HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.
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„Wer zum ersten Male aus einem evangelisch-christlichen Lande in ein römisch-christliches eintritt, der ist vor Allem betroffen von dem Eindrucke, den hier eine vollkommen ausgebildete, äußere Kirche hervorruft. Nirgends ist dies stärker der Fall wie in Tirol […].“
(Aus: HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.)
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"Kurz, man hat, wenn man in die tiroler Alpenwelt eintritt, den vollen Eindruck davon, daß man unter Menschen lebt, die Christum den Gekreuzigten zu ihrem Herrn und Gott haben. An jedem Hause sehen wir das Bild des Erlösers der Mensch-Scheidewege, da, wo sich zwei Menschen begegnen oder sich trennen können, ist ein Kreuz mit dem blutenden Weltheilande errichtet, damit es niemals vergessen werde, daß wir mit Ihm, in Ihm und durch Ihn leben und sind; — auf allen größeren und kleineren Gegenständen des häuslichen Bedarfs, bis zum Siebe, welches am Frachtwagen des Fuhrmanns hängt, sieht man das Zeichen des Kreuzes — häufig und gewöhnlich in Form des bekannten Anagramms, welches Constantin im Traum erschien: J. H. S.; — an Erinnerung und Hinweisung auf das Höchste fehlt es also nicht."
(Aus: HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.)
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"Man sieht fortwährend die Leute, den Rosenkranz betend auf dem Gottesacker herumgehen, und mit einem Wedel aus den, an den Leichensteinen angebrachten Schaalen, Weihwasser auf die Gräber spritzen, in dem Glauben, daß dadurch die materielle Gluth des Feuers gekühlt werde. — Der Herr, welcher Herzen und Nieren prüft, weiß allein, ob Furcht oder ob wahre Liebe dazu treibt."
(Aus: HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.)
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"Hier in Tirol ist aber das Gotteshaus der Mittelpunkt der ganzen Gemeinde, und es ist wahrhaft erhebend, zu sehen, wie von allen Seiten, aus den weit zerstreut liegenden Höfen die Menschen an Sonn- und Feiertagen zur Kirche wallen. Schon in aller Frühe, gewöhnlich mit Kienfackeln versehen, sieht man die Bewohner der Berghöfe, die oft drei bis vier Stunden zu steigen haben, ehe sie von ihren Bergplatten zur Pfarrkirche hinabkommen; Alt und Jung, Weiber und Kinder — nur die Kranken und Schwachen bleiben zurück — zum Gottesdienste ziehen. Da ist kein Unwetter, weder Schnee noch Eis, ein "Hindernifs, und weil die höchsten und am entferntesten gelegenen Höfe den beschwerlichsten Weg — ja Wege haben, wovon wir uns in unserem Flachlande keine Vorstellung machen können, — sind die Bewohner derselben, weil sie schon vor Tagesanbruch aufbrechen, gewöhnlich die Ersten in der Kirche."
(Aus: HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.)
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"Wenn es nun stets eine der schwierigsten Aufgaben bleibt, den Charakter eines Volkes in wenigen festen und bestimmten Conturen zu zeichnen, in denen die einzelnen Details ungezwungen Platz finden können, so ist die Lösung derselben für Tirol geradezu unmöglich, weil man es hier nicht mit einem Volksstamme zu thun hat. Die gewöhnlichen Vorstellungen von der Biederkeit, Offenheit und Frische der Tiroler sind daher, abgesehen von der großen Allgemeinheit solcher Begriffe, hier nicht anwendbar, wie es denn überhaupt ein arges Missverständnis ist, die Tiroler als ein in sich abgeschlossenes, von gleichen Interessen bewegtes Volk zu denken. Von den etwa 700,000 Bewohnern Tirols sind allein nahe an 300,000 Italiener und kaum 400,000 Deutsche. Von diesen Letzteren gehören etwa 222,000 dem Innthale mit seinen Seitenthälern (Nord-Tirol), etwa 100,000 dem gesegneten Etschlande (Deutsch-Süd-Tirol) an, und einige 60000 bleiben für die östlichen Bezirke slavischen Ursprungs (Pusterthal). Dazu kommt endlich die romanische Bevölkerung des Gredner- und des Enneberger- Thales, von etwas über 9000 Seelen. Will man daher von dem Charakter der Tiroler sprechen, so muß man zunächst fragen, ob damit die Wälsch- oder die Deutsch-Tiroler (deren Verhältnis, wie oben erwähnt, sich ungefähr wie 3 zu 4 gestaltet) gemeint sein sollen, und demnächst, ob man unter den Deutsch-Tirolern die Bewohner von, Nord- oder Süd-Tirol, ob die Innthaler, die Pusterthaler oder die Etschländer, endlich ob man die romanischen Tiroler meint. Was mich betrifft, so habe ich nur Gelegenheit gehabt, die Deutsch-Süd-Tiroler, und von diesen insbesondere die Etscher an der aus eigener mehrjähriger Anschauung kennen zu lernen; was ich von dem Charakter der Nord-Tiroler, Pusterthaler und der Wälsch-Tirol er weiß, ist mir im Wesentlichen nur aus Mittheilungen anderer, oder aus den Werken von Beda Weber, Staffier und dem früher schon erwähnten Buche: „Tirol unter der bairischen Regierung" — bekannt."
(Aus: HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.)
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"Was zunächst die äußere Erscheinung angeht, so trifft man im deutschen Tirol durchgängig einen gedrungenen, breitschultrigen Menschenschlag, wogegen im wälschen Theile mehr schlanke, feingebaute Gestalten mit offener, gebräunter Brust und dem ganzen Colorit des Südens uns entgegen treten; — große Menschen, wie man sie bei uns in der Ebene findet, sieht man im ganzen Tirol äufserst selten. Dagegen unterscheiden sich die verschiedenen Bewohner der deutschen Thäler in Beziehung auf ihre körperliche Bildung weit mehr von einander, wie dies bei den Italienern der Fall ist, deren äufsere Erscheinung sich überall ziemlich gleich bleibt. Vor allen zeichnen sich die Oetzthaler und Passeirer, auch die Duxer durch den kräftigsten Körperbau und durch das entschieden Germanische in den Gesichtszügen aus. Größstentheils blond, mit blauen Augen, erkennt man hier sogleich das noch unvermischte deutsche Element, während die Bewohner der Meraner Gegend im Allgemeinen zwar auch diesen Ausdruck haben, jedoch ist er hier schon mehr verwischt, und die reiche Fülle einer gesegneten Natur hat, bei der großen Sorge um die Pflege des Leibes, dem Ausdrucke der Gesichtszüge hier und da schon etwas stumpfes, träges, den sinnlichen Genufs verrathendes, gegeben. Auffallend, aber beinahe für alle Theile Tirols geltend, ist die Erscheinung, daß das weibliche Geschlecht dem männlichen an körperlicher Schönheit ungemein nachsteht. Während man in der Meraner Gegend, namentlich unter den Passeiern, Männer von vollendeter Schönheit findet, mit einem Ebenmaße der Glieder und mit einem so edlen Ausdruck der Gesichtszüge, wie man sie nicht leicht irgendwo, namentlich nicht in so großer Zahl, zusammen sieht, — sind die Frauen und Mädchen, man kann sagen, in demselben Verhältnisse unschön. Viel trägt zwar hierzu die höchst unvortheilhafte Tracht bei, — worauf ich später noch zurückkomme, — aber der ganze Bau und die Gesichtszüge entsprechen durchaus nicht dem Bilde, welches man sich von den „schönen Sennerinnen" zu machen gewohnt ist."
(Aus: HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.)
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"Eine Eigenschaft, die sich mehr oder weniger bei allen Deutsch-Tirolern, vorzugsweise aber bei dem Etschländer zeigt, und worin manche, sonst unerklärliche Erscheinungen ihren Grund finden, ist das früher schon so oft erwähnte Festhalten an dem Alt-Hergebrachten. „So wie es der Großvater und der Ahne und der Urahne gehalten hat, so halten wir's auch;" […] Äußerlich zeigt sich dieses Festhalten am Alten, namentlich in der Meraner Gegend, durch die Art der Kleidung. Ursprünglich hatte fast jedes größere Thal seine besondere Tracht. Im Ober- und Unter-Innthale ist eigentlich allgemein nur noch der eigenthümliche, spitze Hut — den hier Männer wie Frauen tragen — und dann auch größtentheils die kurzen Beinkleider und der grüne Hosenträger erhalten; alles Übrige ist bis auf den Bauchgurt, der auch noch dann und wann vorkömmt, ziemlich ganz verschwunden."
(Aus: HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.)
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"Es ist eine Eigentümlichkeit der Tirolerinnen, daß sie stets eine Kopfbedeckung tragen. Erst in neuerer Zeit, und weil man doch allmählig findet, daß dieselbe gar zu unzweckmäßig ist, sieht man zuweilen Frauen in bloßen Köpfen gehen, jedoch an Sonntagen und wenn es etwas gilt, dürfen die sogenannten „Hauben" nicht fehlen. Es giebt nun mehrere dieser Kopfbedeckungen, aber eine ist immer unschöner und unzweckmäßiger wie die andere. In der Botzner Gegend, wo die Frauen auch einen, dem oben beschriebenen ähnlichen Anzug haben, findet man vorzugsweise die sogenannten „Pelzkappen"; — unförmliche, hohe Pelzmützen, in der Art wie die Kalpacks der Husaren gestaltet. — Dann sieht man auch sehr oft Frauen mit gewöhnlichen Männer-Filzhüten moderner Form, was im ersten Augenblick den Eindruck einer Verkleidung macht und abscheulich aussieht. Endlich sind bei den Landleuten in der Meraner Gegend und im Passeier-Thale die sogenannten „Schwatzer-Hauben" allgemein beliebt. Man denke sich einen zuckerhutartigen Thurm von dunkelblauem, auch zuweilen weißem, dickem, wollenem Stoff auf dem Kopf, so unschön und unkleidsam wie möglich, und man hat nur eine schwache Vorstellung dieser unglaublich häßlichen Tracht. Man begreift in der That kaum, wie man auf einen solchen Kopfputz verfallen konnte; — aber freilich findet man ja die wunderlichsten Ausartungen des menschlichen Geschmacks nicht blos bei rohen und ungebildeten Völkern, die sich tätowiren, sondern auch in manchen der neuesten Pariser Modejournale. In solchem schwerfälligen Anzüge, den Kopf unter dem heißen Druck von mehreren Pfund Wolle, steigen die Leute hier, unter einem italienischen Himmel, die steilsten Berge hinauf, — kein Wunder, wenn, man so häufig Frauen trifft, denen das Haar ganz ausgefallen ist."
(Aus: HARTWIG Emil von, Briefe aus und über Tirol geschrieben in den Jahren 1843 bis 1845. Ein Beitrag zur näheren Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der Meraner Gegend insbesondere. Mit Ansichten von Schloß Tirol und vom Schlern-Gebirge, und 4 meteorologischen Tabellen, Berlin 1846.)