Im Bauerntheater.

 

Es ist Nachmittag. Die Glocken haben eben in feierlich langgezogenen Klängen das Ende des Sonntags-Rosenkranzes angezeigt, da donnern drei Böllerschüsse durch die warme Sommerluft und es dauert nicht lange, so wandert ein buntes Gewimmel von Alt und Jung auf allen Wegen der Umgegend dem Dorfe zu. Wir wollen sehen, was los ist, und lassen uns von dem Menschenschwarm ins Schlepptau nehmen. Richtig, nun sind wir schon im klaren. An der Säule des riesigen Dorfbrunnens unter dem heiligen Florian, der nicht müde wird, ein Schaff Wasser über ein brennendes Häuschen zu schütten, klebt ein beschriebener Zettel, auf dem mit großen Buchstaben und in haarsträubender Rechtschreibung zu lesen steht:

"Adolf von Rosenstein oder: Der Brudermord um Mitternacht. Großes romantisches Ritterschauspiel in fünf Akten u. s. w."

In der Nähe des Wirtshauses staut sich die Menge vor einem ziemlich ansehnlichen Brettergebäude, das wahrscheinlich einmal als Heustadel Dienste getan; jetzt ist es zum Tempel Thalia's geworden. Ein hölzerner Einfang vor demselben mit einer Reihe von Sitzbänken ergibt den Zuschauerraum. Darüber sind einige alte löcherige Wagenblachen gespannt, die aber kaum den zwölften Teil des Schauplatzes decken; sie sollen Schutz gegen Sonne und Regen, sein; der Zettel besagt ja: "Für Sonnenhitze und Regen ist bestens gesorgt!" Wir erkaufen uns also bei dem am Tore stehenden Kassier den Eintritt, versteht sich für den ersten Platz, denn wir wollen uns das klassische Drama gut ansehen, und drängen uns mit einigen Rippenstößen in den innern bereits sehr gefüllten Raum. Dabei passieren wir die strengen Blicke des Dorfpolizeidieners, insgemein Bettelstanzer oder Bettelrichter genannt, der mit einem derben Stock den Eingang bewacht. Nur mutig vorwärts! Seine drohenden Mienen gelten nicht uns, sondern den kleinen Buben, die durch die Ritzen ins "Theater" schauen oder gar die Planken überkraxeln wollen. Endlich haben wir uns zurechtgesetzt zwischen vierschrötigen Großbauern und deren schwatzenden Weibern. Die Herrlichkeiten der Bühne verhüllt noch der neidische Vorhang, ein Prachtstück von ähnlicher Beschaffenheit wie der oben erwähnte Baldachin des Schauplanes, höchstens, wenn es "nobel" hergeht, mit Anstreicherfarben beklext. Doch, horch! welche Klänge! Was ist das berühmte Florentiner Quartett gegen die vier Virtuosen vor uns, die mit einer Violine, einer Baßgeige, einer Klarinette und einer Trompete das bäuerliche Orchester vertreten und deren landläufiger Ehrentitel "Höllische Pein", den man diesen Musikanten aufgebracht hat, genugsam für ihre Leistungen spricht.

Endlich wackelt der schlotterige Vorhang in die Höhe. Die Kuhdirne des Vorstehers, als "Genius" herausstaffiert, tritt auf. Ein Tusch empfängt sie. Im Publikum erhebt sich bewunderndes Gemurmel und eine Stimme ruft: "Ach die Lisel! Schaugt's sie un!" Kein Wunder, die dralle Landschönheit nimmt sich auch wirklich entzückend aus. Die vollen roten Wangen umrahmen Locken - tagszuvor mit "Türkenflitschen" von der eisernen Hand des Theaterfriseurs eingedreht - jetzt herabhängend wie die Stöpselzieher der polnischen Juden; nur die Augen sind etwas trüb, denn das arme Ding konnte infolge dieses Verfahrens die ganze Nacht vor Kopfweh nicht schlafen. Die Gestalt des Genius umhüllt eine römische Toga, wenn nicht der Geschmack ein kurzgeschürztes Kostüm mit weißen Perkalhöschen, anstatt des Trikot, und gelben Stiefelchen vorzieht. In der einen Hand hält er ein "Aug' Gottes", mit der andern deutet er erklärend auf die im Hintergründe aufgestellten erklärenden Bilder und singt unter Musikbegleitung:

"Zwei Brüder in Span-i-en.
Die alle Beide für die Königstochter glühen,
Der blonde Bruder mußte unterliegen,
Der schwarzgelockte tat obsiegen etc."

Atemlose Spannung folgt diesen Strophen. Das Tableau wird verändert und der Gesang beginnt von neuem. Zuerst wird nämlich der ganze Verlauf des Stückes des leichteren Verständnisses halber in Bildern vorgeführt, dann erst beginnt das eigentliche Schauspiel.

Was nun da, abgesehen von der Dichtung, in Kostümen, Spiel und Szenerie geleistet wird, spottet aller Beschreibung; es ist oft fast unbegreiflich, was die Phantasie eines solchen Bauernregisseurs alles zutage fördert. Dieses sittige Ritterfräulein mit den blonden Locken von Hobelrosen, dieser schwarze nach Rache und Blut lechzende Bösewicht mit dem martialischen aus Lederabschnitzen zugerichteten und schwarz gefärbten Schnurrbart, den er mit Pech unter der Nase festgeklebt hat, dieser schmachtende Liebhaber, der, in den langen Mantel gehüllt, zu seiner Holden schleicht, diese Rabenväter, Räuber etc. - man muß sie gesehen haben, um sich einen rechten Begriff davon machen zu können. Die Szenerie ist oft gar nicht so übel von einem Landgenie gemalt. Ein berühmter Dekorationsmaler seinerzeit war z. B. der Gmundler von Thaur, der gar so schöne "Stäudelen und Röslen" auf die Koulissen zu zaubern verstand. Letztere sind gewöhnlich auf einer Achse drehbar, gestatten also nur zweimaligen Wechsel, meist ein Zimmer und einen Wald. Die Rückwand der Bühne kann dagegen öfter verändert werden, wenn man es nicht vorzieht, sie ganz offen und die natürliche Landschaft durchblicken zu lassen, was oft einen überraschenden Eindruck macht. So war es seinerzeit im alten Bauerntheater zu Pradl bei Innsbruck, wo die herrliche Gegend mit dem Schlosse Amras und dem dahinter aufsteigenden waldigen Mittelgebirge den großartigen Hintergrund bildete. Im Dorfe Mils bei Hall waren nächst dem Proszenium zwei verhangene Nischen angebaut, deren eine als Kerker diente, während aus der anderen jene Personen, welche von einer Reise zurückkehrten, auf die Bühne traten. 1)

Mit der nunmehr städtischen Einrichtung der Bauerntheater ging aber ein gut Teil der Ursprünglichkeit und Naivetät verloren, welche die eigentlichen Landbühnen kennzeichnen. In der Nähe der Städte hat man jetzt schon zierlichere Theater dieser Art; ich sage jetzt, denn vor fünfzig Jahren noch waren die Bauernbühnen von Pradl, Mühlau und Höttingerau bei Innsbruck nicht minder einfach eingerichtet.

Unterdessen hat sich der erste Akt unseres Ritterdramas abgespielt. Die Zwischenakte füllen, um die erregte Leidenschaft etwas zu beruhigen, fromme Singspiele, Chöre und lebende Bilder aus der Bibel aus, auch Zweigesänge auf Christus, Seele, Welt u. s. w. oder gar uralte mythologische Darstellungen, oft seltsam mit dem alten Testament verquickt. Oder es erscheint der sogenannte "Narrentattl" 2) auch "Faxenmacher" genannt, der sich in Knittelreimen über alte Jungfrauen, Siemandeln, Stadtmoden etc. lustig macht, und dabei Grimassen schneidet, daß sich das Publikum vor Lachen nicht zu helfen weiß. "Brav Jörgl, brav Jörgl!" schallt es hinauf, die Männer schwenken ihre Bierkrüge, die sie sich zur Labung bringen ließen, die Weiber ihre Tücher, die Mädchen kichern und die kleinen Buben, die wie Frösche auf den Rücken der größeren sitzen, erheben ein Jubelgeschrei. Der Komiker macht auch nicht selten satirische Ausfälle auf anwesende Persönlichkeiten und Stadtleute, auf die er sogar mit Fingern zeigt. Das verleiht seinem Spiel eine ganz besonders prickelnde Würze. Endlich aber wischt er sich ermattet den Schweiß von der Stirne und der Vorhang fällt.

Bald wird er abermals aufgezogen.

Ritter Adolf und Fräulein Kunigunde treten wieder auf, der tückische Nebenbuhler spinnt den roten Faden seines Ränkespiels weiter, die Geschichte wird immer tragischer. Das Publikum zittert, die beängstigten Herzen machen sich in erwartungsvollem Murmeln Luft. Selbst der Umstand, daß der Ritter der Länge nach am Podium hinfällt, was davon herrührte, weil der nervige Regisseur den Brauch hat, jenem Schauspieler, den es zum Auftreten trifft, hinauszustoßen, kann den Eindruck nicht mindern. Schon lauern die Mörder mit gezücktem Messer auf ihr unschuldiges Opfer, doch:

Was auch die Unschuld leiden muß,
Die Bosheit fällt durch einen Schuß

heißt der vielsagende Titel einer Bauernkomödie - irgend ein Deus ex machina kommt zu Hilfe und bringt die Geschichte zu glücklichem Ausgange oder, was noch befriedigender wirkt, die Helden sind schließlich alle hin und Kunigunde geht in ein Kloster.

Ebenso interessant, ja vielleicht noch interessanter wegen der originellen Auffassung und Darstellung des Gegenstandes sind die Spiele geistlichen Inhalts. So eines war unter anderen "Die Erschaffung der Welt", welches zu Fulpmes in Stubai in Szene gesetzt wurde. Die Szenerie zeigt einen siebenfarbigen Bretterregenbogen, der sich wie eine Brücke über die Bühne spannt. An einem Ende desselben befindet sich die Sonne, an dem andern der Mond. Gott Vater erscheint und geht darauf spazieren. Er trägt gelbe Nankinghosen, auf dem Haupte einen Dreimaster mit einer Lampe, darauf, um das "ewige Licht" anzudeuten, im Gürtel einen riesigen "Klafterstab" (Maßstab), wahrscheinlich Sinnbild des Weltbaumeisters, und hirschlederne Handschuhe. In der Westentasche trägt er zwei Uhren, zwei, weil er Gott Vater ist. Er raucht aus einem großen Ulmerkopf, den er abwechselnd an Sonne und Mond anzündet, gewiß eine großartige, fast homerische Vorstellung. Dann singt er:

"Ich bin Gott Vater auserkoren,
Der die Welt und Alles hat geboren,
Ich spazier' in meinem Himmel auf und ab
Und freu mich, daß ich alles Hab'"

Hierauf vertieft er sich in Betrachtungen über seine Allmacht:

"Nuit (Nichts) ist nuit und aus nuit kantt nuit wear'n (werden);"

er aber habe doch etwas zusammengebracht, meint er im weitern Verlaufe des Selbstgespräches. Noch fehlt aber die Krone der Schöpfung, der Mensch. Während des Gesanges hat Gottvater seine Handschuhe ausgezogen. Ein dienender Engel erscheint, übernimmt dieselben, hängt sie auf einen Busch und verschwindet. Nun bringt ein anderer Engel einen Lehmpatzen herein und pflanzt ihn vor dem Herrn der Schöpfung auf. Dieser stülpt seinen Ärmel zurück, knetet eine Weile daran herum und bildet dann eine menschenähnliche Figur daraus - den Adam. Gottvater besieht sein Werk und findet es gut. Ein Engel bringt ein Waschbecken, ein zweiter die Handschuhe, ein anderer Himmelsgeist schiebt einen Schubkarren herein. Während nun Gottvater und der Chorus mit stolzem Gefühle singen: "Nun ist das Werk vollbracht" etc., wird - wuidl wuidl - der lehmige Adam hinter die Kulissen "geradelt". Die Szene ändert sich. Adam liegt da noch leblos, der schönste Bursch des ganzen Dorfes, bekleidet mit dem Feigenblatte; den Trikot ersetzt Perkal.

Nun folgt die Hauptszene, die Erschaffung. Gottvater naht sich ihm und bläst ihm mit einem "Psih" über die Hand die Seele ein. Mit einem Satz springt Adam auf, die Musik erschallt und der erste Mensch tanzt einen lustigen Hopser vor Freude. Er singt:

"O wie schön, o wie schön
Ist's Leben auf der Welt,
Wenn man g'nug z' essen hat
Und zum Trinken g'nug Geld".

Hierauf kommt die Erschaffung der Eva. Adam ruht schlafend in himmlischen Traum versunken, Engel in Backtrögen, deren Front mit Wolken verkleidet ist, schweben majestätisch an Stricken herab. Oft dreht sich die Vorrichtung und gewährt einen nicht ganz erwünschten Einblick in die himmlische Maschinerie. Geigen und Flöten ertönen, dazu der Gesang:

"Mein guter Adam Du, mein guter Adam Du,
Dein erster Schlaf war Deine letzte Ruh'".

Schnarrend fallen die Baßgeigen ein. Hierauf Schluß der Szene.

Welche Naivetät und mitunter welche Poesie und Tiefe, wenn man bedenkt, daß manche dieser uralten Bauernkomödien bei einer ausgehöhlten Rübe, in der ein Docht steckt, gedichtet wurde, weil es dem Dichter keine Lampe trug. Auch den religiösen Stücken folgte fast immer noch ein komisches Nachspiel. Die ganze Vorstellung, einschließlich der zu Anfang und Ende, sowie in den Zwischenakten eingeflochtenen Szenen, dauerte oft bei sechs Stunden. Dem Wirtshause kam das sehr zustatten, da jeder Zuschauer für seine ausgetrocknete Kehle eine Labung suchte.

Was das Personale, "die Spieler" anbelangt, so ergänzte sich dasselbe aus den verschiedensten Persönlichkeiten des Dorfes und der Umgebung; wer Lust und Geschick dazu hatte, tat mit. Manches ursprüngliche Talent war darunter, das sich einen weitverbreiteten Ruf erwarb; so hatten z. B. die Namen Brock von St. Nikolaus, einer Vorstadt von Innsbrucks Popp von Arzl, Piquart von Thaur, Steixner von Wilten, Lois Schuster von Sistrans, von denen ich die meisten noch kannte, unter dem Volke einen guten Klang. Die Bezahlung der Schauspieler war ganz der Willkür des Unternehmers (gewöhnlich der Wirt) überlassen. So bekamen z. B. im Bauerntheater beim "Rößl in der Au" nächst Innsbruck die Träger der Hauptrollen für das jedesmalige Auftreten 1 fl. (2 Kronen), kleinere Partien wurden mit 50 kr. (1 Krone) bezahlt. Man lann sich denken, daß der Unternehmer, der jedesmal ein gesteckt volles "Haus" erzielte, dabei das beste Geschäft machte, um so mehr, als der Preis der Dekorationen etc. ähnlich gestellt war. Man nahm es übrigens in früherer Zeit mit diesen letzteren nicht sehr heikel, ebensowenig mit der sonstigen Ausstattung. Als noch das Bauerntheater in Wilten in Blüte stand, beehrte einmal Kaiser Franz dasselbe mit seiner Gegenwart. Es war, glaube ich, im Jahre 1832. Der Musentempel befand sich beim Neuhauswirt rückwärts im Hofe, wo zugleich ein Prachtexemplar von einem Misthaufen zu sehen war. Man deckte denselben für den hohen Gast einfach mit Taxen zu, umgab ihn mit Sammt und errichtete darüber die Tribüne mit der Kaiserloge. Man konnte doch nicht "dessentwegen" den Misthaufen forträumen, dachte das naive und schlichte Bauerngemüt. In der Malerei der Szenerien hatte sich der geniale Gmundler damals selbst übertroffen, auch die Musik ließ nichts zu wünschen übrig. Die Virtuosen erhielten je einen Zwanziger für die Vorstellung und dafür bliesen sie sich die Seele heraus.

Die Wahl der aufzuführenden Schauspiele und Tragödien brachte einen bäuerlichen Regisseur nie in Verlegenheit. Dasselbe Drama wurde meist fünf- bis sechsmal nacheinander aufgeführt, woraus man aber durchaus nicht auf einen Mangel an Stücken schließen darf; im Gegenteil, der Vorrat an solchen war und ist noch unerschöpflich. Man sollte es gar nicht glauben, wie fruchtbar sich mancher Dorfpoet erwies. Ein Kohlenarbeiter zu Kramsach verfaßte dreißig Stücke, die mit vielem Beifall über die Bretter gingen. Eine ländliche Charlotte Birchpfeiffer lebte noch vor beiläufig fünfzig Jahren in Hötting bei Innsbruck. Es war eine äußerst liebe Frau mit ein paar blitzenden Augen trotz ihres hohen Alters. Sie schrieb gegen achtzig Stücke. Die Ruhmsucht scheint indes die Bauernpoeten nicht angespornt zu haben, denn der Dichter ist selten bekannt. Es treibt ihn in vollem Sinne des Wortes die reine künstlerische Schaffenslust zum Dichten, da auch die Geldentschädigung, die ihm für sein Werk zuteil wird, eine sehr geringe war. Nur in vereinzelten Fällen steht der Name des Dichters auf dem Zettel, wie z. B. der des Schmelz von Landeck, dessen Drama "Heinrich und Eva" Anno 1790 zu Brucken bei Landeck mit großem Beifall aufgeführt wurde. Alte Bauern wissen sich noch an ihn zu erinnern. Er scheint übrigens nur der Überarbeiter gewesen zu sein. Öfter erscheint der Tondichter genannt, gewöhnlich der Schullehrer oder Chorregent.

Die beliebtesten Stoffe bildeten vor allem die Mariensagen und Heiligen-Legenden. Geschätzt und oft gegeben war auch das "Hirlanda"- und das "Genovevaspiel". Ersteres befindet sich noch gegenwärtig in Obsteig, letzteres wurde im Gesellenverein zu Hall und an verschiedenen anderen Orten aufgeführt. Auch der Kirchenpatron ward fast in jedem Dorfe auf der Bühne gefeiert. Mit einem derartigen Stücke kam einmal ein gewisser Peter Raas aus Laatsch in Vinschgau in arge Verlegenheit. Dieser zog nämlich zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, wie Adolf Pichler erzählt, mit einer Schauspielertruppe nach Bozen und Meran. Er hatte aber zu Burgeis einen Nebenbuhler, der ein Stück "Johannes von Nepomuk" gedichtet hatte. Raas stahl ihm dasselbe, überarbeitete es unter Aneignung der besten Partien und brachte es auf seine Bühne. Der Bestohlene erhob beim Landgericht Klage und Raas wurde vorgeladen. Er verwies zum Beweis seiner Unschuld auf die in zwei Tagen stattfindende Aufführung des beanstandeten Stückes. Was tat nun der Schlaue? Unverzagt bestieg er den Pegasus und am bestimmten Tage waren 1400 neue Verse an Stelle der entwendeten eingefügt und einstudiert, und Raas ging frei aus.

Nächst den Legenden bot die Bibel unerschöpflichen Stoff: "David und Goliath", "Joseph in Ägypten", "Die heiligen drei Könige" usw. Die Schwazer Chronik erwähnt eines "Holofernesspiels", wozu das Theater auf den Vomper Feldern errichtet war. Auch im Dorfe Buch, eine Stunde östlich von Schwaz, wurde es noch Ende der verflossenen fünfziger Jahre aufgeführt. Es gab aber auch Darstellungen belehrenden und allegorischen Inhalts. So spielte man zu Zell bei Kufstein: "Der Ring, der alle verliebt macht." Andere hießen "Der Bauernkönig", "Des Teufels Bekehrung". In einem solchen Spiele, das mir selbst vorlag, kam eine äußerst interessante Versammlung von Teufeln vor, in der sich diese über die geschickteste Art der Menschenverführung berieten. 3) Überhaupt ist im echt tirolischen Bauernspiele die Verknüpfung der Vorgänge oft von packender Wirkung und verrät bedeutendes Talent. Wir haben nach allem Gesagten gesehen, daß die meisten dieser Spiele eine religiöse Färbung tragen. Diese sind die ursprünglicheren, volkstümlicheren, während der neue Geschmack Rittergeschichten à la Spieß und Delarosa mit hochtönenden Titeln vorzog.

Über die Lustspiele oder Possen, wie man sie nun heißen mag, welche nach dem Schlüsse des Trauerspiels gegeben wurden, um die Rührtränen in Lachtränen zu verwandeln, ist uns wenig bekannt. Sie scheinen in Hans Sachsscher Manier gedichtet gewesen zu sein. Ein sehr beliebtes war unter anderen die "Alte Weibermühle", in welche auf der einen Seite ein altes verschrumpftes Mütterchen hineingesteckt wird, das dann auf der andern als junges sauberes Dirndl herauskommt. Es wird noch gegenwärtig öfter aufgeführt. Viel Ergötzen machte ein Puppenspiel, das sogenannte "Peterlspiel". Auch dieses hat sich bis auf unsere Tage erhalten, wenn es auch von seiner derben Urwüchsigkeit viel eingebüßt hat.

Fragen wir nun nach dem Ursprung und Anfang der Bauernkomödien in Tirol, so läßt sich darüber nichts Urkundliches nachweisen. Wahrscheinlich ging die Anregung dazu von jenen Stücken aus, welche die Jesuiten alljährlich in Innsbruck aufführen ließen. Wenigstens findet man vor deren Auftreten keine Spur. Auch das Theater des erzherzoglichen Hofes mag nicht ohne Einfluß gewesen sein. Der römische Kaiser Ferdinand hatte am 24. Juni 1562 das Gymnasium der tirolischen Landeshauptstadt mit Hilfe des berühmten P. Canisius eröffnet und den Jesuiten übergeben.

Von der Darstellung einer solchen Teufelsversammlung rühren zweifellos auch jene Teufelsfratzen her, welche sich beim "Teufelsschmied" auf der Ebne vor Ötz befanden und später an das Museum Ferdinandeum in Innsbruck gekommen sind.

Diese ließen ihre Schüler am Ende des Schuljahres und, unter dieser Zeit bei besonderen Festen, wie z. B. zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten, St. Katharina etc. Trauerspiele oder sogenannte Declamationes aufführen. So geschah es schon 1574 in Gegenwart des Erzherzogs Ferdinand, dann zu Ostern 1576, wo der Erzherzog die Kosten trug. Dazu kamen die sogenannten exercitia scholastica, welche von den Innsbrucker Damen und Bürgersfrauen eifrig unterstützt wurden.

Diese Schauspiele dauerten fort bis zur Aufhebung des Jesuitenordens. Auch bei den Benediktinern in Meran fanden ähnliche Aufführungen statt. Dabei wurden "Programme" an die Mitglieder der höheren Stände des Ortes gesendet. Die "Bauernspiele" des achtzehnten Jahrhunderts kennen diese "Programme" ebenfalls, natürlich mit Weglassung des Latein, sowie das Austeilen der Libretti nach städtischer Mode. Selbst der Inhalt und die Beschaffenheit der Bauernspiele entspricht den Jesuitenstücken, denn der Dialog ist keineswegs so naturwüchsig, als man glauben möchte, sondern bewegt, sich, besonders im achtzehnten Jahrhundert, in ziemlich schwülstigen Alexandrinern. Eine ausführliche Geschichte der Entwicklung des tirolischen Bauernspiels läßt sich jedoch wegen der vielen Lücken nicht geben. Viel verdankt die Forschung in dieser Beziehung dem Dichter und Literarhistoriker Adolf Pichler. (Vgl. dessen "Drama des Mittelalters". Innsbruck, Wagner 1850 und andere Schriften desselben.) Die Zeit der höchsten Blüte fällt in die zweite Hälfte des vorletzten Jahrhunderts und in den Anfang des letzten; damals hatte fast jedes Dorf sein Theater. So bestanden, um nur die Umgebung Innsbrucks zu berücksichtigen, solche in Sistrans, Lans, Völs, Axams, Götzens, Mühlau, Pradl, Thaur, Rum etc. Dann kamen sie mehr und mehr in Verfall und jetzt sind die Landbühnen fast ganz verschwunden. Nur die Texte finden sich in Ur- oder Abschrift da und dort aufgespeichert.

Sämtliche in Rede stehende Bauernspiele sind aber nicht zu verwechseln mit jenen viel älteren sogenannten "Unterkomödien", von denen wir schon bei Gelegenheit der "Nikolausspiele" gesprochen haben und bei denen die Darsteller keine Bühne hatten, sondern von Haus zu Haus zogen, um in jeder Bauernstube ihre Reime herzusagen. Diese sind Volkspoesie, während die oben beschriebenen Theaterstücke ihre Wurzel in der Kunstdichtung haben. Erstere waren oder sind, denn manche dieser Aufzüge haben sich noch bis heute erhalten, meist einem Feste angepaßt, z. B. das Nikolausspiel, der Aufzug in den Klöpfelsnächten, das "Heilige-drei-Königspiel", das sich oft an das Sternsingen anlehnte. In Vinschgau kannte man ein Gregorispiel, das unter großem Zulauf des Volkes im Pfarrwiddum aufgeführt wurde. Auch ein "Wilde-Mann-Spiel" wurde vorgestellt, und zwar im Frühjahre, da man sich die wilden Männer als Beschützer der jungen Saat dachte. Die Spielzeit war der Vorabend des Festes oder wohl auch der Tag selbst. Eine Anzahl junger Bursche fand sich zu genanntem Zwecke zusammen und verfertigte oder verschaffte sich das passende Kostüm, dessen Kosten jeder selbst bestritt; aber heimlich mußte es geschehen, sowie auch die Vermummung so beschaffen sein mußte, daß man den Träger derselben nicht erkennen konnte. Am bestimmten Tage bei einbrechender Nacht setzte sich der Zug in Bewegung. In Berggemeinden kamen gewöhnlich die Bewohner der Nachbarhäuser in einer großen Stube zusammen, damit das Spiel nicht so oft wiederholt zu werden brauchte.

Von einer Szenerie war natürlich keine Rede und die Beleuchtung ebenfalls die sonst übliche. Doch blieb es nie bei der Darstellung des religiösen Gegenstandes, sondern man flocht Episoden meist komischen oder tragi-komischen Inhalts ein, die den Zuschauern erst den eigentlichen Spaß machten. So begann das Nikolausspiel am Piller Berg mit einer Räuberszene, wobei ein verschmitzter Jude auftrat, der sich einer klug angestellten Betrügerei gegen einen reisenden Kaufmann rühmt und dann zur Strafe von Räubern überfallen und tüchtig durchgeprügelt wird. Hierauf folgte das geistliche Spiel, bei dem der heilige Bischof Nikolaus mit himmlischem Gefolge und der Teufel, gemeiniglich Klaubauf, erschienen und ihre Reime zum Besten gaben.

Zu diesen eigentlichen Volksspielen gehören ursprünglich auch die altberühmten Passionsspiele, die man mit Unrecht mit den erstbeschriebenen Bauernkomödien zusammenwirft. Sie erfreuten sich von jeher einer großen Teilnahme und Pflege. Die Leute sahen darin einen religiösen Akt und studierten ihre Rollen mit Ernst und Eifer, der ihre Leistungen schließlich auf jene Stufe der Vollkommenheit brachte, die wir heuzutage in den Aufführungen von Oberammergau, Thiersee und Brixlegg bewundern.

1) Von diesem Bauerntheater hat der tirolische Genremaler Altmutter eine Sepiazeichnung hinterlassen, die sich im Ferdinandeum in Innsbruck befindet. Sie stammt aus dem Jahre 1819 und läßt auf der Bühne eine Szene aus dem Stück "die hl. Afra" sehen. Eine lithographische Nachbildung dieser Zeichnung gibt der Jahrgang 1891 der Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins.

2) Tatte entsprechend dem alamannischen Ätti = Vater, dann kindischer Mensch.

3) Dieses "Bauernspiel", das ich leihweise in Händen hatte und nur mit schwerem Herzen zurückgab, war sicher eines der besten, die jemals geschrieben wurden. Und ging auf eine wirklich unverantwortliche Weise zugrunde. Es wurde nämlich, wie mir der verstorbene Univ.-Prof. Herm. Klotz mitteilte, zum Einheizen verwendet.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 470 - 482.