L. L. !
Über ein vielbereistes und vielbeschriebenes
Land neuerdings etwas zu schreiben, das interessant wird, dazu gehört
ein großes Talent. Ich stand vor einer leichteren Aufgabe: über
ein Land zu berichten, das bisher nur von Bergsteigern und Hotelbewohnern
durchforscht und geschildert wurde.
Was man von diesen erfährt, ist zu wenig. Sie entzücken sich über
Dinge, die sich auf den ersten Blick zu erkennen geben. - Der andere Teil
blieb mir.
Es ist das unbekannte Land, das sich keinem von heute auf morgen eröffnet.
Es ist das intimere Leben und Fühlen eines Volkes. Davon etwas zu erfahren,
braucht es Jahre. Durch ein freundliches Schicksal ist mir die nötige
Beobachtungszeit überreichlich zugemessen worden.
Das Land, von dem ich reden will, liegt sicherlich weit entfernt von Europa;
Genaueres weiß ich nicht zu sagen. Es hat nur zwei Jahreszeiten: den
langen Winter, wo es schneit, und eine zweite Jahreszeit, wo sich der Schnee
mit Regengüssen vermischt - das ist das Frühjahr, der Sommer oder
der Herbst, man kann sagen, wie man will. Vielleicht liegt unser Land in
der Nähe des Polarkreises, weil es nicht nur so kalt, sondern auch
überaus finster ist. Nordlichter allerdings fehlen dieser Finsternis.
Die Eingeborenen heißen ihr Land Tarrol oder Tarroi. Daneben finden
sich auch noch andere Namen, die jedoch durch die Lautzeichen einer europäischen
Sprache nicht annähernd wiedergegeben werden können. - Das tarrolische
Idiom ist unerlernbar! Einige wenige Wörter haben eine gewisse entfernte
Ahnlichkeit mit dem Deutschen, ja bei feierlichen Anlässen versuchen
die gebildeten Leute nicht selten, deutsch zu reden, doch gelingt es ihnen
niemals.
"Schpäckchchkchnedl" ist das prächtige Wort, an .dem sich die
eigenartige Schönheit des Tarrolischen am deutlichsten zu erkennen
gibt. Wer einen recht großen Kropf hat, wird dies einigermaßen
nachzufühlen vermögen. -
Die Darstellung dieser reizenden Sprache ist in dem vorliegenden Buche sicherlich
ebenso mangelhaft als vielleicht scheinbar inkonsequent. Wenn es mir trotzdem
gelungen sein sollte, dem Leser auch nur eine Ahnung von ihrer Zartheit
und Lieblichkeit zu erwecken, ist mein Ziel erreicht.
Habe ich mein Büchlein doch zur Ehre eines Landes geschrieben, das
man bisnun nur ganz einseitig betrachtete! Von der anderen Seite habe ich's
besehen: hoffentlich ergänzen sich unsere Einseitigkeiten zu einem
vollen Bilde.
Ich wünschte es!
Denn eine weihevolle Stimmung muß jeden ergreifen, der ein Volk studiert,
an dem die Zeit spurlos vorbeigeht. Sie wird einmal sogar die Pyramiden
zerbröckeln und dem Erdboden gleichmachen, jedoch in Tarroi hat ihre
Macht ein Ende.
Hierin liegt unleugbar etwas Großes. Darum widme ich mein Büchlein
diesem wunderbaren Lande und allen denen, die es lieben lernten wie ich.
Schruns, im April 1909.