Sennerbelustigungen und Almfeste.
Das Leben der Senner und Hirten in ihren einsamen Hütten hoch oben im luftigen Alpenreviere verläuft nicht so still und einförmig, wie mancher glauben möchte. Mit den Neuigkeiten und dem Dorfklatsch bleibt man beständig auf dem Laufenden durch den Geißbuben, der tagtäglich um die Mittagszeit mit seiner bimmelnden Herde vom Tale heraufsteigt und stets freudig bewillkommt wird. Der Senner fragt ihn um dies, der Kuhhirt um jenes, und der Bube erzählt mit geschwätziger Zunge, läßt auch mitunter seine Phantasie walten, in der Hoffnung, dafür eine fettere Butterschnitte zu bekommen. Der "Galterer" aber, ein stämmiger Bursche, zieht den Geißhirten gelegentlich zur Seite und gibt ihm einen Gruß auf an die Lisel, seinen Schatz, Der Sonntag unterscheidet sich auf der Alm allerdings wenig von den Werktagen. Die Arbeit bleibt dieselbe, Predigt und Amt gibt es da heroben nicht, folglich auch kein "Standerl" auf dem Kirchplatze, kein Diendlenmustern und Diendlennecken beim Nachhausegehen; die Dorfkegelbahn, der Schießstand und die Wirtshausstube werden leider ebenfalls vermißt.
Das Einzige, was einen Sonn- oder Feiertag kenntlich macht, sind die Besuche, die sich die nachbarlichen Almleute gegenseitig abstatten, wenn die Hütten nicht allzuweit von einander entfernt liegen, oder ein solcher aus dem Tale, sei es nun ein Wilderer, Jäger oder sonstiger Bekannter. Da wird dann im lustigen Heimgart eingebracht, was man die Zeit über versäumt, und oft findet die Mitternachtsstunde die Versammlung noch um das Feuer in der Herdvertiefung sitzen, während dicke Wolken Tabakrauches durch die Spalten und Lücken der Hütte qualmen.
"Großvaters Tanzunterricht.
Studie"
auch genannt: "Ball auf der Alm", "Der Tanz auf der Alm"
Franz von Defregger (30. April 1835 - 2.Jänner 1921)
Öl auf Leinwand, 33 x 40,5 cm, 1870er Jahre
Am fröhlichsten geht es dort zu, wo Sennerinnen sind, wie es z. B. im Oberinntal noch häufig der Fall ist. Da verwandelt sich die Sennstube schnell in einen Tanzsaal; flink schwingen sich die Dirnen im Kreise, während die Burschen schnalzen und jauchzen und mit den schweren Schuhen auf den rauhen Holzboden stampfen, daß man fast den frischen "Ländler" der Zither nicht mehr hört. Eine solche Szene hat Defregger in seinem Meisterbilde "der Tanz auf der Alm" dargestellt. Ein weißbärtiger Alter, vermutlich einst ein flotter, gerngesehener Tänzer, durch die Zithertöne erinnerungsselig gestimmt, hat ein hübsches dralles Diendl zum Tanz aufgefordert. Lachend folgt ihm das Mädchen und wirft dabei einen beschwichtigenden Blick auf den herausfordernd dastehenden Kühbuben, ihren Schatz, zurück, als wollte sie sagen: "Geh', laß ihm die Freud', dem alten Narren."
Aber auch die Mannsleute unter sich lassen sich die Zeit nicht lang werden. Die flinken kräftigen Burschen haben eine Menge Spiele erfunden, größtenteils gymnastischer Natur, um ihre arbeitsfreien Stunden auszufüllen. Die frische, prickelnde Bergluft muntert sie auf, ihre Stärke und Gewandtheit im Robeln zu erproben, das auch in allen Arten versucht wird. Sehr beliebt ist ferner das "Hackeln" mit den Fingern und der sogenannte "Duxerschub", wobei sich die Gegner mit den Fäusten gegen einen Tisch oder eine Bank hinschieben. Das Schlimmste, was einem Hirten passieren kann, ist das "Hosenabziehen" und Davonjagen, das früher häufig vorkam. Diese Schmach wird dem Betreffenden sein Lebenlang nicht vergessen, sodaß schon mancher, um den Spöttereien zu entgehen, weit weg einen Dienst suchte. Es werden auch Wetten angestellt, ob einer oder mehrere imstande seien, einem die Hose abzuziehen.
Ein besonders scharfes Auge haben die länger Dienenden auf den neu Eintretenden. Steht er im Rufe, boshaft oder stolz zu sein, so wird ihm durch allerlei Neckereien "das Gesims abgekehrt". Es werden z. B. Steine glühend gemacht und irgendwo aufgelegt, wo er sich darauf setzen muß oder sie angreift und sich elendiglich brennt. Der Scharfsinn der übermütigen Burschen ist erfinderisch genug in solchen Bosheiten.
Nebstdem gibt es noch manche andere, friedliche Spiele. Da ist z. B. das sogenannte Längschlagen oder Längenabschlagen. Es besteht in der Fertigkeit, hoch aufzuhüpfen und mit den Füßen ein gewisses Ziel zu erreichen. Ein gewandter Längschlägel steckt sich dasselbe sogar in Mannshöhe oder noch höher. Der "Kögele Franz" Senner auf der Lavasalm, hat im Jahre 1824 auf dem Überboden des Neuner zu Innerriß die "Länge abgeschlagen", wo man noch heute die Eindrücke der Schuhnägel sehen kann. 1) Manche gibt es, welche rückwärts die "Länge abschlagen", was unglaublich erscheinen möchte. Vor mehreren Jahrzehnten produzierte sich der Älpler "Adler" von Weer auf der Alpe Pletzboden im Bächental (bei der Riß) und berührte rückwärts ausschlagend mit den Füßen den Überboden, überholte also die vorgesteckte Mannslänge.
Eine weitere Übung körperlicher Gewandtheit ist das "Stieglhupfen". Man steckt 1 3/4 Meter hohe Stangen mit "Zanken" oder "Zaunlatten" in den Boden und springt mit oder ohne Anlauf darüber; auch Heustiegel überspringt man gern, am häufigsten aber Zäune, und zwar nicht etwa niedere Planken, sondern solche, wo die Zaunstäbe verschränkt über Kreuz eingeschlagen sind und oben spitzig auslaufen, so daß der Fehlende leicht gespießt werden könnte. Von solchen kecken Springern erzählt sich das Volk ganz unglaubliche Geschichten. So soll der "Schmiedenbub in der Higna", Hans Raschberger über einen 1 3/4 Meter hohen Zaun gesprungen sein, der an einem Abhange stand. Von oben herab war es freilich ein Leichtes, aber er machte den Sprung auch von unten hinauf gegen den Berg zu, was ihm keiner nachmachen konnte (Ebendaher). Ein berühmter "Stieglhupfer" war der Fütterer Paul Hechenblaikner zu Reiterberg. Sein Meisterstück machte er einstmals im Zorn. Beim Stalle war eine Wiese, dann ein 1 1/2 Meter hoher Speltenzaun, dann ein Weg, welcher über 2 1/2 Meter breit war, und endlich kam wieder ein solcher Zaun, so daß also der Weg von beiden Zäunen eingeschlossen war. Einmal kam dem Paul ein "Galtling" 2) ins Roggenfeld, welches jenseits der Straße lag. Voll Unwillen lief er gegen den Weg hin, sprang in der Wut über beide Zäune zugleich, fuhr auf das Tier wie ein Geier los und riß es beim Schweife zu Boden. Noch immer bewundert man die Stelle und Pauls Heldentat, der selbst längst in der kühlen Erde ruht. Dieser kühne Springer wurde indeß noch von einem unterinntalischen Senner übertroffen, der einmal vierzehn nebeneinandergestellte, je einen Fuß breite Bänke übersprang. Wie viel übrigens zu all diesen Turnübungen die Sage hinzugedichtet, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Die Älpler setzen auf das Springen vorzüglichen Wert, und nicht mit Unrecht, da sie sich hiedurch an gefährlichen Stellen im Gebirge oft vor Unglück retten.
Auch im Werfen gibt es unter den Almleuten merkwürdige Künstler. Man wirft die Steine mit der bloßen Hand; mit der Schleuder will man es nicht recht gelten lassen. Hierzu werden die höchsten Fichtenbäume als Ziel gewählt, welche mancher mit Leichtigkeit überwirft. Sind die Hirten zu solchen Kraftäußerungen zu bequem, so haben sie dafür Ersatz in den Kämpfen der "Stech-" oder "Hagmairkühe". Der eine wettet auf den Sieg der braunen, der andere auf den der scheckigen, und Jubel und Beschämung begleiten den endlichen Schluß des Hörnerturniers. Ferner unterhalten sich die Älpler gern mit "Watschelen", einem Kugelspiele, mit Wettlaufen und mit Peitschenschnalzen, das mancherorts zu einem förmlichen Konzert ausgebildet wird. Ein besonderes Vergnügen gewährt den Hirtenbuben das Baumschwingen. Sie klettern auf die höchsten Gipfel der Bäume, vorzüglich der elastischen Lärchen, und schaukeln sich um die Wette darauf hin und her. Man sieht, es fehlt den Sennern und Hirten nicht an Unterhaltung, um die Einförmigkeit ihrer Tage zu würzen. Und erst, wenn Sennerinnen in der Hütte schalten und walten! Wie romantisch, wenn der Liebste, in Gestalt eines kecken Wildschützen, an schönen Sommerabenden bei seinem Diendl fensterlt! Wenn es auch nicht immer so poetisch zugeht, wie die Dorfgeschichten es malen, und manche Sennerin eine dürre alte Schachtel ist, in die sich kein Jochspatz mehr verguckt, so ist es doch in anderen Fällen gar nicht ohne.
Zu all dem bereits erwähnten Zeitvertreib kommen sodann noch die eigentlichen Alpenfeste, religiöse und weltliche, welche die Reihe der Arbeitstage unterbrechen. Die ernsteste dieser Feierlichkeiten ist wohl der "Alpensegen". Gewöhnlich findet er einige Tage nach dem Viehauftrieb statt. Ist ein "Bergmeister" da, wie im Oberinntal, so begibt sich dieser zum Pfarrer mit der Bitte um die Einsegnung, im Unterinntal bittet der Bauer, dem die Alpe gehört, um das "Benedizieren". Meist geht der Pfarrer nicht selbst, sondern schickt den Kooperator, weil der jünger ist und deshalb leichter steigen kann. So macht sich nun der Pfarrer mit dem Ziborium und der Meßner mit Weihwedel und Weihwasser früh Morgens auf den Weg zur Alpe; auch der Alpenbesitzer und anderes Volk schließt sich an, im Oberinntal geht der Berg- oder Alpmeister mit. Unterdessen haben die Sennleute oben an einem passenden Platze ein Kreuz errichtet, falls nicht vorher eines vorhanden war, und dasselbe mit Alpenblumen und grünen Gewinden hinreichend verziert. Kommt nun der Geistliche angestiegen, so hält er erst, besonders wenn der Weg weit und beschwerlich war, eine kurze Rast. Währenddem wird das Vieh in den Hag getrieben und lagert sich brüllend und schellend um die Hütten. Nun Werden auch die Lichter angezündet, der Meßner hängt dem Geistlichen die Stola um und die Einsegnung der Alpe und des Viehes beginnt. Nach den üblichen Gebeten und Beschwörungsformeln nimmt der Priester den Weihwedel und bespritzt damit die Alm nach allen vier Himmelsgegenden, sowie die Herde. Auch die Sennhütte und der Milchgaden wird wacker eingesegnet nebst dem Melk- und Treibkübel, ebenso die Liegerstatt der Almleute, damit alles Böse fernbleibe.
An manchen Orten, vorzüglich auf großen Almen, werden an vier Punkten die Evangelien gehalten und die Sennleute beichten und kommunizieren. Doch ist dieser letztere Brauch nicht beliebt und die Hirten suchen sich durch verschiedene Ausflüchte davon loszumachen. Bei dieser Einsegnung wird selbstverständlich besondere Berücksichtigung jenen Gegenden und Örtern geschenkt, die seit Jahrhunderten in unheimlichem Geruche stehen, so dem Hexenbühel, dem Geisterschroffen, dem Norggenloch und wie die Schlupfwinkel dieser gebannten Geister und Spukgestalten heißen mögen. Ist die Einsegnung in allen ihren Teilen vollendet, so nimmt der Geistliche in der Sennhütte ein kleines Mahl ein und steigt dann wieder ins Tal hinab. Der Lohn für seine Bemühung ist nicht gar groß, zwei bis vier Kronen, selten mehr.
Man darf übrigens nicht glauben, daß diese Einsegnung dem Senner genüge. Beileibe! Es gibt im Almleben eben Dinge und Vorkommnisse, gegen die der kirchliche Segen zu schwach ist, Plagegeister des Viehes, des Senners und der Sennerin, gegen welche es kräftigere Mittel anwenden heißt als Kreuzschlagen und Weihwassersprengen. Der Senner hat deshalb vom Tal herauf vor der Abfahrt verschiedenes geweihtes Zeug mit sich genommen, womit er sofort, wenn die Herde aufgetrieben ist, Hütten und Gehege gegen den Einfluß böser Geister und neckischer Kobolde sichert. Fürs erste werden Büschel geweihter Kräuter, als Meisterwurz, Rhabarber und andere alterprobte Pflanzen, die in der Zeit der heiligen "Dreißigen" gesammelt und am "großen Frauentag" geweiht wurden, unter die Türschwelle gesteckt, ebenso ein Stück vom "Palm" oder auch ein sogenanntes Brevl, welches man vom Franziskanerpater für Geld und gute Worte erhält. So kommt keine Hexe in die Hütte. Zur größeren Sicherheit wird über der Türe noch ein kreuzergroßer sogenannter Benediktenpfennig angenagelt. Auch in den vier Ecken des Stalles werden heilige Kräuter eingegraben; überdies wird der Stall noch mit "Dreißgenkräutern" ausgeräuchert. Und trotz dieser Vorkehrungen, man sollte es nicht glauben, kommen auf der Alpe Spukgeschichten vor, die dem Senner die Haare zu Berg stehen machen und die Sennerin, falls diese die Milchwirtschaft unter sich hat, zur Verzweiflung bringen können.
Die Sennleute haben auch Feste ohne dienstlichen Beigeschmack, wo sie sich nur der volkstümlichen Lustigkeit hingeben. Ein solches ist der Alpenkirchtag. Einmal während des Sommers, meistens nicht lange vor der Abfahrt, wird dort, wo mehrere Alpen in der Nähe sind, ein "Kirchtag" gehalten. Das Festmahl wird aus dem Besten zubereitet, was man hat. Den Kirchtagsbraten liefern ein paar Schafe, die zerstückt in riesigen Pfannen schmorend auf dem Tische prangen, daneben ein paar Flaschen Enzianbranntwein, den man sich aus der naheliegenden Brennerei (Enzianhütte) holt. Alle Älpler der Umgegend kommen da zusammen, ein Zitherspieler macht zum Tanz auf, ein anderer pfeift dazu; und bald dreht sich alles im lustigen Reigen. Sind keine Dirnen da zum Tanz, so binden sich die Jungen um den Kopf ein Tuch und stellen so Mädchen vor. Mancher weiß sich dabei recht komisch zimpferlich zu geberden. Dazwischen wird wieder dem Glase zugesprochen, oder man veranstaltet allerlei Narrenspossen. Ältere Leute, die an dem tollen Treiben nicht teilnehmen wollen, setzen sich zu dem beständig flackernden Herdfeuer, stopfen sich ein Pfeifchen und schauen gemütlich plaudernd zu. Das Bild gestaltet sich oft malerisch genug, besonders wenn die Nacht hereinbricht und der in einer Wandlitze steckende, flackernde Kienspan mit seinem roten Lichte die Gruppen bestrahlt. Das fröhliche Fest dauert gewöhnlich die ganze Nacht hindurch, bis der herrliche Herbstmorgen über die Bergspitzen heraufdämmert. Dann gehen die fremden Senner und Hirten ihrer heimatlichen Alm zu. Oft wird das Fest von dem Senner einer andern Alpe erwidert. So fanden z. B. früher im Wattental drei solcher Kirchtage statt, einer übermütiger als der andere. Aber die Zeiten sind schlechter geworden; deshalb schraubte man die Lustbarkeit zuerst auf eine einmalige Feier herunter und ließ sie endlich ganz eingehen. Gewöhnlich ist sie jetzt nach dem Abzuge ins Tal verlegt. So kann man den Almerkirchtag noch alljährlich in seiner ganzen Urwüchsigkeit beim Pfandler in der Pertisau sehen. Dagegen wird noch fast überall vor der Abfahrt die sogenannte "Schoppwoche" gehalten, welche mit der sogenannten letzten Gru-Nacht(Ka-Ruh-Nacht?) die höchste Stufe des Vergnügens und damit den Abschluß erreicht.
An den letzten paar Tagen des Aufenthaltes auf der Alpe wird nämlich nicht mehr "gekäst" und "gekübelt", d. h. weder Käse noch Butter bereitet, sondern nur gegessen, getrunken, getanzt und gejubelt. Dazu finden sich bekannte Burschen und Dirnen von anderen Almen und aus dem Tale ein, Zitherweisen und Jodler erklingen, die Schnapsflasche kreist, ein Scherz, ein Schabernak reiht sich an den, andern, so daß sich die "Schoppwoche" und die "Gru-Nacht" zu einem Feste gestalten, dem an ungebundener Fröhlichkeit keines unten im Tale gleichkommt. Die einzige Arbeit, welche das lustige Treiben unterbricht, ist die Zubereitung des Kränzeschmuckes für die Almkühe, welche Beschäftigung ebenfalls Stoff genug zum Lachen gibt. Dann geht es wieder los das älplerische Bacchanal, bis der Morgen der Abfahrt graut.
1) Mitteilung J. N. Ritter v. Alpenburgs.
2) Nicht milchgebendes Rind.
Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 132 - 139.