Kirchliche und weltliche Feste.
Gleichwie das reifende Kornfeld von Cyanen und lilafärbigen Malven, so ist der Verlauf des arbeitsreichen Gebirgssommers von einer bunten Reihe ernster und heiterer Feste durchwirkt, die teils dem kirchlichen Ritus angehören, teils Ausflüsse des immer jung sprudelnden Volkslebens sind. Oft sind beide mit einander verbunden, indem sich an das christliche Fest eine uralte, von den Vätern ererbte Volksbelustigung anschließt, die nicht selten sogar in den religiösen Brauchen unserer heidnischen Vorfahren ihren Ursprung hat.
Den Beginn des sommerlichen Festjahres macht das heitere Pfingsten.
Es eröffnet gewissermaßen den Reigen der Sommerfeste, Bekanntlich feiert es die Herabkunft des heiligen Geistes, welche auch dem naiv gläubigen Sinn des Volkes entsprechend in drastischer Anschaulichkeit dargestellt wird. Wie am Himmelfahrtstage der siegreiche Heiland mit der Fahne in der Hand sichtbar vom Altare gegen die Decke des Gotteshauses schwebt, während ihm von oben Engelchen entgegenkommen, um ihn in Empfang zu nehmen, so wird am Pfingstsonntag die Herabkunft des heiligen Geistes in der Weise dargestellt, daß ein hölzernes Strahlenrad, an dessen unterer Fläche eine weiße Taube als Sinnbild des heiligen Geistes angebracht ist, aus der Öffnung am Oberboden in kreisförmiger Bewegung sich herabsenkt. In früherer Zeit stellte man die Sache noch anschaulicher dar, indem man eine lebende Taube durch die Lücke herabließ, die sich dann in natürlichem Instinkte auf oder hinter den Hochaltar flüchtete. Außerdem findet in der Nacht vom Pfingstsamstag auf den Sonntag an manchen Orten eine feierliche Prozession statt. So geht z. B. im Pustertal ein Zug frommer Leute mit brennenden Kerzen um Dorf und Äcker, um für das Gedeihen der Feldfrüchte zu beten. Dieser nächtlichen Prozession entspricht in Obersteiermark das sog. Rainbegehen, welches aber erst am Pfingstmontag stattfindet.
Aber auch an weltlichen Vorgängen ist kein Mangel. Ich spreche da nicht von der schlimmen Gewohnheit, den am Pfingstsonntag zuletzt aus den Federn Steigenden mit oft nicht gerade schmeichelhaften Titeln, wie "Pfingstzol", "Pfingstknödel", Pfingstkönig" (Kärnten), "Pfingstlugge" (Steiermark) zu begrüßen, sondern ich meine die alte Sitte, denjenigen, der um Pfingsten am spätesten das Vieh austreibt, in ähnlicher Weise zu verspotten. Es besteht nämlich fast überall in den Alpen der Brauch, an diesem Tage die Herde mit Schellen und Laubwerk geziert auf die frischgrüne Weide zu treiben. Die Kühe des zuletzt angekommenen Hirten, besonders die stolze Leitkuh, wird mit Hohn und Gelächter empfangen und erhält eine Zier von abgeschälten Rinden und Heu oder einen Strohkranz auf die wuchtigen Hörner, Daß der unglückliche Austreiber auch seinen Anteil an dieser Verspottung erhält, versteht sich von selbst. Ganz ursprünglich ausgebildet ist dieser Brauch im Pustertal (Amlach). Da heißt nämlich der erste, der mit dem Vieh auf die Weide kommt, der "Grasneid", der zweite der "Kaiser", dann kommen des Kaisers Bediente, den Schluß macht der "Pipo", ein Name, an dessen Enträtselung ich mich vergebens versucht habe. Man reicht ihm ein Messer und schreit ihm nach:
Pipo! Pipo!
Beiß' dem Fackl 's Schwanz! o (ab),
Laß' es net verblüten,
Kannst im nächsten Jahr junge Fackeln hüten.
Noch viel anziehender als die Pfingstfeier ist das bald darauf eintretende Frohnleichnamsfest. Wer es in seiner ganzen Innigkeit und Bedeutung erfassen will, der darf es nicht in den Städten ansehen, sondern auf dem Lande. Die Prozession, welche zur Segnung der Saaten durch die Felder zieht, gewährt dem Auge eine wunderliebliche poesievolle Szene, besonders wenn ein schöner Tag seine himmelblaue Decke über Tal uud Bergkuppen spannt. Der lange Zug der Beter mit den bunten, wehenden Fahnen und bekränzten Bildern, die malerischen Schützentrachten, die weiß gekleidete Kinderschar und die bekränzten, frisch-rosigen Mädchenköpfe, diese ganze Staffage hineingestellt in die Wiesen und reifenden Kornfelder, dahinter der dunkle Wald und darüber der tiefblaue Sommerhimmel, an dem die Lerchen trillern, bis sie das Krachen der Böller und das Knattern der Gewehrsalven verscheucht, - Alles das macht auf jedes Gemüt einen tiefen und bleibenden Eindruck. Die Natur steht auf dem Höhepunkt ihrer Entfaltung; des Landmannes ganzer Reichthum liegt draußen, und nicht Schloß und Riegel vermag die Gefahr abzuwenden, die mit jedem aufsteigenden Gewitter mit Blitzstrahl und Hagelschlag droht. Da bekommt erst das "a fulgore et tempestate" seine wahre Bedeutung, während die prunkhafte Feier in den Städten vielfach dieses tiefen Sinnes entbehrt.
Merkwürdig ist die Nachfeier des Frohnleichnamsfestes im Brixental (Nordtirol). Dort findet nämlich am Sonntag darauf der sog, "Antlaßritt" statt. Eine Schar Bauern aus den Dörfern Brixen, Kirchberg und Westendorf, in ihrer Mitte der Dechant von Brixen, reiten am genannten Tage aus ihren Rennern, richtiger gesagt Ackergäulen, laut betend und singend zu einer alten Kapelle, dem sogen. Klausenkirchlein. Dasselbe ist beiläufig eine Stunde von Kitzbühel entfernt. Dort hält der abenteuerliche Zug an, der Dechant steigt ab und liest die vier Evangelien. Hierauf kehrt die kühne Reiterprozession auf dem gleichen Wege in ihre Heimat zurück.
Über den Ursprung des Gebrauchs erzählt die Sage Folgendes:
Zur Zeit des dreißigjährigen Krieges bedrängten die Schweden
auch das Brixental. Die Bauern, besorgt für Haus und Feld, bestiegen
ihre Rosse und zogen kecken Mutes dem Feind entgegen. Wirklich gelang
es ihnen, die Schweden nach einer blutigen Schlacht bei Klausenbach gänzlich
in die Flucht zu schlagen und den schlimmen Feinden eine derartigen Scheu
einzuflößen, daß sie sich das Wiederkommen für immer
vergehen ließen. Zum Andenken an diese glänzende Waffentat
der Brixenthaler erbaute man die Kapelle, über deren Eingang noch
die Inschrift
zu lesen ist:
Bis hierher und nicht weiter
Kamen die schwedischen Reiter.
Auch gelobte man zum Danke für die Abwendung der Kriegsgefahr alljährlich eine Prozession in obiger Weise abzuhalten, welchem Versprechen noch immer treu nachgekommen wird.
Nun sind aber die guten Schweden nie nach Tirol und schon gar nicht in dieses mehr abseits gelegene Gebirgstal gekommen. Wir werden daher in diesem Vorgange einen jener alten, die Fruchtbarkeit der Felder erflehenden "Flurritte" erkennen müssen, wie sie ähnlich zu Kötzting in Niederbayern und anderswo abgehalten werden und die mit ihren Wurzeln in die älteste Heidenzeit zurückreichen.
Eigentümlich ist der Frohnleichnams-Umzug in Latzfons bei Klausen. Wenn nämlich der Priester mit dem Meßner den Rundgang bei den einzelnen Berghöfen des Ritten (Mittelgebirge am rechten Eisack-Ufer) macht, so hält jeder Bauer, der seine Felder und Weinberge gesegnet haben will, bei seinem Hause ein Licht heraus. Auf dieses Zeichen hin schlüpft der Geistliche in Chorrock und Stola und liest dort das Evangelium.
Auch die Prozession im Dorfe Tirol bei Meran ist sehr wirkungsvoll. Da wird der heilige Urban, der Beschützer der Weinberge, auf einem Thronsessel sitzend, im päpstlichen Ornat und mit Trauben- und Rebengewinden umgeben, zum Segenbühel, dem höchsten Punkt des weinreichen Küchelberges, hinaufgetragen. Vom Tal aus gesehen, macht sich dieser feierliche Zug sehr malerisch, wenn er mit den wehenden Fahnen am Grat des Gebirges so dahinwallt und die Böller ihre blauen Ringe in die Luft werfen.
Überhaupt ist der Sommer, besonders in der Bozener und Meraner Gegend, sehr reich an Prozessionen. Fast jeder Heilige, vorzüglich aber die Wetterheiligen, zu denen das Volk ein besonderes Vertrauen hat, werden dadurch geehrt. Wir erwähnen die berühmte Kassiani-Prozession und die noch berühmtere um Maria Geburt, welche zu Lana abgehalten wird und die Bewohner des Burggrafenamtes und aller umliegenden Täler, Ulten, Passeier, Vintschgau in ihrer malerischen Tracht versammelt. Wer da Volksstudien machen will, der soll sie nicht versäumen. Die erhabenste von allen jedoch ist die, welche am Magdalenatag (22. Juli) auf der windumrauschten Höhe des Latzfonserkreuzes abgehalten wird. Von allen Seiten steigen mit dem ersten Morgengrauen die frommen Wallfahrer da hinauf und sammeln sich auf dieser schweigsamen Höhe um das einsame Kirchlein, Dort hält nun der Priester der versammelten Menge seine eindringliche Bergpredigt, während rings die großartigste Alpenwelt mit ihren hundert und aber hundert im Sonnenstrahl blitzenden Häuptern wie mitbetend dasteht und die reine Gebirgsluft mit den weißen Haaren der herumstehenden alten Leute spielt. Fürwahr! eine ganz eigentümlich ergreifende Andacht im großen Tempel der Natur.
Tragen nun diese Festlichkeiten größtenteils rein kirchlichen Charakter, so wurzelt die sich anschließende Sonnenwendfeier im heidnischen Glauben unserer Väter. Wie zur Fastenzeit am "Funkensonntag" überall die Feuer lohen, um der Freude über das Wiedererstarken der belebenden Allmutter Sonne Ausdruck zu verleihen, so wird der Höhepunkt ihrer Wanderung am Himmel in ähnlicher Weise gefeiert, nur daß dieses nächtliche Feueropfer viel großartiger und schöner ist, weil die Natur in ihrer größten EntWickelung sich befindet. Die Tage siud wolkenlos klar, die Nächte lau und mild. Von den frischgemähten Wiesen zieht der würzige Heuduft, um Gebüsch und Rain fliegen die grünleuchtenden Johanniskäferchen. Eine wundersame Ruhe lagert über den dunkeln Gebirgen. Da plötzlich flammt auf einem Bergrücken ein Feuer auf, dort wieder eines, und so fort, bis eine ganze Kette bald höher bald niederer die Talflanken umsäumt. Würden wir in der Nähe eines solchen Feuers sein, so würden wir sehen, wie das junge Völklein sich da herum ergötzt, Paar um Paar, Bub' und Mädel über die Lohe springt, und Jubel und Juchzen durch die Nacht hallt. An einigen Orten wird, ähnlich wie am Funkensonntag, ein brennendes Rad über den Hügel gerollt, daß man meint, ein feuriges Knaul kollere zur Talebene.
Noch schöner ist es, wenn, wie es noch im Oberinntal geschieht, das "Scheibenschlagen" geübt wird. Diese Scheibchen aus Lärchenholz mit einem Loch in der Mitte werden am Feuer glühend gemacht und dann von den Burschen unter Hersagung eines Reimes in die Luft hinaus geschleudert. Gleich Sternen fliegt Scheibe um Scheibe in weitem Bogen hinaus in die Nacht - ein prachtvolles Schauspiel. Dabei knallen die Pistolen und hallt das Juchezen und Singen von einer Talwand zur andern.
Einen freundlichen Gegensatz zu dieser mehr lärmenden Belustigung bildet die stille Feier der "Dreißgenzeit". So nennt man nämlich die Tage von Maria Himmelfahrt (15. August) bis Maria Geburt (8. September). Während dieser heiligen Zeit - man könnte sie die "Hochsaison" der Natur nennen - werden von den Kindern die heiligen Dreißgenkräuter gepflückt. Die vorzüglichsten sind: Himmelbrand, Wermut, Wohlgemut, Mutterkraut, Sinngrün, Tausendguldenkraut und vor allen Karbendel, letzteres doppelt heilig, weil nach dem frommen Glauben die Gottesmutter so geheißen habe. Auch "Donnerkugeln" und "Baslgoam" (Basilikum) gehören dazu. Diese Blumen und Kräuter nun werden zu großen Sträußen und Büscheln gebunden und am Feste Maria Himmelfahrt in die Kirche gebracht. Dort segnet sie der Priester durch verschiedene Gebete, die auf Abwendung der Gefahr von "Vieh und Leut" Bezug haben. Zu Hause werden sie aufbewahrt, um bei verschiedenen Gelegenheiten verwendet zu werden. Wenn nach schwülen Tagen ein drohendes Hochgewitter am Himmel heraufzieht, so wirft das alte Mütterchen einen Teil dieser Weihekräuter auf die Glut, um Haus und Feld vor Blitz und Hagelschlag zu bewahren. Will die Butter nicht gerinnen, was nur die alte Lise, die Hexe, veranlaßt haben kann, so gibt man etwas - Krötenpulver hinein. Dieses garstige Pulver wird aus den sog, Dreißgenkröten oder "Dreißgenhöppinnen" bereitet, die man während dieser heiligen Zeit fängt, lebendig an einen Stock spießt und auf dem Hausdach in der Sonne langsam eintrocknen läßt, eine Rohheit, die Gottlob allmählich mit der fortschreitenden Aufklärung des Volkes verschwindet. Auch gegen andere Gebreste ist dieses Pulver gut, besonders gegen die "Wildniß" (Rotlauf), " Unschuldiger ist der Glaube des Volkes an die Haltbarkeit der "Dreißgeneier", also jener, welche während dieser Zeit gelegt werden. Sie werden zusammen behalten und für den Winter, wo die Hennen weniger Eier legen, aufbewahrt.
Außer dieser Gnadenzeit der Dreißgen gibt es noch eine Menge
anderer für den Landmann hochwichtiger Tage, welche teils als beliebte
kirchliche Feiertage hochgehalten werden, teils als "Bauernfeiertage"
dem Bauern willkommene Muße zum Faullenzen geben. Da ich über
dieses Kapitel der noch immer geltenden "abgebrachten Feiertage"
einmal besonder erzählen will, bemerke ich hier nur, daß sie
für jeden "größeren" Bauern oder Wirtschaftsbesitzer
ein wahrer Fluch sind, da eine Unzahl gerade in jene Zeit des Sommers
fällt, wo die Arbeit am meisten drängt. Der Bauer muß
sich "schinden" und abrackern, und der Knecht liegt auf der
Ofenbank oder geht in's Wirtshaus "Nussenauskarten". - Nicht
doch, der Bauer hat auch sein Vergnügen, desgleichen die Bäuerin,
sie gehen nämlich gleich den Städtern in die - "Sommerfrische".
Quelle: Ludwig von Hörmann,
Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899, S.
73 - 83.
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