Die Erschließung der nordargentinischen Kordilleren mittels einer Bleichertschen Drahtseilbahn für Güter und Personen
(Chilecito-La Mejicana Wire Ropeway, Mina La Mejicana) - Teil 1

Von Oberingenieur Gustav Dieterich, Leipzig.

Chilecito-La Mejicana Wire Ropeway - Teil 1
Chilecito-La Mejicana Wire Ropeway - Teil 2
Chilecito-La Mejicana Wire Ropeway - Teil 3
Chilecito-La Mejicana Wire Ropeway - Teil 4

Von den Ländern der südlichen Halbkugel berechtigt Argentinien zu den höchsten Erwartungen in bezug auf seine wirtschaftliche Zukunft. Nicht allein, dass es am meisten Getreide, am meisten Vieh hervorbringt, auch auf dem Gebiete der Technik, der Industrie scheint es bestimmt zu sein, eine führende Rolle zu spielen.

Es ist wohl bekannt, dass in den weiten Gebirgsgegenden besonders des Nordens von Argentinien ungeheure Metallschätze lagern, Metallmassen, wie sie an keinem andern Punkte der Welt beisammen sind; aber gehoben sind diese Schätze erst zu einem vorschwindend kleinen Teil, vielleicht erst zu dem Bruchteil eines Prozentes. Das ist ja auch nicht verwunderlich, wenn man sich die Schwierigkeiten vor Augen führt, welche die Entfernungen und die Arbeiterfrage in diesem Lande bereiten.

Fig. 1. Das Eisenbahnnetz Argentiniens

Fig. 1. Das Eisenbahnnetz Argentiniens

Die Republik Argentinien ist mit beinahe 3 Millionen qkm über fünfmal so groß wie Deutschland und hat demgegenüber kaum 6 Millionen Einwohner, also nur den zehnten Teil des Deutschen Reiches. Während das gesamte Eisenbahnnetz Argentiniens, Fig. 1, 16 bis 17 000km umfasst, hat Deutschland rd. 56 000 km Bahnlinien. Diese Zahlen lassen deutlich erkennen, welcher Entwicklung der südamerikanische Staat noch fähig ist.

Es sind namentlich wertvolle Erze, außer Eisenerzen Kupfer-, Silber- und Golderze, die in den nördlichen Gegenden Argentiniens , in den nach Chile hin abgrenzenden Kordilleren, mächtige Lager bilden, insbesondere Kupferlager, die schon von den Ureinwohnern Chiles ausgebeutet wurden, also seit Jahrtausenden bekannt sind, und die, obwohl aus ihnen schon ungeheure Mengen des wertvollen Erzes entnommen worden sind, kaum eine Spur von Abbau aufweisen.

Fast alle bisherigen Regierungen Argentiniens — und es sind deren nicht wenige — haben es eine ihrer Hauptsorgen sein lassen, die nördlichen Provinzen, namentlich die Provinz Rioja, wirtschaftlich zu erschließen und die am Gebirgsabhang liegenden Famatina-Gruben an das nach mancherlei Schwierigkeiten nach Chilecito fortgeführte Eisenbahnnetz anzuschließen. Aber lange kam man zu keinem greifbaren Ergebnis. Vor Chilecito, das ungefähr 1100 m hoch liegt, baut sich als unübersteigliche Mauer die ganze Kette der Anden auf, die sich stellenweise über 7000 m erheben. Jeder Versuch, dieses Gebirge, das mit zu den wildesten der Erde zählt, durch einen Schienenstrang mit der übrigen Welt in Verbindung zu bringen, scheidet von vornherein aus wegen der gewaltigen Kosten, die ein solches Unternehmen fordert. Wäre es eines jener zahmen Gebirge, wie wir sie in Europa gewöhnt sind, mit langgestreckten Tälern oder fast regelmäßigen Höhenzügen, so hätten diese Bestrebungen der früheren Regierungen Argentiniens vielleicht zu einem Ziele geführt. So aber zeigt das Gebirge wilde, regellose Zerklüftung; riesige Erhebungen wechseln mit kurzen, kessel- oder schluchtartigen Tälern, die nach allen Seiten von fast senkrechten Wänden eingeschlossen sind; das Ganze bietet ein wüstes Bild von Unzugänglichkeit und Zerrissenheit. Man musste sich wohl oder übel davon überzeugen, dass für eine mit dem Boden verbundene Schieneneisenbahn, die verlangt, dass man ihr zuliebe die natürlichen Verhältnisse ändert, dass man gewissermaßen die Natur der Bahn anpasst, indem man ihr durch Tunnel und Brücken eine gleichmäßige Oberflächenform darbietet, hier kein Platz sei, dass das einzige Mittel nur darin gefunden werden könne, ohne Rücksicht auf die Gestaltung des Geländes mittels einer Schwebebahn über Schluchten und Höhen hinweg zu gehen. Es konnte dies natürlich, der Entwicklung der Technik entsprechend, nur eine Drahtseilbahn sein, die ja in sich selbst Brücke und Damm, Fahrgleis und Tragkonstruktion und dadurch von der Bodengestaltung fast ganz unabhängig ist.

Die Eisenbahn nach Chilecito, dem westlichsten Punkt der argentinischen Bahn, Fig. 1, wurde erst im Jahr 1899 vollendet. Sie bildet eine unmittelbare Verbindung dieses Ortes mit Buenos Aires, das ja bekanntermaßen einen der besten Häfen der Welt besitzt, wie überhaupt die Küstengestaltung Argentiniens für große Hafenanlagen nicht günstiger sein kann. Liegt doch Rosario, bis zu welcher Stadt Schiffe, von größtem Tiefgang hinauffahren können, etwa 500 km von der Küste entfernt, d. h. mit deutschen Verhältnissen verglichen, etwa wie Dresden zur Nordsee.

Das Famatina-Grubenfeld liegt am Abhang einer ausgedehnten Gebirgskette, die, mit dem Hauptzuge der Kordilleren zusammenhängend, in der Provinz Catamarca (Argentinische Republik) ihren Anfang nimmt, sich durch das ganze Gebiet der Provinz Rioja erstreckt und nahe bei San Juan ausläuft; in ihrem letzten Teile führt sie den Namen Sierra de la Huerta. In diesem langgestreckten Gebirgszuge wird zwar fast überall Erz angetroffen; aber bis jetzt ist nur ein großes Grubenfeld bekannt geworden, das von besonders hohem Wert und der Ausbeutung außerordentlich fähig ist. Dieser Grubenbezirk liegt unter dem 29. Grade südlicher Breite und zwischen dem 68. und 69. Grade westlicher Länge (Greenwich).

Nahe dem Fuße der Berge liegen zwei kleine Städte: Famatina und Chilecito; die letztere ist, wie oben erwähnt, mit Buenos Aires durch eine Eisenbahn verbunden, auf der zweimal wöchentlich Personenzüge verkehren. Die ganze nicht ganz 40 Stunden dauernde Reise führt ununterbrochen durch flaches Gelände, das gegen Chilecito zu ansteigt.

Das Gebirge war ursprünglich Schiefer in verschiedenen Abarten (Tonschiefer und Kieseltonschiefer); die ursprüngliche archaische Formation ist später von Eruptionsgestein (Granit, Porphyr, Andesit, Dazit) emporgehoben worden, und letzteres hat den Schiefer an verschiedenen Stellen der Bergabhänge durchbrochen, wo es sich in gewaltigen Massen zu verschiedenen Gipfeln von recht beträchtlicher Höhe erhebt, in der Berührungszone mit dem Eruptivgestein hat der Schiefer eine Wandlung erlitten; der Einfluss von Hitze und nachfolgender Abkühlung hat darin Spalten erzeugt, die in folgenden Zeiträumen mit Gangmaterial gefüllt wurden. Dieses ist durchweg erheblich mineralisiert, und reiche Ablagerungen von Gold, Silber und Kupfer sind darin über eine weite Oberfläche nachgewiesen worden.

Bergbau wurde in diesem Fundbezirk lange betrieben, bevor die Spanier nach Südamerika kamen, wahrscheinlich unter der Inka-Herrschaft. Nach der Eroberung des Inka-Reiches durch die Spanier gerieten die Indianer der westlichen Kordilleren schließlich unter den Einfluss der Jesuiten, die sie zu einem recht ausgedehnt betriebenen Bergbau anleiteten. Aber aller Betrieb hörte zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges auf, und auch nach der Begründung Argentiniens als Republik wurde der Bergbau für eine recht beträchtliche Zeit gänzlich vernachlässigt.

Später entwickelte sieh der Bergbau allmählich wieder so weit, dass für viele aufeinander folgende Jahre bis heute jährlich 4000 t guten Erzes von Maultieren aus den verschiedenen Minen der Famatina-Berge nach den kleinen Schmelzwerken, die sich im Tale nahe bei Famatina oder Chilecito befanden, heruntergebracht wurden. In der ersten Zeit brach man bloß die oxydierten Teile der Gänge, da man es ausschließlich auf Silber und Gold abgesehen hatte, wie solches überhaupt der Zweck allen Bergbaues vor dem Unabhängigkeitskriege gewesen war. Doch wurden recht bald ausgedehnte Körper von Schwefelerz unterhalb der oxydierten Zone gefunden und endlich ein gewinnreiches Verfahren entdeckt und ausgebildet, diese Sulphide in Matte zu schmelzen, die auf dem Rücken der Maultiere über das Gebirge nach den Häfen Chiles und von da nach Europa gebracht werden konnte. Noch später wurde Chilecito mit Buenos Aires durch die oben bereits erwähnte Bahn verbunden, und von dieser Zeit an kam alle Matte nach Buenos Aires, um von da nach Europa befördert zu werden.

Es wurden nur die Oxyderze an der Oberfläche abgebaut, und eine große Anzahl verschiedener alter Betriebe, meistens von nur kleiner Ausdehnung, kann man noch heute sehen. Diese alten Werke beweisen aber, dass Mineralien überall entlang der Berührungszone des hohen Massives der Granitberge und der archaischen Schieferformation vorkommen. In einiger Entfernung von den zentralen Granitbergen verschwinden allmählich die Ausläufer der Gänge, wobei sie zugleich ärmer werden. Man kann die erzführende Gegend zu ungefähr 400 qkm annehmen.

Soweit heute bekannt ist, enthalten die Bezirke in oder nahe bei der Berührungszone Gold, Silber und Kupfer, die von dieser Zone weiter entfernten Bezirke Silber und Kupfer, während die Randbezirke hauptsächlich Silber und nur wenig Kupfer und Gold aufweisen. Auch andre Mineralien, wie Zinkblende oder Bleiglanz, kommen an vielen Stellen der Famatina-Berge vor; aber diese Mineralien sind bisher für den Bergbau noch nicht in Betracht gekommen. Von den vielen Silbergruben in den Grenzbezirken, besonders in Caldera und Cerro negro, werden gegenwärtig nur wenige betrieben, und auch diese nur, um reiche Nester zu finden, von denen manche Erz mit 2 ½ bis 3 vH Silber liefern. Die mittleren Bezirke werden mehr abgebaut; aber die bestbekannten und bei weitem meist abgebauten Gruben sind die der Berührungszone. Hier erhebt sich der La Mejicana genannte Bergrücken, der die berühmtesten Gruben des ganzen Famatina-Bezirkes enthält; s. Fig. 2.

Fig. 2. Grubenfelder im Famatina-Bezirk

Fig. 2. Grubenfelder im Famatina-Bezirk

Die Mejicana lehnt sich an die Ungeheuern Granitwälle des Nevado Oscuro an und läuft auf eine Länge von ungefähr 6,5 km in nordöstlicher Richtung. Nahezu parallel mit dem Mejicana-Rücken zieht sich ein andrer Ausläufer, genannt Atacama. Zwischen diesen beiden Rücken erstreckt sich ein etwa 6,5 km langes Tal, das seinen Ausgang nahe Cueva de Perez in einer Höhe von 4100 m über dem Meeresspiegel nimmt und bei der Mutung Placilla eine Höhe von 4650 m erreicht; der Grat der Mejicana-Berge ist etwa 400 m höher als die Talsohle.

Nahe dem oberen Ende dieses Tales wurden vor langer Zeit einige reiche Gänge von Einwanderern entdeckt, die aus Mexiko gebürtig waren und deren Heimatland dem Bezirk seinen Namen gegeben hat. Nach den Entdeckern haben viele andre dieselben Gänge abgebaut, und bis auf den heutigen Tag ist keiner dieser Gänge verarmt oder hat sonst versagt. Die ursprünglichen Gruben waren La Mejicana Vieja (gegenwärtig Placilla genannt), Andueza, Verdiona, Upulungos, Mellizas und Compania, wozu später die Grube San Pedro de Alcantara kam. Eine große Zahl neuerer Gruben ist später hinzugekommen; doch ist in keiner von ihnen in großem Maßstabe gearbeitet worden.

Die von Buenos Aires nach Rosario gehende Eisenbahn setzt sich bis nach Cordoba fort; Fig. 1. Sie hat russische Spurweite, im übrigen aber europäische und amerikanische Einrichtungen, und ihre Schlaf- und Speisewagen sind mit großem Luxus ausgestattet. Die Züge fahren verhältnismäßig schnell. Von Cordoda beginnt die nordargentinische Bahn mit 1 m Spurweite, die in Tucuman und Jujuy endet, während eine besondere Zweigbahn nach Chilecito führt.

Chilecito hat etwa 30 000 Einwohner. In unmittelbarer Nähe der Stadt beginnen erst mit geringer, dann aber plötzlich zunehmender, gewaltiger Steigung die Kordilleren, auf deren Höhen sich die alten Famatina-Gruben befinden. Diese Gruben liegen in der Luftlinie nur etwa 35 km von Chilecito entfernt, allerdings etwa 3600 bis 4000 m höher als dieser Ort, rd. 4700 bis 5000 m über Meereshöhe. Als Vergleich sei angeführt, dass der Gipfel des Mont Blanc auf 4800 m ansteigt.

Diese schon seit Jahrtausenden bekannten Erzfundstätten wurden zwar bis in die neueste Zeit ausgebeutet, natürlich aber auf die einfachste Art und Weise. Der von ihnen durch die verschiedenen Schluchten und Täler bis nach Chilecito führende Weg ist mindestens 120 bis 150 km lang, Fig. 3. Doch auch diese Strecke konnte nicht auf ihrer ganzen Länge von den dort üblichen Beförderungsmitteln, den Maultieren, benutzt werden; auf den weitesten Umwegen mussten vielmehr die in Säcken verpackten Erzmassen den vielmehr höchsten Maultierstationen durch Träger zugeführt werden. Hierzu kam noch, dass die ganzen Straßenanlagen überhaupt höchstens sechs Monate im Jahre benutzt werden konnten, da in jenen Höhen lang andauernde Winterstürme mit manchmal riesigen Sehneetreiben einsetzen, die jede Verbindung unterbrechen. Wehe dem Bergmann, der sich beim plötzlichen Einsetzen des Winters nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hat; der erste Schnee schneidet ihn vollständig von der Welt ab. Die eisigen Höben des Nevado bilden eine vollständig pflanzen- und wasserlose Wüste, die jedes Leben ohne Verbindung mit der Außenwelt unmöglich macht. Die längs der alten Maultierstraße und in den Schluchten des Gebirges bleichenden Gebeine reden eine deutliche Sprache.

Fig. 3

Fig. 3

Nicht zu verwundern ist es deshalb, dass sich die Beförderung jeder Tonne Erz von den Bergen nach Chilecito auf diese Art auf etwa 54 M stellte. Die eigentümlichen Finanzverhältnisse unter denen Argentinien seit langer Zeit zu leiden hatte, brachten es mit sich, dass diese Beförderungskosten, statt sich zu vermindern, immer noch Neigung zum Wachsen hatten, so dass die Nutzungsberechtigten nahe daran waren, die Förderung überhaupt aufzugeben.

Unter diesen Umständen ist es weiter nicht verwunderlich, dass das sogenannte Abbauen der Erze in diesen Gebirgen ein Raubbau allerschlimmster Art war. Die zutage liegenden Erze, die sich in breiten Bändern von mehreren Metern Mächtigkeit in gewaltigen Massen am Ostabhange des Nevado befanden und durchschnittlich einen Kupfergehalt von 38 vH aufwiesen, wurden einfach derart gewonnen, dass wahl- und regellos, je nach der Zugänglichkeit, Löcher in den Berg getrieben wurden, so lange, bis das Gebirge anfing, etwas zu drücken. Da es unmöglich war, irgendwelches Bau- und Zimmermaterial auf den Berg hinauszuschaffen, musste man auch auf den Ausbau der Gänge verzichten. Man ließ sie nach einiger Zeit zu Bruch gehen und fing an einer andern Stelle von neuem an. Die gewonnenen Erze wurden einer flüchtigen Besichtigung unterzogen, die reichsten Stücke ausgeklaubt, in Häute gefüllt und zu Tal gefördert. Alle andern Erzstücke von 20, 25, ja bis zu 30 vH Gehalt wurden einfach auf die Halde gestürzt. Diese Halden von viele hunderttausend Kubikmeter Inhalt sind in riesigen Ausdehnungen über den ganzen Ostabhang des Gebirges zerstreut. Infolge der Witterungseinflüsse sind die Erze auf den Halden chemischen Veränderungen ausgesetzt gewesen so dass sie weit ausgedehnte, leuchtend blaue Flächen bilden, ein wunderbares Bild im Gegensatz zu den stumpfgrauen Felsen und den blendend weißen Eisbergen dieses Hochgebirges, über das sich ein last tiefschwarzer Himmel spannt.

Schon während des Baues der letzten Eisenbahnstrecke nach Chilecito hatte man die Möglichkeit studiert, mittels einer Schwebebahn bis in das Herz der Gruben vorzudringen. Der Kongress erteilte unter anderem eine Konzession für die Vorarbeiten zu einer Schienenbahn, Bauart Lartigues, die sich aber auch nicht als ausführbar erwies.

Die einzige Möglichkeit erschien nach jahrelangem Studium die Errichtung einer Drahtseilbahn. Nachdem die Eisenbahn nach Chilecito endlich in Betrieb gesetzt worden war, übernahm eine englische Gesellschaft die Ausbeutung der Famatina-Gruben von der Regierung unter der Bedingung, dass sich  der Staat Argentinien dazu verstehen würde, eine Verbindung zwischen der Eisenbahnstation Chilecito und dem Grubenbezirk zu schaffen, und nunmehr kam die Frage ins Rollen.

Die Regierung setzte sich unter Beihülfe der Ingenieure der Famatina-Gruben mit den bedeutendsten Bahnbaugesellschaften, amerikanischen wie deutschen, in Verbindung; aber von fast allen wurde der Bau einer Bahn für unmöglich erklärt. Selbst die Vereinigten Staaten erwiesen sich in diesem Falle nicht als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten; die amerikanischen Firmen lehnten vielmehr mit Rücksicht auf die Gefährlichkeit und das Wagnis eines solchen Baues ab, Angebote zu machen. Die deutschen Firmen traten dagegen mit großem Wagemut an die Aufgabe heran. Nach sehr eingehendem Studium der Verhältnisse und der daraus entsprungenen Vorschläge, und nachdem die Regierung der Republik Argentinien die von den deutschen Firmen schon früher gebauten Anlagen besichtigt und einer genauen Prüfung unterzogen hatte, wurde der Bau der Firma Adolf Bleichert & Co. in Leipzig-Gohlis übertragen. Die Vorarbeiten, Vorschlüge und Entwürfe, die von den beteiligten Firmen gemacht worden waren, hatte der Ausschuss der argentinischen Regierung derart gründlich geprüft, dass Gewissheit darüber bestand, es sei tatsächlich die vollkommenste, am meisten Sicherheit bietende Lösung gewählt worden.

Die Wahl des Systems war für die zu erbauende Bahn von allergrößter Bedeutung. Jedenfalls konnte es sich nur um eine Zweiseilbahn handeln, d. h. um eine Drahtseilbahn mit festen Tragseilen, an denen mittels kleiner Laufwerke die Wagen hängen, welche durch ein ständig bewegtes Zugseil fortbewegt werden. Dabei konnte überhaupt nur zu der von Adolf Bleichert & Co. in die Industrie eingeführten, sogenannten deutschen Bauart gegriffen werden.

Aber auch hier war es notwendig, bei der Wahl der Einzelkonstruktionen die größte Sorgfalt walten zu lassen. Es handelte sich darum, eine Bahn zu bauen, wie sie in ähnlicher Länge noch nicht bestand, und gleichzeitig Steigungen zu überwinden, wie sie auch annähernd noch nicht ausgeführt waren. Die Entfernung zwischen der Station Chilecito und der Endstation bei den Famatina-Gruben beträgt waagerecht gemessen 34,67 km, der Höhenunterschied zwischen beiden Stationen 3510 m. Die stündliche Leistung war auf 40 t abwärts und 20 t aufwärts zu bemessen.

Demgegenüber geht die längste bis jetzt überhaupt gebaute Drahtseilbahn über eine Strecke von etwa 30 km bei verhältnismäßig geringer Steigung und bei einer Leistung von nur 5 t/st, so dass eigentliche Vergleichswerte gar nicht vorhanden waren.

Abgesehen von der gewaltigen Steigung, die zu überwinden war, und von den sonstigen Schwierigkeiten des Geländes durfte man nicht vergessen, dass die Bahn auf ihre ganze Länge in einer vollkommen unzugänglichen Gegend liegt, dass also Reparaturen von vornherein soviel wie möglich ausgeschlossen werden mussten. Die große Leistung der Bahn, die zudem in beiden Richtungen mit Last befahren werden muss, und der Umstand, dass die Erze ein hohes Schüttgewicht haben, so dass nur verhältnismäßig kleine Wagen gewählt werden konnten, zwangen dazu, eine ziemlich hohe Fahrgeschwindigkeit zu wählen, um nicht eine allzu große Wagenzahl und eine allzu dichte Wagenfolge zu bekommen. Die Geschwindigkeit beträgt 2,5 m/sk. Eine Wagenladung wiegt 500 kg, und die Wagen folgen einander in Entfernungen von 112 m und Zeitabständen von 45 sk.

Mit Rücksicht auf die Spannung der Tragseile, die bekanntermaßen in der Weise erzeugt wird, dass die Seile an einem Ende verankert und am andern durch schwere Betonklötze belastet werden, wobei sie auf den sogenannten Tragschuhen der Stützen frei aufliegen, war es notwendig, die Bahn in eine Reihe von einzelnen Strecken, und zwar in acht, einzuteilen, so dass die Wagen sieben Zwischenstationen zu durchlaufen haben, in denen sie vom Zugseil der einen Strecke ab- und an das der andern wieder anzukuppeln sind. Bedenkt man dabei, dass die klimatischen Verhältnisse auf der ganzen Linie die denkbar ungünstigsten sind — auf der obersten Strecke steigt das Thermometer nicht über null, während in der Nähe von Chilecito bereits Tropenklima herrscht, und dabei kommen Stürme, Regengüsse und Schneetreiben vor, wie sie mit ähnlicher Heftigkeit kaum in irgend einem andern Punkte der Welt auftreten —, so liegt es auf der Hand, dass der Ausgestaltung der Verkupplung zwischen Wagen und Zugseil die größte Sorgfalt zu widmen war.

Vor allen Dingen muss die Kupplung der Wagen an das mit stets gleicher Geschwindigkeit laufende Zugseil vollkommen stoßfrei erfolgen. Ferner darf auch auf den steilsten Strecken, die Steigungen bis zu 45° aufweisen, und bei den größten Spannweiten, auch wenn die Seile dick mit Eis bedeckt sind, die Kupplung auf dem Seile nicht rutschen können, da das Durchgehen eines einzigen Wagens die ganze Bahn von oben bis unten außer Betrieb setzen würde. Es musste ferner dafür gesorgt sein, dass sich die Überführung der Wagen von einer Station auf die andre mit größter Regelmäßigkeit vollzieht. Die unvermeidlichen kleinen Reparaturen oder Regulierungen müssen in kürzester Zeit ohne Unterbrechung auszuführen sein. Endlich darf ein etwa entgleisender Wagen nicht am Zugseil hängen bleiben oder sich schwer lösen lassen, sondern er muss so rasch wie möglich vom Seile loskommen.

Eine weitere Hauptbedingung, welche die Kupplung erfüllen muss, ist die, dass sie Zugseile von verschiedenen Durchmessern mit der gleichen Sicherheit festhält; denn da 7 verschiedene Strecken vorhanden sind, also auch 7 verschiedene Zugseile, ist es praktisch undurchführbar, alle Seile stets auf genau gleichem Durchmesser zu halten. Ein Seil längt sich mehr als das andre, eines wird früher ausgewechselt als das andre, wodurch Ungleichheiten bedingt sind; denn hat z. B. ein Seil zunächst 25 mm Dmr., so verringert sich dieser schon nach kurzer Betriebszeit auf 18 oder 17 mm.

Von den beiden Möglichkeiten, entweder Kupplungen mit zwangläufiger mechanischer Zustellung oder solche mit kraftschlüssiger Schließwirkung, die durch das Eigengewicht des Wagens betätigt wird, zu verwenden, entschied sich die argentinische Regierung nach Vornahme eingehender Versuche für die letztere und wählte dementsprechend die Bleichertsche selbsttätige Einrichtung 1), wobei das Wagengewicht

1) s. Z. 1902 S. 1770.

mit Hülfe eines im Laufwerk verschiebbaren Gleitstückes auf einen senkrecht zur Seilrichtung schwingenden Doppelhebel wirkt, dessen einer Arm als Klemmbacke ausgebildet ist, die das Zugseil gegen eine feste Backe des Laufwerkes presst. Da bei dieser Konstruktion eine sehr große Übersetzung möglich ist, das Wagengewicht also mit einem Vielfachen seiner Größe als Klemmkraft auf das Seil wirkt, und da ferner der Wagen mit Ladung über 700 kg wiegt, so dass das Seil auch unter den ungünstigsten Verhältnissen beim Fahren beladener Wagen mit einer Kraft von mehreren tausend Kilogramm angepresst wird, so durfte man hoffen, mit dieser Kupplung auch die schwierigsten Bedingungen erfüllen zu können.

Ein besonderer Vorteil der Kupplung wurde ferner auch darin erblickt, dass sich das Öffnen und Schließen der Klemme nicht stoßweise, wie bei den Einrichtungen mit Schraubenklemme, sondern allmählich vollzieht, und dass es von der größeren oder geringeren Geschicklichkeit des Stationsarbeiters vollständig unabhängig ist. Auch die heftigen Erschütterungen, denen die Wagen auf der Strecke bei starken Stürmen ausgesetzt sind, bleiben ohne Einfluss auf die stetige, durch Gewichtbelastung erzeugte Klemmkraft, was naturgemäß bei zwangläufig geschlossenen Kupplungen nicht der Fall ist, bei denen immer die Möglichkeit bleibt, dass sich die Klemme infolge der Erschütterungen lockert.

Schließlich kam noch der Umstand hinzu, dass bei der Bleichertschen Automatkupplung die Klemme vollkommen unabhängig vom Wagen selbst mit dem Laufwerk fest verbunden ist, auch dann, wenn, wie es hier mit Rücksicht auf die starken Steigungen notwendig war, das Zugseil senkrecht unter dem Tragseil liegt, was bei andern Kupplungen nicht ausführbar ist. Infolgedessen bleiben die Wagen auch bei den stärksten Steigungen (1 : 1) stets in senkrechter Lage und werden von der größeren oder geringeren Rückwirkung des Zugseiles, die bei dem schwierigen Profil und den scharfen Bergübergängen ganz besonders berücksichtigt werden musste, keineswegs betroffen. Die gesamte Angriffskraft des Zugseiles überträgt sich vielmehr, ohne den Wagen zu berühren, mit Hülfe des unabhängigen Laufwerkes auf das Tragseil.

Wie bereits erwähnt, soll die Bahn im wesentlichen dazu dienen, die in den Minen gewonnenen Kupfer- und Silbererze talwärts zur Eisenbahnstation Chilecito zu befördern. Da aber das Gebirge in seinem oberen Teil vollständig vegetations- und wasserlos ist und für den Lebensunterhalt der dort beschäftigten Arbeiter, der Mineros, auch nicht das geringste bietet, war es notwendig, auf dem Leerseil alle Bedürfnisse für den Lebensunterhalt der Arbeiter und für den Abbau der Gruben: Lebensmittel, Wasser, Brennstoffe, Bauhölzer usw. emporzuschaffen. Schließlich entschloss man sich auch noch dazu, in beschränktem Umfange die Personenbeförderung in besondern Wagen aufzunehmen, um einen leichteren Austausch der auf den verschiedenen Stationen beschäftigten Streckenwärter zu gestatten und ihnen die sehr weiten Umwege beim Nachsehen der Bahn zu ersparen. Es ist dies der erste Fall, dass eine Drahtseilbahn für einen derartigen vielseitigen Transport eingerichtet und gebraucht worden ist. Auch ist es bemerkenswert, dass sich die argentinische Postverwaltung dieses Beförderungsmittels bedient, um ihre Sendungen nach der Endstation, den Famatina-Minen, wie auch nach den Zwischenstationen zu befördern, und zwar nicht nur Briefe, sondern auch Postgüter. Ebenso werden auch die mit der Eisenbahn in Chilecito ankommenden Ersatzteile für Maschinen und überhaupt die in den Gruben gebrauchten mechanischen Einrichtungen auf demselben Wege befördert.

Die folgende Zahlentafel enthält nähere Angaben über die Längen und Steigungen der bereits erwähnten acht Teilstrecken, in welche die Bahn zerfällt.

Da die Menge der zu Tal gehenden Erzmassen größer ist als die der bergauf zu schaffenden Güter, so werden die Fahrzeuge, einmal in Betrieb gesetzt, von selbst in Bewegung gehalten. Es würde sogar noch eine bedeutende Menge Kraft abgegeben werden können, wenn es möglich wäre, alle Strecken so miteinander zu verbinden, dass eine auf die andre einwirkt. Aber die unteren Teilstrecken mit verhältnismäßig geringem Gefälle erzielen auch nur einen geringeren Kraftüberschuss, der nicht mehr genügt, sie in sicherem Betriebe zu erhalten, so dass sich hier die Einschaltung von Betriebsmaschinen als notwendig erwiesen hat.

Nach der in der "Hütte" 1) mitgeteilten Formel für die Betriebsleistung berechnen sich die Betriebskraft und die Kraftüberschüsse der einzelnen Teilstrecken wie folgt:

1) "Hütte", 19. Aufl. II S. 684 u. f.

Längen, Höhen und Steigungen der ganzen Bahnlinie und der Teilstrecken

Station
Höhe
über N. N.
m
Höhenunterschied
m
Einzellänge
km
Gesamtlänge
km
Steigung
vH
Chilecito
1075,60
       
Kilometer 9
1539,43
463,83
8,958
8,958
5,178
Parron
1974,48
435,05
8,486
17,444
5,126
Rodea Vacas
2539,66
565,18
3,054
20,498
18,508
Cueava Romero
2689,42
149,76
3,095
23,593
4,839
Cielito
3244,03
554,61
1,946
25,539
28,494
Cueva de Itanes
3910,91
666,88
2,267
27,806
29,406
Bayos
4371,44
460,53
3,072
30,878
14,989
Upulungos
4603,58
232,14
3,450
34,328
6,727
gesamter Höhenunterschied  
3527,98
     
Gesamtlänge      
34,328
 
durchschnittliche Steigung        
10,277



theoretischer Kraftüberschuss ohne Reibungsverluste bei 40 t Stundenleistung abwärts:

Strecke I rd. 37 PS
" II " 33 PS
" III " 71 PS
" IV " 11 PS
" V " 82 PS
" VI " 88 PS
" VII " 59 PS
" VIII " 24 PS

Die abzuziehende Reibungsarbeit und der Kraftbedarf für die aufwärts zu schaffenden Güter bis zu 20 t stündlich verzehren je nach der Strecke 25 bis 120 vH, so dass an Stelle des Kraftüberschusses an einzelnen Stationen Kraftbedarf eintritt.

Nachdem man anfänglich beabsichtigt hatte, die Betriebsmaschinen auf den oberen Stationen, wo sich ganz bedeutende Kraftüberschüsse ergaben, ganz fortfallen zu lassen, entschloss man sich schließlich im Interesse eines völlig sicheren Betriebes und namentlich auch, um einen Geschwindigkeitsregler zu haben, der jedes Durchgehen unmöglich macht, auf jeder Station eine Betriebsmaschine aufzustellen, die in ständiger Verbindung mit dem Zugseil bleibt. Die ziemlich erhebliche Reibungsarbeit des Zugseiles beim Inbetriebsetzen der Bahn macht es ohnehin wünschenswert, eine besondere Kraft zu haben, die auch die Strecke bei leeren Wagen oder bei alleiniger Aufwärtsbeförderung in Betrieb zu halten erlaubt. Es ist jedoch nicht auf jeder Station eine Antriebmaschine untergebracht, sondern die Anordnung getroffen, dass verschiedene Maschinen mittels Doppelantriebes von einer Station aus die obere und auch die untere Strecke in Gang halten.

Die Linie, Fig. 4, beginnt in der Nähe des Bahnhofes Chilecito, wo sich die Kupferschmelzhütten befinden, bei der Entladestation: Station I des Profiles; s. Fig. 5 bis 8. Die Entladestation besteht aus großen Rümpfen und einem darüber liegenden einfachen Schleifengleis, auf das die herunterkommenden Seilbahnwagen auffahren, um in die Rümpfe entleert zu werden, aus denen man die Erze in bereitstehende Eisenbahnwagen abzieht. Diese Station hat keine Antriebmaschine. Die Tragseile sind auf der Station fest verankert dagegen das Zugseil hier durch eine Spannvorrichtung gespannt.

Fig. 4. Profil der Drahtseilbahn

Fig. 4. Profil der Drahtseilbahn

Fig. 5 bis 6. Station I, Chilecito

Fig. 5 bis 6. Station I, Chilecito

Fig. 7. Station I, Chilecito

Fig. 7. Station I, Chilecito

Fig. 8. Station I, Chilecito

Fig. 8. Station I, Chilecito

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Quelle: G. Dieterich, Die Erschließung der nordargentinischen Kordilleren mittels einer Bleichertschen Drahtseilbahn für Güter und Personen, in: Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure, 3. November 1906, Nr. 44, Band 50, S. 1769 - 1778, S. 1826 - 1831, S. 1867 - 1870.
Rechtschreibung behutsam angepasst: Wolfgang Morscher.
© digitale Version: www.SAGEN.at