Der sprechende Totenkopf.
(Eine Geschichte aus der vierten Dimension.)
Als ich das Museum von meinem Vorgänger übernahm,
fand ich die Schaukästen mit dem unglaublichsten wissenschaftlichen
Trödel angefüllt. Am meisten ärgerte mich ein konservierter
Schädel. Am Glase prangte die Aufschrift "Homo sapiens" mit einem großen
Fragezeichen und der Inventarnummer 3784. Das Präparat verschlang unheimlich
viel Alkohol; so oft ich auch nachfüllen mochte - das Schädeldach
ragte dennoch bald wieder aus der Flüssigkeit.
Ich würde das teure Objekt längst ausgeschieden haben, wenn es
mein Vorgänger nicht fürsorglich inventarisiert hätte.
Als ich einst spät abends noch im Laboratorium arbeitete, vernahm ich
ein eigentümliches Geräusch. Ihm nachgehend, kam ich auf besagten
Schädel Inv.Nr. 3784. Beim Schein der Studierlampe konnte ich deutlich
wahrnehmen, wie der Schädel seine bleichen Lippen öffnete und
stöhnte: "Schpezial!" 1) Zwei stiere Augen glotzten mich an "Ja lebst
du denn noch?" rief ich entsetzt. "Wouhl", klang es dumpf zurück. "Wer
bist du", forschte ich weiter. "Kchluibnschedl" spuckte es mir entgegen.
"Und woher stammst du ?" "Aus d'r Kchootlockchn." 2) - "Also ein Tarrola!"
Der Schädel nickte feierlich; da bemerkte ich erst, daß ihm das
Cerebrum herausgenommen worden war. "Unglücklicher, du hast ja kein
Gehirn mehr", murmelte ich mitleidig. "Nia g'mirkcht', 3), gluckste es im
Glastopfe. Das bleiche Gesicht bekam darauf einen unsagbar traurigen Ausdruck,
und nach einer kurzen Pause hörte ich wieder deutlich "Sschpezial !
Schpezial!", - -
Nun war es mir klar, warum das mysteriöse Präparat so oftmaliges
Nachfüllen erforderte. Mehr aus wissenschaftlichem Interesse, denn
aus Mitleid schleppte ich das Standgefäß mit 96 prozentigem Alkohol
herbei und füllte das Glas Nr. 3784 wieder voll. Gierig sog der Mund
die Flüssigkeit ein, die Stirnfalten glätteten sich, und der bleiche
Kopf wurde gesprächig. Was er mir erzählt hat, soll in Kürze
wiedergegeben werden.
Es ist wenig, aber rührend.
Der Kopf gehörte einem jener Idealisten an, die im denkwürdigen
Jahre 1809 ihre "Eigenart" gegen ein Heidenvolk zu verteidigen versucht
hatten, das überall, wo es hinkam, Straßen baute und überdies
noch - Schulen errichtete! Gleich beim Angriffe verspürte unser Held
einige Fremdkörper auf seiner Rückenseite. Er versuchte das hiebei
fühlbar werdende Unbehagen durch Kratzen mit dem Pfeifenrohr zu beheben,
ein Unternehmen, bei dem ihn sein Freund und Mitstreiter, der Huf- und Kurschmied
Castullus Zumtobel, überraschte. Dieser, grundgelehrt und scharf im
Beobachten, diagnostizierte jene Fremdkörper als Bleikugeln und riet
vorsichtshalber zur vorläufigen Unterbrechung der kriegerischen Tätigkeit.
Kluibnschedl kam zum Feldscher. Mit dem Lazarettgehilfen zugleich erschien,
weil dies so üblich war, ein Kapuziner, und beide fanden reichlich
Arbeit. Mit derselben Gründlichkeit, mit der der eine die Zahl der
wöchentlichen Räusche und der unehelichen Kinder des Patienten
festzustellen versuchte, forschte der andere nach den feindlichen Kugeln,
die, obwohl man ihre Eintrittsstelle deutlich sah, im Rückenfleisch
nicht aufzufinden waren.
Nachdem der Lazarettgehilfe 14 Kreuzschnitte ohne Erfolg gemacht hatte,
räusperte sich Kchluibnschedl, spuckte, wie dies seine Art war, kräftig
auf die Zimmerdecke und riet wohlwollend: "Kchennt ma's 4) nöt eppa
vo' vurn o'gehn ?" wobei er sich hör- und riechbar auf den Rücken
wälzte.
Der Gedanke war gut, da er aber zugleich den ersten und einzigen im Leben
unseres Helden darstellte, empfand er nach dieser ungewöhnlichen geistigen
Anstrengung eine solche Müdigkeit, daß er bald ermattet einschlief.
Der Schlaf muß tief und lang gewesen sein, denn als Kchluibnschedl
die Augen wieder auftat, fand er sich nicht unwesentlich verkürzt im
Präparatenglase Nr. 3784 wieder. Wie dies gekommen, darüber machte
er sich gewohnheitsmäßig keine Gedanken.
Er wußte überhaupt nur, daß er unsäglich Durst litt,
und so hatte ich alles aufzubieten, die nötigen Alkoholmengen herbeizuschaffen.
Die Folgen blieben nicht aus! Seine Reden wurden immer wirrer und widersinniger,
er stieß Äußerungen hervor, die mit der religiösen
Erziehung seines Volkes in entschiedenem Kontrast standen, ja er gurgelte
es schließlich hervor: A Tolm bin i g'west, a rachta Tolm, daß
i mi auffischiaßn hob' lossn! Wia d'r Anderl hätt' i's moch'n
soull'n! Wia d'r Anderl! Dea ischt fei' in Heistodl 5) gong'n, wann s' o'g'fongn
ho' n 6) zon schiaßn, und hod nua in Kopf monigsmol 7) a wen'g aussag'steckcht!
A Tolm bin i g'wen!
Kchluibnschedl, sagte ich begütigend, du weißt nicht, was du
redest!
Woaß i, grunzte er wütend. Stad 8) bischt, du Stoa'esel, sunst
jaukch 9) i di, wia ma dö Wallischen dazumol g'jaukcht hom!
Aber geh! Ihr habt doch die Bayern in erster Linie verjagt und nicht die
Wallischen! -
Im Glase begann es förmlich zu kochen. Die Wallischen, gurgelte er,
oda die Boarn, 's ischt olles oans! Olle san s' vor ins davo' g'rennt. D'Innschbruckcha
ham a zittert vor ins, grod so wie dö Ondern! Won inser oana Schnops
g'nua g'hobt hod ah do hod's ausgeben! Ob a Wallischer oda a Boar oda a
Innschbruckcha oder oan Onderer, dös wor ins gonz gleich! - Wos woaßt
denn du! Fir di heuliche Rölichion - ah, do hom ma dreig'haut ! -
Der Kopf machte immer heftigere Bewegungen' seine stieren Augen traten immer
stärker hervor - ein unheimlicher Anblick! Dilirium tremens war das,
furchtbarster Säuferwahnsinn!
Während es mich noch eiskalt überlief, kam aus dem Glase schon
wieder das unheimliche "Schpezial! Schpezial!" - - -
In meiner Zerstreutheit und Erregung ergriff ich die falsche Flasche und
schüttete ahnungslos ihren Inhalt dem tollen Säuferkopf mitten
in den Mund. Die Wirkung war entsetzlich. Das ganze Objekt begann sich heftig
zu regen, die Schädelkappe geriet in Schwingungen, das Gesicht verzerrte
sich zu einer teuflischen Fratze, und die kreidebleichen Lippen machten
heftig spuckende Bewegungen, so daß die Flüssigkeit aus dem Glase
spritzte - dann war es still -
Kchluibnschedl hatte für immer ausgeredet, der Totenkopf war wirklich
tot.
Aus Versehen hatte ich ihn mit - aqua destillata begossen. - -
1) "Spezial" ist der sog. "bessere Wein°.
2) Ein Vorort Innschbruckchs.
3) bemerkt.
4) man es.
5) Heustadel, Scheune.
6) haben.
7) manchmal.
8) still.
9) jauken=jagen,fortjagen.