Christi Himmelfahrt und Pfingsten.
Das Fest Christi-Himmelfahrt bildet eigentlich erst den vollständigen Schluß der Osterzeit; denn während der fünf seit dem Osterfeste verflossenen Wochen steht auf dem Altare der Dorfkirche noch immer der "Auferstandene", bis er am "Auffahrtstage" in einer der Karsamstagszeremonie ähnlichen Feier unter Sang und Klang zum Himmel emporsteigt.
Diese Himmelfahrt wird an vielen Ortskirchen bildlich dargestellt, d. h. man zieht ein Christusbild empor und läßt es durch eine Estrichlücke verschwinden, eine Hauptfreude für alle Kinder.
Zur Mittagszeit, gewöhnlich um 12 Uhr oder 1 Uhr, ruft das Geläute aller Glocken die Andächtigen in die Kirche; wer aber einen "guten Platz" haben will, wo man "etwas sieht", mag sich schon eine geraume Weile früher auf die Beine machen. Manche wohlstehende Bäuerin gibt auch einem armen Weibe einen "Sechser" und läßt für sich und das Hänsele oder Moidele einen Platz aufbehalten. Die bezahlte Beterin pflanzt sich dann recht breit in einen Stuhl und legt rechts und links neben sich ein Gebetbuch, um zu zeigen, daß diese Plätze ebenfalls in Beschlag genommen seien, zu nicht geringer "Galle" minder begünstigter Kirchenbesucher. Nach und nach wird die Kirche zum Erdrücken voll, sämtliche Kinder des ganzen Tales, die sonst nicht regelmäßig zum Gottesdienste kommen, sind heute gegenwärtig und sitzen oder stehen erwartungsvoll auf Stühlen oder erhöhten Plätzen. Alle Blicke schauen nach dem weißüberdeckten Tische, der gerade unter einer Öffnung des Kirchenplafonds aufgestellt ist. Ein hölzernes Bild des auferstandenen Heilands, von Engeln umgeben, steht darauf.
Unterdessen brennt die Mittagssonne glühend durch die Fensterscheiben und erzeugt, verbunden mit der Ausdünstung der Menschenmenge, eine drückende Schwüle in dem engen Raume. Die dicke Sternwirtin wischt sich "einmal ums andere Mal" den Schweiß vom Gesichte, da und dort hört man das Lallen eines Kindes, dem es unbehaglich wird - endlich erscheinen die Geistlichen in weißem Chorrock, begleitet von Ministranten und schreiten auf den Tisch zu. Der Priester segnet und weiht nun das Christusbild, hebt es empor und unter Orgelton und Glockenklang schwebt es langsaman [lies: langsam an] einem Strick mit den begleitenden Engeln aufwärts. Die Kinder gaffen sich fast die Äuglein aus und auch das erwachsene Volk folgt mit aufmerksamen Blicken bei Figur, um zu spähen, wohin dieselbe vor dem Verschwinden das Antlitz wende. Diese Himmelsgegend gilt für den beginnenden Sommer als diejenige, von der alle bösen Donner- und Hagelwetter kommen.
In Reit bei Rattenberg hatte ehemals der aufgezogene Heiland einen Apfelbaumast in der Hand, an dem Äpfel und Bilder hingen. Während er aufstieg, kamen ihm von oben herabschwebend zwei Engel entgegen. Sobald er in der Öffnung an der Decke verschwunden war, wurden aus derselben Bildchen und Äpfel in die Kirche herabgeworfen, welche von den Glücklichen, die sie erhaschten, als geweiht und wunderkräftig lange aufbewahrt wurden.
Eine interessante Beschreibung der einstigen Himmelfahrtsfeier gibt uns P. Cölestin Stampfer in seiner "Chronik von Meran". In der Kirchenordnung der St. Nikolaus-Pfarrkirche vom Jahre 1559 heißt es nämlich vom Himmelfahrtsfeste: "früh umb 5 Uhr zeuch Wasser aufen auf die Kürchen am Yhrn voll und die Engelen, darnach die Sayler aufen zu der Auffahrt. Und nach Essens nimb 2 Stattlen mit Oblat, ain groß und ain kleine für die Schüeler, die anderen für Pauren. Umb 2 lait zamen, so mueß man die Engelen aber lassen auf und Nider, und Ablat aherwerfen und Feuer, darnach Wasser darauf ahergießen, darnach gehen die Pueben mit Stangen ausen, darnach die Prüester mit Khormäntlen." Alle diese zogen hinab zum St. Nikolausaltar, bei welchem die Non bis zum Kapitel gesungen wurde. "Wann sy gar gesungen, so müssen die Khnaben voran geen mit stangen zum weichprunstain und undtern Loch, das ain Pankhl da sey, so stellt der verkhinder unsern Herrn darauf. Und so sy die Respons haben gesungen, so hebt man unsern Herrn 3 mal auf, und die Engelen Immerdar auf und nieder; so unnser Herr aufen Ist, so zintet man werch an, werfen aher Oblat und Kösten und giesen. Darnach trag ain Tuech auf auf die Kanzl und so predigt man."
Statt der etwas gefährlichen Himmelsflammen, die man mit Wasser mühsam löschen mußte, fällt im Dorfe Arzl bei Innsbruck ein Regen von "Büscheln" (Blumensträußen) auf die Köpfe der Andächtigen herab. Die Kinder heben dieselben auf und tragen sie nach Hause. Rührend und sinnig ist die Feier in Wattens im Unterinntale, wo jedes der Kleinen ein Kränzchen mit in die Kirche bringt. Wann dann die Engelschar tief herabgelassen wird und den Heiland umkreist, so langen sie mit ihren Ärmchen danach und hängen ihre Gabe an einen Arm, Fuß oder Flügel der tanzenden Himmelsgeister. Der große "Buschen", den der "Auferstandene" nebst der weißroten Osterfahne in der Hand hält, ist ein Geschenk der Frau Wirtin, die sich diese Ehrenpflicht nicht nehmen läßt. Er wird mit hinaufgezogen und dann von den zwei Burschen, welche die kunstgerechte Auffahrt besorgen geteilt. Diese sind darauf nicht wenig stolz und brüsten sich damit auf dem Dorfplatze.
Schlimm soll es bei der Auffahrtsfeier einmal den Hallern ergangen fein. Als nämlich das hölzerne Bild bei Trompeten- und Paukentusch emporkreiste, riß das Seil und - o Schreck! die Gestalt lag in Stücke zerbrochen auf dem Steinboden der Kirche. "Auffi (hinauf) muß er" denkt sich der im Estrich hantierende Meßner, läuft schnell in die Sakristei um einen Kübel, gibt die Stücke hinein, bindet das Seil daran und läßt vor den Augen der freudig bewegten Menge den Herrgott im Kübel gen Himmel fahren. Von dieser Zeit an führen die Bewohner der Stadt Hall den Spottnamen "Haller Kübel".
Der Auffahrtsfeier geht im Dorfe Schlanders in Vintschgau eine Prozession voran, bei der man das Bild des Heilandes auf einer "Ferkel" (Trage) durch das Dorf trägt, wohl um Gedeihen für die wachsende Saat zu erbitten. Für das irdische Wohl der Menschen aber scheint man diese Zeit als nicht günstig zu betrachten; der Volksglaube sagt, ein da getrautes Paar müsse bald sterben. So prophezeit man wenigstens in Obernberg (Wipptal).
Pfingsten, das Fest der Freude, wie es Uhland nennt, ist in Tirol ärmer an Gebräuchen, als man erwarten möchte. Der Vorabend wird durch eine tüchtige Portion "Maibutter" gefeiert, welche als besondere Köstlichkeit auf den Nachttisch kommt. Diese Maibutter - geschäumtes Obers oder halbgeschlagene Butter mit Zucker und Zimmt bestreut - ist eine beliebte Leckerei der Städter, deren man an schönen Tagen ganze Züge meistens aus Personen weiblichen Geschlechtes und Kinder [sic!] bestehend, nahen Dörfern und Gehöften zuwandern sieht. Die Bauersleute selbst tun sich nur einmal mit dieser schaumigen Speise gütlich und zwar, wie bereits gesagt, am Pfingstsamstag. Nach dem Nachtessen gehen die Burschen der Meraner Gegend "Maibutter ausschnöllen", d. h. sie knallen mit großen Peitschen um die Wette, oft bis gegen Mitternacht. Dieses Peitschenknallen scheint ein Ueberbleibsel der ehemaligen Pfingstritte zu sein, jenes beliebten Frühlingsfestes, welches einst in ganz Deutschland mit großer Pracht unter Beteiligung von Jung und Alt aller Stände gefeiert wurde. Heutzutage finden nur mehr in Schwaben Pfingstritte statt, freilich jenes mittelalterlichen Glanzes entkleidet. Tirol, sonst ein wahres Schatzkäftlein für derartige alte Bräuche, weiß nichts davon, ebensowenig vom Tanz um den Maibaum und von der Maikönigin. Statt die Häuser geliebter Mädchen mit grünen Birken zu verzieren, wie es in Norddeutschland Sitte ist, machen sich die Tiroler Burschen am Pfingstsonntag, ähnlich wie am Ostermontag, einen Spaß ganz anderer Art, der übrigens jetzt auch schon ganz abgekommen ist. Sie verüben nämlich allerlei Bubenstreiche, stecken z. B. einen Rauchfang voll langer Stangen, hängen ein Schaff voll Wasser ober der Haustür auf, so daß der Bauer, wenn er in der Frühe ahnungslos herauskommt, über und über begossen wird, oder leiten gar den Brunnen ins Haus, daß dieses voll Wasser steht. Nicht wahr, recht gemütlich! Das Spätaufstehen am Pfingstsonntag gilt wie überall so auch in Tirol als Schande. Jeder eilt aus den Federn zu kommen; der Unglückliche, dem es passiert der letzte zu sein, wird als "Psingstdr " oder "Pfingstknödel" den ganzen Tag über ausgelacht und verspottet. An andern Orten heißt der Betreffende "Pfingstzol", was mit dem erstgenannten Ehrentitel ziemlich aufs Gleiche herauskommt. Sogar das Wirtshaus verwandelt sich für den armen Ertappten zum Fegefeuer, obwohl es sonst dort besonders lustig zugeht. Um Pfingsten gehen nämlich die Bauern allenthalben dorthin, wo ein guter Tropfen fließt. Bringt es als großer Lostag einen blauen Himmel, so trägt es schon ein paar Halbe Roten, denn das schöne Wetter verspricht eine gesegnete Ernte. Ein regnerischer Pfingstsonntag hingegen verregnet, wie das Sprichwort sagt, die halbe Nahrung und verdirbt noch dazu den Naschmäulern die "Schnabelweide", das sind Erdbeeren "Moosbeeren", und Kirschen. Unter so bewandten Umständen begnügt man sich denn, einige "schofle" Krügel Bier zu trinken.
Die kirchliche Feier des Pfingstfestes besteht außer dem vormittägigen, mit besonderem Pomp abgehaltenen Gottesdienst in einem Vorgange, welcher der oben beschriebenen Himmelfahrt etwas ähnelt. Es wird nämlich die Herabkunft des "heiligen Geistes" ebenfalls bildlich dargestellt. Wie bereits gesagt, befindet sich in der Decke der meisten Dorfkirchen eine runde Öffnung, das sogenannte "Heiliggeistloch", und durch eben dieses wird am Pfingsttage der "heilige Geist" herabgelassen. Unter letzterem versteht man ein hölzernes Rad von ungefähr 46 cm im Durchmesser, an dessen unterer vergoldeter Fläche die Taube mit ausgespannten Flügeln angebracht ist, gewöhnlich das Erzeugnis eines Dorfgenie's oder eines Schnitzkünstlers aus dem Grödner Tale oder aus Fassa, deren Bewohner sich mit dieser Beschäftigung manches Stück Geld verdienen. An den vier Hauptstrahlen sind große Rauschgoldbüschel befestigt. Während nun auf dem Chore das "Veni creator spiritus" in klassischem Latein oder in schulgerechter Uebersetzung abgesungen wird, richten sich aller Augen nach der bedeutungsvollen Estrichlücke. Endlich öffnet sich dieselbe und der "heilige Geist" wird sichtbar. Langsam senkt er sich nieder, wobei das Seil, das ihn hält, in eine kreisende Bewegung gesetzt wird. Diese vergrößert sich natürlich, je tiefer die Taube sinkt, bis sie endlich unmittelbar über den Köpfen der andächtigen Menge hinschwebt. Das kunstgerechte "Herabwerfen" oder Schwingen des "heiligen Geistes" ist nicht so leicht, als man denken möchte, sondern erfordert eine eigene geschickte Handbewegung, die der Meßner schon lange vorher einübt, um bei diesem Ehrenamte würdig sich auszuzeichnen.
In früherer Zeit stellte man die Sache noch anschaulicher dar, indem man eine wirkliche Taube durch die Lücke herausließ, die sich dann in natürlichem Antrieb auf oder hinter den Hochaltar flüchtete. Aus welchem Grunde man diese Darstellungsweise für nicht mehr zeitgemäß hielt, verschweigt die Geschichte; genug, man ist davon abgekommen. Aber ein ergötzliches Histörchen erzählt man sich noch davon, für das die armen Stilfser den Sündenbock abgeben müssen. Es war Pfingsttag und die andächtige Menge gaffte schon lange mit offenem Munde nach der bewußten Plafondöffnung. Schon war gewiß zum sechsten Male das bekannte Lied gesungen worden:
Komm, Komm,
Komm, Heiliger Geist,
Mit deinen sieben Gaben all,
Bewahr' uns vor dem Sündenfall.
Umsonst! Der "heilige Geist" wollte nicht erscheinen. Schon ging ein äußerst bedenkliches Murren durch die harrende Gemeinde. Endlich öffnete sich die Lücke, aber, o weh, statt der Taube steckte der Meßner seinen bärtigen Kopf heraus und rief mit angsterstickter Stimme:
"Singt it (nicht)
Er kimmt it.
Die Katz hat'n g'freßa."
Mag nun dieser beklagenswerte Fall sich ereignet haben oder nicht, sicher ist jedenfalls, daß wir in so schnurrigen Überlieferungen keineswegs eine Mißachtung der Religion und der kirchlichen Gebräuche, sondern nur Ausflüsse des derben Volkshumors und der angeborenen Spottsucht des Tirolers zu erblicken haben, welche selbst das, was ihm sonst das Heiligste ist, in ihren Kreis zieht.
Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben,
Stuttgart 1909. S. 91 - 97.
Frakur-OCR korrekturgelesen von Carsten
Heinisch