Der Kirchtag.
"Und am Sonntag ist Kirchtag,
Da geh' i's zum Tanz,
Der Ander führt's Nannal
Und die Gretel der Hans."
So klingt es immer häufiger, wenn es gegen "Galli" (6. Oktober) geht, um welche Zeit der Kirchtag eintritt. Er ist der eigentliche Nationalfesttag der Alpenbewohner. Der heiße Sommer und der fruchtreiche Herbst sind vorüber, Korn und sonstiger Feldsegen ist größtenteils eingebracht und ruht wohlverwahrt in Tenne und Scheuer; nur die Rüben und Krautköpfe stehen noch auf den Äckern, ein verlockendes Raubstück peitschenknallender Hirtenbuben, die das Vieh auf der Ätze hüten. So bildet der Kirchtag gewissermaßen den Abschluß des bewegten Bauernjahres und die Einleitung in das stille Leben im Hause, wo die Spindel und der trauliche Heimgarten regiert. Deshalb wird er auch in allen Tälern und Dörfern mit Schmaus, Tanz und Gesang festlich begangen, und es geht an diesen Tagen lustiger und toller zu als im Fasching. Ja, so beliebt ist diese Feier, daß der Bauer an einem Kirchtag nicht genug hat, und jedes Dorf noch einen, das sogenannte Patrociniumsfest hat, nämlich die Feier des Kirchenpatrons. Zum Unterschied von diesem Sonderkirchtag wird das andere Hauptfest, das wir heute ansehen wollen, Allerwelts- oder Landkirchtag genannt. Es feiert seinen größten Aufschwung im sangesheitern Zillertal, und wer das tirolische Volksleben in seiner überschäumenden Lustigkeit und derben Gemütlichkeit schauen will, muß in diesen Tagen nach Zell oder Fügen, den Hauptorten dieses Tales, wandern.
Die Vorbereitungen zu diesem Feste beginnen schon am Anfange der Woche, an deren Schluß der Kirchtag fällt. Da geht es an ein Gespüle und Getätsche, daß einem wasserscheuen Stubengelehrten die Haare zu Berge stehen könnten. Die Dirnen säubern und putzen das ganze Haus von innen und außen, jedes Stäubchen wird abgekehrt, die getäfelten Wände heruntergewaschen, Stube, Kammern, Gang und Küche rein gefegt; sogar die Spinnen unter dem Dache sind in ihrem luftigen Belvedere nicht mehr sicher. Dann geht es an die Geschirre. Die hölzernen Gefäße werden gebrüht, das Kupfer und Zinn gerieben. Wenn man ein paar Tage vor dem Kirchtag durch eines der freundlichen Dörfer Zillertals wandert, so sieht man am Dorfbrunnen alle Dirnen um die große Brunnenstube herumstehen. Die eine säubert Teller und Kochtöpfe, die zweite den "Melchsöchter", die Seihe und die Milchschüsseln, eine dritte wäscht die Fenster ab; dabei Helles Geplauder, Neckereien und fröhliches Lachen. Die geputzten Geschirre werden an den Zäunen, den Scheiterlinden der nahen Häuser und auf den Bänken zum Trocknen gestellt. Da funkelt das blankgescheuerte Kupfer und Zinn wie eitel Gold und Silber. Im Anger flattert auf hochgezogenen Stricken die weiße Wäsche zwischen herbstlich bunten Bäumen; auch der Söller ist mit allerlei weißem und farbigem Zeug bekleidet.
Die Knechte, besonders der Melcher, sind bei dieser häuslichen Umwälzung nicht müßig. Ihre Tätigkeit beschränkt sich hauptsächlich auf gründliche Reinigung der Ställe und aller in dieses Fach einschlägigen Gegenstände. Dann wird ein Widder oder ein Rind, in früheren guten Zeiten auch beides zugleich, geschlachtet. Die Kinder tragen der Mutter das Holz in die Küche, damit sie zur Bereitung des großen Kirchtagsfestmahles erklecklich viel Brennmaterial bei der Hand habe.
So geht es fort bis zum Vorabend des Festtages. Samstag vormittag hat noch dieser oder jener etwas zu besorgen, bis um zwölf Uhr mittags feierlich die Glocken ertönen. Nun wird "Feierabend gelassen", d. h. die Arbeit hört auf. Der erste Glockenklang ist auch für die Kinder ein bedeutsamer Zeitpunkt. Jubelnd laufen alle an einen Platz, wo sie zum Kirchturme sehen können, denn dort wird während des Läutens "der Kirchtagfahn" herausgesteckt, eine kleine Fahne von roter Farbe mit weißem Kreuz. Diese bleibt bis zum nächsten Samstag oben hangen und wird dann ebenfalls während des Feierabendläutens wieder weggenommen. Die armen Wiltener "Judenhänger!" Ihnen sagt nämlich der schalkhafte Volkswitz nach, sie hätten am Kirchtag statt einer Fahne einen Juden herausgehängt.
Nun geht es zuvörderst an das Toilettemachen. Die Knechte waschen und kämmen sich, stutzen sich den Bart und gehen hierauf in die Vesper. Unterdessen putzen sich auch die Dirnen hübsch zusammen, flechten ihre Zöpfe, binden sich ein blühweißes Fürtuch um und gehen dann in die Küche, um der Bäuerin bei Bereitung des Abendmahles zu helfen. Denn dieses besteht schon am Vorabend in schmackhaft gefüllten Schmalzkrapfen. Nach dem Essen sieht man dann manches Mädchen im Garten oder am Fenster stehen und einen "Kirchtagbuschen" für ihren Schatz binden. Vor allem werden die Nelkenstöcke, die man bei jedem Bauernhause auf dem Söller findet, arg geplündert; die blutroten "Nagelen" sind ein Hauptbestandteil des "Buschen". Dazu kommt ein Rosmarinzweig oder was der herbstliche Garten etwa sonst noch bietet. Am Spätabend oder in der Nacht kommt dann der Bursche ans Fenster der Geliebten und holt sich das Geschenk. Es gilt als eine große Schande für einen Burschen, wenn er keinen "Buschen" hat, daher sucht derjenige, der nicht so glücklich ist, ein Liebchen zu besitzen, auf alle mögliche Weise einen zu stehlen. Aber die Mädchen sind klug und entfernen jeden Blumenstock von Söller und Garten, damit keine unberufene Hand demselben nahe.
Lautes Böllerknallen weckt die Hausbewohner am Kirchsonntag früh schon um drei bis vier Uhr aus dem Schlafe, Alles steht zeitlich auf, selbst die Kinder. Die Bäuerin geht in den Frühgottesdienst, weil sie später zu Hause bleiben und das Mittagsmahl bereiten muß. Die Burschen und Mädchen sind mit ihrem Anzug beschäftigt. Da wird gewaschen und gekämmt, das Haar gestrichen und der Bart gezupft; die Dirnen flechten das Haar in überbreite Zöpfe; dann werden die schönsten Kleider aus dem Kasten geholt und vor dem Spiegel angezogen. Manche Dorfschöne schnürt sich das knappe Mieder fester als ein Stadtfräulein. Endlich um halb acht Uhr ist Alt und Jung zum Kirchgang bereit. Von allen Seiten kommen die Leute im Festtagsstaat zum Gottesdienste. Die Burschen stellen sich vor der Kirchtüre auf, denn sie müssen erstens ihre "Büschen" bewundern lassen, die gar keck von den Hüten herabnicken, zweitens die Leute mustern und die geputzten Mädchen bekritteln. Auch diese geben acht, ob ihre Liebhaber wohl die von ihnen gewundenen Sträuße tragen. Da hört man manche spöttische Bemerkung und manche spitzige Rede fliegt hin und wider. Beim Zusammenläuten der Glocken treten auch die Burschen in die Kirche. Der Altar ist schön "aufgemacht" und mit Birkenbäumen geschmückt, die Predigt besonders schön ausstudiert, das Amt lang und feierlich. Die Sängerinnen schmettern mit helltönender Stimme ihr Gloria in excelsis Deo herab, und der Organist will mit feinen Orgelpräludien gar nicht enden, spielt auch mitunter ein bekanntes Stücklein aus einer Oper oder gar eine Polka. Zwischen Credo und Sanctus ist ein lustiger "Hopser" fast Verpflichtung. Den Leuten ist es aber heute nicht recht genehm, daß der Gottesdienst so lange dauert; ja es existiert sogar ein Spottliedchen auf das: "Pacem-G'schrei". Alt und Jung verläßt mit innigem Behagen die schwüle Kirche. Die Burschen sind wieder die ersten. Sie stellen sich auf wie vor dem Gottesdienst und warten auf ihre Mädchen, welche sie dann nach Hause begleiten. Das Gespräch auf dem Heimweg bezieht sich natürlich nicht gerade auf das, was der Pfarrer heute gepredigt hat. Die praktischen Alten sprechen von den Kühen und Ochsen oder von Feld und Wald und von der Wochenarbeit; die Jungen haben ihren entsprechenden Klatsch, ihnen stecken die schmucken "Dirndlen" im Kopfe.
Unterdessen kocht die Bäuerin "den Kirchtag". Zu Hause angekommen, ziehen sich die Dirnen weiße Schürzen an und decken den Tisch mit einem neugewaschenen Tuch. Auch Teller, häufig noch hölzerne, kann man heute ausnahmsweise sehen, während man sonst das ganze Jahr aus der gemeinsamen Schüssel ißt. Neben dem Teller liegt Gabel und Messer. Nur die Löffel liegen alle beisammen vorne am Tisch; jeder nimmt sich den seinen selbst. Die Knechte liegen währenddessen auf dem Rasen oder sonnen sich auf der Bank neben der Haustür, der Futterer füttert das Vieh im Stall. Wenn er fertig ist, geht man zum Mittagsmahle. Der Bauer betet das Tischgebet vor, dann setzt man sich. Jedes hat seinen bestimmten Platz. Die Knechte sitzen gewöhnlich hinter dem Tisch, die Mägde auf der einen Vorbank, rechts die Großdirn, links die Kleindirn, auf der andern Vorbank sitzen Bauer und Bäuerin. Auftragen muß die Großdirn.
Das Mahl ist wahrhaft lukullisch, wenigstens was die Anzahl der Speisen betrifft, die sich oft auf zwanzig belaufen. Den Anfang machen gewöhnlich Fisolen, aber wohlverstanden weiße müssen es sein, dann kommen in verschiedener Ordnung Fleisch, Speckknödel, gebackene Knödel, Küchel, Strauben, Braten, Schmalzkrapfen, so fett herausgebacken, daß sie tropfen. Die Leistungsfähigkeit eines Krafttirolers ist in dieser Hinsicht wahrhaft staunenswert. -- Dazu wird fleißig Schnaps getrunken. Das Tischgespräch bilden die vormittägigen Ereignisse: welcher Bursche den ärgsten "Buschen" gehabt, welches Dirndl das schönste Kleid, Tüchel oder Fürtuch getragen habe usw.; die Kritik ist scharf genug. Dabei neckt man sich gegenseitig und stichelt auf Liebschaften. Dies ist besonders der Fall, wenn Knecht und Dirne in einem Liebesverhältnis stehen, wie das häufig vorkommt. Man nennt die beiden im Zillertal: "Hausbrateln". 1) Die Verliebten haben dann ein ordentliches Fegfeuer auszustehen, und man freut sich, wenn sie recht rot und "g'schamig" werden.
Nach Tische suchen die Knechte ihresgleichen auf und legen sich entweder in den grünen Obstanger, um den vollgestopften Magen ruhig verdauen zu lassen, oder sie gehen "Platzkegeln" oder auch ins Wirtshaus "Scholderkegeln". Die Mägde müssen spülen und auskehren, dann finden auch sie sich mit ihren Freundinnen zusammen. Der Fütterer hat im Stall zu tun. Die Kühe haben ebenfalls Kirchtag; man hängt ihnen alle Glocken und Schellen an, die man hat, und treibt sie so auf die Ätze. Ist der Fütterer bei dem Vieh fertig und ist auch auf der "Räm" (Tenne) die letzte Arbeit getan, so wirft auch er sich in den Staat und geht mit den übrigen in die Vesper, die um ein Uhr abgehalten wird und dann geht alles sogleich ins Wirtshaus. Dieses ist heute bis auf den letzten Winkel besetzt; denn jeder will sich einen guten Tag antun. Die Familienväter führen ihre Angehörigen hin; daß die Ledigen und jungen Burschen nicht fehlen, versteht sich von selbst. Doch hat heute selten einer sein Mädchen bei sich, dafür ist morgen die rechte Zeit.
Der Kirchmontag ist erst der eigentliche lustige Kirchtag. Fast aus allen Wirtshäusern schallt Tanzmusik. Die Haupttanzplätze sind aber im Dorfe Zell oder in Fügen, wo auch zugleich ein Jahrmarkt abgehalten wird. Dorthin wallfahrtet denn die tanzlustige Jugend Zillertals. Gleich nach dem Mittagessen rotten sich die Burschen zusammen und wandern dem nähergelegenen der beiden Dörfer zu. Die Mädchen, die sich natürlich zusammenbestellt haben, folgen in bescheidener Entfernung oder sind schon vorausgegangen; im verabredeten Orte findet man sich dann leicht. Besonders in Fügen geht es sehr lebhaft zu. Welch Gewühl von Leuten ist da versammelt! Ganze Rotten von Burschen, das Hüt'l keck auf der Seite, das Röck'l über der Achsel und den Stoßring am Finger ziehen Gasse auf, Gasse ab, Wirtshaus ein, Wirtshaus aus, von einer Bude zur andern. Allmählich fangen sie an, sich zu teilen. Jeder sucht jetzt sein Dirndl auf. Hat er es gefunden, so wird eingekauft. Sie beschenkt ihn mit einem "Buschen", einer Pfeife oder einem Tabaksbeutel; er gibt ihr als Gegengeschenk hübsche Fürtuchbänder oder ein Sacktuch. Dann kaufen sie sich Bildchen, wo hübsche bezügliche Verse darauf stehen. Oft beschenken die Burschen auch solche Mädchen, die ihnen unbekannt sind, nur so zum Jux mit Naschwerk, wie "Busserlen", Lebzeltengebäck in allerlei Formen, z. B. zehn bis zwölf aneinanderhangende "Popelen" oder ein "Popele in der Wiege". Ein solcher Scherz wird gar oft der Anfang einer Liebschaft. -
Jeder Bursche geht dann mit der Seinigen in das Wirtshaus und auf den Tanzplatz. Da ist ein Lärm, ein Gewoge und Gedrehe hin und her im Walzer und "bayerischen", daß dem Zuschauer Hören und Sehen vergehen möchte. Denn hier wird nicht so fein und manierlich getanzt, wie ein Herr mit einem zarten Fräulein auf einem städtischen Balle. Da wird "schuhplattelt" und "getröstert", d. h. kopfüber aufgesprungen, daß man an der Zimmerdecke die Eindrücke der schweren Nagelschuhe sieht. Mancher gelenkige Tänzer springt gar mit Hellem Juchzer über das Mädchen hinaus, das unterdessen allein forttanzt, dann laufen sie wieder zusammen, halten sich enge, oft Wange an Wange gelehnt und machen dann wieder einen kühnen Dreher:
Ast (dann) dreht sich das Diendl,
Ast dreht sich der Bua,
Ast nimmt er's beim Miederl
Und juchezt dazua.
An den eng zur Wand gerückten Schenktischen sitzen politisierend und tabakrauchend die älteren Leute und lassen ihre Blicke über das frohe Gewühl gleiten. Eine Hauptsache beim Tanzen ist das "Anfrümmen". Der Bursche mit dem Mädchen an der Hand tritt vor die Spielleute hin und singt ein Trutzliedchen, was als Aufforderung gilt, auf seine Kosten einen Tanz aufzuspielen 2). Heute werden nämlich die Spielleute auch bezahlt, da die sonst gebräuchliche Mundharmonika, der sogenannte "Fotzhobel", welches Instrument an gewöhnlichen Sonntagen für einige Paare wohl ausreicht, bei diesem Anlaß nicht mehr genügt. Es kommen eigene "Aufspieler" und Singer aus demselben oder aus einem benachbarten Dorfe; auch finden sich gern böhmische Musikanten ein. Der Bursche wirft das Geld in einen eigens dafür aufgestellten Teller. Diese Trutzliedchen sind sehr häufig Veranlassung zu Raufereien, denn sie sind meistens auf die Burschen anderer Dörfer oder auf einen Nebenbuhler gemünzt. Das Dirndl wird mit großer Eifersucht gehütet, ebenso beobachtet sie mit scharfen Blicken ihren Schatz. Trotzdem geschieht es oft, daß ein Bursche seiner Geliebten oder umgekehrt sie ihm den Laufpaß gibt und sich einen neuen Schatz sucht. Beim Tanz fällt das nicht so sehr auf.
Schlimmer ist es aber, wenn der Bursche das Mädchen hinter dem Tisch im Wirtshaus im Stiche läßt. Da sitzt nun die arme Verlassene, eine Zielscheibe des Witzes und Spottes der ganzen Gesellschaft, und weiß sich vor Scham und Verlegenheit nicht zu raten und nicht zu helfen. Man nennt dies dem Dirndl ein "Blech machen". Das "Blech" hat sie so lange, bis sie einen anderen Liebhaber findet, der ihr "das Blech abnimmt", d. h. ihr die Zeche zahlt. Aber auch für den Burschen ist es eine große Schande, von einem Dirndl verlassen zu werden, und das geschieht nicht minder oft.
Hat man eine Weile getanzt, so führt jeder seine Tänzerin in
die Wirtsstube und setzt ihr dort süßen Wein, sogenannten "Gliedwein"
(Glühwein), Braten und Kaffee vor. Hierauf geht man mit frischen
Kräften nochmals auf den Tanzplatz und vergnügt sich da bis
spät in die Nacht. Dann nimmt man abermals eine Stärkung zu
sich und macht sich endlich auf den Heimweg. Der Bursche begleitet sein
Mädchen; gibt es unterwegs ein Wirtshaus, so wird noch einmal eingekehrt.
Wer allein nach Hause gehen muß, von dem sagt man: "Er tragt
Schotten".
1) Brödeln eigentlich Untergebene. In andern Tälern heißen sie "Bröseln".
2) Vergl. die Einleitung zu meinen "Schnaderhüpfeln
aus den Alpen". 3. verb. Aufl. (Innsbruck, Wagner,) S. XX u. 275
ff.
Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 175 - 183.