Die Kreuze im Russischen Norden
© Oksana Fedotova
Die Kreuze im Russischen Norden, Teil 1
Die Kreuze im Russischen Norden, Teil 2
Die Kreuze im Russischen Norden, Teil 3
Ein typisches Beispiel des Mesener Votivkreuzes ist das Kreuz aus dem Dorf Kosmogorodskaja (Mesener Bezirk, Archangelsker Gebiet), das 1899 am Ufer des Flusses Mesen aufgestellt wurde. Dieses Kreuz wurde 1988 als Vorbild für ein Kreuz im Mesener Sektor des Museums „Malye Korely“ gewählt, die Idee konnte man aber erst 2000 verwirklichen.
Das Votivkreuz im Museum „Malye Korely“. April 2006.
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Die Rückseite des Kreuzes trägt die Aufschrift „Das Kreuz wurde nach dem Vorbild des Votivkreuzes von 1899 aus Dorf Kosmogorodskaja, Mesener Bezirk, aufgestellt und am 4.Juni 2000 geweiht“.
Das Original wurde aus Lärche gemacht und war 4,45 Meter hoch, mit dem im Boden steckenden Teil – 6 Meter. Das Kreuz im Museum ist aus Kiefer und wesentlich kleiner, die Schnitzerei entspricht aber ganz dem Original.
Das Votivkreuz im Museum „Malye Korely“. 12. Mai 2007.
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Hier ist ein anderes Kreuz, 1877 im Dorf Semsha an der Mesen aufgestellt, 1981 nach „Malye Korely“ gebracht. Das Kreuz ist aus Kiefer gemacht und ist 4,33 Meter hoch, mit dem Unterteil – etwa 6 Meter:
Das Kreuz aus Semsha im Museum „Malye Korely“. 22.April 2007.
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Unter den Menschen, die Votivkreuze machten und sie mit Schnitzerei schmückten, waren wirkliche Meister, die auch den gekreuzigten Jesus noch schnitzten:
Das Kruzifix aus dem Dorf Saoserje, Leschukonskij Bezirk, Ende des 19.Jahrhunderts. Seit 1976 im Museum „Malye Korely“ bei Archangelsk. 22.April 2007.
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Es gab früher Votivkreuze, die besonders verehrt wurden, und zu denen die Menschen aus weit entfernten Dörfern kamen.
Im Dorf Saakakurje an der Mesen steht z.B. das Votivkreuz, das, wie es die Dorfbewohner glauben, heilen kann. Es wird erzählt, wie ein Mann in den 1950-er Jahren nach dem Befehl der Bezirksverwaltung dieses Kreuz abgesägt hat. Und sofort wurden seine Beine gelähmt. Dann hat der arme Mann mit Hilfe seiner Freunde und Verwandten das Kreuz zurückgestellt und wurde gleich gesund.
Die meist verbreitete Form eines Gelübdes war das Versprechen, ein Handtuch oder Stoff dem Kreuz zu stiften. Die Votivkreuze am Fluss Mesen schmückte man auch mit Schürzen, Seidentüchern, man legte auch Kleingeld zum Kreuz. Dabei je schwerer die Krankheit oder Gefahr war, aus der man sich gerettet hat, desto länger sollte der gestiftete Stoff sein.
In Lebskoje, dem Heimatdorf den Eltern meiner Mutter und meiner Mutter selbst steht auch ein Votivkreuz, das von allen Dorfeinwohnern sehr verehrt ist. Es ist kein altes Kreuz, wurde in den 1970-er Jahren von der Frau namens Rosa nach einem Gelübde aufgestellt. Es war einmal ein Brand im Dorf und die Gefahr bestand auch für ihr Haus. Sie hat versprochen, ein Kreuz aufzustellen, wenn das Feuer ihr Haus schont.
So erschien im Dorf das Kreuz, dass von den Menschen Peter-und-Paul-Kreuz genannt wird, obwohl es nicht geweiht wurde. Aber der Gedenktag der Heiligen Aposteln Peter und Paul war seit langer Zeit das Hauptfest in Lebskoje (wird in Russland am 12.Juli gefeiert), die alte Kirche und die neue Kapelle im Dorf wurden Peter und Paul geweiht, darum bekam auch das Votivkreuz diesen Namen.
Das Peter-und-Paul-(Votiv)Kreuz in Lebskoje, Leschukonskij Bezirk, Archangelsker Gebiet. 07.Juli 2006.
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Das Peter-und-Paul-Kreuz steht auf einem kleinen Hügel vor dem Friedhof. Wenn die Menschen an bestimmten Festen und Gedenktagen zum Friedhof gehen, um ihrer verstorbenen Verwandten zu gedenken, kommen sie zuerst zum Kreuz und legen auf seine Querbalken oder auf den Boden Bonbons, Gebäck und Kleingeld. Das ist ein alter Brauch in Lebskoje. Dasselbe wird immer am Peter-und-Paul-Gedenktag gemacht. An diesem Tag gehen die Dorfeinwohner immer am Vormittag zum Friedhof, zuerst aber zum Kreuz und stiften neue Tücher und werfen Kleingeld auf den Boden.
Das Foto unten wurde am 12.Juli gemacht. Man kann gut darauf sehen, dass jemand schon neue Stiftungen gemacht hat, auf dem weißen Tuch hat man sogar ein Kreuz von Hand gezeichnet.
Das Peter-und-Paul-(Votiv)Kreuz in Lebskoje, Leschukonskij Bezirk, Archangelsker Gebiet. 12.Juli 2006.
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Die Tücher auf den Kreuzen sind ein gutes Beispiel für die Vereinigung von heidnischen und christlichen Bräuchen, denn früher haben heidnische Völker solche Stiftungen den von Menschen verehrten Bäumen und Büschen gemacht.
Die Votivkreuze wurden auch an den Küsten und auf den Inseln des Weißen Meeres aufgestellt. Die Einwohner der nordrussischen Siedlungen, wo das Leben mit dem Meer verbunden war, errichteten Kreuze besonders oft, z.B. nach der glücklichen Heimkehr von einer gefährlichen und schweren Reise. Und Gefahr und Schwierigkeiten gab es immer genug auf Meer. Es gibt bei den Pomoren sogar die Redewendung: wer nicht am Meer war, der hat nie zu Gott gebetet.
Die Kreuze an der Meeresküste und auf den Inseln halfen auch dabei, die Ortschaften zu erkennen und die Himmelsrichtungen zu bestimmen, denn Querbalken wurden bei jedem Kreuz immer vom Norden nach Süden ausgerichtet. Hier dienten die Kreuze also auch als Navigationszeichen und wurden in alten Lotsenhandbüchern oft erwähnt.
Leider sind heute nicht sehr viele Kreuze erhalten geblieben – viele sind verfault, viele wurden während der sowjetischen antireligiösen Kampagne rücksichtslos vernichtet.
Aber solange die alten Kreuze am Meer und in den Dörfern noch stehen, lebt in unseren Herzen das Andenken an unsere Vorfahren und an ihr schweres Leben im Russischen Norden.
Die alten Kreuze auf dem Friedhof in Lebskoje, Leschukonskij Bezirk, Archangelsker Gebiet. 07.Juli 2006.
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Quellen:
- Permilowskaja A. „Die Holzkreuze im Russischen Norden“ in Stawrografitscheskij Sbornik, Band 1. Moskau, 2001.
- Okladnikow N. „Mesener Kreuze“ in der Zeitung „die Welle“, 2003: 24-30.Januar, 7-13.Februar, 21-27.Februar.
- Miltschik M. „An den Ufern von Pinega und Mesen“. Verlag „Kunst“, 1971.
- „Denkmäler des Russischen Nordens“. Archangelsk, 1991.
- Maximov S. „Ein Jahr im Norden“. Archangelsk, 1984.
- Dmitrijewa S. „Folklore und Volkskunst der Russen im Europäischen Norden“. Moskau, 1988.
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