Funkensonntag am Arlberg
Zum Frühlingsanfang wird am Arlberg alljährlich der 'Funkensonntag' gefeiert. Dann brennen auf den tief verschneiten Bergen wie im Tale bei einbrechender Dunkelheit eine Menge von Feuern. Man nennt dieselben 'Funken'. Das Anzünden derselben ist eine alte heidnische Feier, das Fest des zunehmenden Lichtes. Wie von so vielem, was an die alten Götter und den alten Glauben erinnert, ist aber auch von diesen Flammen im Bewußtsein des Volkes die wahre Deutung verlorengegangen. Man meint jetzt, die 'Funken' leuchten zur Erinnerung an eine furchtbare Pest, welche einst den größten Teil der Bevölkerung des Landes hinwegraffte.
So ist es auch mit der Hauptgestalt, welche bei diesem Brauch vorkommt. Es ist eine Strohpuppe, welche wohl ursprünglich den Winter bedeutete, wie es bei ähnlichen Bräuchen, dem sogenannten 'Winterverbrennen', anderweitig auch wirklich der Fall ist. Hier aber nennt man die dem Flammentode geweihte Figur 'die Hexe'.
Kinder sammeln den ganzen Tag über bei den Gemeindeangehörigen
Stroh, Heu und Holz und schichten das alles um eine Tanne herum auf. Oben
wird 'die Hexe' befestigt. Nachdem sodann die Kinder eine Weile, angezündete
Fackeln schwingend, um den Haufen herum getanzt haben, gibt der Schullehrer
ein Zeichen, und derselbe wird in Brand gesteckt. Wenn sodann die Gestalt
von der Flamme erreicht wird und auflodert, so ertönt ein ohrenbetäubendes
Geschrei: 'Die Hexe brennte, und der Fak-keltanz wird noch ungebärdiger.
Nun ist das große Licht, der große 'Funke', wirklich tatkräftig
geworden, wenn auch in diesem rauhen Berglande die Frühlingszeit
noch wenig von den verwandten Erscheinungen in milderen Gegenden zeigt.
Dort, am Rande des Bergwaldes, aus welchem der Ruf des Kuckucks dringt,
dampft ein Schneefeld in die mild gewordene Luft hinein, und hier an dem
Haufen von Scheiten, hinter welchem, durch Schatten vor Abschmelzen geschützt,
noch ein hingewehter Schneewall sich erhalten hat, erkennt man die Mächtigkeit
der winterlichen Niederschläge und die Gewalt, welche trotz alledem
der vordringende Frühling dem kranken, mürrischen Alten schon
angetan hat.
Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 330 - 331.