Monsieur le maire.
Europäische Einrichtungen fehlen in Tarrol keineswegs.
Eisenbahn, Post, Telegraph und Telephon kennt man seit vielen Jahren. Allerdings
sind fast überall Tarrola angestellt, die außer ihrer Muttersprache
weder Deutsch noch eine andere europäische Sprache verstehen, doch
geht der Dienst trotzdem zumeist ganz gut von statten. Die Leute sind nämlich
ebenso praktisch als pflichtgetreu. Ich erinnere mich zum Beispiel, daß
mir in den ersten Tager meines Aufenthaltes in Tarrol das Ausbleiben meine:
europäischen Tagblattes auffiel. Nach einiger Zeit wendete ich mich
an den Postleiter des Ortes um Auskunft.
Jauooo, sagte er, wolln S' laicht Eanare Zeidung olle Toch lesn ?
Ich bejahte.
Jauooo, fuhr er fort, nocha ischt's freili wo andascht's! Dö Zeidung
segn S', ischt olle Toch kchema, owa mia hom uns denkcht ös ischt dö
nemlache, wonn ma imma bis am Suntoch wortn do hot ma mehr Zeid zon lesn
und nocha hom S glei' olle sieben Stuckch' auf oamol und mia hätte
's a 1) a'focha. Naaooo, setzte er ganz wohlwollend hinzu, wonn 's owa justament
sei' muaß, nocha kchenn' ma Eana dö Zeidung in Gott's Nom' a
olle Toch schickchn!
Ich bedankte mich höflich für so viel Aufmerksamkeit und erhielt
von nun ab mein Blatt fast täglich zugestellt. Auf diese Weise - durch
Anwendung der äußersten Liebenswürdigkeit - wurde die Post
den Querulanten los, der täglich seine Zeitung lesen wollte. -
Schwieriger war die Affäre, vor die einmal die Postverwaltung Innschbruckchchs
gestellt wurde.
Ein Tarroler selbst sagte mir einmal, daß die Innschbruckchcher unbedingt
die intelligentesten unter allen Tarrolan seien. Dies allein erklärt
es, daß die verwickelte Angelegenheit doch ohne erhebliche Schwierigkeit
gelöst werden konnte.
Die verwickelte Angelegenheit wurde durch einen Brief heraufbeschworen,
der aus Paris nach Innsbruckchch kam und die Aufschrift trug: "Monsieur
le maire d' Innsbrück", auch Straße und Hausnummer waren beigesetzt.
Der Briefträger brachte den Brief bald darnach seinem Vorstande mit
der Bemerkung zurück, daß ein Herr Mair in dem betreffenden Hause
nicht existiere. Da der Brief eingeschrieben gesendet war, ein großes
Gewicht und ein ganz ungewöhnliches Format hatte, also zweifellos wichtige
Dinge enthielt, beschloß man, die Sache mit amtlicher Gewissenhaftigkeit
weiter zu verfolgen.
Zunächst versuchte dies der Vorstand, indem er dem Briefträger
folgende Instruktion gab:
Erschtens frogn S', ob in dem Haus nia a Herr Mair g'wohnt hot, zweitens
ob nöt vielleicht a Herr Mair a Wohnung durt g'numa hot und erscht
ei'ziag'n wirt, und drittens frogn S', ob in dem Haus nia a Herr Mair vielleicht
oamol g'sturbn ischt! Da Foll ischt nöt so a'foch! Do hoaßt's
seine Gedonkchn z'sam'nehma!
Allein der Briefträger brachte eine ergebnislose Antwort: In dem Haus
wohnt nua da Bugamoasta und nocha sei' Hausmoasta, und dea hoaßt Mathias
Zingerle und nöt Mair.
Jetzt begann man in der ganzen Ansiedlung die Maier zu suchen. Es blieben
nur zwei "Mair" übrig, alle anderen waren e- oder y-Maier. Von den
beiden richtigen "Mair" erklärte der erste, daß er als anständiger
Mensch und Katholik niemals unter den heidnischen Franzosen Bekannte gehabt
habe, die ihm Briefe schreiben könnten, indessen der andere versicherte,
daß alle seine Verwandten und Bekannten, die zudem sämtliche
in Tarrol lebten, ebensowenig wie er zu lesen und zu schreiben verständen.
Als er dies gesagt hatte, traten ihm die Tränen in die Augen und er
murmelte: Hiazt hob' i bold siebenzich Johr ols urdantlacha Kchrischtenmensch
g'lebt, und hiazt kchemt gor die Beherte 2) iwa mi und mecht ma mei' Lebensend
vabittern. Dös ischt wohl org! - -
Nun wanderte der Brief zum Postdirektor. Er wollte nicht allein entscheiden
und berief daher seine gewiegtesten Beamten zu sich, um den schwierigen
Fall zu lösen.
Aber niemand wußte einen anderen Rat, als den Brief, der glücklicherweise
rückwärts die Adresse des Absenders trug, nach Paris zurückzuschicken,
weil es einen zu der Sendung passenden Mair in Innschbruckch nicht gab.
- -
Und so geschah es. 3)
Nach einiger Zeit kam der Brief im selben Umschlag zurück, doch trug
dieser nun die Klammerbemerkung "An den Hern Birgrmeister !" -
Na alschdann, brummte der Postdirektor, do siacht ma wieda dös Publikum!
Dö Poscht soll rein ollas riach'n! Als ob inser Burgamoasta Mair hoaßat
! Dea Kerl schreibt an Briaf und woaß nöt an wen! - A so a Mo'
ischt a Viach ! - -
1) auch.
2) Behörde.
3) Um ganz genau zu sein! Es geschah anno 1907!