Maifeier.
Von der volkstümlichen großen Feier, welche einst den Eintritt des schönen Mai begleitete, haben sich in Tirol und Vorarlberg nur wenige Reste erhalten. Sieht man von dem Ohrenschmaus des "Butterausschnöllens" und dem in Abnahme begriffenen "Madlen baden" ab, welche beiden Bräuche im Burggrafenamte und mittleren Vinschgau üblich sind, so bleibt eigentlich nur mehr für die Erwachsenen das Setzen des Maibaumes und für die Kinder das Verfertigen von Maienpfeifen.
Aber auch von diesen beiden Bräuchen hat der erstgenannte als eigentlicher "Maibaum" seine ursprüngliche Bedeutung fast verloren und dient meist anderen Zwecken. Als Vertreter des Wonnemonats kommt er, so viel mir bekannt, nur noch vereinzelt in manchen Bezirken des Unterinntals, so im Sölltal (Söll-Landl), im Brixental und Jochbergertal vor. Dort wird noch nach alter Sitte am Vorabend des 1. Mai von den Burschen im Gemeindewald eine Fichte gefällt, bis auf ein kleines Stück Wipfel ("Kopf") entästet, entrindet und dann auf dem Dorf- oder Kirchplatze aufgestellt. Auch Zierrat findet sich hie und da angebracht, mitunter eine Inschrift. So fand ich vor Jahren in Ellmau einen Maibaum mit der herausfordernden Schrift:
Ein schöner Baum, ein Riesenheld,
Am 1. Mai hieher gestellt,
Den Nachbarsgemeinden zum Schrecken und Verdruß,
Mein Kopf baßt (!) gut für Herkulus,
Ich werde alle die zerschlagen,
Welche gegen mich keine Ehrfurcht haben.
Eine ähnliche Inschrift zeichnete ich mir im Mai 1908 in Gundhabing unweit Kitzbühel auf. Sie lautet:
Am 1. Mai bin ich erwacht
Als Sieger über Dörferschaft,
Manchen Burschen zum Verdruß
Steh ich hier als Herkulus.
Der Ausdruck "den Nachbargemeinden", beziehungsweise "manchen Burschen zum Schrecken und Verdruß" hat einen guten Sinn, wenn man bedenkt, daß es für die Burschen jenes Nachbardorfes, mit dem sie in Fehde liegen - und diese Gegnerschaft kommt fast bei jeder Gemeinde vor - ein Hauptspaß ist, den Maibaum nächtlicherweile, wenn anders möglich, zu stehlen, oder doch wenigstens durch Absägen des "Kopfes" zu verstümmeln und so das betreffende Dorf dem allgemeinen Spotte preiszugeben. Deshalb wird auch der Baum von den Burschen scharf bewacht und der heranschleichende freche Räuber durch Schüsse, allerdings nur von Erbsen, verscheucht. Sogar Eisen wird in den Baum eingeschlagen, um das Absägen durch die Burschen unmöglich zu machen. Aus solchen Anlässen entstanden schon oft böse Raufhändel, die sogar mit Totschlag endeten, wie z. B. im Jahre 1899 in Aurach, wo die Burschen des Unterdorfes den von den Burschen im Oberdorfe aufgestellten Maibaum geraubt und in ihr Revier versetzt hatten.
Weit zahlreicher sind die Maibäume, welche zur Ehrung eines neuen Gemeindevorstehers, welche Wahl häufig in den Mai fällt, vor dessen Hause aufgepflanzt werden. Diese Sitte ist vorzüglich in Vorarlberg verbreitet, besonders im Rheintal und im innern Walgau. Ich traf solche in Gisingen, zu Schwarzenberg im Bregenzerwald, in Außerbraz, Thüringerberg, Bürserberg, zu Sonntag im großen Walsertal usw. Der bis gegen den Wipfel entschälte Fichtenbaum ist meist mit Taxgewinden, Kränzen und in Abständen beiderseits angebrachten Fähnchen aufgeputzt. Hie und da prangt auch auf einer Tafel der Name des Vorstehers. So stand bei dem in Sonntag (1885) auf einem Schild: Gemeindevorstehung Christ. Nigsch. Der neue Vorsteher, dem der "Maie" gesetzt wird, muß natürlich blechen, und zwar nicht wenig. Oft betragen die Kosten einer solchen Ehrung hundert Kronen und mehr. Der "Maie" bleibt stehen, bis ein neuer Vorsteher gewählt wird; fällt die Wahl wieder auf den selben, dann wird der alte Baum abgeholzt und ein neuer gesetzt. Hiebei krachen die Völler und wirbelt die Trommel und des Jauchzens ist kein Ende. Dafür bekommen die Burschen ein Mahl, Wein, Bier und Kaffee. Einen solchen "lustigen" Maibaum traf Ludwig Steub anfangs der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts vor dem "hölzernen Gasthöfchen" in Damüls, "als wenn's da je zuweilen hoch herginge". Der Verfasser der "Drei Sommer in Tirol" wußte nicht, daß dieses "Gafthöfchen", das ich gar wohl kenne, zugleich Wirtshaus, Schulhaus und Gemeindestube sei. Letzterer Bestimmung verdankte der damalige "Maie" seine Aufstellung. Man trifft solche Maibäume allerdings auch vor Wirtshäusern; in diesem Falle dienen sie gewöhnlich als Zugmittel dem bäuerlichen Klettersport und sind dementsprechend mit Eßwaren und andern Gaben am Wipfel geziert als Preis für den, der imstande ist, den glatten Stamm hinan zu klimmen und sie herabzuholen.
In Tirol werden die meisten Maibäume den Geistlichen errichtet, sei es zur Feier der Ankunft eines neuen Pfarrers, sei es zur Primiz oder Sekundiz eines Priesters. So errichteten z. B. die Burschen von Mathon in Paznaun am 15. April 1905 zur Ankunft des neuen Kaplans Zuber einen 23 Meter hohen "Maien". In Heiterwang traf ich am 9. September 1898 einen Maibaum, den ein Kelch auf einem Gebetbuche zierte und der vor dem Geburtshause des Primizianten Schumacher prangte. Außer Bändern und Tannengewinden trug er auch einen geschmückten Wipfel. Der Vater des Primizianten hatte ihn spendiert und die "Buben" hatten ihn gesetzt. Einen andern fand ich vor Jahren in Außerfern. Er war ebenfalls geschält, mit Bändern und Kränzen geziert und trug einen Schild mit dem Namen desjenigen, der die Sekundiz feierte. Auch bei anderen festlichen Gelegenheiten werden Maibäume gesetzt, so im September 1898 in Schlitters anläßlich des nahenden Kaiserjubiläums.
Man sieht aus alledem, der Maibaum hat nicht mehr, wie in alter Zeit, die Feier des 1. Mai zum Inhalt, wo man um ihn den Reigen tanzte und ihn beim Kampfspiele "Sommer und Winter" umritt, sondern dient nunmehr verschiedenen Zwecken. Eine verblaßte Erinnerung an die meist allgemein üblichen "Mairitte" hat sich im "Antlaßritt" im Brixentale erhalten, bei dem am Fronleichnamsnachmittage die mit "Maien" versehenen Reiter auf geschmückten Pferden die Maibäume von Westendorf, Brixen und bei der Klausenkapelle umreiten.
Nur die Kinder, in deren Spiel, Brauch und Sang uns so viel erhalten blieb, was im Wechsel der Zeiten allmählich abkam, haben dem Mai die volle Treue bewahrt und feiern den Eintritt desselben wie vor tausend Jahren allüberall mit ihren selbstverfertigten "Maienpfeifen". So eine Maienpfeife zu machen ist aber auch ein Kunststück und deren Verfertigung erfordert ebensoviel Geschicklichkeit als Geduld, Man verwendet bekanntlich dazu entweder Erlen oder noch häufiger die Bachweide (salix caprea) und zwar solange sie noch in Saft ist; am besten, sagt man, gelingt das "Ausziehen", ehevor die Palmkätzchen zum Vorschein kommen. Zuerst macht man in das abgeschnittene Stämmchen, das womöglich ohne "Augen" sein soll, in der Länge der Pfeife zwei Ringe und schält außerhalb dieser Ringe die Rinde ab. Dann dreht man das Messer um, faßt es mit Daumen und Zeigefinger an der Klinge und klopft mit dem flachen Messerrücken das stehengebliebene Stück Rinde auf dem Knie so lange ab, bis sie sich vom Holz löst, oder, wie man sagt, bis die Pfeife sich "mait". Das dauert nun oft ziemlich lange und wir begreifen, daß dem Jungen schließlich die Geduld ausgeht und seine Liedchen, mit denen er die Klopfarbeit begleitet, den liebkosenden Charakter allmählich verlieren und in Drohungen übergehen.
Diese Begleitliedchen, welche im höchsten Norden, wie im Süden, so weit die deutsche Zunge klingt, mit eintöniger Stimme gesungen werden, haben fast durchgehend den gleichen Inhalt, was für das hohe Alter derselben spricht. Richard v. Strele hat in einem Feuilleton der "Frankfurter Zeitung" vom Jahre 1892 No. 133 unter dem plattdeutschen Titel "Sappholt" (Saftholz) sehr interessante Aufschlüsse über diese Liedchen, über ihre Verbreitung und Bedeutung in der Literatur gegeben und auch verschiedene solcher Reime mitgeteilt. Ich will sie um einige, die ich teils selbst in Tirol und Vorarlberg sammelte, teils von Freunden erhielt, vermehren. Eines aus dem Sarntale lautet:
Mai'n, Mai'n pfeif,
Das Korn ist noh net reif,
Zuich der Katz den Balg o (ab);
Geaht sie über die Schober-Alb o (hinab)
Geaht sie über die Brunner-Alb u,
Geaht sie über an' Reanl (Rain) o,
So schnipet (bricht) sie ihr Beanl (Beinlein) o.
Dieses der "Katz den Balg abziehen" kehrt in vielen Liedchen wieder, so auch in einem aus Kals, das mir der Nachtwächter von Windisch-Matrei, Gg. Wibmer, im Jahre 1881 mitteilte
Pfloite (Flöte), Pfloite, mai' dih
Oder ih derschnei' dih
Wirf dih auf'n af's Melcha-Dachl,
Fallste achen (hinab) ins Plumperbachl;
Eard'n drauf, Stoan drauf,
Katznhäutl obendrauf.
Ganz ähnlich lautet das vom Schulrat Prof. Dr. Val. Hintner in seinen "Beiträgen zur tirolischen Dialektforschung" S. 155 mitgeteilte, mit dem Schlusse:
Dido, dido
Zoich der Katz'n 'in (den) Balk o!
Dieses angedrohte "Balgabziehen" und "auf das Dach werfen" wird mit den traurigen Folgen breit ausgemalt. Die Katze bricht sich beim Sturz entweder das Bein oder sie wird in den Bach fallen und der trägt sie von Ort zu Ort weiter, so daß sie nicht mehr heimfindet. Die unfreiwillige Wasserfahrt behandeln vorzüglich zwei Maienliedchen aus Unterpustertal, welche ich der Güte des Herrn Gutsbesitzers Josef Stemberger in Bruneck verdanke.
Moja, Moja pfeife,
Die Katze hat die Sch ße.
Geht se auffe af's Müllerdach,
Fallt se og'n (hinab) in Blindenbach;
Rinnt se fort nach Stegen,
Laßt a Katzl wägen;
Rinnt se fort nach Weißenstoan,
Kimmt se in der Nacht um Zwölfe hoam:
Was werd eppa (etwa) die Muitter sag'n?
Haar aus, Haar aus!
Reiß der Katz den Balg aus!
Noch weitläufiger ist die andere Fassung:
Moja, Moja pfeife,
Die Katze hat die Sch ße.
Geht auch'n (hinauf) af das Müllerdach,
Da fallt se och'n in groaß'n Bach;
Noar (nachher) rinnt sie af Lorenzen,
Die Tell'r zi schwänzen;
Noar kimmt se af Pfalzen,
Die Suppe zi salzen;
Noar rinnt se af Brixen,
Die Stiefel zi wichsen 1);
Noar rinnt se af Klausen,
Die Witschen (Mädchen) zi lausen;
Noar rinnt se af Boazen,
Um an' Kreuzer Kloazen (gedörrte Birnschnitze);
Noar rinnt se af Weißenstoan
Und um Zwölfe die Nacht kimmt se hoam.1) Nämlich den geistlichen Herren der Bischofsstadt.
Dieses Liedchen ist so lang, daß wir hoffen dürfen, es habe sich endlich die Rinde vom Holze gelöst, nachdem sie der Junge noch mit der "befeuchteten" Hand aus Leibeskräften zu drehen gesucht, auf dem Knie "genudelt" und dazwischen hinein wieder geklopft hat. Das Herausziehen des Holzes muß vorsichtig gemacht werden, besonders wenn sich, wie es bei größeren Pfeifen der Fall ist, Astaugen daran befinden; denn die Rinde reißt leicht, und dann war die Mühe umsonst. Das herausgezogene Holz wird schnell wieder hineingesteckt und oben glatt abgeschnitten. Dann wird beim Mundstück das Schalloch ausgeschnitten, das Holz wieder herausgezogen und aus dem obersten Stück desselben das halbierte Zäpfchen fabriziert und eingefügt. Nun ist die Maienpfeife fertig. Das übrig gebliebene Holz steckt man unten mehr oder weniger weit hinein, je nachdem man einen helleren oder tieferen Ton erzeugen will. Man macht auch große Pfeifen, wobei oft zwei Buben beim "der Katz den Balg abziehen" zusammen helfen, welches Verfahren nicht selten, wenn der eine an der Rinde dreht und der andere am Holze zieht, zwei unfreiwillige Purzelbäume zur Folge hat. Solche große Pfeifen werden indes meist aus Hollunderzweigen gemacht und mit Löchern versehen; sie tönen tief wie eine Orgel. Will man einen zitternden Ton erzeugen, so schürft man die Pfeife inwendig mittelst eines Drahtes. Zum Schlusse will ich noch ein Maienliedchen anfügen, das mir "zu guter Letzt" vom wackern Schäflewirt in Feldkirch, Herrn Ant. Weinzierl, zugeschickt wurde. Es klingt zwar nicht sehr ästhetisch, aber wer wird naivem Kindermund etwas verübeln:
Pfifa, Pfifa g'roth, (gerate)
Bis der Bock in Stall goht.
Bis er Gägele falla lot (läßt).
Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben,
Stuttgart 1909. S. 76 - 82.
Frakur-OCR korrekturgelesen von Carsten
Heinisch