Bei meinen Forschungen über tarrolisches Innenleben durfte ich natürlich auch das Gebiet der Kunst nicht übergehen. Die gesammelten Daten blieben lange Zeit recht spärlich, bis es mir eines Tages gelang, mit dem Direktor eines Innschbruckchcher "ächt tarrolischen Bauerntheaters" durch Zufall bekannt zu werden. Ein gefälliger Europäer, der von meinem Forschungstrieb wußte, vermittelte das Zusammentreffen. Er stellte mich als Literaten und Zeitungsberichterstatter vor, was den Direktor ungemein respektvoll stimmte. Wir saßen in einer rauchigen Spelunke, um uns gab es nur Bauern und Knechte und angenehmerweise keine Ästheten.
Der Direktor machte auf mich sogleich den besten Eindruck. Er sprach sehr gut deutsch und war überhaupt ein zungengewandter Mann. Ich machte auch deshalb ganz unverhohlen eine Bemerkung, die ihn sehr heiter stimmte. Glauben Sie am Ende gar, sagte er, ich sei ein Tarrola? Ich dank' schön! - Ich bin Gott sei Dank aus Adlerkosteletz, mein Herr! Zum Theater bin ich so ganz durch Zufall gekommen, weil ich immer geschaut hab', ein Arbeitsfeld zu finden, wo möglichst wenig Konkurrenz ist. Zuerst war ich Agent einer Gummiartikelfabrik und bereiste als solcher die verschiedensten Länder, darunter auch Tarrol.
Hier nun kam mir beim Besuche eines Bauerntheaters plötzlich eine glänzende Idee. Ich wollte selbständig, ich wollte Theaterdirektor werden. Ich sah, daß die Vorstellungen sehr schlecht besucht waren und begriff sofort, woran dies lag und wie man hier Geld verdienen konnte.
Ich bin in der Tat gespannt! sagte ich zu dem geriebenen ehemaligen Gummiwarenagenten.
Hören Sie! Der Hauptfehler lag darin, daß die Leute am Theater alle die Landessprache gebrauchten, und die kann kein Ausländer verstehen. Darum gingen die Fremden viel zu wenig hin, und die Einheimischen geben für so etwas überhaupt kein Geld aus. Also muß man das Theater für die Fremden herrichten, wie man in Tarrol überhaupt nur von den Fremden Geld verdienen kann. Als ich mit meinen Plänen fertig war, wandte ich mich an den Chef meiner Firma in Deutschland. Er, als ein äußerst unternehmungslustiger Mann, ging nach einigem Zaudern auf meine Ideen ein und streckte das Nötige vor. Es war auch gar nicht so viel erforderlich.
Nun ging ich ans Werk. Ich kannte artistisch veranlagte Naturen genug, z. B. Zimmermädchen, die ich während meines Reiselebens in Gasthöfen kennen gelernt hatte; Friseurgehilfen, die mir meine hygienischen Artikel als Wiederverkäufer abnahmen und dergleichen Leute mehr. Ich brauchte also bloß zu wählen.
Dies wundert mich, warf ich ein, daß seßhafte Tarrola sich so schnell entschlossen.
Tarrola! lachte er auf. Lieber Herr, Tarrola waren dazu überhaupt nicht zu brauchen ! Den Leuten mußte ich zunächst erst den Theaterdialekt beibringen, eine Sprache, die ich sozusagen eigens für unsere Fremden erfunden habe! Diese Sprache muß sich einerseits möglichst unauffällig an das Berlinerische anlehnen und anderseits eine Anzahl Wörter besitzen, die auf "erl" und "-u-a" endigen, und viele "sch" enthalten, damit es tarrolerisch aussieht und von den Norddeutschen doch gut verstanden werden kann. Wirklich tarrolerische Wörter dulde ich überhaupt nicht auf meiner Bühne, so. ein Gegrunze versteht doch kein Mensch! Sie sehen ein, daß bei solchen Sprachenverhältnissen Tarrola, die doch bekanntlich nur ihre Landessprache zu sprechen vermögen, ganz unverwendbar sind. Ich habe bei meiner Truppe bloß einen Tarrola. Es ist der, der den Dorftrottel darstellt, denn das trifft kein Fremder! Der
muß echt sein ! Was er spricht, versteht niemand, aber bei ihm kommt es auch nur auf das blöde Gesicht an. Und das hat er von Natur aus. | Als er dieses sagte, traten zwei Männer in auffallend bunten Trachten zu ihm heran. Guten Tag, die Herren sagte der eine, der andere, sofort als der Dorftrottel erkennbar, murmelte etwas Unverständliches. |
Sodann gab es eine längere Unterhandlung. Nachdem die beiden gegangen waren, sagte der Direktor: Mein erster Liebhaber und der Dorftrottel! Der eine will heute nicht mehr im vierten Akt auftreten, weil er von ein paar fremden Damen geladen ist, und der Dorftrottel möchte erst im zweiten Akt kommen, weil er vorher in die Abendpredigt geht. Man muß manchmal nachgeben. Jetzt heißt es wieder, das ganze Stück schnell umändern. - Wie gefielen Ihnen die zwei übrigens?
Recht gut, sagte ich. Die Kostüme -
Gleichfalls meine Erfindung! ergänzte er stolz. Alles von auswärts bezogen! Denn wissen Sie, die tarrolischen Trachten sind am Theater ebenso unbrauchbar wie die tarrolische Sprache. Schauen Sie sich die Weiber im Lande an. Was tragen sie? Einen schwarzen runden Hut, ein paar schwarze Schleifen hinten, dazu einen zumeist schmutzigen Unterrock und ein Paar vertretene Stiefel, das ist die ganze Volkstracht. So was darf man nicht aufs Theater bringen! Da gehören bunte Farben hin, weiße Strümpfe, gestickte Mieder u. dgl., sonst gefällt es den Berlinern nicht. Darauf versteh' ich mich! Zudem war meine Frau früher als Mamsell in einem Prager Modesalon angestellt.
Erlauben Sie: schreiben Sie auch alle die Stücke selbst, die Sie aufführen?
Nein! Ich hab' es probiert, aber dazu hab' ich keine Geduld! Doch ich finde immer etwas. Wenn man die Namen und die Titel etwas ändert, kann man mit ein paar Stücken lange auskommen. Und dann hab' ich einen Schulkollegen - er reist gewöhnlich in Wirkwaren - der schreibt in seiner freien Zeit für uns. Er hat schon in der zweiten Realschulklasse, wo wir beisammen waren, Gedichter gemacht. Wissen Sie, es gehört, sag' ich immer, nur recht viel Geduld und Zeit dazu, dann trifft's jeder. Man hat im ganzen etwa ein halbes Dutzend Figuren, die immer wieder vorkommen und nur richtig untereinander gemischt werden müssen. - Da ist das betrogene "Deandl", die gegenwärtige Geliebte oder die Bäuerin, der Dorftrottel und eines oder mehrere uneheliche Kinder, dazu Schuhplattlertanz und Zithernspiel. Mit dem findet man sein Auskommen.
Sicherlich hätte uns dieser weltgewandte Mensch noch viel Wissenswertes über sein "ächtes Tarrola Bauerntheater" erzählt, aber er wurde leider weggeholt. Ein "Deandl" erschien mit blumengesticktem Röckchen und goldverschnürtem, grünen Mieder. Als ich es erblickte, erinnerte ich mich eines fernen, farbenfreudigen Volksstammes - und sie, das Tarrola Landeskind, sagte zum Direktor: Pod' domû, Jindrich! Je mi dlouhá chvíle! -
Sie sprach ein vorzügliches Deutsch; einige freundliche Worte wurden gewechselt, dann erklärte der Direktor, zur Probe aufbrechen zu müssen. Zudem, sagte er, heißt es früher noch rasch das Stück umarbeiten! - Man hat immer viel zu tun! - Mein Herr, wandte er sich sodann eindringlich an mich, wenn ich Sie mit einer kleinen Bitte belästigen dürfte?
Sprechen Sie, Herr Direktor!
Wenn -- wenn Sie halt gelegentlich einmal in einer Zeitung eine Notiz bringen, Sie tun mir einen großen Gefallen. Wissen Sie, "Heimatskunst", "bodenständige Heimatskunst", das ist jetzt so eine recht gute Empfehlung. "Wurzelächt" hab' ich auch einmal gelesen! - Verzeihen Sie, Herr - Herr Doktor, Sie verstehen das ja besser als ich, ich weiß schon! Die Hochsaison ist da, wir haben bereits einundzwanzig tote Touristen, da ist eine kleine Empfehlung für meine Truppe sehr viel wert.
Verlassen Sie sich! Herzlich gerne!
Mit einem Händedruck schied ich von dem Künstlerpaare. Grüß Good! sagte das "Deandl" beim Fortgehen.
Aber ich als ein höflicher Mann entgegnete still, doch innig: Pochválen bud' Jeizís Kristus! Dobrý vecer ! - -
Der Direktor gab den "Buam", seine Frau das "Deandl". Ihre Kostüme erinnerten mich an Amazonenpapageien. Einige Darsteller zeigten durch ihre tadellose Haartracht dem Wissenden sogleich an, daß sie außer der Bühne tüchtige Barbiergehilfen waren. Die Weiber, alle lege artis gepudert, geschminkt und frisiert, konnten, wenn schon Hotelzimmermädchen darunter waren, doch nur aus Häusern ersten Ranges sein.
Mir gegenüber saßen zwei Herren in ähnlichen Trachten, wie man sie auf der Bühne zu sehen bekam. Ihre schwammigen Gesichter waren mit Schmissen bedeckt, niemand konnte sie verkennen. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgten sie die Vorgänge auf der Bühne.
Als der Dorftrottel auftrat, sagte der eine sehr bald: Det erkennt man sogleich, - is keene lebenswahre Fijur nich!
Man versteht ooch gar nich, was er nu redet, weil er zu stark übertreibt! entgegnete der andere.
Tja! meinte der erste, indes die annern janz vorzüglich zu verstehen sind, trotzdem sie die Landessprache jebrauchen ! Vielleicht is der Kerl gar keen Einjeborener nich!
Diesen unangenehmen Eindruck hatten sie aber wohl bald überwunden, denn als der Akt mit Tanz, Zithernspiel und Juchaz'n abschloß, klatschten sie unaufhörlich Beifall. Der zuerst zur Ruhe kam, sagte: Is'ne eijene Sache, 'n Volk in seiner janzen Ursprünglichkeit und unjlaublichen Naivität studieren zu können; es hat 'nen jewissen Reiz!
Ich sah ihn an und dachte mir genau dasselbe.