Advent und Adventlieder.
Das weitverbreitete Sprichwort: "Kathrein stellt Räder und Tanz ein" sagt deutlich genug, daß es mit dem letzten Abschnitt sommerlicher Herrlichkeit und jauchzender Alpenlust zu Ende und daß das bäuerliche Leben an jenem Wendepunkt angelangt sei, wo der Schlitten und der unbehilfliche Holzschuh regieren. Zwar klebt noch als traurige Erinnerung an die schöne Jahreszeit fahlgelber und roter Blätterschmuck an den Bäumen, wie sich etwa eine alternde Schönheit mit "erblichenem Flitterwerk aufputzt. Aber eine kurze Frostnacht und der ganze erlogene Frühling liegt zu Häuf unter den kahlen Bäumen oder tanzt flügge im Wirbel der Windsbraut. Noch ein paar stürmische Südwindtage und eines schönen Morgens sind Berg und Tal, Hütten und Wiesen u"m Schneeschleier überspannen und zeigen nur noch das trostlose Einerlei einer Winterlandschaft. Hält auch der erste Schnee selten lange aus, denn die Sonne hat noch Kraft genug, um den Anflug hinwegzuschmelzen, so ist es doch nicht mehr gemütlich heraußen, es sei denn, daß der "St. Katharinensommer" eine zweite Auflage des "Altweibersommers" bringt. Gewöhnlich aber kann man von ihrem Feste den eigentlichen Anfang des Winters datieren mit all den Konsequenzen, die der neue launige Tyrann für das Heim des Bauern mit sich bringt.
Meine lieben Landsleute, die überhaupt fast mehr Bauernfeiertage als Tage im Jahr haben, legten sich gleich das oben angeführte Sprichwort in ihrem Sinne zurecht. Am Katharinentage (25. November) müssen alle Räder feiern; die Müller dürfen nicht mahlen, die Fuhrleute nicht fahren, die Weiberleute nicht spinnen. So will's der - Brauch. Aber noch ein anderes Rad stellt Kathrein ein, nämlich die hopsenden Füße der frischen Dirndlen und Burschen. Indes auch für dieses Verbot ist durch den "Kathreinsonntag", den letzten Sonntag vor Advent, wenigstens eine Entschädigung geboten. Da dürfen nämlich die letzten lustigen Musiken zu Spiel und Tanz abgehalten werden. Hei! wie noch da "zu guter Letzt" die Paare sich drehen, toller als mitten im Fasching! Was Wunder, wenn da manche Herzensangelegenheit noch schnell vor Torschluß abgemacht wird. Heißt es ja:
Im Advent
Reicht man einander die Händ',
Um Neujahr
Nimmt man sie gar.
Zudem ist ja bald St. Andreastag (30. November) und der gibt über die getroffene Wahl besseren Aufschluß als die beste Kartenschlägerin. In der Andreasnacht wird nämlich von den Mädchen zwischen eilf und zwölf Uhr geschmolzenes Blei in kaltes Wasser gegossen und daraus auf den Stand, beziehungsweise auf das Handwerk des künftigen Mannes geschlossen. Wie wichtig dieser Tag gehalten wird, geht auch daraus hervor, daß nach frommer Meinung derjenige, der an diesem Tage stirbt, "vom Mund auf" in den Himmel kommt. Aber auch für die Armen ist der Andreastag, der, nebenbei bemerkt, ebenfalls als Bauernfeiertag gilt, von Bedeutung. Diese gehen da nämlich um das "Andreas Troad" (Getreide) betteln. Besonders das Wipptal mit seinen Seitentälern ist in dieser Hinsicht arg mitgenommen. Doch gibt der reichere Bauer, der seine Scheunen voll hat, gern, vorzüglich in guten Jahren, und nach Verlauf der Woche kann man diese Bettelscharen mit Säcken voll Gerste, Roggen und Haber herumziehen sehen. Im Unterinntale beginnt dieser herkömmliche Brauch schon um Martini und zieht sich gerne bis in den Advent hinein, da diese Bußzeit die Herzen mildtätiger stimmt.
Mit Advent beginnt das eigentliche Leben im Hause, besonders in tieferen Tälern, in denen der Schnee fast jede Verbindung mit der Außenwelt absperrt. Es ist die Zeit der Spinnstuben und des traulichen Heimgartens, durchwirkt von einem Bande sinniger und bedeutungsvoller kirchlicher und weltlicher Bräuche und Festlichkeiten, die die Einleitung zur höchsten Festzeit des Jahres, Weihnachten, bilden.
Den Reigen eröffnet der Adventsonntag, an dem die Roratenmessen oder sogenannten "goldenen Ämter", auch "Engelmessen" genannt, den Anfang nehmen. Sie werden auf dem Lande schon sehr früh, gegen halb sechs Uhr abgehalten, um jedem Hausbewohner noch vor Antritt der Tagesarbeit den Besuch zu ermöglichen. An den meisten Orten nimmt alles daran Anteil, mit Ausnahme der alten Leute und der Bresthaften; in anderen Tälern wechseln die "Ehehalten" (Dienstboten) ab. Da um diese Zeit noch vollständige Dunkelheit herrscht, so nimmt man entweder Kienspäne und "Kenteln" - rohe aus Werg und Pech fabrizierte Kerzen -- mit, oder auch große Laternen, welche einer der Andächtigen vorträgt. Hat man die Wahl zwischen den Kirchen zweier Ortschaften, so wählt man gewöhnlich die höher gelegene, um den Rückweg zu Schlitten machen zu können. Da geht es oft ganz gemütlich zu, wenn bei gutem Schlittweg so ein "Granzgner" (Handschlitten) mit zehn bis zwölf Leuten besetzt nach Hause fährt. Schwerer ist der Gang nun freilich von den hochgelegenen Einödhöfen, wenn tiefer Schnee fällt oder Schneegestöber das Gehen unsicher und gefährlich macht. Daher ruft man gern die heilige Barbara, deren Fest auf den 4. Dezember fällt, mit folgendem Gebet gegen jähen Tod an:
Heilige Barbara,
Du edle Braut,
Seel' und Leib
Ist dir anvertraut.
Schütze mich in jeder Not,
Bewahre mich vor jähem Tod!
Ehvor wir nun zu den weiteren kirchlichen und weltlichen Festtagen des Advents, dem Nikolaus- und Thomastag und den Klöpfelsnächten übergehen, die eine abgesonderte Beschreibung verlangen, müssen wir noch zuvor einer Art von Liedern und Gesängen gedenken, welche als sogenannte Adventlieder die kirchliche Andacht dieser Bußzeit begleiten. Sie hängen gleich den Weihnachtsliedern häufig mit der geistlichen und weltlichen Dichtung früherer Jahrhunderte zusammen und bieten eine Fülle literar- und kulturhistorisch merkwürdigen Stoffes.
Man kann ganz leicht drei Gattungen derselben unterscheiden: die eigentlichen Adventlieder, die Herberglieder und die Klöpfelgesänge. Erstere werden in der Kirche während der sogenannten goldenen Ämter oder Engelmessen gesungen und zwar zwischen "Opfertorium" und Wandlung. Bei bekannteren Texten und "Weisen" singt auch oft die ganze Gemeinde mit. Ein Vortrag der Lieder von Haus zu Haus wie beim "Sternsingen" kommt selten vor. Die meisten derselben haben die "Verkündigung Mariä" zum Inhalte und können als dichterische Umschreibung des englischen Grußes betrachtet werden. Manche beginnen ab ovo und erzählen in epischer Behaglichkeit die ganze Geschichte vom Sündenfalle bis zur erlösenden Engelsbotschaft. Eines der verbreitetsten und schönsten ist wohl:
Maria sei gegrüßet
Du lichter Morgenstern etc.
Sehr alt ist das in der Nibelungen-Strophe gedichtete, ebenfalls sehr bekannte Adventlied:
Es flog ein klein Waldvögelein
Aus Himmels Throne -
was noch in vielen Dorfkirchen Tirols und Salzburgs gesungen wird und gleich anderen dieser Art als Umbildung eines weltlichen Originals gelten muß. Daß in Folge dieser Einwirkung weltlicher Volkslieder der derbe Ton letzterer oft auch bei den Adventgesängen durchschlägt, ist nicht zu verwundern. Wenn z. B. ein gleichfalls verbreitetes Adventlied beginnt:
In Galilä ein Jungfrau wohnt
Von großen Qualitäten,
In Nazareth gar wohl bekannt,
Von hohen Dignitäten,
Recht englisch ist sie anzuseh'n,
All Engel Gottes nach ihr seh'n.
Mit Lieb' sie zu bereden -
so könnte dies sehr leicht der Verfasser der travestierten "Äneide" gedichtet haben, wenn es nicht erwiesenermaßen schon einige Jahrhunderte vorher entstanden wäre.
Neben solchen von volkstümlicher Wirklichkeit getragenen Liedern erscheinen andere, die an Zartheit und poetischem Schwunge den schönsten Blüten der geistlichen Dichtung beizuzählen sind. Mit Vorliebe ist es die plötzliche Licht-Erscheinung des Engels Gabriel im dämmerigen Kämmerlein der Jungfrau Maria, die wirkungsvolle Behandlung erfährt, wie diese Szene ja auch den Pinsel manches Meisters begeisterte. Außer "Maria-Verkündigung" kommen in diesen Gesängen noch die Klagen der "Altväter" als sogenannte "Rufe" zum Ausdrucke sowie Verwertungen des "hohen Liedes", in denen die Sehnsucht nach dem Welterlöser ausgesprochen wird. Gerade letztgenannte Gattung enthält oft Lieder von hoher dichterischer Schönheit. Dramatische Form besitzen nur wenige dieser eigentlichen Adventlieder, und selbst diese sind wohl aus Adventspielen herübergenommen, so z. B. das allbekannte:
Gabriel: Gegrüßt seist du, Maria, du himmlische Zier,
Du bist voll der Gnaden, der Herr ist mit dir.
Ein' ganz neue Botschaft, ein unerhört's Ding
Von der himmlischen Hofstatt ich Gabriel bring.
Maria: Was sein das für Reden? Was soll dieses sein?
Wer kommt da zu mir in das Schlafzimmer 'rein? 1)
Die Thür ist versperret, die Fenster sein zue,
Wer ist der da störet die nächtliche Rueh? U. s. f.
Viel bedeutsamer ist jene verwandte Gattung der Adventlieder, welche als sogenannte "Hörbriglieder" im Volke bekannt sind und beim Frühamte des "Heiligen Abend" gesungen werden. Sie erzählen das Herumirren von Joseph und Maria und ihr Flehen um Einlaß vor den Türen der hartherzigen Bethlehemiten:
Endlich kommen noch von Weiten
Zwei geliebte Wandersleut;
Hart geschiechet diesen Leuten
Bei so kalter Winterszeit.
Diese Zwei auf rauher Straßen
Seind voll Armuth ganz verlassen
In dem Regen, Wind und Kält',
Auch mit Nahrung schlecht bestellt.
Aber die Einwohner Bethlehems sind hartgesotten und wollen von diesen späten Ankömmlingen, besonders unter solchen Umständen, nichts wissen. Deshalb wendet sich der ganze Grimm dieser Lieder gegen solche Verstocktheit, wobei eine gewisse Gereiztheit gegen die mitleidlosen "Herrenleut" unverkennbar zu Tage tritt. Diese "Herberglieder" tragen schon zur Mehrzahl dramatische Form und müssen als Übergang zu den Weihnachtsspielen betrachtet werden. Sie wurden und werden noch wirklich auch außerhalb der Kirche als sogenannte "Herbergspiele" aufgeführt. Gewöhnlich wirkt dann außer Joseph und Maria ein mit der ganzen Fülle bäuerlicher Grobheit ausgestatteter bethlehemitischer Wirt mit, dessen energischer Baß: "Nein, nein, nein" zum flehenden Sopran und Tenor Maria und Josephs "O laßt uns ein" einen wirksamen Gegensatz bildet. Auffassung und Ausdruck dieser Herberglieder sind oft von einer beinahe erschreckenden Naivetät und doch wieder von einer rührenden Innigkeit. Hier nur den Anfang eines solchen Wechselgesanges:
O Joseph mein,
Schau mir um ein kleines Örtelein,
Es wird nicht lang mehr währen.
Ein Kind werd' ich gebären,
O Joseph mein.O Jungfrau rein.
Nach dein' Begehr'n kann's nicht sein.
Die Herberg' ist genommen.
Zu spät sein wir gekommen,
O Jungfrau rein, u. s. f.
Die dritte Gattung von Adventliedern, die Klöpfellieder, werden
wir beim Abschnitt "Klöpfelsnächte" kennen lernen.
1) Die Form 'rein (herein) zeigt, daß das Lied nicht in Tirol entstanden ist.
Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 202 - 208.