Tiroler
Badeleben.
Brixen, Schalderer-Tal, Bad und Joch.
von O. Welter.
Wer eine genaue Karte Tirols, besonders des südlichen, zum ersten Male sich ansieht, wird überrascht sein von der ausnehmend großen Zahl von Bädern. Da giebt es kaum ein einziges Thal oder Thälchen, in dem nicht der Kartograph wenigstens neben einem Orte die kleine das Bad bedeutende Bütte oder Kufe verzeichnet hätte. Daraus sollte man nun schließen, daß Tirol überaus reich an Heilquellen sein müsse und vielen Leidenden Trost und Genesung spenden könne. Trotzdem aber wird kaum einer, der nicht näher im Lande sich umgesehen, auch wenn er die rheinischen und böhmischen, die Bäder des Schwarzwalds, der Vogesen und Pyrenäen sämmtlich kennt, nur den Namen eines einzigen tiroler Bades gehört haben, so daß es scheinen möchte, als ob dieser große Natursegen unseres deutschen Alpenlandes noch in unverdienter Vergessenheit schlummere und nur der Verkündigung harre, um der ganzen Welt bekannt und nutzbringend zu werden. Denn die Karte lügt nicht im Geringsten, alle verzeichneten Bäder und ein gut Theil andere sind vorhanden und werden gebraucht, und das symbolische Zeichen der Badebütte entspricht nur zu sehr der Wirklichkeit. Aber weder Ems noch Wiesbaden, und wie sie alle heißen mögen, die Sammelplätze der kranken und nicht kranken eleganten Welt, haben eine Konkurrenz der tiroler Bäder jetzt oder in Zukunft zu befürchten; kein Arzt wird seine Patienten statt nach Kissingen oder Karlsbad nunmehr nach Rothenbrunn oder Salt, in's Bärenbad oder nach Schalders schicken. Im Lande Tirol hat man nämlich ganz andere Ideen von dem, was ein Bad ist und sein soll, als draußen im Reich. Welche Ideen grade die besseren und richtigeren sind, und ob nicht ein Aufenthalt in einem tiroler Bad, wenn nicht in Folge, so doch neben und vielleicht trotz dem Bade für Kranke und Gesunde nutzbringender wäre, mag dahin gestellt bleiben, das aber ist gewiß: diese tiroler Bäder sind etwas so ganz Apartes, daß sie schon der Kuriosität halber eine Schilderung verdienen.
Ich hatte das Land schon mehrfach durchstrichen ohne eigentlich Kenntniß davon zu nehmen, bis ich im Jahre 1867 zuerst ein solches besuchte. In den folgenden Jahren geschah das öfter, und so will ich denn zu Nutz und Frommen der Menschheit meine Erlebnisse und Erfahrungen erzählen und eine Charakteristik tirolischer Bäder und tirolischen Badelebens daran knüpfen. Denn mutatis mutandi gleichen sich alle diese Bäder wie ein Ei dem anderen; wer eins gesehen, kann sich alle anderen vorstellen, weil sie überall, aus gleichen Verhältnissen hervorgegangen, dem gleichen Bedürfniß dienen.
Ich war im Herbst 1867 mit mancherlei Ab- und Seitenwendungen von Innsbruck über den Brenner gezogen und zwar, was heutzutage wol selten mehr vorkommt, zu Fuße. Die Eisenbahn war fertig, aber noch nicht im Betriebe. Noch gingen zwar die Posten und Stellwagen, voll gepfropft von der üblichen Ladung von Weibern und Mönchen, aber der Strauß am Hute des Schwagers bedeutete den Abschied, und aus dem Peilschengeknall klang die Melodie: "Ade, auf Nimmerwiedersehen." Die gewaltigen Wirthshäuser mit den steinernen gewölbten Stiegen, wo sonst der Troß der Reisenden und Fuhrleuten sich drängte, waren von erschreckender Leere; gähnend stand der sonst so geschäftige Hausknecht in weißer Jacke und bunter Zipfelmütze in der weiten Thür und ließ mir die Wahl zwischen einer ganzen Garnitur von Zimmern und Betten. Die einzigen Gäste waren noch die beim Bahnbau beschäftigt gewesenen Beamten, die sich aber nunmehr auch zum Abzug rüsteten, und es klang wie eine grausame Ironie, wenn sie am Schluß des heitern Abends noch Hausknecht oder Kellnerin das Eisenbahnlied singen ließen, ein Vergleich zwischen Sonst und Jetzt bei Wirthen und Fuhrleuten. (Vielleicht, daß einer oder der andere Leser dieser Zeilen sich des ganz gelungenen Liedes noch erinnert und es im Alpenfreund zur Veröffentlichung bringt.)
Die traurigen Mienen der Bewohner der großen Straße sprachen ein deutliches: Sic transit gloria mundi. Wie viel Glorie war aber nicht seit den Tagen der Römer und der deutschen Kaiser diese Straße entlang und leider auch hinabgezogen, vergangen, versunken in den unersättlichen Schlund italienischer Gräber. Landschaftlich mag der Brenner nichts bieten und allen anderen Alpenübergängen nachstehen, dennoch aber bedaure ich nicht, in aller Muße die Straße der Römerzüge unsrer Kaiser gewandert zu sein. Was der Landschaft mangelt, ersetzte die geschichtliche Erinnerung. Wie behaglich ließ ich dann den mählichen Uebergang zum Süden auf mich wirken! Dem Zauber kann sich kein von Norden kommender Wandrer entziehen, und er hat in gleicher Weise die Gefolgschaften der ersten deutschen Stämme wie unser Volk im Mittelalter bis auf die neueste Zeit befangen und gefangen erhalten. Der erste Nußbaum vor Mittewald, die ersten Kastanien vor Oberau und dann im sonnigen Thalkessel von Brixen, die ersten wirklichen Rebengelände, gebeugt von der Last schimmernder Trauben, das waren Eindrücke, die auf den gothischen und longobardischen Krieger schon so gewirkt hatten, wie sie bei mir trafen.
Nun aber war ich in Brixen schon im Süden, der weitere Weg nach Bozen, bekannt wie er mir war, brachte nicht mehr die entsprechende gradweise Steigerung, sondern führte unvermittelt aus den engen kalten Porphyrschluchten des Kuntersweges in das glühend heiße Bozen, das seinem Klima nach ganz gut einige Grad südlicher liegen könnte.
Ich hatte also der historischen Wanderlust genug gethan; die traurigen Gesichter, bekümmert wegen der Ungewißheit der künftigen Gestaltung der Dinge, waren mir zuwider geworden, und ich sehnte mich ordentlich nach lustiger Gesellschaft, nach frischem Lebensgenuß in Natur und Umgebung. Aber wo war der zu finden? in Brixen wahrhaftig nicht mit seinem geistlichen Parfüm, seinen vielen meist langweiligen Kirchen, den engen Straßen,
"wo Pfaff und Mönch sich in die Ohren raunen,"
Ich schaute also in Buch und Karte um, wohin ich mich wenden sollte. Bis zur Eröffnung der Bahn, die mich rasch nach Bozen geführt hätte, wollte ich nicht warten, der letzte Stellwagenpassagier noch viel weniger sein, ich mußte also seitwärts in die Berge ausbiegen und hatte schon an die Vallis Pustrissa gedacht, da brachte mich eine Unterhaltung mit Brixner Herren auf andre Gedanken. Wir hatten schon viel vom Wein gesprochen, und wie man das an und für sich gute Getränke doch gar nicht hier im Lande zu behandeln verstehe. Der Wirth hatte sogar die Probe seines Besten aus einem Winkel des Kellers hervorgeholt, aber er bestand nicht vor der vergleichenden Zunge und war obenein warm. Er entschuldigte sich damit, die Keller wären in Brixen allesammt schlecht, weil man sie, um sich des Eindringens des Grundwassers zu erwehren, nur sehr flach legen müsse. In einer geistlichen Stadt schlechte Keller! wüthet denn hier die Pfaffheit gegen ihr eigenes Fleisch? hat sie sich denn so ganz vom Wege mittelalterlicher Tugend entfernt? O ihr alten Mönche vom Johannisberg und Eberbach, vom Josephshof und vom Scharzhofberg, mit welcher Verachtung müßt ihr auf eure Confratres in Brixen herabschauen? Freilich habt ihr Kirchen gebaut, aber auch Keller so herrlich und hoch gewölbt, als ob ihr das Muster von euren Domen entnommen. Eure Münster sind verfallen und verschwunden, aber die unterirdischen Kirchen bestehen in unveränderter Schöne als ein Denkmal eurer tiefverständigen Lebensanschauung, und sie ziehen noch immer andächtige Verehrer an! Man hätte den Brixnern schon das unschuldige Vergnügen gönnen mögen, einen Dom und drei Kirchen rund herum zu bauen, wenn sie nur des Nöthigsten, Herstellung guter Keller, nicht vergessen hätten.
Vom Keller kam das Gespräch auf die Hitze im Allgemeinen, und einer der Herren, ein k. k. Beamter in Pension, seufzte: "Ach wär' ich nur wiederum im Schalderer Bad". Der Name traf mein Ohr, ich frug, wo das Bad liege, und wie es sei. Und mit Entzücken wurde mir entgegnet: "Sie, da ist es schön, da müssen Sie hingehen! Sie erreichen es in einem Nachmittagsspaziergange und da wird's Ihnen gefallen!" Ich frug noch, ob das Bad denn sehr besucht sei und auch gute Verpflegung biete, erhielt aber so überschwängliche Antworten, daß ich weiteres Fragen aus Furcht, mißtrauisch zu erscheinen, unterließ. Schaubach erwähnte zwar dabei keine besondren Merkwürdigkeiten, als daß Fallmerayer, der berühmte Fragmentist, ein Brixner oder vielmehr Tschötscher Landeskind, es sehr geliebt habe, aber mir war einmal das Bad zu Kopf gestiegen. Wo ein Bad war, mußte auch Badegesellschaft, namentlich weibliche sein, da mußte es Badevergnügungen geben, und mir schwebte schon ein Tänzchen mit jüngerer tirolischer Weiblichkeit vor den Augen. Ich entschloß mich also rasch zur Badereise nach Schalders und hatte sogar ein längeres Verweilen im Sinn, falls ich gute Gesellschaft träfe.
Die Stunden bis zur Nachmittagskühle benutzte ich zur nochmaligen Besichtigung der Brixner Merkwürdigkeiten; der Dom mit den drei umliegenden Kirchen ist ganz im italienischen Renaissancestil gehalten und bietet neben der Verschwendung schönster Marmorarten nichts besonders Merkwürdiges, wenngleich der Gesammteindruck ein guter ist. Anziehender war schon das Grabmal eines der letzten Minnesänger, des vielgewanderten Oswald von Wolkenstein: auf der Platte war der Ritter in ganzer Figur ausgehauen, eine stattliche Gestalt mit feinen Zügen und lockigem Spitzbart, wahrscheinlich ein Elegant in seiner Zeit, der sich auf seine Taille viel zu gute that. Der Bildhauer ließ ihre Schmalheit wenigstens unter dem Harnisch ganz auffallend hervortreten. Im alten romanischen Kreuzgang sind sehr interessante frühmittelalterliche Wandmalereien aus dem alten Testament, die in ihrer Naivetät ganz komisch wirken. Salomon und die Königin von Saba und Gideon erscheinen und agiren natürlich wie Ritter und Frauen der damaligen Zeit; höchst wunderbar ist aber ein Elephant; der Künstler, der augenscheinlich nie einen gesehen und doch zu malen hatte, schuf ein ganz fabelhaftes Wunderthier daraus, was mit dem jetzt als Emblem des Wirthshauses zum Elephanten dienenden Exemplar auch nicht die mindeste Ähnlichkeit hat. Im nämlichen Kreuzgang befindet sich auch ein hölzernes, die Bronze täuschend nachahmendes Christusbild, das als wunderthätig verehrt und mit wächsernen ex voto's, Beinen, Herzen, Armen etc. ganz überhängt war.
Damit war meine Geduld für Brixen zu Ende, ich schnürte mein Ränzel und zog frohmüthig dem Schalderer Bad und den mich erwartenden Genüssen entgegen. Statt der staubigen Landstraße bis Vahrn, wo sich bis vor Kurzem auch ein durch den Bahnbau beseitigtes Bad mit Quelle befand, und den dort beginnenden Schalderer Thalweg einzuschlagen, wandte ich mich gleich vor dem Thore links und folgte einem sich bergauf ziehenden und nach der Karte den rechtsseitigen Berghang des Schalderer Thales überquerenden Fußpfad. Die Wanderung war prächtig: der Pfad schlang sich erst durch Rebenhügel und Kastanienpflanzungen mit herrlichem Blick auf die Weinberge des linken Eisakufers, die freundlichen Dörfchen und das in einem reizenden, verborgnen Erdenwinkel hingelagerte Kloster Neustift. Dann kam wirklicher Kastanienwald: zwischen gewaltigen Felsblöcken waren die mächtigen reichbelaubten Bäume aufgeschossen und ließen kaum einen Strahl der scheidenden Sonne durch ihr Blätterdach dringen. So viele schöne Wälder auch Deutschland aufzuweisen hat, nirgendwo vielleicht schönere, als die die Basaltkuppen der vulkanischen Eifel bekrönenden der hohen Acht und der Kasselburg, ich halte dennoch, auch auf die Gefahr hin als Verächter der Heimath angesehen zu werden, die Kastanie für den schönsten Waldbaum, und die Kastanienwaldungen auf den Südabhängen der Alpen sind die schönsten Wälder.
Hier und da zeigte sich ein Bauernhof, in der offenen Bauart schon ganz an italienische Szenerien erinnernd, dann aber, je höher ich stieg, verloren sich die Kastanien, und düstre Tannen traten an ihre Stelle. Aber in den Tannen verlor sich der Weg, ich kletterte noch eine Strecke aufwärts, gewann aber bald die Ueberzeugung, daß ich an den letzten Gehöften mich hätte rechts wenden müssen und nun zu hoch gestiegen sei. Nach manchen vergeblichen Versuchen eine Lücke zum Abstieg in's Thal zu entdecken, fand ich eine zum Bach führende Runse, augenscheinlich im Frühjahr das Bett eines Wildbaches, die mich, wenn auch mit manchen Fährlichkeiten und oft mehr rollend und gleitend als gehend, endlich an den Rand des Schalderer Baches brachte, dessen Rauschen ich schon hoch oben vernommen hatte. Der Steig führte hoch am jenseitigen Ufer entlang, und mit Hülfe einiger quer gelegter Stämme kam ich über das Wasser auf den richtigen Weg. Der Zwischenfall hatte einigen überflüssigen Schweiß gekostet, dafür war aber der folgende bequeme Saumpfad doppelt angenehm. Der Bach läuft in einer tiefen waldigen Schlucht daher, von der sich hie und da hübsche Ausblicke auf darüber gelegene Alpweiden mit Häusern besetzt eröffneten, gewiß ein anmuthiger schattiger Spaziergang für lustwandelnde Badegäste! Wo der Bach sich eine Terrasse hinabstürzte, waren Mühlen angelegt und vielfache Wasserleitungen dem Bette entnommen worden. Aber nirgendwo war ein Mensch zu sehen, ihre Wohnungen schienen hoch über dem Thale zu liegen, und es war ein ganz weltverlorenes Wandern in der stillen Waldeinsamkeit. Da gewahre ich auf einer Brücke ein weibliches Wesen mit Hut und Sonnenschirm, augenscheinlich das erste Exemplar einer Badegästin auf der Nachmittagspromenade. Unwillkürlich beschleunige ich die Schritte, um sie beim Näherkommen sofort zu verlangsamen. Bei der Badegästin brauchte mein Herz nicht höher zu schlagen - sie gehörte der leider sehr zahlreichen, gewiß höchst achtbaren Klasse der in Tirol natürlich noch mehr wie sonst frommen und selbstverständlich häßlichen alten Jungfern an. Der freundliche Gruß, der schon vor der Entdeckung, in Erwartung ganz anderer Dinge, begonnen war, wurde huldvollst erwidert, und etwas enttäuscht schaute ich der Vorüberwandelnden nach. Nun das Bad mußte doch auch jüngere Damen haben, und sie ersetzten vielleicht durch Schönheit etwaigen Abgang an Eleganz und Feinheit. Rüstig, noch im Vollgefühl der Hoffnung, schritt ich weiter, und aus dem Wald heraustretend, eröffnete sich mir ein ganz liebliches Bild. Das Thal schien im Hintergrund ganz geschlossen von steil ansteigenden, waldigen Bergen, links und rechts aber zogen sich bis zur Sohle leicht geschwungene, reich begrünte Matten.
Am Wasser lag rechts ein freundliches weißangestrichenes Haus und ihm gegenüber ein kleineres Gebäude, hoch oben aber auf der äußersten rechten Thalstufe, die mit Häuschen und Stadeln übersäet war, blinkte ein Kirchlein, und malerisch darin verstreut lag eine kleine Häuseransammlung. Das mußte Dorf Schalders sein, wo aber war das Bad? Ich schritt auf das weiße Häuschen zu, klomm einige Stiegen hinauf und fand mich auf einem Hausplatz, wo ein Dutzend Bauern in Hemdsärmeln herumlungerten und ein höchst primitives Kegelspiel auf einer kaum 20 Fuß langen Bahn betrieben. Ich grüßte und frug: "Wo gehts nach dem Bad Schalders, und wie weit ist's noch?" "Ja, da sind Sie ja grade schon," war die Antwort.
Also das Häuschen war das Bad selber, Kursaal, Hotel, ein Badhaus, Alles in einer Person? Kommt her, ihr verwöhnten Menschenkinder, und seht, wie wenig zu einem Bade gehört. Ein gutes Stück meiner Illusionen war ohne Weiteres entschwunden, aber wenn auch die accommodations and conviniences mäßig waren, die Gesellschaft konnte das Alles ersetzen. Ich ließ mir von der Kellnerin ein Zimmer anweisen, um eine kleine Umkleidung nach der staubigen Wanderung vorzunehmen, und wurde in ein großes, ganz gut ausgestattetes Gemach mit vier reinlichen Betten geführt.
Wer mochten denn meine Zimmergenossen sein? ich entdeckte kein weiteres Gepäck als ein Brevier mit Bildern etc. einem P. Modestus O.Cap. gehörig, und darunter fein gefaltet ein blauleinenes, frischgewaschenes Taschentuch. Also ein Kapuziner war mein einer Genosse, und ich staunte ob der Einfachheit seines in einem Taschentuch bestehenden Reisegepäckes. Ein solcher Kapuziner verwirklicht doch das Ideal der Verminderung des lästigen Reisegepäckes auf das Allernothwendigste, und wir Alpenvereinler könnten von ihm noch unendlich viel lernen. Neben dem Taschentuch kam mir mein bescheidenes Ränzel ordentlich den Reiseschiffen ähnlich vor, mit denen unsre Damen heutzutage die Eheherren quälen.
Nach vollendeter Umkleidung spähte ich neugierig umher nach den Badegästen, denn die Kellnerin hatte mir schon anvertraut, es sei sehr voll, aber nirgendwo ließ sich etwas erblicken, und ich verfügte mich auf den Hausplatz. Im Bade Schalders mußte man der Logik der Thatsachen halber nun auch ein Bad nehmen, und ich eröffnete diesen Wunsch der Kellnerin. "Das könnte schon geschehen, ich müßte indeß bis zum Abend warten." "Warum denn?" Weil das Wasser erst "g'sotten" werden müßt." "Aber ich nehm's auch schon ung'sotten." Einige Verwunderung über den delikaten Menschen, der nicht wußte, daß das Schalderer Wasser, wie alle anderen tiroler Badewässer mit Ausnahme des Brennerbades, ein kaltes sei und zum Badegebrauche erst erwärmt werden müsse.
Ich beschied mich also bis zum Gesottenwerden zu warten und sah mittlerweile dem Spiel der Bauern zu. Mir schien hier ein ziemlich fauler Menschenschlag zu sein, da die Bauern den ganzen Nachmittag an einem Werkeltage verspielen konnten.
Endlich ist mein Bad fertig, man geleitet mich über den Bach zu dem hölzernen Häuschen, in dessen erstem Stock sich zwei Reihen Badezellen befinden, jede mit einer hölzernen Badekufe, einem Stuhl und einem Handtuch ausgestattet. Erst jetzt entdecke ich den tiefen Sinn, der in den kartographischen Zeichen des Bades liegt, und strecke mich in der Freude über diese Entdeckung gehörig in meiner Bütte gesottenen Wassers aus. Neben derselben liegt ein Brett, auf ihre Gestalt passend und am oberen Ende mit einem Ausschnitt versehen. Durch die mähliche Erkaltung des Wassers seinen Gebrauch ahnend, lege ich es auf die Bütte und rage nun nur wie ein zum Köpfen Fertiger aus dem Gefäße. Ich komme mir selbst unendlich lächerlich vor und sähe mich für mein Leben gern ein Mal so im Spiegel. Wie putzig man in einem solchen Sarg aussieht, davon habe ich mich später in anderen tiroler Bädern überzeugt. Schalders, das für jeden Badegast eine besondere Zelle besitzt, ist nämlich schon eine Art Luxusbad und von der früheren primitiven Einrichtung abgewichen. In den anderen stehen alle Badekufen in einem und demselben Raume, höchstens durch ein verschiebbares Vorhängelchen von einander getrennt. Ist man nun in der Kufe fertig eingesperrt, so zieht man den Vorhang bei Seite, und die ganze Gesellschaft liegt zusammen. Oder aber man steigt in einem abgesonderten Gelaß in's Bad, deckt sich zu, und dann wird die Kufe in das große allgemeine Zimmer von einem handfesten Knecht geschoben. Als ich mit einer Reihe von Freunden im Bade Salt im Martellthal ein solch gemeinsames Kufenbad nahm, natürlich auch ein gesottenes, da fand das Gelächter kein Ende, als wir die Vorhänge zogen, und wir in dem düstern Steingemach die Reihe Bütten sahen, aus deren jeder ein verwunderter Kopf und weiter nichts heraussah. Aehnlich sieht man die Bäder auf mittelalterlichen Holzschnitten dargestellt, und in Tirol hat sich diese historische Badeweise demnach wie vieles Andere in der ursprünglichen Reinheit bewahrt.
Das Bad that mir übrigens ganz wohl, wie es jedes andere warme Bad am Ende auch gethan hätte; denn besondere Eigenschaften konnte ich weder an dem gesottenen noch an dem ursprünglichen kalten Wasser entdecken, abgesehen von einem gewissen Erdgeschmack.
Neugestärkt schritt ich zum Kurhaus zurück und fand meine Bauern noch rüstig am Spiel. Die Badegäste ließen sich noch nicht blicken, schienen also sonstwo verhalten zu sein. Meine Neugierde wuchs immer mehr, ob sie gleich schon alle Erwartungen auf's Mindeste heruntergespannt hatte.
Da frug mich die Kellnerin, ob ich an der Table d'hote Theil nähme. Table d'hote, das war ein andrer Klang, das Wort hörte ich in Tirol zum ersten Mal und weckte angenehme Erinnerungen und Hoffnungen. Da sah man doch, wo aus und ein, und freudig bejahte ich die Anfrage. Endlich wurde geschellt, und die Bauern, statt heimzugehen, stürzten in's Haus, und ich natürlich ihnen nach auf den ersten Stock, wo in einem großen Zimmer eine lange Tafel gedeckt stand. Jetzt erst kam mir der Gedanke, daß die Bauern wol die Badegäste sein könnten. Und richtig, so war es. Sie nahmen am Tische Platz, und neben ihnen waren nur noch mein Kapuziner, einige Pastöre, meine Wenigkeit und als einzige Vertreterin des schönen Geschlechts die ältliche spinster-aunt vom Nachmittage vorhanden. Ihr schönen Träume von Tanz und Lustbarkeit mit jungen Damen, wie jämmerlich wart ihr zerflossen! und ich war um jede Illusion von tiroler Bädern gekommen! Blieb also nur noch die Naturalverpflegung und die Table d'hote als einziger Trost. Zuerst stand mein Kapuziner auf und betete ein Tischgebet, das alle stehend andächtig mitsprachen, ich natürlich mit. Dann brachten Wirth und Kellnerin das Essen - eine gewaltige Kumpe mit dicker Graupensuppe zuerst. Meine Nachbarn verspeisten gewaltige Teller voll und sahen mich scheu an, als ich den ersten Gang vorbeigehen ließ. Wozu an der Table d'hote sich mit so vulgärem Zeug den Magen füllen, dachte ich. In der Zwischenzeit suchte ich ein Gespräch mit meinem Nachbar anzuknüpfen. Ob das Bad sehr besucht sei? "Jo!" Ob das alle Badegäste seien? "Jo!" Gegen welche Krankheiten das Bad gebraucht werde? Keine Autwort. Wozu das Bad denn gut sei? Mittlerweile war eine neue Ladung Essen angekommen und zwar riesige Schüsseln mit Bergen von Schnitzeln. Ich frug also noch einmal: Wozu das Bad gut sei? Mein Nachbar aber ergriff die Schüssel, scharrte einen Haufen Schnitzeln herab und brummte ingrimmig: "Für'n Mogen!" Das war wol eine Ermahnung in der Art des englischen: Mind your dinner oder der deutschen Frage: Sind Sie hieher gekommen, um zu schwätzen oder um zu essen? Ich nahm mir sie zu Herzen und griff gleichfalls wacker zu. Also gegen Magenleiden wird das Bad gebraucht, dachte ich und verfolgte die wirksamste Thätigkeit der Kauwerkzeuge meiner Mitesser. Das Bad muß eine wunderbare Kraft haben, so überlegte ich weiter, die Leute sind alle magenleidend gewesen und befinden sich jetzt augenscheinlich im höchsten Stadium der Magengesundheit, nach ihrer Eßthätigkeit zu schließen, mit der ich gesunder Mensch keinen Schritt halten konnte. Denn mir war die Ahnung aufgedämmert, daß die Table d'hote mit den Schnitzeln ihr Ende haben könne, und da regte sich in mir doch die Angst, mit meinem Hunger zu kurz zu kommen. War das auch die Wirkung des Bades? - Die Natur ist wirklich unberechenbar, solche Kraft in solch unschuldigem Wässerlein!
Genug, unter unseren vereinten Anstrengungen ward bald leerer Tisch gemacht - damit hatte auch die Table d'hote ein Ende, und ich war um die Erfahrung reicher, daß, wenn in zwei Bädern am Rhein und in Tirol gleichmäßig Table d'hote gehalten wird, damit doch ganz verschiedene Dinge bezeichnet werden können.
Im Handumdrehen war nun das Tischtuch sammt anderen Spuren des Abendessens beseitigt; ich saß geruhig hinter meinem Schöpplein sauren Weines, die wackeren Baderecken begannen ein andres edles Vergnügen, nämlich das des Kartenspielens. Die Karten sind sonst so leicht zu handhabende Blättchen, daß selbst die zartesten Damenhändchen sie bewegen können, hier aber war in ganz raffinirter Weise damit eine körperliche Anstrengung verbunden, der nur die robustesten Naturen gewachsen waren. Es mußte nämlich bei jedem Stich auf den Tisch mit Faust und Knöcheln gehauen werden, daß das Haus im Gebälke erzitterte, und mein Schöpplein auf dem Tisch tanzte. Das Spiel schien äußerst einfach, eine Art von Zwicken, aber nach der lebhaften Betheiligung der Spieler und Zuschauer äußerst interessant zu sein und nahm dazu gar kein Ende. Einer Taille folgte die andre, und war oben am Tisch eine kleine Ruhepause eingetreten, dann schlugen die unten am Tische mit verdoppelter Gewalt. Zu den eigentlichen Badegästen hatten sich einige Kanoniker, oder wie sie am Rhein nach der Analogie von monachus "Mönche", so von Canonicus "Knönche" heißen, von Neustift gesellt, die weiter oben im Thale im Steinwender ihre Sommerfrische hatten und zum Zwecke der geselligen Vergnügung in's Bad herabgekommen waren. Sie theilten sich den spielenden Gruppen zu und hauten wacker mit. Nur der Kapuziner, ein junges ganz feines Gesicht, hielt sich fern davon und schaute nur stehend dem Spiele zu, oftmals bei einem gelungenen Schlag oder komischen Wort herzlich mitlachend, bei nicht frommen Flüchen aber ernst und strafend dreinblickend. Ebenso die alte Jungfer.
Ich saß derweil mitten am Tisch allein und hörte und sah mein blaues Wunder an diesem tirolischen Badevergnügen, bis denn der Wirth und einer der älteren Neustifter Herren sich meiner Verlassenheit erbarmten und sich zu mir setzten. Da plauderten wir dann über Schalders und sein Bad, über die Unterhaltungen und Vergnügungen eines solchen Aufenthaltes. Der Wirth erzählte mir, daß das so mit Kartenspielen bis tief hinein in die Nacht fortginge und anderen Morgens nach der Bade-Messe und Frühstück wieder anfinge und Allen wohl bekomme. Eine Kapelle habe er im Hause, und es müsse immer dafür gesorgt werden, daß er einen messelesenden Priester bei sich habe. Denn eine Messe müßten die "Bodgäscht" haben, und man könne es ihnen nicht zumuthen, daß sie Morgens die Viertelstunde zur Dorfkirche hinaufgingen. Meist habe er nun einige Patres im Hause, die gleichzeitig, natürlich auch gratis bei ihm die Sommerfrische hielten, und dabei als Entgelt und Bezahlung für die geistlichen Bedürfnisse der Gesellschaft sorgten. Letzte Woche seien nun diese plötzlich abgerufen worden, und habe er sich in großer Verlegenheit befunden. Er sei nun sofort zum P. Guardian der Kapuziner nach Brixen hinab gegangen und habe um Beigabe eines andren Pater gebeten. Weil nun die andren aber sämmtlich auf Mission oder sonstwo beschäftigt gewesen, so habe man ihm nun den jungen Pater, meinen Zimmergenossen, mitgegeben, der so "a bissel still" und schüchtern sei und noch nicht so recht mit den "Bodgäschten" umgehen könne. Auch wären diese etwas unzufrieden, daß sie nur eine Messe täglich hören könnten, und er müsse sorgen, daß er noch einige andre Patres in die Sommerfrische bekäme.
Nette Unterhaltung für einen Badegast! Messehören und dann Kartenspielen, hie und da mit einigen Rosenkränzen untermischt, zur gottgefälligen Abwechslung !
Mit dem Neustifter Herrn sprach ich dann von seinem Kloster - es mußte die Professoren für's Gymnasium stellen und hatte große Noth, die Zahl complet zu halten. Die gescheidten Jünglinge wendeten sich mehr und mehr vom Ordensstande ab, weil sie, wie natürlich, in der Welt mehr voran kommen könnten, und der Mann war verständig genug, das ganz erklärlich und klug zu finden.
Mittlerweile war es spät geworden: unsere ältliche Jungfer hatte sich in mädchenhafter Schüchternheit schon früher still gedrückt, der Kapuziner folgte ihr, ich ihm nach. Ich kam noch just früh genug, um seine ebenso rasche wie einfache Nachttoilette zu sehen: nach Beseitigung der Holzsandalen hüpfte er, wie er war, auf den schwellenden Pfühl und lag still wie ein Mäuschen, als ich mein Lager im anderen Bette suchte. Halb im Schlaf lag ich schon, als nach längerer Zeit zwei der badegastirenden Bauern erschienen und die beiden anderen Betten einnahmen. Auch sie reduzirten die Nachttoilette auf das denkbarste Minimum. Jacke, Weste und Stiefeln wurden allerdings abgelegt, aber -
Zu vertauschen mit Bedacht,
Das Hemd des Tages mit dem der Nacht,
hielten sie nicht weiter für nöthig, und mit den dicken Lederhosen am Leibe krochen sie unter die Decken. Darum auch die gänzliche Entblößung der Stube vom Reisegepäck der Zimmergenossen - sie hatten und brauchten eben keins!
Eben so rasch wie in's Bett kamen die Drei am andern Morgen auch heraus. Zuerst der Kapuziner, der bei Tagesanbruch in einem Hui wieder in seinen Holzpantinen steckte und geräuschlos zur Thüre entschwand. Von Waschungen sah ich bei ihm so wenig etwas wie bei den beiden Bauern - ob sie dieselben unter dem Laufbrunnen oder im Bade erst abmachten, weiß ich nicht, doch schienen die Gründe von Moritz Busch für Vornahme der Morgenwäsche
Zum ersten: ist es mal so schicklich;
Zum zweiten: ist es sehr erquicklich;
Zum dritten: ist man sehr bestaubt;
Zum Viertens soll man's überhaupt;
Dann Fünftens: Ziert es das Gesicht -
Und schließlich: schaden thut's mal nicht!
ihnen noch nicht zur Genüge bekannt zu sein.
Indeß ich mich noch im Bette weiter dehnte, überlegte ich, was zu thun. Daß meines Bleibens in Schalders nicht mehr sein könnte, stand fest, und meine Badereise hatte ein jähes Ende genommen. Zwar landschaftlich war sowol der Weg von Brixen anziehend als namentlich auch die Lage des Badehauses alpenhaft idyllisch; aber trotzdem Fallmerayer selbst im fernen Orient in Trapezunt sich nach seinem lieben Schalders gesehnt haben soll (s. Amthor, Führer, 3. Aufl., p. 262), ich sehnte mich, selbst auf die Gefahr hin, mit dem berühmten Fragmentisten in Widerspruch zu gerathen, entschieden von Schalders hinweg. Die gleichen Schönheiten war ich sicher in jedem andern Thal anzutreffen, dort auch ohne Zugabe badender Bauern ungestört baden zu können.
Nach der Karte konnte ich von Schalders nach Latzfons oder in's Sarnthal hinüber kommen, ich kannte die Sarnthaler Gruppe noch gar nicht und entschloß mich daher, über das Schalderer Joch nach Sarnthein zu gehen. Nie habe ich mit solchem Genuß und Behagen mich angekleidet als jetzt, wo mir die summarischen Prozeduren meiner Vorgänger vor Augen standen:
Wie fröhlich ist der Wandersmann
Zieht er das reine Hemd sich an;
Und neugestärkt und friedlich heiter
Bekleidet er sich emsig weiter
Und erntet endlich stillerfreut
Die Früchte seiner Reinlichkeit
Drunten in der Kapelle las mittlerweile der Kapuziner den Bauern die Messe, und als ich zum Frühstück erschien, kamen auch die anderen Badegäste in langer Reihe zu Tisch.
Ich erklärte dem Wirth, daß ich meine Absichten geändert und in's Sarnthal hinüber wolle. Die Zeche war erstaunlich billig, und unrecht wäre es, nicht zugestehen zu wollen, daß die Leistungen im Verhältniß zum Preise wirklich gut waren, aber ich war nun einmal von allen Anwandlungen und Gelüsten nach tiroler Bädern gründlich kurirt. Viel mögen zur Enttäuschung meine übergroßen Erwartungen und Hoffnungsfreuden beigetragen haben, die mir mein Gewährsmann in Brixen erregt hatte, aber ein civilisirter Mensch mit den allerbescheidensten Anforderungen an Leben und Gesellschaft hätte es keine zwei Tage dort ausgehalten.
Ich nahm freundlichen Abschied und ging meiner Wege weiter, das Thal hinauf. Der Weg war steil; beiderseits stiegen die Berge hoch empor und ließen nur hie und da einen schönen Rückblick auf die liebliche Lage der Schalderer Au und jenseits auf die blauen Pusterthaler Berge zu. Wo das Thal sich gabelt, lag ein kleiner Alpsee, ein rechtes Auge des Gebirges, in der fast regelmäßig sich wiederholender Dreiecksform. Auf einem roh zusammengefügten Floß fuhr ein Pastor darauf herum, Forellen nachstellend.
Dann biegt der Weg scharf nach links um in ein Seitenthal, und, nach einem schönen Blicke auf das nunmehr in gleicher Höhe mit mir liegende Dorf Schalders, verschwindet jede Aussicht. Steil geht es durch einen Bergwald hinauf, einem Grate gegenüber, welcher der höchste zu sein scheint, aber beim Näherkommen sich als eine Vorstufe von sehr hohen im Rücken liegenden Bergen ausweist. Auf ihm liegt eine Alpe, zur Ziegenweide benutzt, über die der Weg zur eigentlichen Jochhöhe führt. Die Fichten verlieren sich, dann kommen Zirben, dann Legföhren und zuletzt gar nichts mehr als Steine und liebliches Geröll.
Immer höher zieht sich das Joch sicherlich bis zu einer Meereshöhe von nahe 8000 Fuß. Oben lohnt nicht die geringste Aussicht, weder vorwärts noch rückwärts, für die überstandenen Mühen. Die Formen der Sarnthaler Berge sind überhaupt uninteressant und langweilig, und das Joch selbst liegt kaum 200 Fuß tief eingeklemmt zwischen ganz kahlen Bergrücken.
Schöner ist's dagegen auf der Sarnthaler Seite - grüne Matten ziehen sich bis zum Joch hinan, von weidenden Pferden belebt. Kein Thier sieht schöner auf der Alpe aus als das Pferd. Neugierig klug betrachtet es den Wanderer, mit zierlich schöner Haltung den Kopf über den Hals eines anderen biegend und mich mit den Blicken verfolgend. Dazwischen muntere Fohlen, die bei meinem Nahen in tollen Sprüngen zur Mutter eilen. Aus einer kleinen Schluchtenmündung rieselt eine klare Quelle, in eine Holzrinne gefaßt, neben der ein sorglicher Senner eine schön geschnitzte Wasserschale zum Gebrauch Durstiger zartsinnig niedergelegt hat. Hier machte ich die erste Rast - ein Junge, der von Brixen aus zu einem wunderthätigen Pferdsdoktor geschickt war, eine Salbe für ein krankes "Roß" zu holen, theilt meine Rast für kurze Zeit und ebenso meine Vorräthe, bis er mit seiner kostbaren Ladung eilig weitergeht. Ich aber lag in behaglichem Sinnen noch ein Stündchen länger und dachte mir, daß Schaubach und Ball wol Recht haben mögen, wenn sie von Durnholz aus den Weg über's Schalderer Joch anmuthig nennen. Der grüne, sich langsam nach den Häusern von Durnholz mit dem tiefblauen See hinsenkende Rücken ist wirklich anmuthig, aber die andere Seite des Joches verdient diesen Namen wahrhaftig nicht. Den praktisch frommen Sinn der Sarnthaler bewunderte ich übrigens auch an einem Heiligenbild, aus dem eine menschliche Hand in Holz herausgehauen war, deren Richtung den Weg über's Joch andeutete, gewiß eine recht gute Verwendung der vielen überflüssigen Heiligenbilder, die als Wegweiser verwendet gleichwol der unbefangenen Frömmigkeit noch dienen und - fremden Wanderern so von Nutzen sein könnten.
Auf holperigem Weg ging's dann, hinab in's Thal, am Widum, hart am See vorbei, der wiederum durch, Vereinigung zweier Bäche entstanden, die Dreiecksform zeigt, um dann den nunmehr besseren Weg hinab über Reinswald und Astfeld, den Vereinigungspunkt des Durnholzer Baches mit der eigentlichen Talfer, nach Sarnthein.
Die Landschaft war anmuthig, ohne besondere Schönheiten zu bieten, aber wahrhaft herzerquickend waren die schönen Leute. Wahre Hünengestalten sah ich, als ich bei Durnholz Unterstand suchte gegen einen kurzen Regenschauer. Wie sahen die Männer in den braunen Jacken mit rothen Umschlägen und grünem Brustlatz, der Sonntagskleidung, so stattlich aus; welche Brustwölbungen und Schulterbreiten konnte man da sehen! Dazu das offene, treuherzige Gesicht mit den blauen Augen, der feinen geraden Nase, dem leichtgekräuselten, lichtblonden, etwas spärlichen Haar - das waren echt germanische Volkstypen, und so schön, wie ich sie nirgend wo mehr getroffen habe, wie sie sich vielleicht nur noch in Norwegen finden. Das schöne Geschlecht stand dagegen entschieden zurück, wozu wol auch die künstlich eingequetschte Brust, die dicken, besonders hinten zu einer einförmlichen Masse aufgebauschten Röcke das Ihrige beigetragen haben mögen.
Wie ich dann von Sarnthein weiter nach Bozen kam und dabei, wenigstens für mich, Runglstein entdeckte, das mag für ein anderes Mal aufgespart bleiben. Aber ich versäume niemals, in Bozen von Neuem den Runglstein zu besuchen und jedem Bekannten, der nach Tirol geht, seinen Besuch auf die Seele zu binden. Für mich ist er geradezu der schönste Punkt im ganzen Südtirol, das Juwel der Bozener Gegend, und wen ich auch hingeführt. Jeder war ergriffen von der wunderbaren Schönheit. Nur die Verse von Scheffel, will ich hier erwähnen:
Noch heute freut's mich, o Runglstein
Daß einstmals zu guter Stunden
Durch der Talfer felsenges Thal hinein
Zu dir den Weg ich gefunden!
und seine Mahnung:
Wer immer in's sonnige Etschland fahrt
Halt Einkehr in diesen Räumen.
Damit wäre ich mit meinen tiroler Badeerinnerungen zu Ende, und es sei mir nur noch gestattet, die landesüblichen Vorstellungen von einem Bade kurz zusammenzufassen.
Wo irgend ein Wässerlein zu Tage tritt, das irgend einen ausnahmsweisen Erde- oder Eisenbeigeschmack oder sonstige besondere Güte hat, da wird es als Heilquelle betrachtet; man erbaut ein Badehaus und ein Wirthshaus daneben, indem der äußere und innere Körper Nässung, Waschung und Tränkung und Magen und Seele Speisung finden kann. So sehr der tiroler Bauer sonst das Wasser zum äußeren und inneren Gebrauch vermeidet und scheut, so ist ihm doch ein Stück von dem Glauben seiner heidnischen Altvordern geblieben in der abergläubischen blinden Verehrung solcher angeblichen Heilquellen. Wenn nun in anderen Gegenden wirklich Kranke oder wenigstens Wohlhabende die Bäder besuchen, so ist dieser Besuch dort zu Lande ein allgemeines Nationalbedürfniß! Da ist kein irgendwie behäbiger Bauer, der nicht im Sommer in's Bad geht. Er hat's auch in der That nöthiger wie andere im Norden. Das Klima ist erschlaffender, dann aber arbeitet er überhaupt wenig und unvernünftig und konsumirt viel, sehr viel und gleichsam unvernünftig, so daß er eine Herstellung der gestörten körperlichen Harmonie suchen muß und sie ganz den mittelalterlichen Anschauungen entsprechend in seinen Bädern zu finden glaubt. -
Die schlechten ökonomischen Verhältnisse der meisten Bauern im deutschen Südtirol lassen sich auf solche Quellen, übergroßer Verbrauch für den eigenen Bedarf, zurückführen, kein Wunder darum, aber immer jammerschade, wenn das nüchterne, sparsamere italienische Element nach Norden weiter vordringt und diesen deutschen Kernstamm mit seinen echt deutschen Vorzügen und Fehlern zurückdrängt.
Seinen Bedürfnissen entsprechend schafft der Bauer sich auch die Bäder - die Leibesverpflegung muß massenhaft sein, Messe und Rosenkranz dürfen nicht fehlen, und dann hat er genug, wenn er nichts weiter zu thun braucht, als auf der Bank zu liegen und als einzige Arbeit Karten zu spielen.
Neben Bauern verkehren dann dort hie und da Geistliche der Umgegend und als einzige Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts einige ältliche Jungfern. Verheiratete Frauen und junge Mädchen habe ich nie in solchen Bädern getroffen, stets aber einige sehr fromme und sehr häßliche Individuen der oben beschriebenen Gattung. So wenig wie der Arzt über den Gebrauch und die etwaige Wahl eines Bades zu Rathe gezogen wird, so wenig wird auch ein ärztlicher Beistand im Bade verlangt und gefunden. Jeder trinkt und badet, wie es die Andern machen, oder nach seinem persönlichen Geschmack, aber immer möglichst viel. In den südsteyrischen Gegenden, in Kroatien und Serbien, sollen ähnliche Bäder existiren, der Patient sich aber vor oder in jedem Bad noch schröpfen lassen. Derartige Blutentziehung soll auch in den tiroler Bädern, wenn auch nicht regelmäßig, vorkommen - also ein unverändertes Ueberbleibsel mittelalterlicher Medicin mit ihren regelmäßigen minutiones!
Der wandernde Tourist wird in solchen Badegasthäusern stets ganz passable Verpflegung mit billigen Preisen finden, aber zu längerem Aufenthalt ist keins dieser Bauernbäder geeignet. Ich bemerke ausdrücklich, daß ich natürlich nur von diesen Bauernbädern spreche, nicht aber von solchen wie das Brennerbad, Ultner, Pragser Bad, Bad Innichen etc. Dort verkehren allerdings auch Bauern, da eben der Gebrauch der Bäder und der Sommerfrischen ein ganz allgemeiner und gewiß berechtigter ist, aber daneben sind auch andere Einrichtungen für "Herrenleute" getroffen.
Aber ein eigenartiges Stück Volksleben sieht man in solch einem tiroler Bauernbad immerhin, mit dem gesottenen Wasser, den Badebütten, den Badegästen und Gästinnen, und ich weiß nicht, ob der Gebrauch einer solchen Kur nicht manchem Kranken aus den Städten und der Ebene mehr Nutzen brächte als der Aufenthalt in einem fashionablen Bad, wo ihn jetzt sein Arzt hinschickt. Die tiroler Badewässer würden ihm wahrscheinlich so wenig nützen, wie auch die andern Quellen, aber sicherlich auch nichts schaden. Neben diesem negativen Vorzug aber würden die reine Alpenluft und die absolute Gemüthsruhe eines solchen Aufenthaltes sicher wohlthuend wirken.
Quelle: Tiroler Badeleben. Brixen, Schalderer-Tal,
Bad und Joch, von O. Welter, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für
Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen
aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen
Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 5. Band, Gera 1872, S. 339 - 352.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Gabriele U., Juli 2005.
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