Sonnwendfeier.

Wenn das Volk den Ausdruck "Sonnwend" gebraucht, so meint es nie den 21. Juni als den Zeitpunkt des höchsten Sonnenstandes, sondern stets den drei Tage später einfallenden Johannistag (24. Juni); und zwar muß diese Gleichstellung in sehr frühe Zeit zurückreichen, da wir sie in Tirol und Vorarlberg wie in Deutschland von altersher finden. Im oberen Etschtale heißt daher der dem Volke so wichtige Tag geradezu "Johannissunnawendt". Dieser Anlehnung der altheidnischen Sonnwendfeier an den christlichen Heiligen ist es zu verdanken, daß sich wenigstens ein Rest jener ehrwürdigen Gebräuche und abergläubischen Vorstellungen, welche die einstmalige Begehung dieses Festes begleiteten, unter dem Deckmantel der "Johannisfeier" bis auf die Gegenwart erhalten hat. Dies gilt vor allem von der dem Johannistag vorausgehenden "Sonnwend"- oder "Johannisnacht".

Gleich der Christnacht umwebt auch die Nacht vom 23. auf den 24. Juni ein geheimnisvoller Zauber. Die Zukunft ist erschlossen, die Natur läßt in ihre Tiefen schauen und offenbart wundertätige Kräfte, die sie durch gewisse Pflanzen den Menschen dienstbar macht. So "blühen" in der Johannisnacht nach weitverbreitetem Glauben die Schätze. Es blühen aber auch die Farren (Farne) und werfen ihre Samen ab. Wer nun mit einer Farrenblüte in der Hand um die zwölfte Stunde auf das Joch steigt, sieht eine Goldader. Der Samen der Farren aber besitzt die köstliche Eigenschaft, daß er, zum Gelde gelegt, dieses nie weniger werden läßt, so viel man auch davon wegnimmt. Um diesen Farrensamen zu gewinnen, muß man vor Sonnenuntergang ein Papier oder noch besser ein Kelchtüchlein um das Farrenkraut herumlegen. Während der Nacht fällt dann der Same darauf. Morgens kann man ihn holen, doch muß dies vor Sonnenaufgang geschehen, nachher verschwindet er wieder 1). Dieser Farrensamen hat noch andere geheimnisvolle Kräfte; so vertreibt er, wenn man ihn in die Schuhe gibt, die Müdigkeit; auch unsichtbar soll er machen.

1) Zu dieser abergläubischen Vorstellung haben ohne Zweifel die an der Unterseite der Farrenblätter sitzenden Fruchthäufchen, die aufgeklebten Mimaturmünzen gleichen, Veranlassung gegeben.

Für Liebende und Heiratslustige ist diese Nacht besonders bedeutungsvoll, denn sie verschafft ihnen verschiedene Zaubermittel, den Zukünftigen zu erschauen. Das Mädchen braucht nur am Johannisabend während des Feierabendläutens mit der rechten Hand einen grünen Kranz zu winden, ohne ihn über einen Bach oder eine Türschwelle zu tragen, und nachts unter den Kopfpolster zu legen, dann erscheint ihm im Traume das Bild des Geliebten. Derselbe Glaube herrscht auch im Sarntal (Aberstückl), nur ist es da erstlich ein bestimmtes Kraut, "Gochal" 2) genannt, das hiezu genommen werden muß, und dann muß das Mädchen es mit der linken Hand auf dem Rücken zu einem Kränzlein winden, hierauf sofort nach Hause laufen, aber ja nicht den Fuß über eine "Giß" (Bach) oder Schwelle setzen. Und das muß alles während des "Feirum" (Feierabend)-Läutens geschehen, das der Meßner an diesem Tage absichtlich, wie wir hören werden, sehr kurz abtut. An noch schwerere Bedingungen war das Erschauen des Geliebten in Welschnofen geknüpft, wie Joh. Adolf Heyl in seinem Sagenbuche erzählt. Da wurde in früheren Tagen zu einer beliebigen Zeit Feierabend gelautet, oder, wie es an diesem Abend Sitte ist, ähnlich dem Sturmläuten "geklenkt". Das ledige Weibervolk mußte deshalb sehr acht haben, um die kurze Zeitspanne des Läutens nicht zu versäumen, beim ersten "Klenker" sofort eine "Schmelche" (Schmiele) pflücken und daraus ein Kränzlein formen. War es gemacht, so durfte sie es mit der Hand nicht berühren, sondern sie mußte ein Holz spalten, das Kränzlein hineinpressen und heimtragen. Unter das Kopfkissen gelegt, offenbarte es ihr den einstigen Bräutigam. Da machen es die klugen Puftertalerinnen in Oberlienz einfacher. Sie werfen während des Aveläutens Kränze auf die Baume. Deren Kranz in den Ästen hängen bleibt, heiratet noch in diesem Jahre.

2) Gochal ist nach Vermuten des Herrn Dr. Otto Rudl, prakt. Arztes in Sarnthein (nunmehr in Bozen) anagallis arvensis, Gauchheil; die Eingeborenen bezeichneten ihm allerdings die Schafgarbe (achillea) als die darunter zu verstehende Pflanze.

Dieses oben angeführte kurze Feierabendläuten hat übrigens, wie bemerkt, seinen ganz besonderen Grund. Während des Läutens sammeln nämlich die Hexen Zauberkräuter für ihre "Schauerbollen". Für diese Blocksbergkandidatinnen ist Sonnwend überhaupt eine schlimme Zeit, da die geplagten Menschenkinder am Sonnwendtage all ihre Tücke zu erkennen und sich vor derselben zu schützen vermögen, was natürlich der Hexe gar übel bekommt. Wenn die Kühe keine Milch geben wollen und man glaubt, es sei eine Hexe daran schuld, so legt man einen Kranz "Wehdorn" in den Kübel, darein man die Milch melkt, und hängt ihn dann in den Rauchfang. So muß nun die Hexe mit dem Kranz bei lebendigem Leibe verdorren. Um inne zu werden, wie viele von den holden Wesen sich im Dorfe befinden, braucht man nur ein Stück Holz, das ein Loch hat, aus einem Baum zu schneiden und am Johannistag beim Gottesdienste durch diese seltsame Brille zu schauen. Dann sieht man alle Hexen während der Wandlung zum Opfer gehen. Weibspersonen können die gleiche Wirkung auch mit einem frisch gepflückten vierblätterigen Klee erzielen, den sie sich in die Zöpfe einflechten. Sie erblicken dann beim Orate fratres alle Hexen, wie sie mit häßlichen Gesichtern und die Köpfe mit Bienenkörben bedeckt, gegen die Kirchentüre gewendet erscheinen.

Als Hauptmittel gegen den Zauber dieser Unholdinnen und ihres höllischen "Bündners" gilt das Johanniskraut (Hypericum perforatum), vom Volke nicht ohne Grund Teufelsflucht genannt. Es wird auch gegen Blitzschlag an das Fenster gesteckt. Um die drohenden Hochgewitter, die um diese Zeit besonders gefährlich sind, abzuwenden, haben sich in Tirol und Vorarlberg manche Bräuche erhalten, wenn auch deren ursprüngliche Bedeutung allmählich schwindet. So windet man am Johannisabend in Vorarlberg, besonders in Montafon, die sogenannten Maienkränze, tiefer im Tale Johanniskränze" genannt. Sie haben bisweilen die Gestalt eines Herzens oder Kreuzform. Die Blumen hiezu, sogenannte Johannisblumen (Margariten), werden von den Kindern auf den Wiesen gepflückt und man glaubt, daß sie in der Nacht vom heiligen Johannes gesegnet werden. Die daraus gemachten Kränzlein hängt man an Türen und Scheunen als Schutz gegen Blitz und anderes Unheil auf. Der gleiche Brauch herrscht auch im Pitztal, nur werden da drei Kränze, jeder aus einer anderen Blumenart, gewunden und zum selben Zweck an die Türen gehängt.

Schaut in diesen Blumenspenden schon der Opfergedanke durch, so tritt er mit voller Deutlichkeit bei einem anderen Brauche hervor, der ähnlich wie am Christabend, auch am Sonnwend- oder Johannisabend bis vor einem Menschenalter noch geübt wurde und vielleicht in manchem abgelegenen Talwinkel noch geübt wird. Es ist das "Füttern der Elemente". Unsere alte Magd aus Mariatal bei Brixlegg erzählte mir, sie "wisse noch wie heut", wie ihre Mutter am Sonnwendabend etwas vom Nachtessen in den Bach geschüttet, etwas ins Feuer geworfen, etwas in die Erde vergraben und Mehl in die Luft gestreut habe, so daß es der Wind forttrug. Wenn ich nicht irre, hat Professor Peter Moser, dem die tirolische Sittenforschung so viel verdankt, zuerst auf diesen urheidnischen Opferbrauch aufmerksam gemacht. Er gehört zu den wertvollsten Resten altgermanischen Naturkultes. Interessant ist auch der Brauch, an diesem Abend Küchel von dreierlei, siebenerlei, ja sogar neunerlei "Fülle" zu backen, also Brennessel-, Salbei-, Holderküchel usw. Bei letzteren wird die duftende Holunderblüte in den Teig getunkt und in Schmalz herausgebacken.

Der eigentliche und schönste Sonnwendbrauch ist wohl das Entzünden von Bergfeuern, den sogenannten Sunnawend- oder Suwendfeuern, am Vorabend des Johannistages. Ich habe im folgenden natürlich die volkstümliche, vom Landvolk begangene Feier im Auge, nicht jene, die uns Deutschen in Oesterreich seit einigen Jahrzehnten zum flammenden Symbol völkischer Zusammengehörigkeit und deutscher Gesinnung geworden ist. Sonnwendfeuer ersterer Art kennt man nur in Gegenden bayerischen Stammes, oder in solchen Gebieten, die wenigstens stark mit bayerischem Blute vermischt sind. In schwäbisch-alamannischen Gegenden, wie in ganz Vorarlberg, im Vinschgau, im Burggrafenamt, in den westlichen Teilen Oberinntals mit seinen Seitentälern Paznaun, Stanzertal etc. kennt man die Sonnwendfeuer nicht, hier sind an deren Stelle die zu Ehren des erstarkenden Sonnenlichtes am "Kas"- oder "Küchlesonntag" entzündeten "Funken" oder "Holepfannfeuer" getreten, von denen wir beim Abschnitt "die Fastenzeit" ausführlich gesprochen haben. In Tirol ist das Hauptgebiet der Sonnwendfeuer das ganze Unterinntal mit seinen Seiten- und Paralleltälern (Brixental etc.), ferner das ganze Sill- und Eisaktal und das ganze Pustertal mit den Seitentälern Tauferertal, Iseltal etc. Sie tragen im Volke noch jetzt allseits den überkommenen altehrwürdigen Namen "Sunnawend"- und "Suwendfeuer", wenn sie auch am Vorabend des Johannistages (24. Juni) entzündet werden. Daneben kommen wohl auch in der Kitzbüheler Gegend die Ausdrücke "Johannisfeuer" und "Johannisbrennen" vor.

Welch schönen Anblick in heiterer Juninacht die durch's ganze Tal an den dunkeln Bergwänden und Jöchern zerstreuten Feuer gewähren, weiß jeder, der dieses erhebende Schauspiel von einem günstigen Platze aus ansieht. Besonders der Blick in einmündende Seitentäler, z. B. von Bruneck ins Tauferertal, ist bezaubernd. Auf den Jöchern meiden die Feuer im Unterinntal meist von den "Albingern" (Almleuten - Sennern) entzündet. So konnte man noch in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts auf den Spitzen des Sonnwendjoches stets zwei mächtige Feuer sehen; es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß dieser herrliche Berg gleich der "Suwendalm" im Spertental davon den Namen hat.

Auf den Vorbergen und an näher dem Talboden gelegenen Höhen besorgen das Anzünden die Dorfburschen. Bei eintretender Dämmerung, meist schon früher, kann man im Unterland ganze Rudel von "Buben" und "Diendl'n" auf die Anhöhen ziehen sehen. Da wird nun zuerst Holz gesammelt, besonders Staudenwerk und halbdürres Reisig nebst grünen Ästen, die man von den Tannen herabreißt, kurz Zeug, das viel Rauch gibt. In manchen Bezirken Unterinntals, besonders im Alpachtale, Brixen- und Leukentale, herrscht nämlich die eigentümliche Sitte "Suwendraach" zu machen. Zuerst wird allerdings ein Feuer angezündet. Ist der Holzhaufen ziemlich herabgebrannt, dann springt alles, Buben und Mädeln, hintereinander über die Glut, das sogenannte "Kittelverbrennen". Dabei wird gejuchezt, gelacht und gescherzt. Dann aber dämpft man die Flamme und sucht durch darübergeworfene Tannenzweige möglichst viel Rauch zu erzeugen. Je höher und gerader aufsteigend die Rauchsäule ist, desto mehr gilt sie. Auf diesen uralten heidnischen Brauch, der auf die dem Sonnwendrauche zugeschriebene reinigende Kraft zurückzuführen ist, hat ebenfalls Prof. Peter Moser die Mythologen zuerst aufmerksam gemacht.

Wo hingegen nur das Entzünden von Feuern üblich ist, wird auf die Höhe der Flamme Gewicht gelegt, was oft zu Eifersüchteleien der Nachbardörfer, aber manchmal auch zu Feuersgefahr Veranlassung wird. So kam im Jahre 1887 am sogenannten Heimköpfl in der Nähe der Neunspitze im Kaisergebirge ein Waldbrand aus. An manchen Orten des Unterinntales, z. B. in Wattens, ist oder war wenigstens früher das "Lutherverbrennen" üblich, wobei eine aus Stroh und Lumpen verfertigte Figur auf einem Karren durch's Dorf geführt und dann am Sonnwendfeuer verbrannt wurde; an anderen Orten, z. B. Kundl, wurde dieses Verfahren mit Luthers "Kathai" (Katharina) vorgenommen. In der Regel wird das Sonnwendfeuer früh gelöscht, aber es gibt Täler, wo, wie z. B. im Wipptal, die Burschen bei ihren auf den Hügeln entzündeten Feuern die ganze Nacht juchezen und singen.

Die früher im Lüsenertale bei Brixen übliche Sitte, daß die Burschen mit Trommeln und Pfeifen auf einen Hügel unter Huben zogen, dort ein Feuer entzündeten und brennende Reife über den Wald hinabwarfen, (Heyl, Sagen, S. 758) leitet uns zu jenem prächtigen Schauspiel des "Scheibenschlagens", welcher Brauch einen ergänzenden Bestandteil des Entzündens der Sonnwendfeuer mit dem Sprung über die erlöschende Flamme bildet, jetzt aber leider in Tirol, wie es scheint, wenigstens als Sonnwendbrauch im Untergange begriffen ist. Geübt wird er, wie ich höre, noch im Iseltale. Möglich, daß er sich auch noch in anderen Seitentälern des Pustertales, etwa in der Luggau, erhalten hat; meine diesbezüglichen Anfragen blieben bisher unbeantwortet. Der Vorgang des "Scheibenschlagens" ähnelt ganz dem gleichnamigen im Vinschgau am "Kas"- oder "Scheibensonntag", d. i. dem ersten Sonntag in der Fasten. In Vorarlberg, wo es im großen Walsertale am "Funkensonntag" ebenfalls im Schwunge war, ist es bereits abgekommen. Die Scheibchen sind aus Buchen-, Erlen-, hie und da auch aus Zirbenholz und haben in der Mitte ein Loch. Jeder Bursche trägt 20 bis 30 derselben an einem Spagat um die Achsel gehängt; dazu hat er einen meist über meterlangen, biegsamen Haselstock. Nachdem die Scheibchen am Feuer glühend gemacht worden, werden sie mittels des Stockes in immer größeren Kreisen geschwungen, dann auf der schräg aufgestellten "Scheibenbank" oder auf dem harten Boden aufgeschlagen und so "hinausgetrieben". Während des Schwingens schreit der Scheibenschläger mit weithin schallender Stimme einen Reimspruch auf die Person, dem die Scheibe gilt, z. B.:

Ho! Die Scheib'n schlag i zu n an' guat'n Anfang
Und zu n an' guat'n Ausgang
Die Scheib'n g'hört (der oder dem).

Gleich Glühkäferchen fliegen die Scheiben, eine nach der andern in die dunkle Nacht hinaus, erst hoch im Bogen sich hebend, dann in immer rascherem Falle zutal sich senkend. Je höher die Scheibe steigt, desto mehr wird sie vom unter der Anhöhe stehenden Volke bejubelt, oder auch - belacht, wenn der schlagende Bursche einen recht witzigen Spruch losläßt Denn oft werden hiebei lange Stichelreime hergesagt, welche ähnlich den Reimen der Haberfeldtreiber lächerliche Vorkommnisse der Dorfbewohner geißeln. Auch sogenannte "Schimpfscheiben" werden gleich wie am Kassonntag von den Burschen geschlagen, für mißliebige Persönlichkeiten, besonders für hoffärtige, trutzige "Gitschen". So dauert das lärmende Schauspiel oft einige Stunden lang, bis die Burschen singend und johlend ins Dorf zurückkehren, wo sie daheim Küchel und Schnaps erwarten, wenn sie es nicht vorziehen, im Wirtshaus den Sonnwendabend zu beschließen.

Der darauffolgende Sonnwend- oder Johannistag bietet nicht viel Merkwürdiges. Er gilt als halber Bauernfeiertag, oder, wie man im Unterinntale sagt, als "schlechter" Feiertag, an dem man nur kleine Geschäfte abtut und die strenge Arbeit ruhen laßt. Nur wenn dem Heu Gefahr droht, wird dieses eingeführt. Sonst gilt an manchen Orten, z. B. in Obernberg, der Bauernspruch: "Wenn man vor Johanni Heu ("Sonnwendheu") ins Haus bringt, so kommt man mit ihm nicht aus". Daß es bei einem so wichtigen Zeitabschnitte, wie Sonnenwende es ist, an Wetterregeln nicht fehlt, ist selbstverständlich. Bemerken will ich noch zum Schluß, daß man an manchen Orten aus der Asche der Sonnwendfeuer eine Lauge macht, mit der man den Kühen, welche mit der Läusekrankheit behaftet sind, die Haut abwäscht.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 114 - 121.
Frakur-OCR korrekturgelesen von Carsten Heinisch