)

3. Oeck seh önt lewe nüe Licht
On bed fer mine Tähnegicht,
Dat se nich riete, nich spliete,
Nich jäke, nich stäke. (Ermland.)

4. Ich grüße dich, du neues Licht
Mit deinen zwei Zacken!
Meine Zähne sollen mich nicht zwacken
Bis daß du wirst haben drei Zacken. (Samland.)

5. Ach du liebes neues Licht!
Behüte mich, mein Gott, vor meiner Zähne Gicht!
Daß sie mich nicht möchten reizen - spreizen - schwären - quälen.
Im Namen etc. Vaterunser ohne Amen.
Die betreffende Wange wird mit der Hand gestrichen. (Budweitschen im Kr. Goldap.)

6. Oeck seh dem Himmel an,
Da steit e Fru ok e Mann,
Wa far de Tähne rade kann.
Du sullst nich elle*),
Ok nich källe,
Du sullst vergahne
Wie du gekame.
(Plibischken.)

*) Du sollst nicht länger werden.

7. Alle Psalmen sind gesungen,
Alle Glocken sind verklungen,
Alle Evangelien sind gelesen,
Alle Heiligen sind gewesen,
Das Feuer in meinen Zähnen soll verwesen. (Samland.)

8. Ich rathe dich vor Feuer,
Nicht vor einerlei Feuer, vor neunerlei!
Es verschwindet wie der Staub aus dem Grabe
Und wie der Sand vom Wege. (Allenburg.)

9. Tähne riete, se schliete,
Se källe, se schwelle,
Se schringe, se springe!
I. N. G. etc.
(Dogehnen im Samland.)

10. Der Besprechende nimmt einen neuen Nagel, von dem man weiß, daß er noch nicht benutzt wurde, und schlägt ihn im Beisein des Leidenden in einen noch frischen Baum. Dabei spricht der Leidende:

Gott Vater, Sohn und heiliger Geist,
Gebenedeite drei,
O du, um den der Himmel kreist,
Den jeder heilig, heilig preist,
Ich bitte dich, du Weltenherz,
Erlöse mich von jedem Schmerz!

Der Besprechende: Im Namen Gottes etc.

Hat eine Frau den Zahnschmerz, so übernimmt die Bannung ein Mann, und umgekehrt. (Nördl. Littauen.)

11. Durch Gottes Macht und des Herrn Jesu Hülfe! Die Eiche im Walde, der Stein im Meere, der Mond am Himmel, so lange diese drei starken Brüder sich nicht vereinigen, so lange mögen die Zähne mich nicht schmerzen. Durch Gottes Macht, des Sohnes Gottes und des heiligen Geistes Hülfe und durch die heiligen Engel, durch seinen hochgelobten Leib und durch die heilige Dreifaltigkeit. Im Namen etc. Amen, Amen, Amen! (Töppen, S. 48.)

Im nördl. Littauen wendet man gegen Zahnschmerzen folgendes Mittel an: Man schneidet aus einem lebenden Baum einen Span und bohrt ein Loch in den Baum; dann reinigt man mit dem Spane die Zähne und das Zahnfleisch (gewöhnlich thut dies ein Anderer) bis Blut kommt, steckt den Span in das Loch und zündet ihn an. Der Geplagte kehrt dem Baume den Rücken und geht ab; den Baum muß er jedoch nie wiedersehen.

Pisanski (Nr. 22, §. 6) kennt dieses Mittel auch; nach ihm muß der Baum ein Hollunderbaum sein, und schneidet man einen Splitter unter der Rinde aus, mit dem man das Zahnfleisch so lange "stöckert" bis es blutet, dann "spündet man ihn wieder in seinen vorigen Ort ein und lasset ihn verwachsen." - In Littauen braucht man auch Zahnstocher aus den Splittern eines vom Blitz zerstörten Baumes gegen Zahnschmerzen - mit Erfolg. Auch hilft Bestreichen des kranken Zahnes mit einem Strohhalm oder mit einem Knochen, den man auf dem Felde oder Kirchhofe gefunden hat. Von besonderm Erfolge ist's jedoch, wenn man drei Nächte hintereinander auf dem Kirchhofe schläft (auch gegen Reißungen, Rheumatismus angewandt), oder still auf den Kirchhof geht und vom ersten Grabe dreimal Kraut pflückt und damit still nach Hause geht. (Littauen.)

Allgemein ist der Gebrauch, bei Zahnschmerzen mit dem Finger einer Leiche den Gaumen oder schmerzenden Zahn zu bedrücken. Am besten wirkt der Zeigefinger der rechten Hand. (Dasselbe wendet man auch gegen Flechten, Feuermale etc. an.)

Quelle: H. Frischbier, Hexenspruch und Zauberbann. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens in der Provinz Preußen, Berlin 1870. S. 99ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Gabriele U., Juli 2005.
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