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Juniperus communis. Wachholder. Zaubermittel. Der Rauch vertreibt
Schlangen, Gewürm und Geister. Der Trank aus den Beeren lässt
die Zukunft schauen. Ein Sträusschen von Wachholder an dem Hut wird
in den österreichischen Alpen als Mittel gegen Ermüdung angesehen.
Dieselbe Vorstellung hat Luther geleitet, als er im ersten Buch
der Könige ein Wort, das eigentlich eine auf dem Horeb wachsende
Ginsterart bezeichnete, mit Wachholder verdeutschte: "Elias setzte
sich und schlief unter einem Wachholder". Für die ausserordentliche
Achtung, die der Strauch geniesst, spricht der Umstand, dass der Tiroler
Bauer vor ihm den Hut zieht. Im Grimm'schen Märchen "von
dem Machandelboom" wird durch einen Vogel, der sich auf einen bestimmten
Wachholder setzt, ein Mord verrathen [verraten]:
Mein Mutter, der mich schlacht,
Mein Vater, der mich ass,
Mein Schwester der Marlenichen
Sucht alle meine Benichen,
Bindt sie in ein seiden Tuch,
Legt's unter den Machandelboom.
Kywitt, kywitt, vat vör'n schöön Vogel bün ik!
Das Bayrisch-Oesterreichische sagt für Wachholder Kronawett'n (Gronawett'n),
ahd. chranawitu = niederes Kernholz.
Häufig sind daraus gebildete Familien- und Ortsnamen. In Wien gibt
es mehrere Kronawetter, einen Kronabethleitner, Kronabetter und Kronawittleithner,
ferner einen Kranabitter, Kranewitter, Kranawetter. Nach A. Pruckmayr
19), der im Wachholder "Frau Wachhilt", eine Minne der deutschen
Mythologie erkennt, gibt es in Nieder- und Oberösterreich, Salzburg,
Steiermark, Kärnten, Krain und Tirol unter den Ortsnamen: 8 Kranabeth,
2 Kranabethleithen, 2 Kranawetter, 4 Kranawitter, 2 Kranawittergut, 2
Kronabethmühle, 2 Kronawitten und 2 Kronawitet. Wachholder, der schon
bei den heidnischen Brandopfern dienlich war, wird zum Ausräuchern
der Krankenstube verwendet.
Ja, als der bayrische Schulmeister Schmeltzl im Jahre 1548 nach
Wien kam, sah er gegen die Pest:
in den gassen und ringen
Ettlich hundert Fewer prinnen,
Von kranwitholz weyrauch darzu,
Damit der lufft sich raynigen thu.
Die würzig-bitteren Beeren gelten für ausnehmend heilkräftig. Oft wird gesagt:
Iss Kronawett und Pimpanell
So stirbst du nicht so schnell!
Und als im Jahre 1832 in Gaaden bei Wien die Cholera wüthete, kam ein Vogel aus dem Walde und rief:
Esst Kranenbeer und Bibernell,
So sterbt's ned so schnell!
Aehnlich weiss eine Salzburger Sage zu berichten. Als die grosse Pest grimmig in Salzburg wüthete, da hörte eines Tages ein graues Männchen auf einem Baume einen Vogel, der also rief:
Esst's Kranawit und Bibernell
Dann sterbt Ihr nicht so schnell.
Der Alte machte es bekannt und die Pest war gebrochen.
Pimpanell oder Bibernell ist die auch sonst als Magenmittel gepriesene
Wurzel einer Dolde (Pimpinella magna). Der Vers wurde in den verschiedensten
Gegenden Deutschlands zu schweren Zeiten gehört; bald war es ein
Vogel, der die Botschaft brachte, bald liess sich eine Stimme vom Himmel,
ein Engel, oder ein "Holzfräulein" vernehmen. Nachdem Burg
Andechs in Oberbaiern 45 Jahre verwüstet gelegen war (seit 1209),
hörte ein blindes Weib von Widdersberg eine Stimme, welche sie hiess,
einen Wachholderstrauch aufsuchen und sich mit der Wurzel die Augen bestreichen.
Sie that es und sah plötzlich. (Dr. Andr. Senestrey, Wallfahrten
nach Andechs.) Nach einer anderen Legende aus dem Salzburgischen wurde
ein Bauer durch einen Wachholder aus tödtlicher Krankheit gerettet.
(Sage von Unserer Lieben Frau zu Kösslarn.) Wachholder ist eines
von "neunerlei Agenholz", aus dem der zauberkräftige
Schemel angefertigt sein muss. "Agenholz" ist dem Wortsinne
nach Nadelholz. Ausser Wachholder werden zu dem Schemmel genommen: Fichte,
Tanne, Kiefer, Legföhre, Sevenbaum (Juniperus Sabina), Lärche,
Zirbe und Eibe (Kerner).
Merkwürdig ist der Brauch, Krankheiten auf den Wachholder zu transplantieren,
oder, wie er volksthümlich heisst, zu "wenden" 20). Im
oberösterreichischen Hausruckviertel geschieht dies folgendermassen
: Man trägt das kranke Kind zu einer Wachholderstaude. Ein altes
Weib murmelt einige Gebete, dann schneidet es drei Zweigspitzen vom Strauche
ab, die sie unter frommem Gemurmel in das Haus der Eltern trägt und
an der Mauerecke, wo das Crucifix [Kruzifix] seinen Platz hat, aufhängt.
Hier müssen sie bis zum nächsten Neumonde unberührt hängen
bleiben. Am ersten Morgen des Neumondes nimmt sie die Zweige herab und
trägt sie zum Wachholderstrauche zurück, um sie mit drei neuen
zu vertauschen. Dasselbe geschieht dann jedesmal zu Beginn des Neumondes
bis zum dritten Male, wobei stets das kranke Kind zugegen sein muss. Nach
solchem dreimaligen "Wenden" ist der kleine Patient von seinem
Leiden geheilt. In Deutschland steckten die Eltern, wenn kleine Kinder
kränkelten, Wolle und Brot in den Wachholderbusch einer anderen Feldflur
und sagten dabei:
Ihr Hollen und Hollinnen
Hier bring' ich euch was zu spinnen
Und zu essen.
Ihr sollt spinnen und essen
Und meines Kindes vergessen.
In Oberösterreich apostrophiert [apstrophiert] man auch den bekannten Wachholderbranntwein:
Kranawit brannte im Haus
Treibt Doctor [Doktor] und Bader aus
und fasst den ganzen Respect vor Juniperus, aus dessen Holz man die Gesundheitspfeifen fertigt, in dem Satz zusammen:
Vor Hollerstaud'n 21) und Kranawitt'n
Ruck' i mein Huat und noag mi bis halbe Mitt'n.
Nach altdeutschem Brauch wurde die Feststube mit Wachholder bestreut.
"Zierlich mit Wachholdernadeln - überstreut des Saales Boden",
heisst es in F. W. Weber's " Dreizehnlinden". Höfler
22) bemerkt zutreffend, dass beim Wachholder wie beim Holler alter Cultglaube
und volksmedicinische Anwendung Hand in Hand gehen. Wenn man vor Sonnenaufgang
eine Wachholdergerte (Martins-, d. i. Wodansgerte) mit den Worten: "Stecken
! Ich thue dich schneiden im Namen der heiligen Dreifaltigkeit" abschneidet,
so kann man mit ihm prügeln, ohne dass es der Geschlagene merkt,
kann damit Schlangen vertreiben etc. Bei Diebsbesprechungen wird der Strauch
vor Sonnenaufgang mit der linken Hand gegen Osten gebogen und dabei gesprochen:
"Ich thu dich bucken und drucken, bis der Dieb dem N. N. sein gestohlen
Gut wieder bringt." Dann legt man einen Stein auf den Wipfel, unter
den Stein einen Verbrecherschädel (Erinnerung an das Menschenopfer!).
Hat man das Gestohlene so durch Zauber erzwungen, dann muss man schleunigst
den Busch wieder loslassen und den Stein hinlegen, wie man ihn gefunden;
sonst kommt der Besprecher selbst zu Schaden.
Der aus den Beeren gebrannte Wachholderbranntwein ist allgemein bekannt:
"Machondel mit 'm Knüppel" ist - neben dem Danziger Goldwasser
- in der dortigen Gegend ein volksthümliches Getränk. Eigentlich
heisst der Schnaps nur Machondel. Verlangt man ihn "mit 'n Knüppel",
so heisst das, dass man Zucker dazu haben will. Zum Umrühren in den
hohen Gläsern bedient man sich eines hölzernen Löffels
aus Wachholderholz, der eben "Knüppel" heisst. (Köln.
Volksztg., 24. Jänner 1897.)
Fig. 5.
Wachholder.
19) Med.-chir. Centralbl. XVI (1881), Nr. 52.
20) Pruckmayr, 1. c.
21) Sambucus nigra.
22) 1. c., p. 114.
Quelle: Zauberpflanzen und Amulette, Dr. E. M. Kronfeld,
Wien 1898, S. 35ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Gabriele U., Juni 2005.
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