Schloß Goldegg Vers. II

Der alte Pfarrer von Karlstetten erzählte mir am Anfang diese Jahrhunderts (um 1900):

Wenige Schritte von der Kapelle entfernt, hart am Straßenrande, liegt eine saure Wiese, die schwarze Lacken. Dort stand ein schönes Schloss Dem reichen Herrn des Schlosses gehörte ein großer Teil des Dunkelsteinerwaldes, seine Untertanen saßen in Griechenberg, Neidling und Dreihöf, in Lauterbach und Lottersberg und da herum. Der Herr war aber stolz und gottlos. Einen Untertanen aus Dreihöf, der nicht die vorgeschriebene Fuhr Getreide abzuliefern vermochte, ließ er vor den Augen seiner Kinder im Walde aufknüpfen. Einen Pfarrer von Karlstetten, der gerne von der Nächstenliebe predigte, ließ er mit der Hundspeitsche von der Kanzel heruntertreiben. Mit Wut erfüllte ihn die fromme und gutmütige Gesinnung seiner Tochter. Diese hatte einst an einer Buche in der Nähe des Schlosses zur Sühne für die vielen Gräueltaten ihres Vaters, in aller Heimlichkeit eine Marienstatue anbringen lassen. Oft, wenn das Haus von den Flüchen und Gotteslästerungen ihres Vaters widerhallte, schlich sie hierher und weinte sich vor der Mater dolorosa aus. Viele Wochen lang blieb das kleine Heiligtum vor den Augen ihres Vaters verborgen, denn die Buche wuchs mitten in einem Gewirr von Fichten und Sträuchern.

An einem Sonntag hatte das Mädchen wieder vor der Buche geweint und gebetet, war dann tiefer in den Wald hineingegangen, um Blumen zu suchen mit denen sie die Statue schmücken wollte. Eben kehrte der Vater von einer Jagd heim. Als er den Weg quer durch den Wald nahm, stand er mit einem Male vor der heiligen Buche. Als der harte Mann die Statue wahrgenommen hatte, stieß er sie mit seiner Lanze vom Baume herunter und eilte ins Schloss eine Axt zu holen, um das Bildnis zu zerspalten. Inzwischen kam das Mädchen mit einem Blumenkranze zurück, entsetzt blieb es vor der herabgestürzten Statue stehen. Es bückte sich nieder und streichelte liebevoll die Wangen der Heiligen. Gute, heilige Maria, sagte es, ich weiß, wer dir das angetan hatte. In dem Augenblicke donnerte und dröhnte es, als spalte sich die Erde. Als das Mädchen in unbeschreiblicher Angst nach Hause eilte, war das Schloss verschwunden. Es war mit seinem gottlosen Herrn in Grund und Boden versunken, nur die Spitze des Turmes ragte noch heraus."

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Anmerkung: In anderer Gestalt erzählt der St. Pöltener Dichter und Heimatforscher Prof. Adalbert Jungwirth die Bildbuchensage. Er beruft sich dabei auf den "alten Pfarrer von Karlstetten". Es wundert nicht, dass die vorhin erzählte Sage [Schloß Geldegg Vers. I] nun kirchlich eingefärbt ist. Obwohl die Erzählung kein Datum angibt, ist man geneigt, an die Jahre der Reformation zu denken.

Quelle: Lehrersammlung Neidling, um 1930, Emailzusendung von August Pachschwöll vom 31. August 2005