3. Die Liebschaft.
A Büchs'l zum Schießen,
An' Schlagring zum Schlagen
Und a Diendl zum Gernhab'n
Muß a frischer Bua haben.
Die Tiroler Bauernburschen halten sich in der Tat an diese Lebensregel. Fast jeder, der einmal in die zwanziger Jahre einrückt, sei er nun ein vermöglicher Bauernsohn oder ein mittelloser Knecht, hat auch schon heimlich oder öffentlich seinen Schatz - "zum Gernhaben" wohlverstanden, denn das Heiraten gehört in ein ganz anderes Fach. Es hält auch nicht schwer eine Liebschaft anzufangen, da keinen "Buaben" zu besitzen, bei den Mädchen vollends als Schande gilt. Wenn auch manch reiches Dirndl spröde tut, so hat sie doch meist schon im Stillen ihr Herzschlüsselchen verschenkt. Anknüpfungspunkte gibt es tausend, wer mag sie alle aufzählen? Ein lebfrischer Bauernbursche ist wenig spitzfindig in seiner Wahl und die hergebrachte Sitte engt die jungen Leute auch nicht ein, deshalb bringt wohl jedes Fest, jeder Markt und Tanz liebende Paare zusammen.
Als erstes Zeichen eines besonderen Interesses trägt der Bursche häufig dem Mädchen das "B'scheidtrinken" an und deutet es natürlich günstig, wenn sie mit "g'schamiger" Freundlichkeit vom angebotenen Glase nippt. Ein anderer trifft auf dem Markte ein Dierndl, das ihm das Herz warm macht, und versucht nun mit ihr anzubandeln, indem er ihr ein kleines aber bedeutungsvolles Geschenk wie "Busserlen" oder "Popelen" aus Zuckerteig anbietet. Auch die Ostereier werden oft mit Liebeserklärungen in Versen beschrieben. Eine eigene Art, sich der gegenseitigen Zuneigung zu versichern, herrscht bei den Duxern. Sie haben nämlich, wie überhaupt häufig, so auch während des Tanzes, einen Fleck "Kuiat" oder "Kuipech" (Kaupech) im Munde, dessen eines Ende aus demselben heraushängt. Will nun ein Bursche seine Tänzerin um Gegenliebe befragen, so sagt er: "Beiß mer aft ocha (herab)!" Das zärtliche Mädchen tut es sogleich, was ihrem Schatz soviel gilt als ein Kuß. Ekelt ihr davor, so weiß, er auch, daß es mit der Liebe nicht weit her ist, denn das Sprichwort sagt: "Magst du nit mei Mummla (Gekautes), so hast du mi nit lieb."
Die meisten Paare finden sich sicher beim winterlichen Heimgarten zusammen. Hinter dem Spinnrocken läßt sich vortrefflich liebäugeln und die Burschen haben nichts anderes zu tun als mit den Mädchen zu schäkern. Da entspinnt sich denn mancher Liebesfaden, der bis Weihnachten sich genug befestigt hat, um mit dem sogenannten "Zeltentragen" und "Zeltenanschneiden" am Stephans- beziehungsweise am Dreikönigstage in den Abschnitt eines erklärten Verhältnisses zu treten. Wir haben schon beim letztgenannten Feste den bedeutsamen Reim angeführt, den der Bursch beim "Anstechen" des Gebäckes spricht und dessen Schluß lautet: "Neun Ellen um d' Hand" oder "erwirbt d' Hand".
Damit ist das Liebverhältnis angeknüpft oder, wenn es vielleicht schon seit Jahren bestanden, neu bekräftigt. Nur das "Erwerben der Hand" liegt selten in der Macht der Liebenden. Sie kümmern sich auch nicht weiter darum, sondern genießen das Leben mit der ganzen Sorglosigkeit der Jugend. An Sonntagnachmittagen führt der Liebhaber sein Mädchen ins Wirtshaus und zahlt ihr da ein Halbe Roten oder er geht mit ihr in ein anderes Dorf, wo gerade ein Fest mit Musik und Tanz gefeiert wird. Ein andermal begleitet er sie in die nächste Stadt zu einem Markte. An schönen Sommerabenden kann man genug solcher Pärchen nach Hause wandern sehen. Mit glühenden Gesichtern - sie haben vor dem Aufbruch noch würzigen "Gliedwein" (Glühwein) getrunken - schreiten sie langsam einher, Hand in Hand, in überseliger Stimmung.
Der schöne Sommer bringt indes auch oft bittere Trennung. Die jungen Burschen müssen nicht selten als Hirten hinauf in die weit entlegene Alm, um die ganzen warmen Monate droben zuzubringen. Nur um Maria-Himmelfahrt (15. August), dem Tag, an dem die Blumen in der Kirche geweiht werden, kommen sie auf Besuch in das Tal, den Hut mit Edelrauten geschmückt. Ein prächtiger Rautenstock ist ihr Stolz und Ruhm. Derjenige, der ohne einen solchen vor seiner Geliebten erscheint, wird als Feigling verächtlich ausgelacht. Daher scheut der Bursche keine Gefahr, um das edle Gewächs zu erlangen, und wagt Leib und Leben dafür. Oft schon mehrere Wochen vor dem Feste späht er das steile Geschröfe auf und ab, um einen schönen "Stock" aufzufinden. Mit Steigeisen oder barfuß erklimmt er den schwindeligsten Grat, von dem ihm die ersehnte Jochraute herabwinkt. Oft erschaut er eine tief unten in einem Felsenspalt, unter dem ein schrecklicher Abgrund gähnt. Da holt er seine Kameraden, die nun oben an der Kante ein Seil anpflöcken, an dem er sich in das schauerliche Geklüft hinabläßt. Schon mancher blühende Bursche stürzte bei solchem Wagnis von der Wand und lag zerschmettert, die Jochraute in blutiger Hand, unten auf der Schutthalde. Was Wunder, daß das Mädel, wenn der Bursche nachts zum Fenster kommt, die kühne Tat ihres Liebsten mit doppelter Zärtlichkeit lohnt, und ihm mit dem süßen Namen "mein Rautenstock" schmeichelt.
Der ungetrübteste Liebesfrühling blüht aber dem Paare, wenn das Mädchen als Sennerin den Sommer auf der Alm zubringt:
Auf der Alma oben ist a lustig's Leben,
Auf der Alma oben ist's so fein,
So a Sennerin die hat a schönes Leben,
So a Sennerin möcht' i wohl sein.Wie i bin aufikommen, ist s so freundlich g'wesen,
Schlagt die Hüttenthür vor Freuden zua,
Ist mir entgegeng'sprungen, hat mir's Hundert druckt:
Grüaß di' Gott, hat s' g'sagt, mei lieber Bua.
Jeden Sonnabend und wenn der Bursche sonst freie Zeit hat, was bei den vielen Bauernfeiertagen oft genug der Fall ist, steigt er hinauf zu seiner Geliebten, die ihn freudig bewillkommt und mit Nocken und Rahmmus bewirtet. Da sitzen die beiden abgeschlossen und unbelauscht von aller Welt und plaudern und kosen nach Herzenslust. Das allerschönste ergibt sich dann, wenn ein nichts ahnender Bauer den Verehrer der Sennerin als Hirten bestellt, was auch manchmal eintrifft. Das ist dann eine "wilde Ehe" in bester Form.
So freies Spiel haben die Liebesleute im Tale allerdings nicht. Zwar gibt es immer Stunden und Tage, wo man der Beobachtung unberufener Blicke entzogen ist, z. B. auf entlegenem Felde, auf den Bergmähdern und besonders auch auf Kirchfahrten, bei denen oft eine ganz eigentümliche Andacht verrichtet wird. Im Dorfe aber müssen sie die Geschichte meist heimlich halten, weil sonst der Vater oder Dienstherr dem Verhältnis "ein Riegele schieben" würde.
Anfangs macht sich der Bauer wenig aus einer Liebelei; wenn er aber sieht, daß die zwei zu vertraut werden, oder Knecht und Dirn mitsamen ein "Dechtlmechtl" haben, was man im Unterinntal "Hausbrateln" oder "Hausbröseln" nennt, so erhebt er energische Einsprache; weiß er ja aus Erfahrung, daß dabei nichts Gescheites herauskommt. Der Liebhaber hat vielleicht nur einige Gulden "von Haus aus" geerbt, die Geliebte ist gar ein "lediges Kind" und hat keinen Kreuzer, von einer Heirat kann also die Rede nicht sein; deshalb heißt es die Liebschaft aufgeben oder aus dem Hause. Die Wahl fällt nicht schwer. Die jungen Leute betrachten die Liebe als ein Naturrecht und lassen sich dasselbe nicht verbieten.
Warum sollt' denn nur i g'rad
Koa Diendl lieben?
Thun's do' d' Vögel im Wald,
Daß si' d' Asteln biegen.
Eines oder beide suchen sich daher um Lichtmeß, welcher Tag als Hauptschlenggeltag gilt, einen andern Dienst, wobei sie trachten, wo möglich nicht allzuweit auseinanderzukommen. Das Schlenggeln gibt für die beiden einen besonders glücklichen Tag. Die Sitte will es nämlich, wie wir schon beim ersten Abschnitt dieses Buches hörten, daß der "Bua" sein Mädchen auf der Wanderschaft begleitet und ihm den "Schlenggelpack" auf einem Rückkorb nachträgt oder in einem Handschlitten mitzieht. So hat man einen langen Tag Gelegenheit, miteinander zuzubringen, von Wirtshaus zu Wirtshaus wandernd, bis man mit der Abenddämmerung am Bestimmungsorte ankommt. "Schaden macht klug", darum stellt man es jetzt pfiffiger an. Nur nachts und auf heimlichen Wegen schleicht sich der Bursche zum Hause der Liebsten. Eine Hand voll Sand fliegt ans Kammerfenster, ein leises Zeichen von oben antwortet und jetzt erst wagt sich der Bursche hervor, lehnt seine Leiter an und steigt ans Fenster oder schlüpft ganz hinein. Wohl schläft meistens noch eine "Kamerädin" in derselben Kammer mit der Dirn, doch verrät sie selten etwas, da sie ein andermal gewöhnlich der gleichen Verschwiegenheit bedarf. Sie muß unterdessen, wie der Volkshumor sagt, "Leilach"- oder "Teppichkuien", d. h. ihr heimliches Lachen durch Kauen am Leintuch oder an der Überdecke verbeißen. So hat mancher ehrsame Hausvater keine Ahnung, welchen ungebetenen Gast sein Haus beherbergt. Noch grimmiger möchte er wohl werden, wenn er wüßte, wie ein bildhübscher aber blutarmer Mensch zu seiner Tochter gehe, für die er einmal einen ganz anderen Bräutigam für Gut und Geld auszuwählen gedenkt. Die größte Vorsicht mag der Liebhaber anwenden, wenn er, wie bereits erwähnt, aus einem anderen Dorf ist, weil er da die gesamten Burschen des Ortes zu Feinden hat. Und doch hat das gerade einen eigenen Reiz:
Je höher der Kirchthurm
Desto schöner das G'läut,
Je weiter zum Dierndl,
Desto größer die Freud.
Selbstverständlich gibt es auch Verhältnisse, bei denen die Liebe ihre praktische Seite hat, wo es daher gleich von Anfang auf eine Ehe abgesehen ist. Da braucht es natürlich keine Heimlichkeiten, sondern das Paar kann sich öffentlich sehen lassen, wo es will. In solchen Fällen gibt der Bewerber in vielen Gegenden dem Mädchen ein "Drangeld", die sogenannte "Haar", wodurch er sich zur Heirat verpflichtet.
Solcher Glücklichen sind indes nicht allzuviele. Gemeiniglich hat die Rose der Liebe manche Dornen. So müssen im armen Oberinntale viele Burschen als Arbeiter hinaus in die Fremde und wie von Eltern und Geschwistern, so auch von der Herzallerliebsten auf lange Zeit Abschied nehmen. Derselbe gestaltet sich besonders im Paznauner Tale zu einer tragikomischen Szene. Das Mädchen begleitet nämlich den Burschen ein Stück Weges und trägt ihm den kleinen Reisepack. Sie gehen Hand in Hand, bald lachend, bald weinend. Das Versprechen des Burschen, ihr bei seiner Wiederkunft im Herbst ein schönes Tüchel, ein "Amprell" (Regenschirm) oder ein Gebetbuch mit Goldschnitt mitzubringen und den Vater zu bitten, sie heiraten zu dürfen, lockt ein Lächeln auf ihr Gesicht, aber bald fällt ihr die schmerzliche Trennung wieder ein und sie faßt den Burschen leidenschaftlich an der Hand, als wollte sie ihn nicht wegziehen lassen. Im nächsten Wirtshause kehren sie ein. Er trinkt mit den Worten: "Sollst leben", worauf sie ihm Bescheid tut: "Du daneben", oder er sagt: "I sieh di'" und sie erwidert: "I hör' di'". Endlich läßt sich der Abschied nicht mehr aufschieben. Ein Stück gehen sie noch mitsammen, dann drücken sie sich die Hände, umarmen und küssen sich mit lautem Weinen und Schluchzen. Das Mädchen hebt einen Stein auf und sagt: "Küß mir den Stein, Hab i a Gedenkzeichen mit heim" und steckt denselben wie ein Kleinod in den Sack. Noch einen langen liebevollen Blick, einen kräftigen Händedruck und sie gehen auseinander, sehen sich aber immer noch um und schauen einander nach. Wenn dann ein Gebüsch oder eine Straßenkrümmung sie einander zu entrücken droht, laufen sie wieder zurück und das Abschiednehmen geht von neuem an. So treiben sie es oft eine Stunde lang, bis das Gelächter der vorbeiziehenden Leute sie auseinanderscheucht.
Wenn sich auch nicht alle Scheidenden so töricht geberden wie die sprichwörtlich gewordenen Paznauner, so mag doch manches verlassene Diendl singen:
Schön blau ist der See
Und mein Herz thut mir weh,
Und wird nimmermehr g'sund,
Bis mei Schatz wiederkommt.
Schlimmer ist es noch daran, wenn die zweite Strophe dieses Liedes in Erfüllung geht:
Diendl, was thät'st denn.
Wann mi' treffet' 's Loos (zum Soldaten):
Du müßtest halt wandern
Auf's Sterzinger Moos.
Letztere Gegend bezeichnet der Volkswitz bekanntlich als den Verbannungsort für alte Jungfern. Man wird übrigens selten hören, daß ein Mädchen ihrem für immer verlorenen Schatz die Treue bewahrt hätte; sie tröstet sich im Gegenteile meist bald und schaut sich um einen neuen Schatz. Wir haben überhaupt bisher nur erwiderte und treue Liebe im Auge gehabt.
Nicht minder zahlreich sind aber die Fälle, in denen ein Verhältnis durch Streit, Trotz oder Untreue sich löst, wovon eine Menge Lieder zu erzählen wissen. Wenn einem Mädchen die traurige Wahrheit klar wird: "Mein Schatz hat mi' g'reitert", d. h. mir einen Korb (Reiter - größeres Sieb) gegeben, so bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu fügen; der Bursche aber, dem das von seinem Mädchen begegnet, denkt an Rache. Er läßt sich gar nichts merken, sondern tut schön mit ihr als sei nichts geschehen und beredet die Arglose eines Sonntags, mit ihm ins Wirtshaus zu gehen. Wenn sie nun recht gemütlich in der von Gästen gefüllten Stube hinter dem Tische sitzen, so entfernt sich der Bursche plötzlich auf Nimmerwiedersehen und läßt seine untreue Geliebte, die natürlich in größter Verlegenheit und blutrot vor Scham meint, unter die Erde sinken zu müssen, allein zurück. Man nennt diese empfindliche Strafe: "ein Blech machen". Dieser Vorfall kommt besonders häufig am Kirchweihfeste vor 1). Das "Blech" haftet ihr so lange an, bis ein anderer Bursche es ihr abnimmt, d. h. im Wirtshause für sie zahlt und sich so als ihren neuen Liebhaber darstellt. Manche ist so glücklich gleich einen zu finden, vielleicht gerade den, um dessentwillen sie den ersten Schatz betrogen, und braucht so nicht "Schotten tragen" d. h. allein heimgehen zu müssen. Sich zu grämen um eine falsche Liebste kommt einem Burschen wohl selten in den Sinn:
A n andre Mutter
Hat auch a schön's Kind.
singt er ihr zum Trotz. Der Nebenbuhler muß es in der ersten Aufwallung der Eifersucht und des Zornes oft bitter büßen. Er mag dem Himmel danken, wenn er blaugeschlagen davonkommt, denn schon mancher bezahlte seine Tat mit dem Blute,
Dauert ein Liebesverhältnis Jahre lang fort, so bleibt es fast nie ohne Folgen. Zuerst ist das Mädchen wohl vorsichtig und antwortet dem vor ihrem Fenster um Einlaß flehenden Geliebten:
I steh' nit auf, laß di' nit ein,
Du könnt'st heut Nacht mein Unglück sein.
aber endlich siegt die Liebe über alle Bedenken. Zu spät kommt dann die Reue, die Furcht vor der Schande und die Sorge für die Zukunft, die manches Mädchen zu unerlaubten Mitteln greifen läßt, um sich davor zu bewahren. Beweis davon ist der in Hausgärten Unterinntals häufig gepflanzte Sevenbaum (Juniperus sabina). Diese böse Tat gelingt ihr aber selten und das Mädchen muß nun im vollen Sinne des Wortes erfahren, wie "Liebe mit Leide lohnt". Der Dienstherr entläßt sie, die Eltern erteilen ihr eine scharfe Rüge und der Ortsgeistliche, der schon gegen den Tanz und das "Fensterlen" immer geeifert, hält ihr eine derbe Strafpredigt 2).
Überdies verfällt sie nebst ihrem Liebsten häufig der öffentlichen Volksjustiz, die an manchen Orten noch sehr strenge gehandhabt wird. Vollstrecker derselben sind die Burschen. Die Strafe des schuldigen Paares besteht darin, daß dasselbe durch eine öffentlich aufgeführte Komödie moralisch oder auch in Person an den Pranger gestellt wird. So verfahren z. B. die sogenannten "Nachtraupen" von Ulten. Ein dortiger Bauer entließ den Knecht wegen eines verdächtigen Umganges mit der Dirne. Als letztere dies hörte, ging auch diese, ohne vom Bauern bezahlt zu werden. Als dieses doppelte Ärgernis im Orte ruchbar wurde, gingen die Burschen nachts mit einer Schelle läutend von Haus zu Haus und sammelten für den reichen Bauern, der die Dirne nicht bezahlen konnte. Eine ebenso strenge Rüge wie hier dem geizigen Bauern, wird dem gefallenen Mädchen zu teil, so daß sie gebrandmarkt vor der ganzen Bewohnerschaft des Dorfes dasteht.
Und doch läßt sich noch alles dies ertragen; bitter aber ist
es, wenn der Liebhaber infolge solcher Unannehmlichkeiten ihrer überdrüssig
wird und sie verläßt. Viele Volkslieder schildern in ergreifender
Weise das Weh der Getäuschten und Verlassenen. Leider ist dies das
gewöhnliche Ende von Liebschaften, bei denen der Abschluß der
Ehe nicht möglich ist. Mancher Liebhaber hält dagegen nur zu
treu an seiner Geliebten, so daß, wenn einmal das erste Kind überstanden
ist, bald das zweite und dritte nachfolgt. Ist Aussicht auf Verheiratung
da, so macht sich das Landvolk aus der Vorwegnahme der ehelichen Freuden
wenig, besonders finden es die leichtlebigen und lebenslustigen Unterinntaler
fast selbstverständlich, daß der Sohn, der das Anwesen erst
nach dem Tode der Eltern erbt, also vorher nicht heiraten kann, sich einstweilen
des vollsten Liebesglückes erfreut, dem erst später der kirchliche
Segen folgt. Unverbrüchliche Treue ist jedoch in diesem Falle seine
Pflicht.
1) Vergl. den Abschnitt "Kirchtag".
2) Man erinnere sich an das Bild "Der Sittenrichter" von Matthias
Schmid.
Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben,
Stuttgart 1909. S. 346 - 355.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Isabella Richrath, September 2005.
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