Mondsee
Ein wildes Hin- und Herjagen von Nebeln zeigt und versteckt den Mond,
unter welchem im See eine breite Fläche von blassem Licht sich hebt
und senkt. Die flimmernde Dämmerung hält uns wohl die großen
Linien der Landschaft, wie sie sich aus Wasser und Gestein entwickelt,
verborgen, aber bei dem Schein des Gestirns däucht es uns am besten,
zuerst den ihm heiligen See zu erblicken. Es gibt kaum irgendwo ein Gewässer
in den Bergen, dessen Ufer vom Licht des Mondes in Verbindung mit der
Wasserfläche in so auffälliger Weise verklärt und verwandelt
erscheinen. Man muß ihn unter diesem Schein gesehen haben, wenn
man ihn kennen will. Der alte Maninsee ist dem 'Herrn Man' zugehörend,
dem 'Herrn', wie die leblose Kugel von den Bewohnern des Salzachlandes
noch heute genannt wird. Mani, der göttliche Zwerg, wurde an den
waldigen Gestaden verehrt. Weiter im Osten gehört ihm ein Bergwald:
der Man-Hart (Mondwald). Hier aber zieht sich sein Gewässer hin,
dessen Wellen im Norden an grüne Wiesen und Hügel, dort im Süden
an jähe Felswände schlagen. Es gibt freilich auch solche, die
es besser wissen, wie es sich mit dem Namen dieses tiefen Sees verhält.
Wenn man eine Landkarte betrachtet und sein Vorstellungsvermögen
nach den Angaben und Einflüsterungen eines anderen stark anstrengt,
so ist es am Ende nicht undenkbar, daß man eine Ähnlichkeit
der Ufernumrisse mit der Mondsichel entdeckt. Wer aber den See vom Ufer
aus betrachtet, sieht eine eiförmige Wasserfläche - die obere
Einbuchtung gegen Osten verstecken ihm waldige Vorsprünge -, und
er denkt gewiß an jeden Gegenstand der sichtbaren Welt eher als
an die Mondsichel. Eigentlich sollten alle Seen, deren Gestade Krümmungen
darbieten, Mondsee heißen, wenn jene Etymologen recht behalten,
welche behaupten, daß Markomanen oder Heruler, oder wer immer von
unseren schöngeistig so sehr zurückgebliebenen Ahnenstämmen
sich zuerst hier herumtrieb, Wassern und Bergzügen Namen nach idealen
Umrissen gegeben haben.
Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë , München 1867, S. 21 - 22.