Der Tatzelwurm
Bei meinen Nachforschungen über die Merkwürdigkeiten dieser Berge habe ich nicht verfehlt, mich auch nach dem 'Tatzelwurm' zu erkundigen, dessen schreckliche Erscheinung den Stoff zu manchem Gespräch lieferte, das ich in anderen Bergländern bei der gastlichen Flamme mit anhörte. Aber es gelang mir nicht, von den unheimlichen Sauriern der Schluchten etwas zu erfahren. Dagegen wurde ich durch die Kunde überrascht, daß vor wenigen Jahren öfter ein Krokodil seinen Kopf aus dem seichteren Gewässer der Ufer gehoben habe. Die Jäger rannten, auch Nichtjäger erschienen bewaffnet am Strande, um nach dem Tier zu spähen, aber es zeigte sich am wenigsten, wenn die meisten Neugierigen ihm nachstellten. Ich habe meine guten Gründe, das Ungeheuer der Bergwälder und das der grünen Wellen in eine und dieselbe Spezies zu verweisen. Der Fischotter, welcher in der Ache fischt, begnügt sich nicht mit dem Wasser, das an diesem Abhang zu Tal rinnt. Er überschreitet Wasserscheiden und Jochhöhen, um unberührte Nahrungsquellen aufzuspüren. Auf einer solchen Wanderung über Geröll und Felsen erscheint er dem Begegnenden freilich als ein überraschendes Tier. Dasselbe Tier lauerte hier am Ufer den Fischen auf, welche in Scharen gegen einfließendes Wasser sich drängen. Er tauchte unter - er tauchte wieder auf. Das ist die Geschichte vom Krokodil des Mondsees.
Wirkliche Ungetüme aber sind in dem an unterseeischen Quellen reichen
Gewässer die Lachsforellen, von denen einzelne das Gewicht eines
halben Zentners erreichen. Doch würde sich der Gourmet enttäuscht
finden, welcher etwa in der Hoffnung hierher käme, die eben der Tiefe
entrissenen Leckerbissen frisch vom Netz weg zu kosten. Er findet sie
wohl auf dem Wiener Fischmarkt, aber nicht hier auf dem für die Sommerfrischgäste
gedeckten Tisch. So gebe ich mich gern der Hoffnung hin, daß ich,
wenn mein Weg im tiefen Winter mich wieder an diesen Ufern vorüberführt,
keine einförmig zugeschneite Fläche finden werde. Die Bauern
verkünden freilich strenge Fröste und prophezeien eine sibirische
Kälte, denn die abgehauenen Stümpfe in den Wäldern waren
in diesem Spätherbst von ungewöhnlich zahlreichen weißen
Schwämmen bedeckt. Aber ich glaube ihnen und ihren Zeichen nicht,
ich will nicht daran glauben, denn ich kann die sibirische Kälte
nicht brauchen, wenn ich in den Bergen herumwandere und ihr Bild, das,
aus schönen sommerlichen Erinnerungen zusammengesetzt, in scharfen
Umrissen im Repositorium des Gedächtnisses bewahrt ist, durch winterliche
Beobachtungen zu vervollständigen suche.
Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë , München 1867, S. 40 - 42.