Das Einhorn

Haben Funde von Höhlenbärenresten wiederholt die Veranlassung zur Entstehung der Märchen von höhlenbewohnenden Drachen und Lindwürmern geboten, während die Riesenfabeln zumeist auf Funde großer fossiler Elefanten und anderer Großsäugetiere zurückgeführt werden können, so sind es wieder die Stoßzähne des Mammuts gewesen, die lange Jahrhunderte hindurch einer sehr merkwürdigen Sage, der Sage vom Einhorn, immer wieder neue Nahrung geboten haben, wenn sie bei Erdbewegungen wie in Sandgruben, bei Hausbauten, Brunnengrabungen usw. zum Vorschein kamen.

Wie bei der Drachensage und der Lindwurmsage sind aber in dieser Sage vom Einhorn, das seit dem Mittelalter bis in das achtzehnte Jahrhundert eine immer steigende Rolle gespielt hat, der Hauptsache nach Überlieferungen enthalten, die bis in das Altertum zurückgehen. Die Bemühungen, in die Frage nach der Entstehung der Sage vom Einhorn Licht zu bringen, haben zu einem befriedigenden Erfolg geführt; die Geschichte dieser Sage ist so ungewöhnlich interessant, dass wir sie etwas genauer verfolgen müssen.

Dass man von naturwissenschaftlicher Seite der Einhornsage besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, hängt damit zusammen, dass bis vor kurzer Zeit noch die Behauptung zu verteidigen gesucht wurde, dass unter dem Einhorn ein aus der Eiszeit bekanntes, riesiges Nashorn zu verstehen sei, das möglicherweise noch in historischer Zeit in Asien gelebt habe. Dieses gewaltige Nashorn ist der Vertreter einer heute gänzlich ausgestorbenen Gruppe der Nashörner und ist zuerst von Fischer unter dem Namen Elasmotherium sibiricum beschrieben worden.


Zu dieser Frage hat seinerzeit Melchior Neumayr in seiner „Erdgeschichte“ in folgender Weise Stellung genommen:

„Dieses merkwürdige Tier, von dem wenige Stücke in Russland und Sibirien gefunden worden sind, scheint geradezu dem Phantasiegebilde des fabelhaften Einhornes Wirklichkeit zu verleihen, und in der Tat ist die Frage besprochen worden, ob etwa das Elasmotherium noch gleichzeitig mit dem Menschen gelebt und Anlass zur Einhornsage gegeben habe. Eine genauere Prüfung ergibt jedoch, dass die Gestalt des englischen Wappentieres lediglich auf vagen Berichten über das dem mittelalterlichen Europa unbekannte Nashorn beruht. Dagegen ist es nicht unmöglich, dass in Sibirien das Elasmotherium noch mit dem Menschen gelebt hat und von ihm ausgerottet worden ist; wenigstens deutet man in dieser Weise Berichte der Tungusen, in ihrem Lande hätten früher fürchterliche schwarze Stiere von ungeheurer Größe mit einem einzigen Home mitten auf der Stirn gelebt, so groß, dass zur Fortschaffung des Hornes allein ein Schlitten erforderlich gewesen sei.“

Die erste Nachricht über dieses sonderbare Tier finden wir in den Schriften des Leibarztes des Perserkönigs Artaxerxes II., Ktesias, der folgende Schilderung von dem Aussehen des Einhornes und seinen Lebensgewohnheiten entwirft:

Das Einhorn gleicht dem Pferd, ist nur ein wenig größer, weiß am Körper und rötlich am Kopf. Seine Augen sind blau und auf der Stirne trägt es ein einziges, mächtiges, eine Elle langes Horn. Zunächst der Basis ist das Horn auf eine Strecke von zwei Spannen weiß, dann schwarz und gegen die Spitze zu feuerfarben. Becher, aus einem solchen Horne verfertigt, schützen den Trinker vor Gift und Epilepsie. Ktesias schildert weiter das Sprungbein und die Gallenblase des Einhorns, das als indischer Esel bezeichnet wird, und fügt hinzu, dass das Einhorn außerordentlich schwer zu jagen sei, da es ungemein flüchtig wäre. Es sei daher auch nie lebendig zu bekommen.

Einhorn, Sebastianus Munsterus 1598

Fig. 11.
Das Einhorn nach der Darstellung in der „Cosmographey“ von Sebastianus Munsterus (1598).

Diese orientalische Sage bildet den Kern der später in Europa zu hoher Bedeutung gelangten Einhornsage. Die Kraft des Einhornes (Fig. 11) gegen Biss und Gift nahm in der weiteren Ausgestaltung der Einhornsage immer größere Ausdehnung an. Dabei wollte es aber leider niemals gelingen, ein lebendes Einhorn zu sehen oder gar zu fangen; es kamen nur Reste von Einhörnern aus dem Erdboden zum Vorschein. Die Sage erzählt, dass es nur gelänge, ein Einhorn zu fangen, wenn es, gejagt, sich in den Schoß einer Jungfrau flüchte. Eine derartige Darstellung findet sich auf dem schmiedeeisernen Lüster in der aus dem Jahre 1433 stammenden Kirche von Zuitphen in Holland und auf einer berühmten Denkmünze von Vittore Pisano (Pisanello) aus dem Jahre 1447, auf deren Rückseite dargestellt ist, wie sich das Einhorn in den Schoß der jungfräulichen Prinzessin Caecilie, Tochter des Fürsten Johann Franz I. von Mantua, flüchtet, zu deren Ehren anlässlich ihrer Vermählung die Medaille geprägt wurde (Tafel VI). Eine andere berühmte Darstellung des Einhorns ist die auf dem Bilde von Moretto (1498 - 1555) im Wiener Staatsmuseum (Tafel VII).


Das „gegrabene“ Einhorn war nichts anderes als die Stoßzähne des Mammuts (Elephas primigenius), des großen Steppenelefanten der Eiszeit, dessen Reste ebenso wie noch heute auch schon in früheren Zeiten sehr häufig entdeckt wurden und, wie wir bereits besprochen haben, den Riesensagen immer wieder neue Nahrung lieferten. Die Heilkraft des Einhornes stand in so hohen Ehren, dass viele Apotheken sich nach diesem Tier benannten, wie die noch heute bestehende Einhornapotheke in Würzburg, Splitter von solchem „Unicornu verum“ wurden mit Gold aufgewogen. Der Bedarf war so groß, dass die Funde von Mammutzähnen nicht ausreichten, um ihn zu decken; so kamen findige Köpfe auf den Gedanken, aus Skandinavien sich Narwalzähne zu verschaffen, die dann als Einhornzähne verkauft wurden. Aber bald kamen die Käufer darauf, dass diese Zähne nicht so heilkräftig seien wie das Unicornu verum und das Unicornu falsum sank bald im Ansehen, obwohl das Horn auf den meisten Einhorndarstellungen unverkennbar als Narwalzahn dargestellt erscheint (z. B. Tafel VI).

Großes Aufsehen machte die Ausgrabung eines Einhornskelettes durch den als Erfinder der Luftpumpe berühmt gewordenen Bürgermeister von Magdeburg, Otto von Guericke, im Jahre 1663. Am Zeunickenberge bei Quedlinburg hatte Guericke ein Haufwerk fossiler Knochen und Zähne ausgegraben, das er kühn zu einem Skelette zusammenfügte, dessen Abbildung er an den Philosophen Leibniz sandte, in dessen posthumer „Protogaea“ sie im Jahre 1749 zum ersten Male veröffentlicht wurde (Fig. 12). Das ist, soviel mir bekannt, die älteste „Rekonstruktion“ eines fossilen Säugetieres, wenn wir vom Klagenfurter Lindwurm absehen, der 1590 nach dem Schädel eines Nashorns, dem einzigen fossilen Rest, der dem Bildhauer vorlag, zu einem Lindwurm „ergänzt“ worden ist, wie wir schon früher dargelegt haben.

Rekonstruktion des Einhorns Otto von Guericke

Fig. 12.
„Rekonstruktion“ des Einhorns (die älteste Fossilrekonstruktion) nach Resten, die Otto von Guericke 1663 am Zeunickenberge bei Quedlinburg ausgegraben hatte.
(Aus der „Protogaea“ von Leibniz, 1749.)

In welch hohem Ansehen noch zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts das „Einhorn“ stand, geht aus den uns erhaltenen Berichten über die Funde fossiler Mammutzähne bei Cannstatt in Württemberg im Jahre 1700 hervor, die zum Teile der Stadt Zürich als Geschenk übersandt wurden. Das Danksagungsschreiben der Stadt an den Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg aus dem Jahre 1701 spricht davon, dass es dem Herzog „gnädig beliebet, ansehnliche rariteten von allerhand gattungen Unicornuum Fossilium kostbarlich zu schencken“. „Doch klagt Valentini“, schreibt O. Fraas, „schon 1714, wie die Preise des Unicornu gefallen seien; was man früher mit tausend Thaler bezahlt habe, kaufe man nach dem Pfund um wenige Thaler, und sei fast keine Offizin mehr zu finden, in der nicht Unicornu verum aufgehängt sei, aber nicht mehr in Gold und Silber eingefasst, wie ehedem, sondern an eiserner Kette. Die Kraft des Einhorns gegen Gift und Biss bewährte sich, scheint es, schlecht, und sein hohes Ansehen ist verschwunden bis zur heutigen Stunde.“

Über das Einhorn existiert eine große Literatur, namentlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert, in denen ja auch die „Gigantomachien“ und „Gigantologien“, also die sich mit der Frage der Riesen beschäftigenden Schriften, wie Pilze aus dem Boden schossen. Besonders heiß tobte der Streit zwischen den Gelehrten um die Frage des Unicornu verum und des Unicornu falsum, also um die Mammutzähne und die zur Fälschung derselben in den Handel gebrachten Narwalzähne. Von derartigen „Monocerologien“ oder „Einhornschriften“ seien die Bücher und Traktate des Paulus Ludovicus Sachsius (24), des Th. Bartolinus (25) und des M. Christianus Vater (26) genannt, um zu zeigen, dass in dieser Zeit die Frage nach dem Wesen und der Heilkraft des Einhorns die damalige Gelehrtenwelt in hohem Maße in Atem hielt.

(24) Monocerologia seu de genuinis unicornibus. Raceburgi 1676.
(25) De Unicornu. Amstelodami 1678.
(26) De Unicornu. Wittenberg 1679.

Wenn aber auch in wissenschaftlichen Kreisen schon seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Einhornforschung langsam einschlief, so blieb doch im Volk die Vorstellung von der Existenz eines solchen Fabeltiers bis auf den heutigen Tag lebendig. Mein Freund und Kollege Rudolf Much hat mir mitgeteilt, dass die Bauern im Marchfeld in Niederösterreich noch immer die von ihnen im Löß ausgegrabenen Stoßzähne des Mammuts als das „Hurn von an Oang'hürn“, d. i. das Horn eines Einhornes, bezeichnen.

Ich habe erwähnt, dass Ktesias der erste war, der einen Bericht über das persische Einhorn nach Europa brachte. Wenn wir der Frage nachgehen, was wohl die Veranlassung zur Entstehung dieser Fabel und zur weiteren Ausgestaltung der Sage gegeben haben mag, so zeigt sich folgendes.

Wie Schrader auseinandergesetzt hat (27), geht die Einhornsage auf die Darstellungen des Urs oder Auerochsen (Bos primigenius) auf altassyrisch-babylonischen Reliefs zurück. Ebenso, wie wir auf altägyptischen Darstellungen von Tieren und Menschen die strenge Profilansicht vorherrschend finden, so dass von zweihörnigen Tieren stets nur ein Horn abgebildet erscheint, so ist das auch auf diesen altassyrischen Darstellungen der Fall. Unter diesen ist wohl die berühmteste die des „Einhornes” vom Ischtar-Tor in Babylon, die bei den deutschen Ausgrabungen der Ruinen von Babylon zum Vorschein gekommen und von R. Koldewey vorzüglich abgebildet worden ist. Wenn diese Abbildung in manchen Zügen nicht ganz genau mit dem Aussehen des Urs (Bos primigenius) übereinstimmt, den sie aber zweifellos wiedergeben will, so hängt das, worauf mich Kollege O. Antonius aufmerksam gemacht hat, damit zusammen, dass zu der Zeit der Aufstellung dieser aus glasierten Ziegeln verfertigten Darstellungen der Ur in Mesopotamien schon ausgestorben war; die Darstellung (Tafel VIII) stammt aus der Zeit Nebukadnezars, also ungefähr um 600 v. Chr., während der Ur schon etwa hundert Jahre früher in Mesopotamien erloschen war. Als die Perser mit diesen Bildwerken in Berührung kamen und die Darstellungen des Urs an dem Königspalaste in Persepolis wiederholten, war für sie der Ur bereits zum sagenhaften Tiere geworden. Diese Abbildungen hat Ktesias in Persepolis gesehen und von diesen die ersten Nachrichten, vermischt mit fabelhaften Angaben, nach Griechenland gebracht. Aristoteles, Plinius und Aelianus haben die Schilderungen des Ktesias kritiklos übernommen, doch ist es sicher, dass die späteren Vorstellungen vom Einhorn sehr wesentlich durch die auf altägyptischen Reliefs festgehaltenen Abbildungen der Säbelantilope (Oryx) beeinflusst worden sind, denn nun treten immer häufiger Angaben von dem pferde- oder hirschartigen Gesamtbilde des Einhorns auf. Plinius hatte dem Einhorn noch verschiedene andere abenteuerliche Bildungen, wie einen Hirschkopf, Elefantenfüße und einen Schweinsschwanz angedichtet. Es scheint nicht, dass die neben dem Einhorn auf den Mauern von Babylon wiedergegebenen Darstellungen eines sehr merkwürdigen Fabeltieres, das allgemein der „Drache von Babylon“ genannt zu werden pflegt, und von dem R. Koldewey gleichfalls mehrere vorzügliche Abbildungen 1913 mitgeteilt hat, mit dem „Einhorn“ der Fabel irgendetwas zu tun hat, denn wenn dieses Fabeltier auch mit einem Horn auf der Stirn dargestellt erscheint, so ist dabei eher an eine gehörnte Viper der Gattung Cerastes zu denken. Dieser „Drache“ hat Vogelfüße und Löwenhände und unterscheidet sich daher trotz des Besitzes einer „feuerfarbenen Mähne“ sehr bestimmt vom Einhorn, das nach allen Angaben „gespaltene Hufe“ besitzt.

(27) Sitzungsberichte der Berliner Akademie, 1892.

Im Mittelalter mehren sich die Berichte von Reisenden, die das Einhorn leibhaftig gesehen haben wollten. So berichtet E. Wartmann im 15. Jahrhundert, dass er in Mekka neben der Moschee zwei lebende Einhorne gesehen habe. „Die zeigt man für ein Wunderbarlich ding. Sein gestalt und grösse / so es außgewachsen hat / ist gleich wie ein wolgewachsen jung Fülle / daz 30. Monat alt ist / und hat ein schwartzes Horn an seiner Stirne bey zweyer oder dreyer Elen lang. Sein Farb ist wie eins dunckelbraunen Pferds / hat ein Kopff wie ein Hirtz und ein langen Halß mit ettlichen krausen Haaren unnd kurtz / die ihm auff ein selten hangen / kleine Schenckel / auffgericht wie ein Geyssbock. Seine Füss ein wenig gespalten da vomen / und die Klawen wie die Geyssen, haben auch sondere Haare auf dem hindern theil der Schenkel.“ Nach einem anderen Berichterstatter ist die Farbe rötlich, wieselfarbig, der Kopf dünn und hirschartig und der Hals mit wenig Mähne besetzt; die Füße wären dünn und zweihufig. In der „Cosmographey“ des Sebastianus Munsterus (28) findet sich eine Darstellung des Einhorns (Fig. 11), die auffallend an die Abbildungen von Säbelantilopen auf altägyptischen Reliefs erinnert, nur mit dem Unterschied, dass das Horn des Einhorns ganz geradegestreckt erscheint und spiralig gedreht ist, so dass zweifellos ein Narwalzahn zum Vorbild gedient haben muss.

Wir sehen also, dass die Wurzel der Einhornsage in den von den Persern missverständlich übernommenen Darstellungen des früher in Mesopotamien einheimisch gewesenen Urs (Tafel VIII) zu suchen ist, und dass diese Vorstellungen, wie sie Ktesias nach Europa gebracht hat, durch Vergleiche mit altägyptischen Bildwerken bei den Schriftstellern des klassischen Altertums ihre weitere Verzerrung und Ausschmückung erfahren haben. Das in naturwissenschaftlicher Hinsicht durchaus kritiklose und sich allein auf die Schriften des klassischen Altertums stützende Mittelalter hat diese Fabel in scholastischem Geiste immer weiter ausgebaut. Auch in diesem Falle, wie bei den Drachensagen und der Basiliskenfabel, ist es außerordentlich bezeichnend, dass sich die Gelehrten der Scholastikerzeit gar nicht mit der Frage beschäftigt haben, ob denn die Nachrichten von der Existenz eines lebenden Einhorns wirklich auch auf Wahrheit beruhen, sondern dass sie nur nach Beweisen für die überlieferten Angaben aus alter Zeit suchten. Daraus erklärt es sich, dass man ganz in derselben Weise, wie man in jedem Höhlenbärenfund einen Beweis für die Existenz von Drachen und Lindwürmern oder von Riesen erblickte, nun auch in den häufig gefundenen Stoßzähnen von Mammuten die im Erdboden begraben gewesenen Hörner des Einhorns zu erkennen glaubte.

(28) Basel, 1598, S. 1351.

In wenig anderen Beispielen tritt uns der krasse Gegensatz zwischen der Betrachtungsweise naturwissenschaftlicher Objekte und der ganzen Methode naturwissenschaftlicher Untersuchung von heute und einst so scharf entgegen wie bei der Einhornfabel. Auf der einen Seite das starre blindgläubige Festhalten an althergebrachten und durch Jahrhunderte vererbten Überlieferungen und auf der anderen Seite die nüchterne, unbefangene Kritik der tatsächlichen, jedem Einzelnen zur unmittelbaren Beobachtung zugänglichen Verhältnisse.

Schlagen wir heute die vergilbten und verstaubten Folianten auf, in denen uns die versunkene Welt des Mittelalters wieder lebendig wird, so erschrecken wir über den entsetzlichen Wust von Aberglauben, der uns auf jeder Seite entgegentritt; wenn vielleicht mancher heute noch meint, dass die Naturwissenschaften bis heute eigentlich noch herzlich wenig auf dem Wege der Erkenntnis fortgeschritten sind, der mag sich einmal in diese alten Schriften vertiefen und sich daran erinnern, dass die Gelehrten zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts noch felsenfest daran glaubten, dass die Honigbiene nur in den verfaulenden Eingeweiden eines Löwen entstehe. Er mag daran denken, wie lange es gedauert hat, bis die absurden Vorstellungen von den fossilen Organismen als bloße „Naturspiele“ oder „Lusus naturae“ und in späterer Zeit als „Sündflutzeugen“ mit all dem ungeheuren Schutt wissenschaftlichen Irrwahns und Aberglaubens aus dem Wege geräumt worden sind, um einer unbefangenen Betrachtungsweise der „vorsündflutlichen“ Lebewesen freie Entwicklungsbahnen zu schaffen.

Quelle: Die vorweltlichen Tiere in Märchen, Sage und Aberglaube, Othenio Abel, Karlsruhe 1923, S. 44 - 54.