2. Kitzbühel und die Salve.
Spertental mit dem Rettenstein, Richard Üttner

Das Spertenthal mit dem Rettenstein
Richard Püttner

Von Kufstein führt die Straße eine Zeitlang am linken Ufer, aber immer beherrscht von dem hohen Pendling, dann über Kirchbühel nach dem früher wenig beachteten Orte Wörgl. Seit derselbe eine Eisenbahnstation geworden und besonders seit sich von hier die neue Salzburger Tiroler- oder Giselabahn abzweigt, ist derselbe ein belebter Knotenpunkt geworden, dem wohl eine rasche und bedeutende Entwicklung bevorsteht. Bisher war nichts weiter davon zu erzählen, als daß der zur Gemeinde gehörige sogenannte Wörglboden sich durch so außerordentliche Fruchtbarkeit auszeichnet, daß auf demselben wenige Höfe stehen sollen, deren Viehstand nicht die Zahl von mindestens dreißig Stücken erreicht.

Von Wörgl aufwärts führt die alte Haupt- und Handelsstraße um den Massenstock des Wildkaisers herum nach Ellmau und Sankt Johann in Tirol, um sich von dort über Waidring nach Lofer und Unken zu wenden und von da durch das bayerische Gebiet von Reichenhall in Salzburg auszumünden.

Die neue Bahn dagegen neigt sich abwärts, sie durchschneidet im großen Bogen das Pinzgau und strebt im Salzachthale demselben Ziele zu. Hier ist es wohl genügend, dieselbe zunächst bis Kitzbühel zu begleiten - alle die wundervollen Naturschönheiten, welche das Pinzgau sowie das Gebiet von Salzburg bietet, gehören nicht hieher und werden gesonderte, eingehende Behandlung zu finden haben.

In kurzer Frist ist der röthliche Sandsteintegel erreicht, von welchem die Ruinen des Schlosses Itter, unweit des gleichnamigen Dorfes, sich stattlich erheben. Die Geschichte weiß wenig davon zu erzählen, als daß die aufrührischen Bauern 1525 dasselbe erstürmt und zerstört haben. Wohl hat ein späterer Erzbischof von Salzburg es wieder aufgebaut, aber er vermochte doch nicht, es dem Schicksale zu entziehn, von dem es nun minder gewaltsam, aber desto sicherer erreicht wurde. Es erfüllt im jetzigen Zustande wenigstens den Zweck, dem Reisenden, der aus dem Waggonfenster des vorbeisausenden Zuges die weiden- und waldreiche Gegend überblickt, als ein anmuthiges Schmuck-und Schaustück derselben zu dienen.

Das Klima der in wenig Augenblicken erreichten Gegend von Hopfgarten ist ihrer hohen Lage wegen etwas rauh, der Markt selber aber ist begünstigter, theils weil er etwas in der Niederung, theils weil er so recht im Schooße der ihn umringenden Berge eingebettet liegt, welche die besonders scharfen Nordwinde abhalten. Daher kommt es, daß die Hopfgartnerflur mit ergiebiger Ernte den benachbarten Gegenden um mehrere Wochen voraus ist. Das Thal ist etwas übervölkert und daher trotz der ergiebigen Viehzucht nicht besonders wohlhabend, dafür aber ist die Luft so vortrefflich, besonders in dem nahen Dorfe Brixen, daß Beispiele eines Alters von neunzig und hundert Jahren bei den Bewohnern häufig sind. Der Grund wird darin gesucht, daß die lauen Südwinde ungehindert Zugang haben, aber durch den Athem der nahen Gletscher zu einer ebenso angenehmen als heilsamen Temperatur gemildert werden.

Hopfgarten mit der hohen Salve,  Richard Püttner

Hopfgarten mit der hohen Salve
Richard Püttner

Hopfgarten selbst ist ein nicht besonders ansehnlicher, meist aus hölzernen Häusern bestehender Ort, der aber das Glück hat, am westlichen Fuße des Salvenbergs zu liegen, gewöhnlich die hohe Salve genannt und seiner prachtvollen Rundschau wegen als der deutsche Rigi gepriesen. Früher war sie nur von den Umwohnern gekannt und besucht, wohl meist wegen der Kapelle, die auf der Höhe erbaut ist und für die Andacht, welche der Genuß einer solchen Natur in jedem fühlenden und denkenden Beschauer hervorbringt, noch ein kleines Dächelchen bietet, unter welches die kirchliche Andacht sich flüchten kann. Gegenwärtig ist ihr Ruf weit in die Welt gedrungen, die Besucher kommen aus aller Herren Ländern, so daß man, obwohl die Besteigung weder gefährlich noch beschwerlich ist, doch schon darauf verfiel, sie durch Bereithaltung von Tragstühlen und Reiteseln auch denjenigen möglich zu machen, welchen selbst die kleine Mühe zu anstrengend ist. Oben findet man bei dem Meßner des Kirchleins und in dem sogenannten Herrenhause, das eigentlich für die messelesenden Geistlichen bestimmt ist, Imbiß und Herberge, auf welche sich aber die Aehnlichkeit mit dem Rigi, mindestens was den Comfort betrifft, keineswegs erstreckt. Desto lohnender ist die Aussicht selbst. Der Salvenberg, ein gewaltiger Bergstock, erstreckt sich beinahe vier Stunden weit bis an das Brixenthal. Gegen Süden ist derselbe bis zur obersten Kuppe hinan lebhaft begrünt und bis zu bedeutender Höhe auch angebaut. Mehr als zweihundert Bauernhöfe, mitunter von kleinen Fichtenwäldchen umschattet, sind überall hin zerstreut und an die Baugründe schließen sich herrliche Alpenmatten, welche den obersten Rücken fast seiner ganzen Länge nach wie mit einer glänzenden grünen Sammtdecke überziehn. Der höchste, fast in der Mitte des stolzen Gebirgszuges gelegene Punkt heißt die hohe Salve und erhebt sich in Gestalt eines großartigen fruchtbaren Hügels 5737 Fuß über die Meeresfläche. Die Umschau zeigt nach den verschiedenen Richtungen die ganze bayerische Innfläche, die Gletscher des Pusterthals und Pinzgaus, den Großglockner, sowie den Ginblick in alle rings herum eingeschnittenen Bergthäler mit Städten, Kirchen, Dörfern und all den Höhen und Tiefen, die sie durchziehn und umgränzen.

Von Hopfgarten geht es flüchtig an den Schloßruinen von Engelsberg und in einiger Entfernung an dem Dorfe Westendorf vorüber, einst viel genannt, weil hier in den ersten Jahrzehnten unseres Säkulums auf dem Mannharter-Hofe der Bauer Sebastian Manzl seßhaft war, der die bekannte religiöse Sekte der Mannharter gründete, welche sich erst nach etwa zwanzig Jahren verlor, als die Häupter nach Rom gewandert waren und sich vom Papste den Bescheid geholt hatten, daß sie im Unrecht waren. Die meisten unterwarfen sich nun, bei Vielen machte erst der Tod ihrer Ketzerei ein Ende.

Das hierauf folgende Dorf Brixen zeichnet sich durch seine von der Gemeinde selbst erbaute Kirche aus, mit Marmor-Altären und Säulen, werthvollen Statuen und schönen Gemälden des rühmlichst bekannten Tirolermalers Schöpf.

Unweit davon zweigt sich vom Hauptthale das Spertenthal in zwei Flügeln ab, in seinen vordern Theilen begrünt und bewohnt, aber auch noch im Hintergrunde fruchtbar an Wald und Weide. Von der Spertner Ache,

Kitzbühel, Richard Püttner

Kitzbühel
Richard Püttner

einem Bergwasser, durchströmt, das beinahe jährlich große Verwüstungen anrichtet, und von dem Spick und Gamskogl umragt, erstreckt es sich gegen vier Stunden weit hinein, bis zu dem Rettenstein, einem schroffen und steilen Kalkgebirge, das seinen Abschluß und Hintergrund sowie die Grenze gegen das Pinzgau bildet.

Nachdem der Weg eine geraume Zeit nichts Hervorragendes gezeigt, bietet er bei einer raschen Wendung den Anblick des Städtchens Kitzbühel, das von drei stattlichen Thürmen gekrönt, ungemein anmuthig sich aus dem saftigsten Mattengrün erhebt. Rings um dasselbe, soweit das Auge reicht, glänzt der Schmelz der Wiesen, gehoben durch dunkelgrüne Waldstreifen und durch die grauen kahlen Zacken des Kaisers, die über die schwellenden Grashügel hereinblicken und die Eispyramide des großen Venedigers, der über dem Sonnberg leuchtet. Einen nicht minder schönen und eigenthümlichen Anblick bildet das Kitzbühler Horn, das sich lang und mächtig hinstreckt, wie ein ruhender Löwe, dem der Kopf abgeschlagen ist.

Zur linken Seite des Weges glänzt aus beträchtlicher Tiefe der Schwarzsee herauf, zur Frühjahrszeit reich mit Wasserlilien umsäumt und besetzt, ein abenteuerliches, dunkles Gewässer, das es wohl erklärlich macht, daß das Volk manche Sage an seine unheimlichen Gestade knüpft.

Es ist überhaupt noch viel Sagenhaftes in der ganzen Gegend; namentlich im Spertenthal weiß man gar Manches von Nörgeln und Zwergen, die dort gehaust, zu erzählen und von den geheimnißvollen Venediger Mandeln (Männlein), welche dahin gekommen, um Gold zu suchen. An dessen Vorhandensein glaubt noch jetzt mancher Hirte, weil seine Schafe, wenn sie aus gewissen Quellen trinken, von einem darin enthaltenen Bestandtheil eine glänzende Lasur über die Zähne bekommen, welche er unerschütterlich für Gold hält. Auch von dem Salvenkirchlein heißt es, eine reiche Bäurin habe dasselbe gegründet, welche aus thörichter Liebe ihren Sohn so verzogen hatte, daß er ein Räuberhauptmann geworden. Ein gemeinsamer Traum bewog beide, einander aufzusuchen, und der Räuber entschloß sich, zu büßen und lieferte sich der Gerechtigkeit aus - die Mutter aber verkaufte ihren Hof und erbaute das Salvenkirchlein nebst kleiner Herberge, in der sie gottselig endete.

Kitzbühel selbst, das eine junge Gemse (Kitz) auf grünem Hügel im Wappen führt, ist ein angenehmes Städtchen, welches durch Niederlegung der Mauern und Umwandlung der Gräben in Spaziergänge wesentlich gewonnen hat. Die Hauptstraße hat hübsche, meist zweistöckige, buntgetünchte Häuser mit Schindeldächern und südlichen Wandgiebeln davor. An gastlichen Herbergen ist kein Mangel - neun derselben laden den Wanderer, darunter vor allen das Tiefenbrunner'sche, das seinen ausgezeichneten Ruf schon länger als ein halbes Jahrhundert besitzt und bewährt. Der Erwerb besteht nebst den bürgerlichen Geschäften auch hier meist in der ausgedehnten, durch herrliche Weiden unterstützten Viehwirthschaft, welche überhaupt die Hauptnahrung der Gegend bildet und vielfach bis zu hundert Stücken steigt. Die Aecker werden nur jedes dritte Jahr besät, inzwischen bleiben sie zum Futterbau liegen. Mit Holz und Kohlen wird ebenfalls beträchtlicher Handel getrieben; auch wird am nahen Schattenberg ergiebig nach Kupfergries gegraben - ein großer Theil der Bevölkerung findet endlich bei dem vorhandenen Berg- und Hüttenwerk Beschäftigung.

In der Umgebung sind noch zu erwähnen der sogenannte Röhrerbühel und der Paß Thurn. Auf ersterem befindet sich ein Bergwerk, das in früheren Jahrhunderten sechzehnhundert Knappen beschäftigte und an Reichthum des Erträgnisses mit den Schwazergruben wetteiferte. Auch hier trat dieselbe beinahe, plötzliche und völlige Abnahme ein, so daß jetzt nicht mehr als etwa hundert Arbeiter kärglichen Verdienst finden.

Der Thurnpaß liegt in der zum Bezirk gehörigen Gemeinde Jochberg an der Grenze gegen Salzburg, wo eine hochgewölbte Steinbrücke über die Ache führt, und hatte die in weiten Schlangenwindungen aus der Tiefe emporsteigende Straße zu decken. Statt der ebenfalls von den Bauern zerstörten Beste steht jetzt ein Wirthshaus hier, dessen Eigenthümer gegen den Bezug von zweiundvierzig Star Getreide erkrankte Wanderer zu beherbergen und wohlbehalten nach Kitzbühel zu bringen hat. Auch muß er an seinem Hause eine Laterne brennen, den Reisenden zu Trost und Leuchte.

In dem erwähnten Jochberg befindet sich eine Waldkapelle, vor welcher bis herein in die neueste Zeit am Maria-Heimsuchungstage die großen Volksringspiele statt fanden, von welchen später die Rede sein wird und zu welchen Vornehm und Niedrig aus allen Gauen wie zu einer Art von olympischen Kämpfen oder zu einem Turnier herbeikam, um nach bestimmten Gesetzen Zeugen und Richter abzugeben.

Quelle: Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg, Geschildert von Ludwig von Hörmann, Hermann von Schmid, Ludwig Steub, Karl von Seyffertitz, Ignaz Zingerle, Stuttgart 1880, S. 9 - 12.