Volksbräuche der Alpenländer.
III. Die tirolischen Erntegebräuche.
von Ludwig von Hörmann.

Seit Mäh-, Dresch- und Brechelmaschinen den Kampf gegen Sense, Flegel und Brechel aufgenommen haben, seit die Feldarbeiten nicht mehr durchgängig von Familiengliedern und zuständigen Personen, sondern vielfach von zeitweilig aufgenommenen Dienstleuten, die die Brotsorge aus allen Gegenden zusammenführt, verrichtet werden, seit überhaupt, wenigstens die Haupttäler von der nivellierenden Kultur immer mehr berührt, und zugleich die erleichterte Kommunikation den Nutzgenuß der eigenen Bodenprodukte paralysiert, seit, mit einem Wort, das patriarchalische Leben im Absterben begriffen ist, hat sich auch, bei uns in Tirol von dem reichen Kranze volkstümlicher Bräuche, die die Berufsgeschäfte des Ackerbauers sonst begleiteten, gar manches verloren, ja man kann sagen, daß in ein paar Jahrzehenden die letzte Spur davon verwischt sein wird. Dies gilt besonders von den Ackerbestellungs- und Erntegebräuchen, welche, wenn sie sich nicht jetzt noch in die Notizbüchlein von Sammlern flüchten, für immer verwischt sind. Beweis hiefür ist das Unterinntal, wo noch vor 15-20 Jahren diese Art von Bräuchen in voller Blüte stand, während jetzt nach allmählicher Einführung der Erntemaschinen kaum mehr ein derartiger Brauch geübt wird. Und da sich zudem in den tieferen, mehr abgeschlossenen Tälern, wo sich das Volksleben nie so mannigfaltig entwickelt, wie in dem Haupttale, gerade die Erntegebräuche aus leichtbegreiflichen Gründen nie so reich entfaltet haben, so ist der Sammler schon jetzt in den meisten Fällen genötigt, nur aus dem Munde der Tradition zu schöpfen. Auf die Wichtigkeit gerade dieser Gebräuche und auf den großen Wert, den sie für die Altertumsforscher und Kulturhistoriker haben, näher einzugehen, halte ich für überflüssig. Ich erwähne nur, daß diese Art von Sitten die ältesten sind, und daß sich in ihnen noch eine Unzahl von Beziehungen zur heidnischen Religion unserer Väter erhalten haben. -

Ich gebe daher im Folgenden die vorzüglichsten Gebräuche, die in Tirol beim Pflügen, Heuen, Ernten im engern Sinne, Brecheln und Dreschen im Schwange waren und zum Teil noch sind, wobei ich mich gewissenhaft jeder Beimischung gelehrter Hypothesenreiterei enthalten und mir nur dort die eine oder die andere wissenschaftliche Bemerkung erlauben werde, wo sie den Zweck des Aufsatzes nicht alteriert.

I.

Ich beginne mit dem Roßeinläuten und dem Bärmachen, welche beiden Ackerbestellungsgebräuche beim Pflügen im Zillertale geübt werden.

Wenn nämlich die "Heuerinnen", welche hinter dem "Pflugheber" und "Treiber" die Furchen "hauen", vor den Rossen vom Acker nach Hause kommen, so werden die letzteren bei ihrer Rückkehr mit Kuhschellen und Hausglocken feierlichst "eingeläutet". Natürlich ist dies nicht häufig der Fall, und die Heuerinnen müssen sich schon sehr sputen und sich "gleim" (knapp) hinter den Pflügern halten, damit sie nach Hause kommen, ehe jene mit der Abrüstung des Pfluges in Ordnung sind. Wirklich eine höchst einfache und naive Art, beide Teile zu größtmöglichem Arbeitseifer anzuspornen!

Noch weit geistreicher ist das sogenannte Bärmachen. Beim herbstlichen Pflügen hilft man sich nämlich im Zillertale, wie anderswo, gegenseitig nachbarlich aus und kommt zu dem Zwecke Tags vorher zu einem Mahl zusammen, um sich über Zeit, Reihenfolge und Anderes zu verständigen. Wenn nun Tags darauf die Arbeit beginnt, muß der betreffende Teil zusehen, daß er in der anberaumten Zeit mit "Bauen" fertig wird. Bleibt nach Ablauf der Zeit ein Stück unbebaut übrig, so wird dem Betreffenden zum Spott "der Bär gemacht". Dies geschieht so. Einer hüllt sich in Lappen und Decken ein, kurz verkleidet sich, so gut es geht, als "Bär". Andere stellen Schützen, wieder Andere Hunde vor. Nun wird der Bär mit Gejohle über die Anhöhen gejagt, Acker auf Acker ab und schließlich "geschossen". Er gibt dieses Ereignis dadurch zu erkennen, daß er unter den Rain herunterkugelt. Dieses Schauspiel ist besonders an den sonnigen Lehnen (Seiten) des Harderberges üblich, von wo man oft den Lärm weit durch's Tal hört. Deshalb suchen die Leute schon Nachmittags mit der Arbeit fertig zu werden, damit ihnen nicht der "Bär gemacht" wird.

Dieser Brauch ist uralt, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß damit das althochdeutsche Liedfragment: ther heber (Eber) gat in litun etc. zusammenhängt. Unter der Bezeichnung "Bär" ist nicht Meister Petz zu verstehen, sondern ein männliches Schwein, dialektisch Bär, wie ähnliche unten folgende Bräuche bestätigen.

Der Ausdruck "Bärmachen" oder "Bärschießen" kommt in Oberinntal auch noch in anderer Bedeutung vor. Gibt man nämlich beim "Wässern" abschüssiger Wiesen nicht gut Acht, so kann es leicht geschehen, daß ein Stück Wiesgrund unterspült wird und herabsitzt. Man sagt dann vom Betreffenden, dem es passiert: "Er hat einen Bären herabgejagt". Auch das herabgeschwemmte Stück heißt "Bär", in der Meraner Gegend "Fuchs". Im Zillertale heißt überhaupt ein übrig gebliebenes Stück "Bär". Im Neuhochdeutschen hat sich der Ausdruck noch in der Redensart "Einem einen Bären aufbinden" erhalten.

II.

Höchst interessante Bräuche sind noch teilweise beim Mähen im Schwange. Doch ist auch hiebei die ursprünglich tiefere Bedeutung derselben durch abhanden gekommenes Verständnis in eine mehr humoristische Auffassung übergegangen.

Fast allgemein ist noch das sogenannte Roderinnenlocken üblich, das an vielen Orten den originellen Namen "Hund aufgeigen" führt. Wenn nämlich die Roderinnen oder Worgerinnen den Mähern mit Heuausbreiten nicht nachkommen, so nehmen letztere den Wetzstein aus dem Kumpfe und streichen damit drei Mal quer über den Rücken der Sense, was einen schrillenden, weithin vernehmbaren Ton gibt. Man sagt dann: der oder der haben sie "Hund aufgegeigt" oder den "Hund gemacht". Die Saumselige muß dann dem betreffenden Mäher das " Hagernestel" geben, d. h. ein kleines Geschenk machen.**) Häufig ist es die Geliebte, der dieser Lockruf gilt.

**) Hagernestel von Hagen = heuen; Nestel eigentlich Riemen, Schnürband.

Der Ausdruck "Hund" kommt auch als Benennung für die Heuschober vor und ist seinem mythologischen Kerne nach ein teils schädliches, teils segenbringendes dämonisches Wesen, das als Heupudel oder Graswolf in den wogenden Halmen hausend gedacht und nach weitverbreitetem Glauben beim Mähen der letzten Schwade gefangen wird. Nach seiner physikalischen Erklärung ist dieser Dämon nichts anderes als die Personifikation des Windes wie aus der Vergleichung verwandter Bräuche und Redensarten hervorgeht. So wird im Wipptal der Wind geradezu "Hund" genannt: "Wenn der Hund die Schöber umwirft: so werfe man ein Messer hinein".***)

***) Wer sich über diese theriomorphische Auffassung des Windes des Näheren unterrichten will, lese die beiden interessanten Schriften W. Mannhardt's: "Roggenwolf und Roggenhund", 2. Aufl. Danzig 1366; und "Die Korndämonen". Berlin 1868.

Gegenwärtig ist der ursprüngliche Sinn des Ausdruckes "Hund aufgeigen" ganz verloren gegangen, und die bloße Spottformel geblieben. Der Begriff des Spottes liegt nicht so sehr im Worte "Hund", als vielmehr in der Pantomime des "Geigens". Ich erinnere hier an die in Deutschland unter dem Namen "Rübchenschaben" vorkommende Spottgestikulation, die darin besteht, daß man mit dem einen Zeigefinger quer über den andern streift. -

Eines andern Brauches beim Heuen muß hier noch Erwähnung geschehen. Sind die Leute auf den Bergwiesen mit dem Mähen fertig, so stellen sie sich in einen Kreis, schreien unisono drei Mal und wetzen die Wetzsteine auf den Sensen. Diese Sitte geht in's früheste deutsche Altertum zurück. Ursprünglich brachten die Mäher, im Kreise stehend, mit ihrem Getränke dem Felde eine Spende dar, wobei sie unter Hutschwenken und dreimaligem Anschlag an die Sense den dreimaligen Ausruf "Wautan" oder "Wold" erhoben. Von dieser Trankspende, dem alten Wodelbier, hat sich in Tirol, soviel mir bekannt, keine Spur mehr erhalten, der dankende Anruf des Göttervaters Wuotan aber ist zum dreimaligen inhaltslosen Schrei verkümmert.

III.

Am reichhaltigsten und wichtigsten sind die sogenannten Erntegebräuche, ich meine jene, die mit der Gewinnung und Einheimsung des Getreides, sowie mit der weitern Bearbeitung desselben, vorzüglich mit dem Dreschen verbunden sind.

Einer der ältesten hat sich im Unterpustertal erhalten.

Er dreht sich um die Gewinnung der letzten Garbe. Wen es nämlich die letzte Garbe zum Schneiden trifft, von dem sagt man, er habe den "Alten". Er muß dieselbe nun aufstellen und davor laut ein Gebet, gewöhnlich das Vaterunser, hersagen. Die andern herum lachen und schreien. Es kommt übrigens hierbei auf die Fruchtgattung an, die geschnitten wird. Die letzte Weizengarbe zu erhalten, wird angestrebt, die letzte Roggen- oder Hafergarbe ist nicht beliebt. Wahrscheinlich gehörte, wie sich aus verwandten deutschen Bräuchen schließen läßt, die letzte Garbe dem- oder derjenigen, der sie gewann, oder es war damit ein Geschenk, andererseits Spott verbunden. In Oberinntal erhält der Meßner oder sonst eine arme Person eine Garbe.

Auch in Oberpustertal, wie ich den "Tirolerstimmen" vom Jahre 1868, Nr. 65, entnehme, ist diese "echt christliche Sitte" noch im Brauche. "Ist die letzte Garbe geschnitten, so knieen alle Leute auf dem Felde um dieselbe herum und danken im lauten Gebete dem Geber alles Guten. Darum heißt diese Garbe auch allgemein "Betgarbe".

Es unterliegt natürlich gar keinem Zweifel, daß dieses Gebet eine einstige, nun vorchristliche, Dankeshuldigung für Wodan war, entsprechend dem früher erwähnten Brauche bei Beendigung des Mähens, es erinnert an ähnliche Gebräuche in Deutschland, wo noch gegenwärtig der letzte Büschel Getreide auf dem Felde für Wodans Pferd stehen gelassen, und von den Umstehenden ein Reim dabei gesprochen wird.

An diese Gebräuche bei der Gewinnung des Getreides aus dem Felde schließt sich ein ganzer Kranz von Vorgängen bei der weiteren Bearbeitung desselben, vorzüglich beim Dreschen.

Ich hebe hier aus der Unzahl von variierenden Bräuchen nur die komplettesten hervor. Denn es ist wirklich schwer, aus diesem Kunterbunter sich die ursprüngliche Form jedes einzelnen zu konstruieren. Es handelt sich auch beim Dreschen, wie fast bei allen ähnlichen, um die Bearbeitung des letzten Stückes, der letzten Schwaige. Am ausführlichsten wurde mir dieser Vorgang aus dem Oberinntale mitgeteilt, wo er noch vor zwanzig, dreißig Jahren ausgeführt wurde.

"Im Verlaufe des Dreschens wird Jemand zum "Tennenmeister" ernannt. Dieser hebt beim Dreschen der letzten "Schanze", die bereits ausgedroschen auf der Tenne liegt, plötzlich den Flegel. Wer alsdann den letzten Streich macht, der hat den "Hennendreck" erschlagen. Helles Gelächter erschallt und gibt den Nachbarn das Signal, an dem nun folgenden Schwanke sich zu beteiligen. Einige binden schnell drei Kränze aus Stroh. Nämlich um den Kopf herum kommt ein Strang, darüber zwei andere in Kreuzesform gewölbt, so daß das Ganze die Gestalt einer Haube erhält. Auch Bänder, gewöhnlich sind es rote, werden darein geflochten. Diese Strohmütze wird dem Betreffenden auf den Kopf gesetzt. Nun muß er einen Wagen besteigen, und die übrigen Drescher ziehen ihn jauchzend durch's ganze Dorf, dessen Bewohner auf den Höllenspektakel natürlich zusammenlaufen. Neben ihm auf dem Wagen sitzen zwei Gefährten, die ihn sorgfältig halten und ihn mit bäuerlicher Höflichkeit behandeln. Nach dem Umzuge geht es zum Mahle, wobei der Delinquent den Ehrenplatz einnimmt. Er bekommt auch den besten Bissen, doch neben feinem Teller steht ein zweiter mit - Hennendreck, daneben Messer und Gabel. Den Strohkranz behält er auf, bis das Essen vorbei ist. Daß es während des Mahles an derbem Witz und Spott nicht fehlt, läßt sich denken.

An andern Orten, wie im Wipptal, wird der Delinquent von den Dirnen mit einem Strohbüschel gewürgt und mit "wiechem" Ruß abgerußigt; wieder an andern wird ihm beim Mahle Alles zugeworfen. Im Eisacktale nimmt derjenige, der den letzten Schlag macht, das schon bereitete Strohband unter den Rock (wohl unter die Schürze), läuft in die Stube, schlingt es der Bäuerin um den Hals, würgt sie und sagt: "Ob die Küchel außerkommen oder net?" Am kommenden Samstage, gewöhnlich ist es der darauffolgende Tag, setzt es denn das Verlangte ab.

Wie man sieht, handelt es sich auch hier wieder um das doppelnaturige Wesen, das man im letzten Bündel Strohes versteckt und durch den letzten Drischelschlag entweder zu töten oder zu fangen glaubt; im ersteren Falle erscheint es als böswilliger Korndämon, im zweiten als guter. Darauf beziehen sich die Ausdrücke: "Er hat den Henneler, die Los, die Sau etc. erschlagen", oder: "Er hat die Sau oder den Harer; er hat den Zoll, die Los erwischt". Daß man den Betreffenden als Fänger oder Töter des Tieres ansieht, geht wohl auch daraus hervor, weil in den meisten Fällen das getötete Tier bei der darauf folgenden Mahlzeit figuriert. Gewöhnlich ist es eine größere Nudel oder ein Extrakrapfen, der auf den andern zu oberst thront, und den der Fetierte nebst Schnaps als Ersatz für die mit ihm getriebenen Schindludereien erhält. Oft sind Stroh und Pollen - die Jungen der Sau - eingebacken. Der Krapfen führt die Namen: Hennendreck, Henneler, Harer, Drischlkönig, Sau, Los, Zoll, Bol, Scharpa ec. Dieselben Ehrentitel gehen auch auf den Gefoppten über. -

Ähnlich sind die Gebräuche beim Dreschen der Erbsen, Bohnen, des Flachssamens und derartiger Fruchtgattungen.****)

****) Da von den Brechelgebräuchen schon in einem früher erschienenen Aufsatze: "Der Flachsbau in Tirol", die Rede war (Bd. III, S. 241), so glauben wir uns mit einer Hinweisung darauf begnügen zu dürfen.

Quelle: Volksbräuche der Alpenländer - IV. Die tirolischen Erntegebräuche, Ludwig von Hörmann, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 4. Band, Gera 1872, S. 75 - 80.

Für SAGEN.at korrekturgelesen von Mag. Renate Erhart, November 2005.

Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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