Palmweihe bei St. Leonhard
Es ist heute Palmsonntag, der Tag der Palmweihe. Diese wird, wie alljährlich,
bei der kleinen Kapelle St. Leonhard in Aussee durch eine Balgerei der
halberwachsenen Bursche verherrlicht. In der Dämmerung des nächsten
Sonntages, des Festes Ostern, brennen Feuer von allen zugänglichen
Höhen am See. Wir unterdessen machen uns ein Vergnügen, welches
wenige kennen. Wir lassen am Strande der ruhigen Flut über dürren
Gräsern eine Flamme lodern, welche mit den zahllosen Anschwemmsein
des Sees, Holzsplittern, Rindenbruchstücken, Wachholderzweigen, genährt
wird. Wenn man über die Spitzen der Flammen hinweg auf den blauen
Spiegel und die über ihn emporragenden Berge hinschaut, sehen diese
aus, als wenn sie im Hintergrund eines ungeheueren Aquariums, eines mit
unruhigem Wasser angefüllten Glaskastens stünden. Auch ist ihr
zitterndes Bild in eine braunrote Farbe getaucht, gegen welche alle anderen
Gipfel im unverfälschten Sonnenlicht golden in die Welt schauen.
Das Wimmeln der verdünnten Luft über dem Feuer bewirkt die seltsame
Täuschung.
Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 122 - 123.