Die 'Habergais'
Es wird Abend, und wenn wir noch einen Spaziergang in die Waldstrecke
machen, welche sich an den Vorbergen des Unnütz hinziehen, sehen
wir vielleicht im tieferen Dunkel schon eine oder die andere der Eulengattungen
flattern, welche hier das zoologisch ungebildete Volk unter dem gemeinsamen
Namen 'Buhi' zusammenfaßt. Auch der 'Quickezer', ein etwas fabelhaftes
Tier, dessen Stimme in der Dämmerung oder Dunkelheit nichts Gutes
bedeutet, scheint mir zu den großäugigen Vögeln zu gehören,
welche die klassifizierende Wissenschaft unter die Genera der Stix, Surnia,
Ulula unterbringt. Sie alle sind Einwohner oder häufige Gäste
des versteckten Tales. Der gefürchtetste von allen Fittichträgern
ist aber im Achental die 'Habergais'. Es ist das derselbe Vogel, der im
übrigen Süddeutschland 'Ziegenmelker' genannt wird. Die Habergais
hat eigentümliche Sitten: auf den lockenden Ruf des Sennen kommt
sie aus dem Walde bis auf das Dach seiner Hütte geflogen. Setzt sie
sich aber dort nieder, so schlägt sie mit den Flügeln und stößt
so unheimliche Töne aus, daß es dem Unbedachtsamen, dessen
Stimme sie gefolgt war, ganz weh zumute wird. Und nicht mit Unrecht -
denn ihre Anwesenheit bringt den Rindern schlimme Krankheiten. Wenn sie
sich einem Menschen gar auf die Schulter setzt, so muß dieser sterben,
wenn er nicht noch überdies Schaden an seiner Seele nimmt. Denn die
meisten sagen, die Habergais sei eigentlich nichts anderes als der böse
Feind selbst. Wer im Frühjahr am Abend ihre Stimme im Wald hört,
fürchtet und bekreuzigt sich, wie wenn an einem Donnerstag der Adventszeit
plötzlich ein 'Perchtel' zum Fenster hereinschaute. Diese 'Perchteln',
Stammkinder der alten Göttin Perahta, werden auch in unserm Bayern
öfter gesehen. Ich mußte deshalb in meinen 'Voralpen', wo ich
ihnen manchmal begegnete, eingehender über sie berichten.
Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 294 - 295.